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Landungsschiff Stolz von
Arkturus, im Anflug auf Halfway
Provinz Bolan, Lyranische Allianz
Die Brücke des Landungsschiffs der LeopardKlasse erzitterte unter dem Geschützfeuer. Oberst Linda McDonald hielt sich hastig an einer nahen Instrumentenkonsole fest und schob die Beine auseinander, um ihre Standfestigkeit zu erhöhen. Aus der Klimaanlage hinter ihr strömte kalte Luft in ihren Nacken. Die in Erwartung des Kampfabwurfs nur mit Gefechtsstiefeln, Shorts und einer ärmellosen Kühlweste bekleidete MechKriegerin spürte, wie sich eine Gänsehaut auf Armen und Beinen ausbreitete. Ihre Wangen waren taub vor Kälte, und sie fragte sich, was aus ihrer gewohnten Zuversicht geworden war. Als Bodenkämpferin, die zu lange Garnisonsdienst geschoben hatte, fühlte sie sich hier in der Raumschlacht ausgesprochen fehl am Platze.
Nicht, dass irgendjemand das bemerkt hätte. Die Besatzung der Stolz von Arkturus hatte mehr als genug damit zu tun, das Schiff durch die Schwärme feindlicher Luft/Raumjäger zur Zielwelt zu bringen. Die Aufmerksamkeit des Navigationsoffiziers teilte sich zwischen den computerberechneten Flugrouten und der im Holotank dargestellten realen Situation der Schlacht. Der Armierungsoffizier dirigierte den Einsatz der Schiffsgeschütze. Kapitän Thomas Mikkelson erteilte lautstark Befehle, während er den Zielanflug der zwölf Landungsschiffe der 11. Arkturusgarde mit den Aktionen ihres Luft/Raumkontingents koordinierte. Soweit er überhaupt Zeit für Linda hatte, beschränkte die sich auf eine gelegentliche Verärgerung darüber, dass sie sich noch immer auf seiner Brücke herumtrieb.
Zwei Schadensmaate arbeiteten am Schauplatz eines kurz zuvor ausgebrochenen Elektronikbrands, überprüften die toten Schaltkreise und leiteten Strom- und Datenfluss um die ausgefallene Konsole um. Der beißende Gestank verschmorter Isolation stach in der Nase und Lindas Augen tränten. Sie blinzelte, um wieder klare Sicht zu bekommen, und starrte auf den Holotank. Zwei weitere Jäger der 6. Crucis-Lanciers waren durch den Abwehrkordon gebrochen und schossen in eleganter Rollbewegung auf den Leopard zu. Ihre Laser bohrten sich durch die Panzerung und öffneten das Innenleben des Landungsschiffs zum Vakuum. Die Stolz von Arkturus schüttelte sich, als die explosive Dekompression das Schiff erschütterte.
»Druckverlust in Hilfswartungsstauraum SechsTach-eins-eins«, meldete Schadenskontrolle über die direkte Verbindung zur Brücke. »Wir kontrollieren das komplette Deck Sechs auf Lecks.« Der SKOffizier klang bemerkenswert gelassen, fand McDonald, doch andererseits war das verständlich, wenn sie bedachte, dass sein Arbeitsplatz sicher im Zentrum des Schiffes lag.
Wieder erbebte das Schiff, als drei Lancier-Jäger vorbeisausten, ihre Salven platzierten und verschwunden waren, bevor das Antwortfeuer sie erreichte. McDonald hatte gerade erst die beiden vorherigen Angreifer als Stingrays identifiziert. Immer wieder brachen die feindlichen Maschinen durch den Abwehrschirm der Gardejäger, als wäre der gar nicht vorhanden, und griffen in Hochgeschwindigkeitspassierflügen an, die sie erst registrierte, wenn die Schüsse schon einschlugen.
McDonald runzelte wütend die Stirn. Hätte sie nur ein Kriegsschiff gehabt, dann hätten die Lanciers Grund gehabt, sich bedeckter zu halten. Aber sie hatte keines. Nur eine Korvette der Fox-Klasse hatte sie von York hierher begleitet, und die hatte Maria Esteban behalten.
