Kapitel 4

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Die Ausstellung im Zoom eröffnete an einem Freitagabend. Da es kostenlose Getränke und Fingerfood gab, war die Galerie in der Brunswick Street in weniger als einer Stunde überfüllt. Eine Ansammlung von Künstlertypen nippte an Sektgläsern aus Plastik, alle gekleidet in künstlich ausgebleichte Jeans mit Lederjacken im Stil der Siebzigerjahre oder aufgemotzt in schicken, secondhand gekauften farbenprächtigen Kunstpelzen und schäbigen Federboas, die sich überall auf den Boden mauserten. Obligatorische Piercings glitzerten unter den Strahlern, während ihre Besitzer fröhlich von Bild zu Bild wandelten.

Madigan stand neben mir und posierte als Jungfrau in einem einfachen weißen Kleid, während sie nervös immer wieder den Katalog rollte, den Dante, der Galeriemanager, ihr bei unserer Ankunft überreicht hatte.

»Glaubst du, die Leute werden auf meine Bilder aufmerksam?«, fragte sie leise.

»Sie müssten schon blind sein, um es nicht zu tun.«

Blind oder einfach unaufmerksam. Ihre vier Bilder waren in einer kleinen Nische aufgehängt worden, die am weitesten von der Tür entfernt war, und hingen halbverborgen hinter einer Gruppe gequälter Stacheldraht-Skulpturen, die aus dem richtigen Winkel betrachtet vage an menschliche Körper erinnerten. Eine bei Weitem nicht herausragende Platzierung, und sie wusste das.

»Verdammter Dante«, zischte sie. »Er hat mir geschworen, ich würde dort ausgestellt.«

Sie zeigte auf eine Wand, an der eine Reihe von großen Fotografien hing. Glänzende Schwarz-Weiß-Bilder von etwas, das aussah wie kopflose Kadaver, liebevoll arrangiert auf Plüschsofas und Himmelbetten. Eine ansehnliche Menge hatte sich vor der Wand versammelt und verlieh ihrer Zustimmung durch langsames, ernstes Nicken und ausdrucksstarke Gesten Ausdruck. Bei dreien der Bilder leuchteten bereits selbstgefällige rote Aufkleber an den Rahmen, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, wer bereit war, die unverschämten Preise zu zahlen.

»Ich würde eher einem tollwütigen Hund vertrauen als Dante.«

Die Stimme gehörte einer großen, dünnen Frau, die ein wenig links von uns stand, einen abgekauten Fingernagel zwischen die Zähne geschoben. Als Madigan sich zu ihr umdrehte, zuckte sie mit den Achseln. »Nur meine persönliche Meinung.«

Ein Lächeln wurde gewechselt, wachsam, aber verschwörerisch; zwei vorsichtige Exilanten, die ihre Gemeinsamkeiten abschätzten.

»Werden Sie ebenfalls ausgestellt?«, fragte ich.

Die Frau betrachtete mich einen Moment lang mit ruhigem Misstrauen, als wäre ich ein seltsames, möglicherweise giftiges Insekt, das es gewagt hatte, auf ihrer Schulter zu landen. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Dante würde mich eher in die Hölle schicken, als mich in seine kostbare Galerie zu hängen – es sei denn, an einem Galgen. Ich bin Morgan Hartley.«

Als hätte der Name eine Bedeutung. Aber als er weder Madigan noch mir etwas sagte, verschränkte die Frau die Hände und lächelte.

»Ich bin glücklich, dass es zumindest einige Leute gibt, die nicht auf bösartige Gerüchte hören. Ich werde mir heute Abend auch so genug Messer zwischen den Schulterblättern herausziehen. Nennt mich Morgan.«

»Du und Dante seid nicht gerade dicke Freunde?«, fragte Madigan.

»Wir haben uns gestritten. Ich habe ihm mitgeteilt, dass er als Kunstkritiker einen verdammt guten Müllsammler abgibt. Er hat das irgendwie persönlich genommen.«

Madigan lachte, so unmittelbar, warm und ehrlich, dass es mich überraschte. Wie lange war es her, dass sie so gelacht hatte?

