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Außenposten 23, Rockland, TikonovAchernar-PDZ, Mark Capella, Vereinigte Sonnen
21. Februar 3065
Rocklands kleiner Garnisonsposten konnte nicht einmal ein Zehntel der Maschinen und Ausrüstung von Victors Truppen beherbergen, und den örtlichen Raumhafen hatte Generalkommandantin Killsons 23. Arkturusgarde für sich requiriert Rudolf Schakow sprang auf das Trittbrett eines langsam vorbeifahrenden Tankwagens und ließ sich die letzten hundert Meter zu dem mehrere tausend Quadratmeter großen Stück offenen Geländes mitnehmen, das Des Prinzen Mannen mit Beschlag belegt hatten. Er hielt sich mit einer Hand am schmierigen Türgriff des Lasters fest, während die andere die Windjacke am Kragen geschlossen hielt, um sich vor dem kalten Frühnebel zu schützen. Die Nässe legte sich auf die Haare und kondensierte gelegentlich zu Tropfen, die ihm wie ein kalter, träger Finger den Rücken hinabliefen.
Grauer Himmel, so weit das Auge reichte, und den Vorhersagen nach war bis Tukwila keine Besserung zu erwarten. Nicht, dass das wirklich eine Rolle spielte. Vor ihm stiegen MechKrieger in ihre luftdichten Kanzeln, und Panzerbesatzungen schlossen die Luken. Infanterie bestieg wetterfeste Truppentransporter, hauptsächlich Schweber, aber auch ein paar Hubschrauber.
Die ersten Mechs verließen bereits den Sammelplatz und formierten sich für den schnellen Marsch nach Süden. Eine Scoutlanze bewegte sich langsam zwischen zwei Panzergruppen hindurch, um keinen noch nicht aufgesessenen Kameraden zu zertrampeln, dann beschleunigten die Maschinen und rannten an die Spitze der Marschkolonne.
Schakow zählte fünfzehn BattleMechs, als er vom Trittbrett absprang, und kaum eine größere Anzahl Panzer. Zwei Krötentruppen führten eine Rumpfsektion Infanterie an. Mehr war von der 244. Division der ComGuards nicht übrig, vielleicht vierzig Prozent. Die Luft/Raumjäger nicht mitgezählt, die bereits unterwegs waren, um die Katrina Davion abzufangen. Die Luftunterstützung würden heute die 6. Crucis-Lanciers und ein paar ComGuardKampfhubschrauber übernehmen. Das müsste reichen. Es musste reichen.
Als er an Victors Daishi vorbeikam, wischte Schakow sich die rechte Hand am linken Jackenärmel ab, doch es gelang ihm nicht, den Schmierfilm abzustreifen, den er vom Türgriff des Tanklasters mitbekommen hatte. Der Mech war eine beeindrukkende Konstruktion, selbst zwischen den anderen Kriegsavataren, die ihn umgaben. Ein Koloss von tödlicher Majestät - und er würde hier bleiben, erinnerte er sich. Nachdem sich der Platz geleert hatte, würde ein Tech den OmniMech im Wartungsmodus zum Raumhafen bringen und für den Abtransport an Bord eines Landungsschiffes verladen.
Dann sah er den Prinzen, und Hoffnung stieg in
ihm auf.
Victor stand am Fuß des Mechs und sprach mit dem Senior-Waffentech
der Division. Schwerer Nebel hatte den grünen Trenchcoat des
Prinzen durchnässt, und das sandblonde Haar wurde allmählich dunkel
und platt. Zwei Sicherheitsagenten standen ein paar Schritte
entfernt und wechselten unsichere Blicke. Zwei nahe MechKrieger und
drei Techs waren diskreter. Sie standen beisammen, als würden sie
über letzte Wartungsfragen reden, warteten aber nicht weniger
offensichtlich darauf, herauszufinden, warum Victor hergekommen
war. Schakow bewegte sich hastig hinüber.
»Es spielt keine Rolle, was man Ihnen über meinen Mech gesagt hat«,
erklärte Victor, dessen Geduldsfaden offensichtlich zum Zerreißen
gespannt war. »Ich nehme ihn raus.«
Schakows Hoffnung erstarb, sobald er Victor aus der Nähe sah. Der
Prinz verlagerte ständig das Gewicht von einem Fuß auf den anderen,
ohne Zweifel, um die Erschöpfung zu bekämpfen. Die tief liegenden
Augen im verhärmten Gesicht sprachen Bände. Es lag noch immer Kraft
in diesem Blick - dass Victor nach dem Raubbau, den er seinem
Körper in den letzten Monaten zugefügt hatte, noch auf den Beinen
stand, war Beweis genug für seine Entschlossenheit , aber kein
Hunger. Keine stählerne Schärfe, kein Biss, der ihn als kampfbereit
ausgewiesen hätte. Er trug nicht einmal Kampfmontur, sondern war
noch immer für die Zentrale gekleidet. Aber wer sollte ihm
widersprechen, wenn er es sich in den Kopf gesetzt hatte,
auszurücken?
