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Salisbury-Ebenen, York
Provinz Alarion, Lyranische Allianz

 

13. März 3064

Der Rückzug von York dauerte bereits fünfundzwanzig Stunden. Nur eiserne Entschlossenheit hielt sie noch aufrecht. Im glutheißen Cockpit seines Daishi blinzelte Victor Steiner-Davion mühsam, um den brennenden Schweiß aus den Augenwinkeln zu vertreiben. Seine dünne Bekleidung war schweißgetränkt und eine nervtötende blonde Haarsträhne klebte über dem linken Ohrläppchen, genau dort, wo er sich unter dem schweren Neurohelm nicht kratzen konnte. Die Luftfeuchtigkeit im Innern der Kanzel war so hoch, dass der verdunstete Schweiß am Kanzeldach kondensierte und die herunterfallenden Tropfen Schlieren über den Sichtschirm zogen. Doch er sah noch immer genug. Seine Leute standen kurz vor dem Zusammenbruch.

Vor dieser letzten gnadenlosen Schlacht hatte er Yorks strohgelben Himmel bewundert und gestaunt, wie er den goldenen Lehmboden und die hohen Gräser der Salisbury-Ebenen widerspiegelte, die sich hundert Kilometer weit in alle Richtungen erstreckten. Jetzt zerschnitten Luft/Raumjäger diesen Himmel mit Kondensstreifen und ölig schwarzen Rauchfahnen brennender Maschinen. Gelegentlich kam ein Schwarm aus zwei Maschinen lange genug für einen Luftangriff herab und mischte sich in die langsamere, aber um nichts weniger brutale Schlacht ein, die zwischen der 11. Arkturusgarde und den dezimierten Linien der 244. ComGuard-Division - Des Prinzen Mannen - tobte.

Victors letztes Gefecht.
BattleMechs verankerten beide Schlachtlinien, wandelnde Urzeittitanen, tödlicher als jede andere Waffe in der langen Geschichte menschlicher Kriegsführung. Zwischen ihren Stellungen und um sie herum wogten Panzerfahrzeuge in einem unsicheren Tanz, wie Wildpferdherden, die von einander bekämpfenden Raubtieren in Panik versetzt worden waren. Lange, dicke Lanzen aus gebündelter Lichtenergie und die gleißenden Blitzschläge von Partikelprojektorkanonen kennzeichneten kurze, aber heftige Feuerwechsel zwischen Freund und Feind. Raketenschwärme senkten sich auf weißen Kondensstreifen aufs Feld, rissen Krater in Panzerung, Boden und Infanterieformationen. Flammenzungen zuckten aus rauchenden Mündungen, und das Krachen der Autokanonen rollte über die Ebene wie endloses Donnergrollen.
Der Lärm wogte an Victor vorbei, dann brach er in Hunderten von hallenden Hammerschlägen entzwei, als die mit Uranspitzen verstärkten Granaten in Beine und Torso des OmniMechs einschlugen. Der Daishi erzitterte, ein Teil der Panzerung regnete als scharfkantige Splitter zu Boden. Er fasste die Steuerknüppel der überschweren Kampfmaschine fester und bemühte sich, das Fadenkreuz auf der Königskrabbe der gegnerischen Kommandeurin, Linda McDonald, zu halten. Das Zielerfassungssymbol sprang wie besessen über die Sichtprojektion und das erratische Blinken machte klar, dass die Sensoren das Ziel nicht sicher erfasst hatten.
Doch er konnte nicht länger warten.
Victor zog beide Hauptfeuerknöpfe durch und schlug mit der ganzen Wucht des Daishi zurück. Die Kaliber-12-cm-Autokanone schoss weit vorbei, aber die Lichtwerfer trafen. Eine rubinrote Energielanze schnitt quer in die linke Flanke der Königskrabbe, während eine zweite sich tief in den Arm derselben Seite bohrte. Drei Impulslaser spien ein Stakkato smaragdgrüner Lichtbolzen ins linke Bein der überschweren Maschine. Die Panzerung verdampfte an dieser Stelle fast komplett und stieg in einem grauen Dunstschwall gen Himmel, soweit sie nicht verflüssigt am Bein des Mechs hinab und hinter den Panzerschutz des Kniegelenks lief. Zum Schluss sprengte noch eine Sechsersalve Kurzstreckenraketen ein paar zusätzliche Krater in den Schutzpanzer der Königskrabbe.