Esteban hatte die Offensive zweigeteilt und die LAS Robert Kelswa als ihr Flaggschiff behalten. McDonald hatte den Befehl über den Nadirsprungpunkt, Esteban war auf der anderen Seite der Systemekliptik am Zenithsprungpunkt materialisiert. Sie hatte die Alarion-Jäger und eine gemischte RKG aus Provinz-und Theatermilizen dabei, die von Carlisle, Alarion und einem halben Dutzend anderer Planeten bis hinaus nach Timbuktu stammten. Als sie an keinem der beiden Sprungpunkte eine Spur von Victor Davions Sprungschiffen gefunden hatten, waren sie davon ausgegangen, dass sie sich tiefer im Systeminneren versteckt hielten und hatten den Angriff auf Halfway gestartet.
Drei Tage später, immer noch ohne Feindberührung, hatten die Landungsschiffe gewendet und die Fusionstriebwerke für die lange Bremsphase systemeinwärts gedreht, die sie schließlich nach Halfway und in den Landeanflug bringen sollte. Erst heute, als der Planet auf den Schirmen immer größer wurde, war das Luft/Raumkontingent der 6. Crucis-Lanciers endlich gestartet, um sich ihnen entgegenzustellen. Die Veteranen der Lanciers kontrollierten den Raum um Halfway, und im Gegensatz zu ihrer Einheit hatten sie das Raumgefechtstraining offensichtlich nicht vernachlässigt. Sie beachteten weder Esteban noch ihr Kriegsschiff und konzentrierten sich ganz auf die 11. Garde. Die Verluste häuften sich, und McDonald war dagegen machtlos.
Trotzdem weigerte sie sich, die Brücke zu verlassen. Bis das Schiff die Lufthülle Halfways erreichte und ihre Mechs abwarf, wurde die Schlacht hier ausgetragen. Und möglicherweise ging sie auch hier verloren. Sie weigerte sich, hilflos im Cockpit ihres Mechs eingesperrt zu sterben, ohne den tödlichen Schlag kommen zu sehen.
McDonald zog es vor, sich ihren Ängsten zu stellen. Genau diese Haltung hatte sie veranlasst, sich für den Archon zu erklären, statt den Bürgerkrieg auf ihrem Garnisonsposten am Rand der Peripherie auf Timbuktu auszusitzen. Dasselbe Feuer der Loyalität brannte im Herzen der gesamten 11. Arkturusgarde, und früher oder später würde es den Verräterprinzen Victor verzehren.
Als hätten ihre Gedanken den Zorn der CrucisLanciers angestachelt, bäumte das Deck der Stolz von Arkturus sich plötzlich auf, dann verlor sie den Boden unter den Füßen. Ihr Magen hievte in einem Augenblick des freien Falls, dann krachte das wogende Deck wieder gegen ihre Stiefel, während ein lautes Kreischen gepeinigten Metalls durch das Schiff hallte. Sie roch den Ozongeruch beschädigter Schaltkreise, schmeckte die ätzende Schärfe im Hals.
Der Navigator war mit dem Kopf auf die Schaltkonsole geschlagen und hatte sich über einem Auge die Stirn aufgeschnitten, und ein Schadenskontrollmaat lag reglos auf dem Deck. Die linke Seite seines Gesichts war blutverschmiert. Sein Kamerad tastete nach einem Puls.
»Vordere Raketenbucht ausgefallen«, meldete der SKO über seine Direktverbindung. »Eines der Munitionslager ist explodiert. Druckverlust vor Schottwand Zwonull, Decks drei und vier.«
»Oberst McDonald«, stellte Mickelson fest. »Ich fordere Sie jetzt nachdrücklich auf, meine Brücke zu verlassen, und sich in den Mechhangar zu begeben.«
Langsam, vorsichtig löste McDonald die
verkrampften Finger von der Konsole, und die Farbe kehrte in die
blutleeren Finger zurück. »Wie lange noch bis zum Abwurf?«, fragte
sie mit einem dicken Kloß im Hals.
»Ein Stratosphärenabwurf dürfte in neunzig Minuten möglich sein, in
zwei Stunden ein Aufsetzen. Wir müssen noch gewaltig
abbremsen.«
»Ich kann warten«, erklärte McDonald.
»Wenn Sie in der Lage sind, durch zwei Decks Vakuum die Luft
anzuhalten, soll's mir recht sein«, antwortete Mickelson mit einem
Minimum an Respekt. »Wir haben gerade das Mittelstück verloren.