Abgesehen vom SeniorTech der Division.
»Jawohl, Hoheit.« Der Mann nickte zustimmend, noch während er das
Gegenargument formulierte. »Und es würde den Leuten eine Menge
bedeuten, wenn Ihr sie anführen würdet. Aber Euer Daishi ist nicht einsatzbereit.«
»Sieht einsatzbereit genug aus, würde ich sagen.« Victor begrüßte
Schakow mit einem knappen Nikken, war aber nicht bereit, sich
geschlagen zu geben. »Gepanzert und bestückt.«
»Nicht voll bestückt, Hoheit. Als man
uns gesagt hat, Euer Mech wird nicht gebraucht, haben wir alle
Munition und die Fokussierlinsen von zwei Impulslasern ausgebaut,
um andere Maschinen kampfklar zu machen.« Er schaute zu Schakow,
und dann zu den MechKriegern, die in der Nähe warteten. »Wir
dachten, es wäre in Eurem Sinne, wenn die Leute so gut wie möglich
gerüstet sind.«
»Das ist es«, bestätigte Victor, und erste Zweifel traten in seine
Stimme. In der rechten Hand hielt er noch immer das Stichblatt, das
Omi Kurita ihm gegeben hatte, und rieb es wie einen Glücksbringer.
»Natürlich ist es das. Aber Munition lässt sich schnell nachladen
...«
»Bitte um Verzeihung, Hoheit«, unterbrach der Tech. »Aber nein,
heute nicht. Großherzog Kell hat befohlen, alle überschüssige Munition dem 1. NAIW und den 6.
Lanciers zu übergeben. Wir verfügen über keinerlei Vorräte
mehr.«
Victor schien nicht bereit, das zu akzeptieren, und alle
Umstehenden hielten in Erwartung der Explosion den Atem an. Sie
rechneten damit, dass er befahl, Munition und Ersatzteile aus
anderen Mechs zu holen oder sie von den 6. Lanciers
zurückzufordern. Dann wippte er plötzlich zurück auf die Absätze
und nickte fahrig. »Ich verstehe. Was soll man gegen eine derartige
Effizienz tun?«
Wieder schaute er zu dem Daishi hoch,
sehnsüchtig, aber kraftlos. »Dann sollte ich wohl ins
Kontrollzentrum, um Morgan bei der Koordination zu
helfen.«
Der Prinz verabschiedete sich mit Nicken und Salut, dann drückte er
Schakow die Hand und wünschte ihm Glück. Die Sicherheitsagenten
folgten ihm, als er sich endlich vom Aufmarschplatz
entfernte.
»Ich erwarte, dass alle Formulare bis heute Abend bei den Akten
sind«, stellte Schakow zu dem Tech fest, der erschreckt
zusammenzuckte. Er zerrte den Mann auf dem Weg zu seinem
Exterminator mit. »Für sämtliche
Auslagerungen - und die Autorisation, wichtige Bauteile aus dem
Daishi zu entfernen.«
Der SeniorTech schaute ihn verwirrt an. »Verzeihung?«
»Ich möchte keine Schwierigkeiten wegen dieses Vorfalls.« Sie
erreichten den Schatten des BattleMechs, und der Nebel lichtete
sich etwas. »Wir wollen diese Angelegenheit so offiziell wie
möglich halten.«
»Demi Schakow, ich habe keinen Schimmer, wovon du redest«,
antwortete der Tech, aber Schakow sah dem Mann an, dass er log. »Es
hat keinen Vorfall gegeben. Es ist nichts passiert.« Er schaute
über Schakows Schulter dem Prinzen hinterher, dann senkte er den
Blick. »Prinz Victor war nie hier«, erklärte er mit leiser
Stimme.