»Übrigens mag ich deine Bilder«, fuhr Morgan fort und strich sich mit einer Hand durch ihre kurzen, dunkelbraunen Haare. Die Frisur war zerzaust und ungleichmäßig, und ich konnte nicht sagen, ob sie so sein sollte oder ob sie sich einfach mit einem Handspiegel und einer stumpfen Schere selbst die Haare geschnitten hatte. »Sie sind sehr atmosphärisch, sehr klingend. Und deine Modelle mitzubringen ist irgendwie süß, sehr Archibald. Sie sind nicht gerade ein gesprächiges Völkchen, oder?«

Ihre Modelle. Sie meinte natürlich die Marionetten, obwohl sie sich selbst zweifellos lieber in der Rolle von Musen sahen. Sieben von ihnen waren heute Abend aufgetaucht, wie immer mit Joaquin vorneweg, der mit seinem schwarzen Eyeliner und dem roten Samtsmoking mit der zerrissenen weißen Spitze, die aus den Ärmeln hervorlugte, verstörend androgyn wirkte. Sie drängten sich in einer Ecke, knabberten an Cocktailhappen und warfen mir ab und zu schmollende Blicke zu, weil sie zweifellos enttäuscht waren, dass ich mich mit ihrer Herrin versöhnt hatte.

Madigan hatte sie zu irgendeiner Zeit alle gemalt – alle außer Kate, die es rundweg abgelehnt hatte, Modell zu sitzen, ohne einen echten Grund dafür anzugeben. Sie hatte damit einen kleinen Aufruhr ausgelöst. Aber nur drei andere Werke waren ausgewählt worden, um ihr Selbstporträt in die Ausstellung zu begleiten: das Bild von Joaquin, natürlich, zusammen mit einer Abbildung der rabenhaarigen Elizabeth und eines dünnen, faunäugigen Mädchens – Sasha? Saskia? –, dessen Name mir nie einfallen wollte. Alle Porträts waren semiabstrakt, brillant und voller Spannung und, ja, Morgan hatte genau das richtige Wort dafür gefunden: klingend.

Bilder mit Zungen; Kunst, die mehr tun wollte, als nur herumzusitzen und zu starren. Wenn nur jemand wüsste, wie man ihnen antwortete.

Madigan schüttelte den Kopf. »Niemand hier scheint sich im Geringsten für meine Arbeit zu interessieren. Sie sind alle von diesen verdammten Kadavern besessen.«

»Willst du meinen Rat? Nimm es dir nicht zu sehr zu Herzen.«

»Leichter gesagt als getan.«

Morgan seufzte. »Schau, du musst etwas verstehen. Diese Idioten würden über alles die Nase rümpfen, was auch nur ansatzweise nach Tradition riecht. Es ist eine Art Instinkthandlung.«

»Aber was ich tue, ist nicht …«

»Traditionell? Oh, natürlich ist es das, Süße. Ölmalerei und Porträts – mein Gott, du könntest genauso gut T-Shirts verkaufen.«

Ich hatte Madigan noch nie so peinlich berührt gesehen wie in diesem Moment. Ich griff nach ihrer Schulter, aber sie schüttelte meine Hand mit einer Grimasse ab.

»Zumindest sagt meine Arbeit etwas. Zumindest …«

»Blasphemie!« Morgan riss in vorgespieltem Entsetzen die Augen auf und formte mit zwei Fingern ein Kreuz. »Gott sei davor, dass Kunst etwas aussagt, dass sie uns etwas spüren lässt außer Schock und Verwirrung und trockenem Nervenkitzel. Und Talent? Wer zur Hölle braucht tatsächlich Talent, wenn man sich einfach ins örtliche Leichenschauhaus einschleichen kann?«

Ihre Stimme war verdächtig laut geworden und mehrere Gesichter hatten sich uns zugewandt, während hinter vorgehaltenen Händen bösartig geflüstert wurde.

Morgan starrte die Leute zornig an. Einer nach dem anderen wandte sich wieder ab und nahm fast ohne Unterbrechung das Gespräch wieder auf. Es kostete mich unglaubliche Kraft, Madigan nicht am Ellbogen zu packen und in eine andere Ecke der Galerie zu führen, um mit Dante zu reden oder sogar mit den Marionetten – mit irgendwem anderen. Mit jedem außer dieser vor Wut kochenden, überspannten Frau, die sich in Feindseligkeit hüllte, als wäre sie ein geliebtes Kleid.