Wenn die Stolz sich noch einen
Mittschiffstreffer einfängt, haben Sie keinen sicheren Zugang mehr
zu Ihrem Blechmonster.«
Das wäre noch schlimmer gewesen, als im Mechhangar eingesperrt zu
sein, während um sie herum eine Raumschlacht tobte. McDonald war
nicht nur Offizierin, sie war auch MechKriegerin. Auf keinen Fall
war sie bereit zurückzubleiben, wenn ihre BefehlsLanze über Halfway
abgeworfen wurde.
Sie machte sich auf den Weg und hielt nur lange genug für den
traditionellen Händedruck und Salut am Kapitänssessel an. »Bringen
Sie uns runter, Tom«, sagte sie. Mickelson nickte geistesabwesend.
Er war völlig auf das Kampfgeschehen konzentriert.
Vorsichtig bahnte sie sich den Weg über die Brükke. Jetzt musste
sie aufpassen, den hinteren Mechhangar zu erreichen, ohne sich
vorher an einer Schottwand den Schädel einzuschlagen. Auf dem
kurzen Fußweg zwischen den beiden wichtigsten Bereichen des
Mechtransporters fühlte sie sich zum ersten Mal wirklich
verletzlich. Das Gefühl hielt an, bis sie die Gerüstleiter
hinaufstieg, lässig salutierend den Rest der BefehlsLanze grüßte
und dann endlich in die Kanzel ihrer Königskrabbe kletterte.
Im Gegensatz zu den meisten BattleMechs bot die Königskrabbe in ihrem flachen, breiten Rumpf dem
Piloten mehr als genug Platz. Raum genug sogar für zwei Kanzeln,
ein Cockpit für den Mechpiloten, und ein zweites, das traditionell
für den Regimentskommandeur reserviert war. Das gestattete dem
höheren Offizier, die Schlacht ohne Ablenkung durch eigene
Kampfhandlungen zu dirigieren. Bis zu diesem Augenblick hätte Linda
McDonald sich nicht vorstellen können, als Beobachter in die Schlacht zu ziehen. Sie kämpfte
grundsätzlich an der Seite ihrer Krieger, an den Knüppeln der
eigenen Maschine.
Nachdem sie es sich auf der Pilotenliege bequem gemacht hatte, zog
sie den wuchtigen Neurohelm aus der Halterung über sich. Sie hob
ihn über den Kopf und sicherte ihn mit dem Kinnriemen,
vergewisserte sich, dass er auf den Schulterpolstern der Kühlweste
sicher lag. Sie zog das mehradrige Kabel, das vom Kinnstück des
Helms herabhing, durch die Halteschlaufen der Weste und stöpselte
es in die Buchse auf der rechten Seite der Liege. Dann verband sie
die Weste mit der auf der linken Seite hängenden Kühlmittelleitung
und vergewisserte sich, dass diese keine Risse oder Knicke aufwies.
Sobald der Kampf am Boden begann, war eine einwandfreie
Kühlmittelzirkulation überlebenswichtig.
Danach ging sie die ersten Sicherheitschecks durch und leitete das
Startverfahren ein, das die einhundert Tonnen schwere Kampfmaschine
zum Leben erwecken würde. Sie konnte das tiefe Wummern des
Fusionsreaktors unter dem Kanzelboden spüren, und innerhalb von
Sekunden stieg die Innentemperatur auf normale Betriebswerte. Der
erste Kühlmittelstoß floss in die Weste, und sie schüttelte sich
unwillkürlich.
»KGK-null-null-null«, erklang die synthetische Stimme des
Bordcomputers und nannte die Typenbezeichnung des Mechs. McDonald
wusste, die meisten MechKrieger änderten die Werkeinstellung der
Startsequenz zu einem individuelleren Text oder gaben ihren
Maschinen sogar einen Namen. Sie hatte das nie als notwendig
empfunden.
»Sicherheitsüberprüfung initiiert«, stellte der Computer fest.
»Identitätsabfrage.« Die Stimme klang entfernt weiblich, war aber
völlig tonlos.
»Linda McDonald«, antwortete sie, während sie ihre
Neolederhandschuhe aus dem Staufach der Liege holte, um die
Kontrollen besser im Griff zu haben. »Oberst, 11.