Schakow ließ es sich durch den Kopf gehen, erkannte die Wahrheit in
den Worten des Mannes und entließ ihn mit einem Nicken. Er
kletterte auf den Fuß des Mechs und griff nach der Kettenleiter,
die hinauf zum Cockpit führte. Beim ersten Versuch rutschte seine
Hand von der untersten Sprosse ab und er musste noch einmal
zugreifen. Langsam stieg er Sprosse um Sprosse höher, zur
Einstiegsluke des Exterminator, und
dachte bedrückt daran, wie Recht der SeniorTech hatte.
Prinz Victor war nicht hier.
Brevet-Generalleutnant Linda McDonald tigerte durch die Befehlszentrale, von den Datenkonsolen zu den Anzeigetafeln und weiter zu den Wandbildschirmen und wieder zurück zu den Datenkonsolen. Sie überwachte bereits vier separate Gefechte, nachdem Victor Davions Auslandslegion und Bataillone der 23. Arkturusgarde die loyalistischen Kräfte auf Tikonov praktisch gleichzeitig angegriffen harten. Sie hatte auch schon mit Kapitän Siddig auf der Katrina Steiner gesprochen, der sie über die Störangriffe auf das Kriegsschiff auf dem Laufenden hielt.
Und sie wusste: All das waren nur
Ablenkungsmanöver für eine weit größere Operation.
Ihr wurde schnell klar, dass sich großformatige Operationen nicht
wesentlich von taktischen Gefechten unterschieden. Man stellte
Posten auf, schickte Kundschafter aus. Man griff auf Distanz an und
versuchte, den Feind zu verunsichern. Der Maßstab war anders, aber
die Strategien wirkten vertraut. Und wenn man nicht wusste, worauf
es ein Angreifer abgesehen hatte, wartete man ab.
Das Abwarten war das Schwerste.
»Auf dem Schlachtfeld«, murmelte sie, »würde ich in einem Mech
warten, mit einem Ziel im Fadenkreuz und dem Finger am
Abzug.«
Ein Tech schaute auf. »Verzeihung, Frau Generalleutnant?«
Frau Generalleutnant. Sie hatte den Befehl hier, und nicht nur über
eine einzelne Schlacht oder ein Regiment, sondern über einen ganzen
Planeten. Die Alte. McDonald zuckte
zusammen und dachte daran, wie oft sie Maria Esteban in Gedanken so
genannt hatte, genau wie ihre Offiziere und Mannschaften sie jetzt
ohne Zweifel betrachteten. Die ehemalige MechKriegerin, die das
Cockpit gegen einen Bürostuhl und eine sichere Pension eingetauscht
hatte. Aber die Vorstellung würde sie ihnen schnell
austreiben.
»Ich sagte, ich will raus in die
Schlacht.« Sie antwortete laut genug, um in der ganzen Zentrale
gehört zu werden. »Kann mir jemand sagen, wo die ist? Denn ich kann
euch garantieren, vom Hauptangriff haben wir bis jetzt noch nichts
gesehen.«
Eine kämpfende Generalin. Das würde sie sein. Esteban harte immer
gesagt: Sobald man die Gelegenheit dazu hatte, fand man ganz von
selbst den eigenen Befehlsstil. Es hatte die Abwesenheit ihrer
Lehrmeisterin gebraucht, damit McDonald den ihren finden konnte.
Sie wollte die Verantwortung der Befehlsposition und die Befriedigung des persönlichen Sieges.
Nicht, um eine Heldin zu werden. Helden erwartete in den
allermeisten Fällen ein schnelles und brutales Ende, und das schon
auf niedrigerem Rang. Aber sie wollte nicht nur Respekt
beanspruchen können. Sie wollte sich die Hände schmutzig machen und
sich den Respekt ihrer Leute verdienen.
Sie wollte, wurde ihr plötzlich klar, was Victor Davion schon
besaß. Dieselbe Kraft, die ihm gestattet hatte, diese Rebellion
anzustiften. Das beunruhigte sie. Es war nicht falsch, einen Gegner
zu respektieren, sogar zu bewundern, aber es war trotzdem
beunruhigend. Vor allem, weil es bedeutete, dass Victor in der
Vergangenheit einmal Bewunderung verdient hatte, und das erinnerte
sie daran, dass sie selbst ihm diese Bewunderung entgegengebracht
hatte, bis er sich vom Herrscher zum Eroberer wandelte.
»Unsere Erkundungsflüge melden noch immer reichlich Aktivität bei
Rockland«, sagte Oberleutnant Franklin. Der Nachrichtenanalytiker
neigte dazu, mehr zu berichten als zu analysieren.