McDonalds Mech wankte. Sie hielt ihren 100-tKoloss mit mehr Glück als Können auf den Beinen. Sie hatte gerade zum nächsten Schritt angesetzt, und der größte Teil des Mechgewichts ruhte bereits auf dem rechten Bein. Victor sah vor sich, wie sie sich auf der Pilotenliege herumwarf und den Kopf nach rechts neigte, damit der Neurohelm die Nervenimpulse ihres Gleichgewichtssinns in Steuersignale für den Kreiselstabilisator des riesigen BattleMechs übersetzen konnte.
Alarmsirenen heulten ihm in den Ohren, unter anderem die gellende Warnung vor einer Notstillegung. Die extreme Belastung durch das Geschützfeuer hatte den Fusionsreaktor über die Kapazität der modernen Wärmetauscher hinaus belastet. Victor betätigte den Vetoschalter und blockierte die Schutzautomatik.
Aber kein Vetoschalter konnte verhindern, dass die brutale Hitze durch die Abschirmung des Reaktors und aufwärts ins Cockpit drang. Er hatte das Gefühl, in der nur quälend langsam abklingenden Hitzewelle bei lebendigem Leib zu rösten. Sie versengte die ungeschützte Haut an Armen und Beinen. Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Keuchend rang er nach Atem. Der Ozongestank überhitzter Elektronik brannte sich ihm in die Stirnhöhlen. Die von dünnen Kühlmittelschläuchen durchsetzte Weste des Lebenserhaltungssystems schaffte es, seine Körpertemperatur innerhalb eines noch nicht lebensbedrohlichen Rahmens zu halten, aber nur gerade so eben.
»General, Ihr Mech hat eine entschieden ungesunde Thermalsignatur«, hörte er Demipräzentor Rudolf Schakows kristallklare Stimme aus dem Helmlautsprecher dringen.
Durch das Kanzeldach sah er den öligen Qualm verschmorter Myomermuskulatur am vorgestreckten Kopf des Daishi vorbei in den Himmel steigen. Er hatte bereits den Rückwärtsgang eingelegt, doch die überhitzten Kunstmuskeln des Omnis reagierten nur träge. Mit langsamen, unsicheren Schritten stampfte er in einer Geschwindigkeit zurück, mit der selbst ein Infanterist hätte mithalten können.
Er nutzte die sekundenlange Pause - in einer Schlacht wie dieser eine Ewigkeit -, und schaute sich um. Des Prinzen Mannen hielten noch immer in einer engen Schlachtreihe Formation und zogen sich langsam nach Süden zurück, wo ein Bataillon seiner Auslandslegion ungeduldig in Reserve stand und auf den Einsatzbefehl wartete. Ein umkämpfter Rückzug gehörte zu den schwierigsten Gefechtsmanövern überhaupt, und hier auf York waren Victors Truppen derzeit an zwei Stellen dazu gezwungen. Weit im Südwesten fielen die 6. Crucis-Lanciers in ähnlicher Formation vor dem kombinierten Ansturm der Alarion-Provinz-Milizen Alarion und Carlisle zurück.
Bei ausgeglichenem Kräfteverhältnis hätten Des Prinzen Mannen und die Lanciers die Angreifer einzeln oder gemeinsam vermutlich besiegen können. Selbst gegen eine doppelte Übermacht wären sie in der Lage gewesen, es zu schaffen, denn die 11. Arkturus und die APM Alarion waren für Einsätze dieser Größenordnung eigentlich nicht ausgebildet.