»Komm schon«, sagte ich. »Ist das nicht ein wenig zu zynisch?« Mein Lächeln war gezwungen, eine Rebellion gegen diesen herablassenden Blick.

»Gehört er zu dir?« Die Frage war an Madigan gerichtet, obwohl sie weiterhin mir in die Augen starrte. »Meinst du, er schafft es, mir etwas zu trinken zu besorgen? Dieses Lösungsmittel, das sie Rotwein nennen, wenn es noch welches gibt.«

Ich öffnete den Mund, um ihr genau zu sagen, was sie mit ihrem verdammten Wein anstellen konnte, aber Madigan drückte sanft mein Handgelenk. »Wärst du so lieb, Lexi, bitte? Ich hätte auch gern einen.« Gesprochen ohne nachzudenken, als wäre ich ein Lakai, Herrgott noch mal, als wäre ich nur eine der Marionetten. Aber sie hatte sich bereits wieder Morgan zugewandt und das Grinsen auf dem Gesicht der Frau war breit.

Wortlos löste ich mich und stürmte zur Bar – zwei Tapeziertische und ein paar fröhlich angemalte Milchkisten, die unter der Treppe am anderen Ende der Galerie aufgestellt waren. Zum Teufel mit ihrem Rotwein und zum Teufel mit ihnen. Ich bestellte ein Glas für mich selbst und leerte es in drei schnellen Schlucken, bevor ich das nächste verlangte. Das Barmädchen mit den purpurnen Haaren zog eine Augenbraue hoch, als sie die letzten verbliebenen Tropfen aus der Flasche laufen ließ. Auch mit ihr zum Teufel.

Eine schwere Messingkette war über die Treppe gezogen. Ich duckte mich darunter durch und setzte mich ein paar Stufen weiter oben hin. Der Wein war lauwarm und billig und ich nippte zögerlich daran, nur um das Gesicht zu verziehen, als er einen Geschmack wie frischer Lack auf meiner Zunge hinterließ. Ich schloss die Augen, lehnte mich gegen die Wand und wünschte mir, ich hätte mir die Mühe zu kommen gespart.

»Hey.« Jemand tippte mich aufs Knie. Dante, der mich mit in die Hüften gestemmten Händen böse anstarrte, während sein blondgefärbter Bürstenhaarschnitt im Oberlicht leuchtete. »Hier oben ist Privatbereich. Hast du die Kette nicht gesehen?«

Ich nickte müde. »Ich wollte mich nur eine Weile hinsetzen, okay?«

»Also der erste Stock ist tabu.«

»Ach ja? Bewahrst du dort die echte Kunst auf?«

Er kniff die Augen zusammen und beugte sich vor, um gutgeformte Unterarme auf das schmiedeeiserne Geländer der Treppe zu lehnen. »Ein Ratschlag, Junge. Sag deiner Freundin, dass sie aufpassen soll, mit wem sie sich unterhält. Wer mit Hunden schläft, wacht mit Flöhen auf, richtig?«

»Entschuldigung?«

»Morgan Hartley ist ein talentloser Schmierfink und außerdem vollkommen durchgeknallt. Keine Galerie im ganzen Land packt ihre schlechten kleinen Schnappschüsse auch nur mit einer Stange an; deine Freundin passt besser mal auf, dass das nicht ansteckend ist.« Er feixte und stiefelte anscheinend befriedigt davon.

Deine Freundin.

Das Wort klang fremd, seltsam, wie ein dümmlicher Kosename für händchenhaltende Teenager, und mir ging auf, dass ich Madigan nie so gesehen hatte. Meine Freundin. Nein, sie war viel mehr als nur das. Meine Geliebte, mein Partner, meine Seelenverwandte? All diese Worte waren so abgedroschen, so klischeehaft. Ich schüttelte den Kopf.

Sie war einfach.