»Landungsschiffsaktivität und Infanteriebewegungen.«
McDonald schüttelte den Kopf. »Kriegsführung basiert auf
Täuschung«, zitierte sie einen ihrer bevorzugten Militärtexte. »So
einfach mache ich es dem Gegner nicht, alles zu glauben, was er uns
zeigt«
Wo würde Victor angreifen? Hier in Tukwila? In Rostow? In Aralsk?
Er oder jemand in seinem Stab hatte sich etwas Tückisches
ausgedacht. »Vance«, winkte sie ihren frisch ernannten
Stellvertreter herüber. »Wo würden Sie angreifen? Was kann uns
momentan ernsthaft schaden?«
Brevet-Oberst Vance Evans dachte über diese Frage ebenso ernsthaft
nach, wie er sich mit allem beschäftigte. Es war weder sein
Auftreten noch sein Mut, die ihn für den Posten qualifizierten,
sondern seine Unerschütterlichkeit. Noch ein Grund, warum McDonald
ihn zurück in den eigenen Mech geschickt hatte, um die Königskrabbe wieder selbst zu steuern. Falls sie
einen Fehler machte, sollte jemand zur Stelle sein, um die Scherben
aufzulesen.
»Die größte Fabrikanlage des Planeten ist die von Ceres-Metall an
der Aranobucht. Wir haben SunTzus Bewegung Freies Tikonov
gestattet, sie als Statussymbol zu halten. Damit ist die Anlage
jedoch verwundbar.«
Sie nickte. »Es ist aber auch ein Langstreckenangriff, der entweder
einen Abwurf mit Landungsschiffen oder einen Dreitagesmarsch über
einen von fünf Gebirgspässen erfordert. Das würden sie nicht
schaffen, ohne dass wir es bemerken.« Sie fuhr sich mit beiden
Händen frustriert durchs Haar. Vielleicht war die Frage falsch
gestellt.
»Wo würden Sie nicht angreifen?«,
fragte sie.
»Tukwila«, antwortete er ohne Zögern. »Das ist unsere stärkste
Befestigung in der Nähe von Rockland. Wir haben zwei Regimenter mit
Hilfstruppen hier.« Er schüttelte den Kopf. »Man greift den Feind
nicht da an, wo er am stärksten ist.«
»Nicht, ohne ihm überlegen zu sein«, fügte sie an. »Oder um den
Überraschungseffekt auszunutzen. Verdammt, Vance, genau das haben
sie vor. Sie wollen uns einen Tritt unter die Gürtellinie
versetzen.« Natürlich waren sie unterwegs zurück ins Tukwilatal.
Victors Leute brauchten eine Moralspritze, und Tukwila war der
Schauplatz ihrer jüngsten Niederlage.
McDonald drehte sich zur nächsten KommTech um. »Alle Streifen in
der Umgebung zurückrufen und unsere Luftüberwachung auf fünfzig
Kilometer Umkreis zurückziehen. Ich will ausreichend Vorwarnung,
wenn sie kommen, und keine Überraschungen, bevor wir bereit
sind.«
Dann wandte sie sich zu ihrem Stellvertreter um. »Lassen Sie Ihre
Leute aufsitzen.« Sie schnappte sich
ein Kommset und setzte es auf, während sie zum Ausgang lief. Hier
war sie fertig. Es gab nichts mehr, was sie in der Zentrale
erreichen konnte, das sich nicht auch über Funk erledigen ließ. Und
je eher sie wieder im Feld stand, desto besser. Sie wollte die
zusätzliche Zeit - brauchte die zusätzliche Zeit -, um Victor einen
warmen Empfang zu bereiten.
»Und wenn sie erst drinnen sind, verrammeln wir das Tor«, sagte
sie.
»Gnä' Frau?«, fragte eine Stimme über die Verbindung. Das
stimmaktivierte Mikro hatte ihre Worte in die Zentrale
übertragen.
»Ich sagte, geben Sie mir Kapitan Siddig auf der Katrina Steiner«, überspielte Linda McDonald ihre
Verlegenheit mit einem groben Befehl. Noch eine alte militärische
Tradition, ebenso fest etabliert wie der Spruch, dass den Boden
beherrschte, wer den Himmel kontrollierte. »Schalten Sie eine
Verbindung zur Korvette und halten Sie die Leitung aufrecht, sobald
sie steht.«
In ihrem Hinterkopf nahm ein Plan Gestalt an. Mit etwas Glück und
zielsicherer Unterstützung aus der Umlaufbahn würde der Schauplatz
der jüngsten Rebellenniederlage auch der ihrer letzten werden.