Doch der Feind hatte York mit mehr als genug Truppen angegriffen, um deren fehlende Kampfstärke auszugleichen, und letztendlich hatte die zahlenmäßige Überlegenheit sich durchgesetzt. Die Ironie dabei war, dass Victor nie vorgehabt hatte, hier zu kämpfen. York war nur als Vorposten für die letzte Offensive der dritten Angriffswelle vorgesehen gewesen. Eigentlich hätte dieser Kampf auf Alarion stattfinden sollen, der Provinzzentralwelt und dem Standort der Port-Sydney-Raumschiffswerften. Aber völlig überraschend hatten die Loyalisten Alarion kampflos aufgegeben und sich stattdessen auf York gestürzt, wo Victor nicht mit ihnen gerechnet hatte. Das hatte es ihnen ermöglicht, seine Truppen aus ihren Stellungen hinaus auf die Ebenen zu treiben.
Und der Loyalistenüberfall hatte ihn den letzten Spielraum gekostet. Hier draußen konnte jeder Fehler seiner Einheiten verheerend sein. Die SalisburyEbenen waren hart, flach und offen, ein gnadenloses Schlachtfeld. Man bekam nicht einmal ein anständiges Grasfeuer zustande, um sich im Qualm zu verstecken. Das nasse Gras schmorte, weigerte sich aber zu brennen.
Der einzige mögliche Vorteil lag in den flachen Senken oder vereinzelten Bodenwellen, die sich als Versteck für Krötenzüge eigneten. Und was Victor an Vorteil hatte, das nutzte er. Zwei Faultiere hatten es bereits geschafft, einem Caesar ein paar Sprengladungen an den Rumpf zu heften, als der Mech über sie hinweggestampft war, ohne die beiden Infanteristen zu bemerken. Auch Tiaret Newersan, seine Leibwächterin, war irgendwo dort draußen in ihrem Elementarpanzer unterwegs und machte der Arkturusgarde mit kurzen, nadelstichartigen Angriffen das Leben schwer. Es reichte aus, den Vormarsch des Gegners zu bremsen. Zusammen mit einem entschlossenen Widerstand mochte es genügen, ihnen ein Entkommen zu ermöglichen.
Er drehte den Daishi, um Patricia McDonald im Schussfeld zu behalten, deren Maschine sich zurück zu den eigenen Reihen schleppte. Die Königskrabbe war ein harter Gegner, aber mit einem beschädigten Bein konnte sie von einem leichteren, schnelleren Mech verwundet werden. Einen Mech wie Schakows Exterminator, der mit lodernden Waffen über das offene Gelände auf sie zustürmte. Seine vier mittelschweren Laser hatten keine echte Trefferchance, nicht bei dieser Geschwindigkeit und aus einem spitzen Angriffswinkel, aber die Langstreckenraketen kosteten den Kampfkoloss weitere Panzerung.
»Lassen Sie das, Rudolf«, krächzte Victor mit wunder Kehle - was von der kochend heißen Luft herrührte. »Versuchen Sie keine Spielchen mit der Königskrabbe.«
Am Rücken des Exterminator leuchteten Auslassöffnungen auf, als Schakow die Sprungdüsen aktivierte. Der fünfundsechzig Tonnen schwere Mech erhob sich auf Flammenzungen aus superheißem Plasma in den Himmel und flog in einem kurzen Bogen durch die Luft, bevor er ein kurzes Stück links von Victors Clan-Mech in der Hocke aufsetzte.