Warum also war ich vor Dante und seinen lächerlichen, aufgeblasenen Drohungen nicht für sie eingetreten? Und warum riss ich sie im Moment nicht von dem Morgan-Monster los? Ich kippte die letzten Reste meines Weines herunter, kehrte zur Bar zurück und hob zwei Finger vor Miss Purpurhaar. Morgan konnte sich ihren eigenen verdammten Wein besorgen. »Noch mal rot, danke.«

Das Mädchen rümpfte die Nase. »Einer nach dem anderen wäre vielleicht zivilisierter.«

»Wenn du so freundlich wärst, mir zu zeigen, wo es hier in die Zivilisation geht, werde ich gerne daran denken.«

Aber Madigan war allein, als ich sie schließlich fand. Sie stand mit einem beunruhigten Gesichtsausdruck vor ihren Bildern und trommelte mit vier Fingern einen gedämpften Rhythmus auf ihren Oberschenkel. Sie wollte den Wein nicht, also stellte ich das Glas auf den Boden, direkt an die Wand, wo nur die unvorsichtigsten Füße ihn umwerfen konnten.

»Morgan wollte wissen, ob ich für sie posieren würde.«

»Oh?«

»Sie ist Fotografin. Anscheinend hat mein Gesicht einen gewissen Zauber.«

Meine Nackenhaare stellten sich auf, weil ich mich nur so genau an den hungrigen, kalkulierenden Blick erinnerte, mit dem die andere Frau Madigan betrachtet hatte. Sicher, und vielleicht war das Morgan-Monster auch nicht nur an Fotos interessiert. Für einen Moment dachte ich darüber nach, die bösartige Charakterbeschreibung zu wiederholen, die Dante mir geliefert hatte. Aber das wäre ein dummer Zug, denn so würde Madigans Neugier eher angeregt als gedämpft.

Außerdem verwarf sie die Idee bereits mit einem Schulterzucken. »Ich werde ihr Joaquin schicken, wenn sie so dringend ein Modell braucht. Oder David – er würde wirklich darauf abfahren, den ganzen Tag vor einer Kamera zu posieren.«

»Du bist also nicht interessiert?«

»Eigentlich nicht. Sie hat etwas Seltsames an sich. Sie ist sehr intensiv, sehr … konzentriert. Ich glaube nicht, dass es allzu gesund wäre, zu viel Zeit in ihrer Umgebung zu verbringen.«

»Als würde man in die Sonne starren, ja?«

»Eher, als sähe man in einen Spiegel.«

Eine unerwartete, fast scherzhafte Analogie und bevor ich auch nur die Chance hatte, darüber nachzudenken, wechselte sie schon das Thema. Sie grummelte darüber, wie enttäuschend die Ausstellung sich entwickelt hatte, wie sehr sie sich wünschte, jetzt gehen zu können – nach Hause gehen zu können, um sich dort die Überheblichkeit und Speichelleckerei unter einer heißen Dusche von der Haut zu schrubben. Aber nein, wir würden warten müssen, bis Dante sich genug in geliehenem Ruhm gesonnt hatte und entschied, dass es Zeit war, die Galerie zu schließen. Denn, egal was kam, sie würde ihre Bilder mit nach Hause nehmen.

»Aber dauert die Ausstellung nicht einen ganzen Monat?«

»Vielleicht, aber nicht mit meinen Bildern darin.«

»Ist das okay? Ich meine, was wird Dante …«

»Zum Teufel mit Dante«, blaffte sie zum zweiten Mal an diesem Abend. »Es ist ja nicht so, als würde ihn meine Arbeit interessieren. Dann hat er eben eine weiße Wand, und? Ich nehme sie mit.«

Eine trotzige Kopfbewegung, die Lippen zu einer blutleeren, entschlossenen Linie zusammengepresst: Lass ihn nur versuchen, mich aufzuhalten. O ja, sie würde ihre Bilder mitnehmen. Nichts außer einer Kugel konnte sie davon abhalten.

Aber ich musste fragen. »Das war nicht Morgans Idee, oder?«

»Nein, natürlich nicht.« Madigan starrte mich böse an. »Morgan hat mir nur die Augen geöffnet.«

Brandgeruch weckte mich und meine Augen tränten von dem Rauch, der dicht und schmierig durch das Schlafzimmer wogte. Meine erste Reaktion war nahezu panisch: herumrollen, um nach Madigan zu greifen, ohne einen klaren Gedanken, außer uns beide aus dem Haus zu schaffen – aber sie war bereits weg, das Bett neben mir leer und kalt.

