125 ORLI COVITZ
Die Klikiss hielten Orli und ihre Begleiter in der alten Stadt fest. Die Insektenkrieger hatten ihr den Rucksack abgenommen, obwohl das Mädchen sich trotz der Harzfesseln dagegen zu wehren versucht hatte. Die Brüterin schien die Bedeutung der Synthesizer-Streifen zu erkennen, und ganz offensichtlich wollte sie Orli davon trennen.
Sie wurde von Tasia, Robb, Davlin und Nikko isoliert - wegen ihrer Musik wie Margaret Colicos? - und fühlte sich sehr allein. Die Klikiss hatten auch DD weggebracht, und Orli wusste nicht, was aus dem kleinen Kompi geworden war. Die Insektenwesen hatten erst ihre Harzfesseln entfernt, sie dann in eine staubige Zelle mit harten Wänden geworfen und am offenen Zugang gitterartige Streifen aus ihren harzartigen Exkreten angebracht. Die übrigen Gefangenen befanden sich in einem größeren Raum weiter hinten im Tunnel; niemand von ihnen bekam etwas zu essen oder zu trinken.
Wenigstens war Orli Tasia und den anderen nahe genug, um sich rufend mit ihnen zu verständigen und zu hören, was sie machten. Sie konnte sie sogar sehen, wenn sie sich mit aller Kraft gegen die wie Gummi nachgebenden »Gitterstäbe« drückte. Das Harz fühlte sich ölig an und roch wie verbranntes Plastik.
»Wir könnten gemeinsam versuchen, einige dieser Harzstränge loszureißen«, sagte Nikko. Er warf sich mit der Schulter gegen die Sperre, doch es nützte nichts. Nikko zog und zerrte an den Strängen, ebenfalls ohne Erfolg. Aber selbst wenn es gelungen wäre, die Zellen zu verlassen - wohin hätten sie sich dann wenden wollen, fragte sich Orli. Sie befanden sich mitten in der Klikiss-Stadt und waren von Feinden umgeben.
Tasia rief in den Tunnel und schien anzunehmen, dass die Klikiss sie verstanden. »He! Hilft es, darauf hinzuweisen, dass wir die schwarzen Roboter ebenfalls hassen? Ich könnte euch Geschichten erzählen, bei denen es euch kalt übers Ektoskelett laufen würde. Wir sollten Verbündete bei einer gemeinsamen Sache sein!« Die patrouillierenden Klikiss verharrten nicht und schenkten Tasias Worten keine Beachtung.
»Ich bin schon in schlimmeren Situationen gewesen«, sagte Robb. »Und ich habe sie überstanden.«
Orli blickte in den Nebentunnel. An den gewölbten Steinwänden zeigten sich nur noch einige wenige Reste der alten TVF-Basis: Rohrleitungen, Kabelbündel, Interkom-Anschlüsse und von den ersten Kolonisten angebrachte Lampen.
Zwei seltsame neue Klikiss stapften vorbei. Bevor die beiden blassen Geschöpfe außer Sicht gerieten, sah Orli fleischige Gesichter und veränderliche Züge, in denen es etwas Menschliches gab. Die anderen Klikiss hatten nicht einmal so etwas wie ein Gesicht. Die Insektenwesen der neuen Generation schienen den Gefangenen mit Neugier zu begegnen und wirkten auch ein wenig traurig. Hinter ihnen marschierte ein Klikiss- Krieger und verscheuchte diese Geschöpfe mit zischenden und klickenden Lauten.
Als wollte sie einen Verwandten im Krankenhaus besuchen, erschien Margaret mit dem Kompi an ihrer Seite. »DD! Margaret!« Orli streckte die Hand durch eine Lücke zwischen den Harzsträngen.
Der Freundlich-Kompi blieb vor der kleinen Zelle stehen, und seine optischen Sensoren glänzten. »Es freut mich, dich lebend und wohlauf zu sehen, Orli Covitz.«
»Lebend und wohlauf? Die Klikiss werden uns alle umbringen. Weißt du, wo sich meine Synthesizerstreifen befinden?«
»Ja, das weiß ich«, erwiderte DD munter.