»Ihr habt es gerade nötig, Hoheit«, antwortete er. »Ihr habt Tiaret versprochen, auf Euch aufzupassen. Sie und Präzentor Irelon haben mir beide eingeschärft, darauf zu achten, dass Ihr das auch wirklich tut Ihr versucht wohl, mich in Schwierigkeiten zu bringen?«
Victor musste grinsen. Rudolf Schakow war eines der wenigen ComStar-Mitglieder mit Sinn für Humor, die er kannte. »Wir werden sehen, was Sie in Schwierigkeiten bringt, wenn Irelon auf meinen Gefechts-ROMs sieht, wie Sie sich mit einem überschweren BattleMech anlegen wollen«, drohte er. »Bleiben Sie in Formation.«
Als es den Wärmetauschern endlich gelang, die angestaute Hitze allmählich abzuleiten, wagte Victor ein paar tastende Laserschüsse auf die immer weiter vorrückende Arkturusgarde. Nach McDonalds Rückzug hatte das Antwortfeuer nachgelassen, aber gelegentlich schälte noch immer eine kleinkalibrige Autokanonensalve Panzerung von seinem Mech. Er befahl die Linie weitere fünfhundert Meter zurück. Auf dem Sichtschirm sah er hinter sich laserbewaffnete Sprungtruppen an Bord eines Truppentransporters steigen, um sich am Rückzug zu beteiligen - und er nahm Geschwindigkeit zurück. Das Versprechen, auf sich aufzupassen, kümmerte ihn einen Dreck. Er dachte nicht daran, auch nur einen Mann zurückzulassen. Nicht solange sie noch eine Chance hatten zu entkommen.
Er rief auf dem Hilfsmonitor eine Vergrößerung der Rückenansicht auf. Im Süden, weit hinter der 244. Division, erzeugte eine Reihe runder, dunkler Schatten die Illusion einer Bergkette. Noch während der Prinz sie beobachtete, stieg einer der Schatten auf leuchtenden Triebwerksflammen in den Himmel. Langsam hob er sich auf einer Säule aus Fusionsfeuer ins blassgelbe Firmament. Zwei weitere, dann ein Dritter, folgten ihm. Die vier gigantischen Landungsschiffe waren bereits die zweite Gruppe, die aus der Schlinge entkam, die sich um seine Truppen gelegt hatte. Sie waren unterwegs zum Rendezvous mit den wartenden Sprungschiffen.
»Viel Glück«, wünschte Victor ihnen leise, denn er wusste, sie mussten noch durch einen Kordon feindlicher Luft/Raumjäger und Sturmschiffe brechen. Seine Truppen waren gute Männer und Frauen, die Besseres verdienten als einen so hohen Preis für den Fehlschlag seiner Strategie zu bezahlen. Außerdem konnte er es sich nicht leisten, sie zu verlieren, wenn er Katherines Tyrannei je beenden wollte. Obwohl, falls es ihm nicht selbst gelang, den Kopf aus dieser Schlinge zu ziehen, würde er das ohnehin kaum schaffen.
Wieder knisterte es im Lautsprecher des Kommsystems. »Gottes Segen, und beschützt den Prinzen«, hörte er jemanden sagen. Die Stimme war leise und vom Rauschen einer Langstreckenverbindung überlagert. Victor schaute auf die Uhr. Die ersten Landungsschiffe, die York verlassen hatten, konnten inzwischen die Sprungschiffe erreicht haben.
»Schakow, war das ...« Das stimmaktivierte Mikro öffnete einen Kanal, während ComStars Stimmerkennungsprogramm die Privatverbindung zum Demipräzentor auswählte.
Er musste einen kurzen Moment auf die Antwort warten, während Schakow mit vier mittelschweren Lasern auf einen Plainsman-Schwebepanzer feuerte, der sich zu weit vorgewagt hatte.
»Stimmt«, bestätigte der ComGuardist dann. »Das war der Kapitän der Pharos, eines der LancierSprungschiffe. Ich habe bestätigende Berichte über drei andere Kanäle. Sie sind entkommen!«
Das bedeutete, zwei Herkules-Landungsschiffe hatten es durch die Luft/Raum-Blockade geschafft. Achthundert Mann der 6. Crucis-Lanciers waren in Sicherheit! Victor schaltete von Hand auf die allgemeine Frequenz um.