»Madigan?«

Ich rief nach ihr und öffnete die Tür, dabei erinnerte ich mich zu spät daran, dass man das Holz erst auf Hitze prüfen sollte. Aber glücklicherweise spielte es keine Rolle. Der Flur dahinter war ruhig und still, die Luft kühl und erfrischend sauber. Das Feuer war außerhalb des Hauses, der Rauch drang durch das Schlafzimmerfenster ein und meine Angst löste sich schnell in gereizte Verwirrung auf. Was zur Hölle brannte da draußen?

Ich schlich zitternd in meinem T-Shirt und den nackten Füßen die Treppe hinunter und ging ums Haus herum. Madigan stand mit den Armen eng um sich geschlungen, während vor ihren Füßen ein Feuer brannte. Ich erstarrte, atemlos ob der Schönheit des Anblicks: Madigan, mit vor Hitze gerötetem Gesicht, während das Flackern der Flammen über ihre Haut und die Haare und das weiße Kleid huschte, das sie nach der Ausstellung immer noch trug. Als leuchtete sie von innen. Die Szene hatte etwas von einem Ritual. Sie war eine antike Priesterin beim Sprechen von Zauberformeln, eine Feuergöttin, die Hof hielt, eine dämonische Konkubine, die ihren unirdischen Liebhaber beschwor. Ich kam näher, weil meine Faszination die nervöse, nagende Sorge überkam, dass dies nichts war, was ich bezeugen sollte.

»Madigan?« Ich sprach leise, weil ich sie nicht erschrecken wollte, und hob beide Hände, als sie sich zu mir umdrehte, die Handflächen in der Hoffnung ausgebreitet, ihre unvermeidliche Wut abzuwehren – aber nein. Sie weinte und tat es schon seit einer Weile. Ihre Wangen waren feucht und glitzerten im Licht des Feuers, ihr Mund zuckte, um das Schluchzen zu unterdrücken.

»Hey.« Ich überbrückte mit zwei schnellen Schritten den Abstand zwischen uns und zog sie in meine Arme. Zuerst widersetzte sie sich ein wenig und ihr Körper blieb steif und unbeweglich wie eine Holzpuppe. Aber das dauerte nur eine Sekunde, dann schlang sie die Arme um meine Hüfte und fiel zitternd gegen mich, schluchzte stumm an meiner Schulter.

»Was ist los?«, flüsterte ich und streichelte ihre Haare. »Sag mir, was los ist.«

Dann sah ich es, und mein Blut gefror mir in den Adern.

Die Trümmer verbrannten Holzes in den Flammen, geschwärzte Ecken, die wie die verbrannten und gebrochenen Knochen heidnischer Opfer in sich zusammenfielen, die befleckten Reste ihrer Leinwand, die sich wie Hautstücke schmerzerfüllt zusammenrollten.

Ihre Gemälde, jetzt Asche und Kohle und Staub.

»Oh, Madigan. Warum?«

»Weil sie … sie nicht mehr das sind, was ich will. Nichts davon.«

Ich verstand es nicht und das sagte ich ihr auch. Wie konnte sie die Bilder einfach so zerstören, diese Gemälde, die sie für Wochen und Monate innerlich zerfressen hatten wie ein Fieber? Nach nur einer schlechten Ausstellung, noch dazu ihrer ersten Ausstellung, wo sie doch so gut waren, so verdammt brillant, die Art von Kunst, die zu schaffen ich alles – alles – gegeben hätte. Sie erwartete doch nicht, von einem Tag auf den anderen Erfolg zu haben, oder? Nicht, wo die Kunstwelt doch offensichtlich so launisch war.