Arkturusgarde.«
»Stimmmusterabgleichung erfolgreich. Sekundärprotokoll
aktiviert.«
Da es schon seit tausend Jahren möglich war, Stimmmuster
vorzutäuschen, verlangten die meisten
BattleMech-Sicherheitsprogramme einen weiteren Codeschlüssel oder
Kennsatz, den nur der MechKrieger selbst kannte. Diese zusätzliche
Sicherung zu umgehen, erforderte einen langwierigen Eingriff in den
Bordcomputer, und in der trotz aller jüngsten Fortschritte
technologisch nicht gerade begnadeten Inneren Sphäre waren die dazu
benötigten Fertigkeiten Mangelware.
McDonald spannte die Hände um die Steuerknüppel. »Müßiggang ist des
Davionismus' Anfang.«
»Sicherheitsprotokolle erfolgreich abgeschlossen. Höhere
Steuerfunktionen freigegeben.« Dazu gehörten natürlich vor allem
Zielerfassung und Geschützkontrolle.
»Oberst McDonald ist einsatzbereit«, meldete sie ins Helmmikro. Das
Funksystem ihres Mechs war sowohl mit dem Privatkanal zu ihrer
BefehlsLanze verbunden als auch mit der Prioritätsfrequenz des
Schiffes.
»Und gerade rechtzeitig«, hörte sie Kapitän Mickelson antworten. In
seiner Stimme lag noch immer Anspannung. »Gerade als
Generalleutnant Estebans Eskorte uns zu Hilfe kam, haben die
Lancier-Jäger abgedreht und Kurs auf den fünften Planeten genommen.
Vermutlich sind ihre Landungsschiffe dort versteckt.«
Linda McDonald lächelte. In dem Fall stand kaum noch etwas dem
Angriff im Weg. »Gute Nachricht, Tom. Geben Sie meinen Dank an die
anderen Kapitäne und unsere Jagdpiloten weiter. Ich will alle
Maschinen der 11. Garde in Bereitschaft haben. Wir sind in nicht
mal zwei Stunden am Boden.«
Den nächsten Satz flüsterte sie nur, damit das Mikro ihn nicht
auffing. »Und dann werden wir sehen, was Victor Davion diesmal an
Verteidigung gegen uns hat.«
»Mit einem Wort«, stellte Maria Esteban fest, die schmalen Hände auf dem Rücken verschränkt: »Nichts.«
Immer noch in MechKriegermontur, die Muskeln verspannt und unter dem Adrenalinschub einer Schlacht zitternd, die nicht zustande gekommen war, starrte Linda McDonald auf den großen Wandschirm des Raumhafentowers. Ihre Miene war ebenso sauer wie ihre Stimmung. Auf der drei Meter hohen Anzeige war eine taktische Karte zu sehen, auf der Halfways Oberfläche wie die Schale einer Naranji ausgebreitet war. Blinkende Symbole repräsentierten die über die Welt verteilten Einheiten von Bataillonsstärke. Weniger als die Hälfte befanden sich in der Nähe, aber aus den Panzerglasfenstern des Kontrollturms betrachtet stellten sie trotzdem einen beeindruckenden Anblick dar.
Halfways größter Raumhafen erstreckte sich über zehn Quadratkilometer außerhalb der planetaren Hauptstadt Torrence. Zehn Landungsschiffe beherrschten den Horizont und erweckten den Eindruck, jemand hätte eine kleine Stadt aus unförmigen Wolkenkratzern auf dem Landefeld abgesetzt. Drei Regimenter Panzertruppen und zwei weitere aus Infanterie kontrollierten die Umgebung. Ein komplettes Mechbataillon beschützte den Kontrollturm, auch wenn McDonald nicht hätte sagen können, wovor. Nachdem sie den Raumhafen unbesetzt oder genauer gesagt menschenleer vorgefunden hatten, hatte sie ihn schnell als Operationsbasis für die Suche nach Victor Davions Truppen requiriert. Und nach einem halben Tag war von diesen Truppen noch keine Spur zu finden. Nicht einmal ein halber Zug Fußtruppen war zurückgeblieben.
McDonald wanderte an einer Zeile dunkler Monitore vorbei. Seit der Ankunft der Invasionseinheiten war der zivile Betrieb des Raumhafens eingestellt. »Wir sollten eine RKG nach York zurückschicken«, sagte sie. »Vielleicht gelingt es uns diesmal, Victors Sprungschiffe zu neutralisieren und ihn festzusetzen.«
Maria Esteban schüttelte den Kopf. Nur ein paar weiße Strähnen in ihrem dicken, dunklen Haar verrieten ihr wahres Alter. »Er kehrt nicht nach York zurück.« Ihre Stimme war leise, aber überzeugt und klang in McDonalds Ohren geradezu respektvoll.