»Der erste Transporter ist raus«, rief er und mehrere lange Sekunden schwappte ein Chor von Jubelrufen durch den Äther. Gleichzeitig nahm das Geschützfeuer auf die Arkturusgarde zu. Seine Leute drängten die Angreifer zurück. Victor trug seinen Teil zu der kurzen Offensive bei, indem er zwei Extremreichweiten-Laser auf die Königskrabbe abfeuerte, die ihm am äußersten Ende der Geschützreichweite folgte. Diesmal war die Abwärme kaum zu bemerken.
»Wir schaffen es«, stellte er fest. Zum ersten Mal, seit die Loyalisten York erobert hatten, besserte sich seine Stimmung.
»Merkt Euch diesen Gedanken«, warnte Schakow, klugerweise über den Privatkanal. »Ich habe eine weitere Nachricht, diesmal von Cranston, und die ist weniger angenehm.«
Jerrard Cranston war nicht nur Victors Geheimdienstchef, sondern auch einer seiner ältesten Freunde. Momentan kommandierte er das 2. Bataillon der Auslandslegion, das Ausschau nach Flankenbewegungen der Einheiten Katherines hielt. Sie hatten schon vor einer Weile Berichte über die mögliche Landung einer weiteren Einheit auf York erhalten. Falls Jerry sie gefunden hatte und es waren Loyalisten, so war die Nachricht sogar katastrophal.
Victor wollte weitere Informationen fordern, doch er unterdrückte den Impuls. Es überraschte ihn häufig genug, wie Demi Schakow von ankommenden Sendungen wusste, noch bevor Victor etwas hörte. Vielleicht lag es an der langen Dienstzeit bei ComStar, einer der beiden Organisationen, die das interstellare HPG-Netz der Inneren Sphäre betrieben und unterhielten. Der Mann war zwar vor allem MechKrieger, aber seine Fähigkeiten im Umgang mit Kommanlagen grenzten ans Unheimliche.
»Cranston wird gestört«, sprach Schakow weiter, »aber ich habe genug für einen Situationsbericht empfangen. Die Auslandslegion hat soeben Kontakt mit einem weiteren Regiment, ich wiederhole, Regiment. Die 1. Alarion-Jäger.«
»Ein ganzes Regiment? Wie, zum Teufel, konnten wir die übersehen?«, knurrte Victor, als die Arkturusgarde mit neuer Energie vorrückte. Hatten sie auch gerade die Nachricht vom Eintreffen der Verstärkung erhalten?
»Sie können nicht zusammen mit den anderen am Nadirsprungpunkt eingetroffen sein, oder wir hätten sie geortet. Sie sind von einem Piratenpunkt jenseits der Planetenbahn gekommen, und sie haben Kriegsschiffe dabei.«
»Kriegsschiffe?«, wiederholte Victor. »Mehrzahl? Mehr als eines?«
»So ist es. Zwei Korvetten der Fox-Klasse. Genug, um die Melissa Davion abzuwehren«, erwähnte Schakow Victors einziges Kriegsschiff. »Es wird Zeit, sich zu verabschieden, Hoheit.«
Victor ignorierte ihn. Sein Fadenkreuz leuchtete im stetigen Goldglanz einer sicheren Zielerfassung, und er feuerte. Die Salve schnitt zwei tiefe Rillen in die Panzerung eines Fulcrum-Schwebepanzers. Die 11. Arkturus rückte wieder vor.
»Vergessen Sie's«, schnappte er und rieb sinnlos den Kragen des Neurohelms. Nach langen Stunden unter dem schweren Helm war sein Nacken steif geworden. Er hatte noch zwei Rückzugsmanöver zu leiten, Soldaten in Sicherheit zu bringen. »Wir sind hier nicht fertig.«
»Ihr schon«, stellte eine neue Stimme fest.