»Hör auf.« Sie legte mir eine Hand über den Mund. »Hör einfach auf, Lexi. Hier ging es nie um die Kunst. Es ging immer um mich

»Was …«

»Gott, ich weiß es nicht! Ich dachte, Kunst wäre der Weg, all das zu umgehen, etwas zu hinterlassen. Aber nach heute Abend … Es ist mir einfach egal, Lexi. Mir ist egal, was irgendwer über mich denkt, wenn ich verschwunden bin, mir ist egal, ob es eine Million Bilder von mir gibt, die in einer Million Galerien in einer Million Städte hängen, weil ich nicht da sein werde, um sie zu sehen.« Sie weinte wieder, wischte sich wild mit dem Handballen über die Augen und ihre Stimme brach zu einem Flüstern ab. »Ich werde nicht da sein.«

»Shh, es ist in Ordnung.« Ich versuchte, ihr eine Strähne aus dem Gesicht zu schieben, aber sie zuckte zurück.

»Es ist nicht in Ordnung!«, schrie sie. »Tu das nicht, Lexi, bevormunde mich nicht. Ich bin kein Kind, du kannst mich nicht einfach in den Arm nehmen und alles wird besser.«

»Es tut mir leid, so habe ich es nicht gemeint.«

»Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid. Gott, du klingst genau wie mein Vater.«

Aber die Wut war aus ihrer Stimme verschwunden und dieses Mal ließ sie zu, dass ich sie berührte, und sie ließ sich schwer und niedergeschlagen in meine Arme fallen, die Hände unter dem Kinn zu Fäusten geballt. »Ich will nicht sterben, Lexi.« Ein stockendes Flüstern, so leise, dass ich es kaum verstand. »Ich will einfach nicht sterben.«

Was sagt man zu so etwas? Wortlos hielt ich sie einfach fest, während sie weinte, und ließ meine Hände in langsamen, beruhigenden Kreisen über ihren Rücken gleiten.

Es war seltsam, wie ganze Tage vergehen konnten, an denen sie einfach Madigan war. Tage, an denen ich nicht an ihre Krankheit dachte oder die Zukunft oder daran, dass es nicht für immer sein würde, bis – wie jetzt, wie immer wieder – dieses Thema sich mit der plötzlichen Macht eines frischen Traumas wieder nach vorne drängte. Ich fragte mich, ob sie je solche Tage hatte, ob es jemals Zeiten gab, in denen sie fähig war, sich selbst zu vergessen – selbst wenn es nur für ein paar fröhliche, sorglose Stunden war –, Zeiten, in denen sie einfach von Herzen glücklich sein konnte.

Das konnte ich nur hoffen, während wir neben den stetig brennenden Flammen des Feuers standen, dessen Rauch uns umgab wie trockener Morgennebel.

In den Bänken um mich herum stehen die Leute auf und das leise Kratzen von Schuhen auf Fliesen reißt mich wieder in die Gegenwart – aber nicht ganz. Ich kann beim Aufstehen immer noch Madigan leicht schwankend an mir fühlen und meine Augen jucken von dem Rauch, den ich scheinbar aus meiner Erinnerung mitgenommen habe. Allerdings stimmt der Geruch nicht, zu süß, zu scharf für Holzrauch und zu real. Es ist Weihrauch. Er steigt in dunklen Schwaden von dem Weihrauchfass auf, das der Priester über dem Sarg schwenkt. Sein Arm bewegt sich in einem seltsamen, rhythmischen Muster durch die Luft. Vielleicht ist es das Zeichen des Kreuzes. Aus diesem Blickwinkel kann ich das unmöglich erkennen.

Ich reibe mir die Augen und bin überrascht, dass sie nass sind und ich den weichen Widerstand von Tränen auf meinen Wangen fühle. Wann habe ich angefangen zu weinen?

Die Orgel spielt wieder, eine andere feierliche und unvertraute Melodie. Die Sargträger sammeln sich um den Sarg, vier auf jeder Seite, mit Baileys grimmigem Gesicht an der vorderen rechten Ecke. Ein kurzes Schweigen, dann heben sie den hölzernen Kasten, gewandt, mühelos, in einer schaurig eleganten Bewegung, als wöge das Ding nichts, als wäre es leer – wenn doch nur –, und balancieren es vorsichtig auf ihren Schultern aus, bevor sie die Arme fallen lassen und sich mit steifen, mechanischen Schritten in Richtung der Tür in Bewegung setzen.