Sie nickte. Wenn es um strategische Fragen ging, erkannte sie Estebans Überlegenheit vorbehaltlos an. Der Generalleutnant hatte über vierzig Jahre Kampferfahrung, siebenundzwanzig davon als Kommandeurin der 11. Arkturusgarde. Es war kein Geheimnis, dass sie gehofft hatte, auf Timbuktu ungestört die Pensionierung abwarten zu können. Doch als ihre Truppen es kaum hatten erwarten können, bei der Niederschlagung von Prinz Victors Rebellion mitzuhelfen, hatte sie diese Wendung gelassen akzeptiert.
So bald es sich vertreten ließ, hatte sie den Befehl über das Regiment an Linda McDonald übergeben und sich auf die Position der kommandierenden Generalin der gesamten - aus mehreren Regimentern zusammengesetzten - Einsatzgruppe zurückgezogen. Esteban hatte Victor Davion schon zweimal übertölpelt, auf Alarion und auf York. Dreimal sogar, wenn man mitzählte, wie sie die Skye Rangers heimlich umgelenkt hatte, um zu verhindern, dass sie den Prinzen verstärkten. Falls er den Gefallen jetzt endlich erwiderte, konnte McDonald das nicht ihrer Lehrmeisterin anlasten.
»Er will weiter vor«, stellte Esteban fest. »Hätte er wirklich eine Wegstation zwischen Alarion und seinem nächsten Ziel gebraucht, hätte er Halfway verteidigt. Ich habe gehofft, dass er das tut, aber offenbar haben wir ihn mit der Vertreibung von York zu einem Blitzkrieg gezwungen. Von jetzt an wird er schneller vorrücken und versuchen, uns immer einen Schritt voraus zu bleiben.«
»Kann das funktionieren?«Esteban zuckte die Achseln. »Ja, wenn er den nötigen Schwung behält, genug Nachschub dabei hat, um durchzuhalten, bis die Lieferungen aus Alarion oder Coventry ihn einholen, und er auf keine starken Gegner trifft.«
»Dann sollten wir ihm nachsetzen.« McDonald schlug sich mit der behandschuhten Faust in die Handfläche der anderen Hand.
Esteban musterte sie mit tadelndem Blick. »Ihre Einheit ist nicht marschbereit, und das wissen Sie auch. Indem er das Luft/Raumkontingent der Lanciers hier zurückgelassen hat, hat er genau das erreicht, was er wollte. Sie haben unsere Jäger durch die Mangel gedreht und auf dem Anflug drei Landungsschiffe beinahe zerstört. Es hat uns überzeugt, dass sich hier unten ein Ziel befindet, das die Verteidigung wert ist. Wir haben zu viel Zeit auf eine leere Welt verschwendet. Und jetzt müssen wir noch mehr Zeit für Reparaturen aufwenden.«
Die Stimme des Generalleutnants sank fast auf ein Flüstern herab, als spräche sie nur mit sich selbst. »Er hat meine Taktik auf Alarion gegen uns gekehrt. Victor lernt aus seinen Fehlern. Das dürfen wir nicht vergessen.«
McDonald nickte. Sie hasste es, dem VerräterPrinzen irgendwelche Talente zuzugestehen, ihn aber zu unterschätzen konnte nur in die Niederlage führen. Auch wenn sie ihn grundsätzlich als Victor Davion bezeichnete, weil er sein Steiner-Erbe in ihren Augen verspielt hatte, war ihr klar, dass er vermutlich zu den fähigsten Generälen seit den Zeiten Kerenskys zählte.