Es fiel Victor nicht schwer, die tiefe Stimme Präzentor Raymond Irelons zu erkennen, der momentan wegen eines Beinbruchs nicht in der Lage war, an der Schlacht teilzunehmen, und aus dem Hangar eines der Landungsschiffe am Horizont Victors Befehlsstelle leitete. »Ihr habt mir den strategischen Oberbefehl übertragen, und dieses Recht benutze ich jetzt dazu, Euch den Abzug zu befehlen. Falls es hilft, Jerrard Cranston und Colonel Vineman sind mit mir einer Meinung. Meldet Euch zur sofortigen Evakuierung an Bord der Wahrer Geist.«
»Dann gehen wir alle«, antwortete Victor, noch während er das Fadenkreuz auf die kantige Silhouette eines alten JM6-JägerMech zog. Beide rubinroten Laserbahnen trafen die Maschine mitten im Torso, bohrten sich durch die letzten Panzerungsreste und fluteten das Innenleben des Mechs mit vernichtender Lichtenergie. Plötzliche Helligkeit auf der Anzeige der Thermalortung zeigte einen Reaktorschaden, der aber nicht ausreichte, den Mech auszuschalten. Der Arkturusgardist zog sich zurück. »Wir drehen um und stürmen in die Deckung der Landungsschiffe.«
»Sobald Ihr die Linien verlassen habt, überlege ich es mir«, erwiderte Irelon. »Demi Schakow, Ihre Leute eskortieren den Prinzen.«
Victor wartete darauf, dass die Laser sich wieder aufluden, und schätzte die relative Kampfkraft der 11. Arkturus ab. »Nichts zu machen, Raymond. Wenn Sie ein Drittel unserer Kräfte abziehen, kesselt die Garde den Rest ein und macht Hackfleisch aus ihm.«
»Sie wird anderweitig zu tun haben. Auf meinen Befehl wird Demipräzentor Hullinger einen Präventivschlag gegen Oberst McDonald starten. Sobald Ihr in Sicherheit seid, Victor, kann ich mich darauf konzentrieren, so viele unserer Leute wie möglich heim zu holen.«
Victor schlug mit der Faust auf die Steuerkonsole und riss sich dabei an einer vorstehenden Metallkante die Hand auf. In seiner Wut bemerkte er die Verletzung jedoch kaum. »Verdammt, Irelon! Wenn Sie sich einbilden, ich würde diese Leute einfach hier zurücklassen ...«
»Genau das werdet Ihr tun«, unterbrach ihn der Präzentor. »Und zwar, weil es das Richtige ist. Ihr werdet es tun, um das sinnlose Opfer guter Männer und Frauen zu vermeiden. Und Ihr werdet es tun, weil es sonst niemanden gibt, dem wir gegen Eure Schwester folgen würden.«
Irelons letzte Feststellung drang zu Victor durch, wie es kein anderes Argument vermocht hätte. Es war so leicht, sich in der Hitze des Gefechts zu verlieren, seine Loyalität den Männern und Frauen zu widmen, die an seiner Seite kämpften. Aber Victor trug auch Verantwortung für die Bürger der Lyranischen Allianz und der Vereinigten Sonnen, für die Welten, die sich in offener Rebellion gegen Katherine erhoben hatten, und für die Soldaten, denen Katherines Rache blühte, sollte es ihm nicht gelingen, sie ein für allemal zu stürzen.
Irelon hatte Recht. »Verdammt«, flüsterte er mit vor Wut erstickter Stimme.
Er rammte den Geschwindigkeitshebel vorwärts, trat auf die Pedale und wendete den Daishi in einer engen Kehre, fort von der Schlacht, fort vom Schicksal seiner Krieger, bevor er es sich anders überlegen konnte. Er stürmte mit über fünfzig Stundenkilometern auf die ferne Sicherheit der Landungsschiffe zu, und jeder donnernde Schritt hallte wie eine Niederlage durch seine Gedanken.
York war verloren. Die bei seiner Verteidigung geopferten Leben, bei dem erzwungenen Rückzug, bei der Sicherung seines Überlebens - sie waren ebenfalls verloren. Das zehrte an ihm. Schlimmer noch, es stellte ihn vor eine Frage, die ihm tagtäglich zu schaffen machte.
Wie viele Leben sollte es noch kosten, bevor dieser Krieg endlich vorbei war?