Es wirkt so riskant, so getragen ohne auch nur die Stütze einer einzigen Fingerspitze, dass ich nicht anders kann, als mir vorzustellen, wie das Ding herunterfällt, in der übelsten Form von Slapstick auf den Boden knallt, der Deckel abgeht, um …

Nein.

… die ungleichmäßigen Stoppeln ihrer weißen Kopfhaut zu enthüllen, als sie …

Nein.

Wütend stoße ich diese Vorstellung von mir. Wieder Lachen, hohl und ätzend, als erklänge es innerhalb meines Schädels, und ich muss mir eine Hand über den Mund schlagen, um es nicht entkommen zu lassen. Ist das Hysterie? Ein Vorbote eines nervösen, posttraumatischen Zusammenbruchs?

Posttraumatisch, ha! Post-Madigan wäre die bessere Diagnose.

Ich atme zweimal tief durch und versuche, mich zu beruhigen. Meine Hände zittern so sehr, dass ich sie tief in meine Taschen stopfe, als die Sargträger sich nähern, weil ich nicht will, dass jemand es bemerkt.

Natürlich tut das niemand. Die Blicke, die nicht bereits auf den Boden gesenkt sind, richten sich auf die Beerdigungsprozession selbst, auf die lange, feierliche Reihe der Trauernden, welche die vorderen Reihen verlassen, um Mr. Sargood zu folgen, der drei oder vier Schritte hinter dem Sarg geht, in dem man seine Tochter in die Erde betten wird. Die verschleierte Frau in den mittleren Jahren an seinem rechten Arm ist mir vollkommen fremd, genauso wie die meisten anderen im Trauerzug. Verwandte und Freunde der Familie wahrscheinlich, aber ich weiß es nicht sicher.

Das ist der letzte Tropfen in einer langen Reihe von Zweifeln und kleinen Geheimnissen, und der saure, angeschwollene Knoten aus Frustration und Schmerz und Verrat, den ich schon so lange Zeit in mir trage, ist plötzlich übervoll und platzt.

Ich wusste so wenig von ihr.

Es ist, als hätte sie mich in eine Schublade gesteckt, auf der Lexi oder Freund oder eine noch weniger schmeichelhafte Bezeichnung stand. Ordentlich verpackt zusammen mit jedem anderen in ihrem Leben bekam ich nur die Teile des Puzzles zu sehen, die sie für nötig hielt. Madigan – auf einer Das-musst-du-wissen-Basis. Und ich habe es toleriert, habe zugelassen, dass es weiter und weiter so lief. Zu verängstigt, um Druck auszuüben, ihren Bluff auffliegen zu lassen, denn was, wenn sie mich einfach wieder verlassen hätte? Rückgratlos-dumm, ihr Lexi, zufrieden, mit verbundenen Augen herumzulaufen, solange sie da war, um mich zu führen.

Aber jetzt ist sie weg, und es gibt erbärmlich wenige Reste zu ordnen.

Ich bleibe, wo ich bin, während alle anderen sich gemächlich aus der Kathedrale bewegen. Es ist noch genug Zeit, um zum Leichenschmaus zu fahren und Bailey und seinem Vater meinen Respekt zu zollen. Sie müssen Madigan schließlich erst beerdigen und sich dann die frische Erde von ihren Händen waschen. Der Gedanke verursacht mir Kopfweh.

Mit geschlossenen Augen lehne ich mich vor, meine Unterarme auf die Bankreihe vor mir, meine Finger fest verschränkt. Allmählich, während die Orgelmusik verstummt und die letzten Schritte verklingen, bemerke ich, dass jemand immer noch in der Nähe sitzt, sein Atem ist flach und ein wenig asthmatisch. Joaquin oder vielleicht eine der anderen Marionetten. Ich halte die Augen geschlossen und gebe vor zu beten, in der Hoffnung, dass die Person den Hinweis versteht und geht. Stattdessen höre ich ein Seufzen und ein hölzernes Knirschen hinter mir, als hätte jemand dort sein nicht unbeträchtliches Gewicht verlagert. Und dann erfüllt ein klarer, wenn auch leichter Duft nach Sandelholz die Luft.

Sofort kriecht mir Gänsehaut über den Körper. Nein, keine Marionette – aber wie sehr ich mir wünschte, es wäre so.