Und Maria Esteban erwies sich als ihm ebenbürtig. »Dann sollte ich mit meinen Truppen hier bleiben«, stellte McDonald fest. »Sie setzen Victor nach, und wir kommen nach, so schnell wir können.«
»Das entspricht in etwa meinen Überlegungen«, bestätigte Esteban, »aber nicht ganz.« Sie zeichnete mit einem Finger eine Karte in die Luft. »Ich wette, Victors Weg hat ihn über Aristotle und möglicherweise Clinton geführt. Beides Systeme, in denen er einen freundlichen Empfang erwarten kann.« Sie nickte und lächelte. »Ich nehme die Hälfte der Gruppe auf einem Parallelkurs mit. Sofern wir keine bestätigte Position für ihn bekommen, warten wir auf Arganda.«
McDonald war beeindruckt, wie Esteban den Kurs aus dem Gedächtnis festgelegt hatte. Sie selbst brauchte einen Moment, um sich die Karte der Lyranischen Allianz vorzustellen und die Bewegung nachzuvollziehen. »Sie glauben zu wissen, wohin er will«, stellte sie zögernd fest. »Hesperus?«
Estebans Lächeln wurde breiter. Sie erinnerte an eine Lehrerin, die sich über die Fortschritte ihrer Schülerin freute. »Es passt zu seiner Vorgehensweise und zu seinen Anforderungen. Als erste Maßnahme hat Victor sieh beeilt, die wichtigsten Industriewelten einzunehmen. Von Inarcs über Coventry nach Alarion. Hesperus II wäre der nächste Planet in der Reihe. Und es wäre ein katastrophaler Schlag für den Archon, unseren größten Industriestandort zu verlieren.«
McDonald hörte einen Unterton in der Stimme des Generalleutnants. »Aber Sie glauben nicht, dass er das vorhat.«
»Hesperus ist zu nahe an der Isle of Skye«,
sagte Esteban nur.
McDonald brauchte eine Weile, um diese Bemerkung zu entschlüsseln.
Dann erinnerte sie sich, dass Robert Kelswa-Steiner sich auf Skye
festgesetzt hatte. Die Arkturusgarde hatte zwar traditionelle
Bindungen an die Familie Kelswa, aber McDonald sah in Herzog Robert
einen Agitator, der Archon Katrina nur Ärger machte. Eines seiner
zahlreichen Hirngespinste war ein unabhängiges Skye. Die
Vorstellung, seine Hilfe zu akzeptieren, erschien ihr wie eine
Einladung, mit dem Teufel zu speisen.
»Skye und der größte Teil des Freedom-Theaters blockieren Victors
Weg in den Crucis-Raum. Robert Kelswa-Steiner ist ein mächtiger
Mann, der dieses Hindernis kontrolliert.«
»Ich bringe einen langen Löffel«, bemerkte McDonald und hatte Mühe,
ihren Widerwillen zu verbergen.
Esteban schürzte die Lippen. »Falls ich damit einen Teil Ihrer
Ängste beruhigen kann«, erklärte sie schließlich, »fragen Sie sich,
wie ich es verhindert habe, dass die 17. Skye Rangers Victor auf
York zu Hilfe gekommen sind.«
Das erregte McDonalds ungeteilte
Aufmerksamkeit. »Herzog Robert hat sie umgeleitet?«
Natürlich war er es gewesen. Wer sonst hätte mehr Einfluss auf die
Skye Rangers gehabt als Victor Davion? Maria Esteban gestattete
McDonald einen Blick auf die Mechanismen, die ihre jüngsten Siege
möglich gemacht hatten, auf Details, die unter Umständen zum
endgültigen Sieg führen konnten. »Die 17. werden Victors Einheiten
auch zu keinem späteren Zeitpunkt verstärken?«
»Falls es nicht zu einer unvorhergesehenen - und nicht allzu
wahrscheinlichen - Allianz zwischen ihm und Robert kommt, nein. Die
17. Rangers sind in die Isle of Skye unterwegs, und nichts wird sie
aufhalten. Aber Victor weiß das möglicherweise noch nicht, und
selbst falls er es weiß, könnte er glauben, dass die Instabilität
Skyes ihm die Öffnung bietet, die er benötigt, an Hesperus II
einzunehmen. Falls er glaubt, die Welt erobern zu können, wird er
es versuchen.«
»Und wir werden ihn vernichten«, vervollständigte McDonald den
Gedankengang. Plötzlich war ihr erheblich wohler.
Es konnte gelingen. Es konnte das Ende des Bürgerkriegs bringen.
Victor war ein fähiger General, doch ihm fehlten die Mittel. Seine
Anhänger in diesem Bürgerkrieg waren auf Dutzende von Einzelwelten
verstreut. Jede Welt kämpfte um ihren kleinen Anteil des großen
Preises. Das war seine entscheidende
Schwäche. McDonald sah es, und in diesem Augenblick glaubte sie
daran, Victor brechen zu können, falls es ihr nur gelang, genug
Schlagkraft gegen ihn persönlich in Stellung zu bringen.
Zum Wohle der Allianz.
Zum Wohle des Archons.