Margaret verharrte im Tunnel. »Seit der letzten Teilung gibt es eine neue Brüterin. Sie weiß noch immer, wer du bist, Orli, aber nach der Aufnahme vieler Attribute der Kolonisten versteht sie auch mehr über Menschen.«
In der anderen Zelle hörte Tasia zu. »Das ist eine gute Sache, oder? Wenn die Klikiss uns verstehen ...«
»Nein, es ist keine gute Sache.« Margarets Blick blieb auf Orli gerichtet. »Es bedeutet, dass sich die neue Brüterin weniger leicht ablenken lässt als die alte. Ich fürchte, deine Musik mit den Synthesizerstreifen genügt nicht, um ... die Gefahr von dir abzuwenden. Die Klänge haben große Macht, aber die Brüterin hat sie schon einmal gehört, und Menschen sind inzwischen nichts Besonderes mehr für sie. Wir alle sind in Gefahr.«
Davlin drückte sich an die Stränge der anderen Zelle. »Margaret, Sie können uns dabei helfen, hier herauszukommen. Bringen Sie uns Werkzeuge, Klikiss-Waffen - irgendetwas, das uns eine Chance gibt.«
»Was wollen die Käfer von uns?«, fragte Nikko. »Sie haben bereits meine Mutter und all die Kolonisten getötet! Reicht das nicht?«
»Wie lange werden sie uns hier festhalten?«
»Können Sie uns Lebensmittel und Wasser beschaffen?«
Als alle gleichzeitig riefen, hob Davlin die Stimme, um den Lärm zu übertönen. »Wenn sich der Schwärm bereits geteilt hat... Sind wir dann nicht sicher?«
»Die Expansionsphase hat sich beschleunigt«, sagte Margaret. »Die Brüterin der neuen Generation wird sich erneut teilen, so bald wie möglich. Der Subschwarm muss weiter wachsen. Diese Klikiss beabsichtigen, beim kommenden Schwarmkrieg alle rivalisierenden Brüterinnen zu töten. Deshalb muss sie sich fortpflanzen, und dabei sollen Sie aufgenommen werden, Ihre Erinnerungen und Ihr Wissen. Davon verspricht sich die Brüterin einen Vorteil gegenüber den anderen Subschwärmen - eine Waffe, mit der sie nicht rechnen. Die Domate werden bald kommen, um uns für die nächste Teilung zu holen.«
Orli streckte dem Kompi die Hand entgegen. »Hilf mir, DD. Überzeuge Margaret, dass sie uns helfen muss.«
»Es hätte keinen Sinn«, sagte Margaret. »Selbst wenn ich euch aus diesen Zellen holen könnte ... Unter so vielen Klikiss würden wir nicht weit kommen. Wir könnten die Schwarmstadt gar nicht verlassen.«
»Hören Sie«, sagte Davlin. »Wenn wir entkommen, bringen wir Sie und DD fort von hier. Wir können Sie nach Hause bringen. Das Fluchtschiff ist vorbereitet und aufgetankt. Wir können diesen Planeten verlassen - wenn wir hier herauskommen.«
DD wandte sich aufgeregt an die Xeno-Archäologin. »Ja, das Schiff wartet auf uns, und ich würde Llaro gern verlassen, Margaret.« Die ältere Frau schien nicht daran gedacht zu haben, dass es eine echte Flutmöglichkeit gab.
Orli streckte auch die andere Hand durch die Lücke zwischen den Harzsträngen. »Bitte, Margaret.«
Plötzlich liefen Klikiss wie alarmiert durch die Tunnel. Margaret neigte den Kopf ein wenig zur Seite und schien etwas zu hören, das die anderen nicht wahrnehmen konnten.
»Ich empfange Ultraschallsignale von der Brüterin«, sagte DD.
»Etwas geschieht.« Selbst tief in den Tunneln der alten Stadt hörten sie die pfeifenden und klickenden Stimmen der Klikiss. Etwas krachte, und Explosionen donnerten.
»Ist die TVF eingetroffen?«, rief Nikko aus seiner Zelle. »Bedeutet das, wir sind gerettet?«
»Ich bezweifle, dass die Tiwis einen Finger für uns rühren würden«, sagte Tasia. »Aber vielleicht sind Roamer gekommen. Möglicherweise wollten sie nicht länger auf eine Nachricht von uns warten und haben beschlossen, nach dem Rechten zu sehen.«
In Margarets Gesicht zeigte sich jetzt echte Sorge. »Nein, es ist nicht das terranische Militär. Ich glaube, wir werden von einem anderen Subschwarm angegriffen.«
»Sie meinen, dort draußen kämpfen Klikiss gegen Klikiss?«, fragte Robb.
»Die Angreifer haben es auf die Brüterin abgesehen. Die anderen Subschwärme haben bereits damit begonnen, gegeneinander Krieg zu führen. Jetzt wird sich herausstellen, ob der Subschwarm von Llaro genug einzigartiges Wissen aufgenommen hat, um seine Rivalen zu besiegen.«
»Erwarten Sie nicht von mir, dass ich >unserer< Brüterin zujubele«, sagte Tasia.
Klikiss eilten durch die Tunnel und schenkten den Gefangenen überhaupt keine Beachtung. Margaret und DD wichen beiseite. Über Orlis Zelle explodierte etwas, und ein Vorhang aus Staub senkte sich herab. Mehrere helle menschenartige Hybriden stapften schwerfällig vorbei, gefolgt von einem großen Domaten, einem neuen Domaten. Auch er hatte ein Gesicht mit Zügen, die an einen Menschen erinnerten.
Als die Geschöpfe fort waren, nutzte Davlin das Durcheinander und warf sich immer wieder gegen die Harzstränge. »Dies ist unsere Chance - und auch Ihre, Margaret! Während die Käfer gegeneinander kämpfen, scheren sie sich nicht um ein paar Menschen. Wir können entwischen.« Er nahm Anlauf und warf sich erneut gegen die Stränge. Einer löste sich von der steinernen Wand.
»Er hat recht«, sagte Margaret. Sie lief zu der anderen Zelle und zerrte an den Strängen. »Ja, wir können fort.«
DD trat zu Orlis Zelle, griff mit seiner Kompi-Hand nach einem Strang, zog und riss ihn los. Das Mädchen zwängte sich durch die Lücke, als DD zur anderen Zelle eilte und dort weitere Stränge löste. Es dauerte nicht lange, bis die vier Gefangenen ihren Raum verlassen konnten.
Während Klikiss gegen Klikiss kämpften, ließ die kleine Gruppe ihre Zellen hinter sich und floh.