29 MARGARET CÓLICOS

Margaret lehnte sich an einen der neu errichteten Türme. Der Harzzement hatte noch immer einen unnatürlichen ranzigen Geruch, der schließlich verschwinden würde, wenn das Material an der Luft und im Sonnenschein trocknete.

Margaret konnte die von einer Mauer umgebene Siedlung ganz nach Belieben verlassen und in sie zurückkehren, doch außer ihr schien niemand den Mut dazu zu haben. Die übrigen Kolonisten blieben in dem abgesperrten Bereich, aus Furcht vor den Insektenwesen. Margaret wusste nicht, ob die Klikiss sie in Ruhe ließen, weil sie ihre »besondere Musik« fürchteten, oder ob sie sich einfach nicht um sie scherten.

Bei den Klikiss hatte sie erfahren, dass es der Brüterin derzeit darum ging, die schwarzen Roboter zu zerstören, wo auch immer sie sie finden konnte.

An diesem Morgen war die erste große Streitmacht durch das Transportal nach Wollamor aufgebrochen. Sobald die Roboter keine Gefahr mehr darstellten, würden die Brüterinnen der neuen Subschwärme gegeneinander kämpfen, bis nur eine von ihnen übrig blieb.

Zwar waren die Klikiss damit beschäftigt, Rache zu nehmen, aber Margaret zweifelte nicht daran, dass sie sich früher oder später gegen die Kolonisten wenden würden.

DD drehte seine optischen Sensoren und sah in die Richtung, in die Margarets Blick ging. »Was beobachten Sie, Margaret?«

»Ich beobachte die armen Kolonisten. Sie verstehen nicht.«

»Wenn Sie mir sagen, was sie nicht verstehen, würde ich es ihnen gern erklären.«

»Nein, das ist unmöglich. Ich muss einen Weg finden, ihnen zu helfen oder sie zumindest zu warnen.«

Plötzlich sah sie, wie ein dunkelhäutiger Mann die Siedlung durch eine der Öffnungen in der Mauer verließ, wobei er die Nähe der Klikiss mied. Es überraschte Margaret kaum, dass die Insektenwesen ihn ignorierten. Mehrere Kolonisten, unter ihnen Orli Covitz, standen auf der Mauer und sahen dem Mann hinterher, als er sich vorsichtig der Stadt des Schwarms näherte.

Margaret schnitt ihm den Weg ab, bevor er versehentlich eine falsche Richtung einschlug. »Davlin Lotze, was haben Sie vor?«

»Ich versuche herauszufinden, wie viel Bewegungsfreiheit uns die Käfer lassen.« Sein Blick huschte zur Seite, als zwei Krieger vorbeistapften, ohne ihn zu beachten. Ihre Beine und Ektoskelette knisterten und knackten bei jeder Bewegung, und sie verständigten sich mit zwitschernden, klickenden Lauten. »Außerdem möchte ich mit Ihnen reden. Suchen wir uns einen ruhigeren Ort.«

»Sie haben Nerven wie Stahl, Davlin. Kaum ein anderer Kolonist wagt es, die Siedlung zu verlassen.«

»Ich musste feststellen, wie weit ich gehen kann. Jetzt weiß ich Bescheid und habe dadurch ganz neue Möglichkeiten.«

Margaret führte ihn in den Windschatten eines alten, verwitterten Turms, und Lotze holte einen Datenschirm hervor. »Dreimal habe ich die Siedlung zu kleinen Erkundungstouren verlassen. Außerdem bin ich mehrmals auf die Mauer geklettert und habe von dort aus Bilder von den einzelnen Subspezies gemacht. Ich brauche Ihre Hilfe, um sie zu identifizieren.« Er zeigte ihr die Bilder. »Können Sie mir sagen, welche Aufgaben die einzelnen Käferarten wahrnehmen?«

Während ihrer Anfangszeit bei den Klikiss hatte Margaret ebenfalls versucht, die Klikiss zu klassifizieren und kategorisieren. Doch Davlins Interesse schien nicht wie bei ihr in erster Linie wissenschaftlicher Natur zu sein. »Wollen Sie einen Fachartikel schreiben, wenn wir zurück sind?« Lotzes Gesichtsausdruck blieb neutral. »Es dient zu unserer Verteidigung.

Wir müssen herausfinden, welche Subspezies eine Gefahr für uns darstellen und welche ignoriert werden können. Ich versuche, unseren Gegner einzuschätzen, und beginne damit, Pläne zu entwickeln.«

Margaret betrachtete die Bilder. Eins von ihnen zeigte eine Subgattung der Klikiss mit hellem Rückenschild und erschreckend menschenähnlichem Gesicht. Die Aufnahme war ein wenig verschwommen, doch Margaret erkannte genug Einzelheiten und erinnerte sich an den Ursprung dieser besonderen Subspezies. Armer Howard Palawu.

»Lassen Sie mich Ihnen erläutern, wie sich die Klikiss genetisch aufgliedern.« Margaret identifizierte die einzelnen Subspezies und nannte Informationen, die sie im Lauf der Jahre gewonnen hatte. Davlin hörte zu, machte sich Notizen und schien sich jedes Wort einzuprägen. Es geschah zum ersten Mal, dass sie ganz allein miteinander sprachen, und Margaret fand den Mann recht beeindruckend. Vor Jahren war er mit dem Auftrag nach Rheindic Co geschickt worden, sie zu suchen, und deshalb wusste er bereits ziemlich viel über sie. Als er nach Einzelheiten fragte, wurde ihr klar, dass es ihm wirklich darum ging, den Kolonisten zu helfen.

»Wovon sollen all die Menschen im abgesperrten Bereich leben?« Er sah sie an. »Können wir die Nahrung der Klikiss essen?«

»Ich habe mich davon ernährt.« Margaret erinnerte sich an das erste Mal, als sie hungrig genug gewesen war, den mehligen Brei zu probieren. »Und ich bin noch am Leben.«

Auf Llaro waren immer wieder mit dem Einsammeln von Biomasse beauftragte Klikiss losgeflogen und hatten mit Netzen in der Luft lebende Wesen eingefangen. Andere waren mit Behältern voller Sumpfgras, Quallen und Fischen von fernen Flüssen und Seen zurückgekehrt. Die Klikiss fügten alles zusammen und verarbeiteten es zu einer homogenen, breiigen Masse. Große Mengen davon lagerten in neu erbauten Silos bei der Residenz der Brüterin.

»Beabsichtigen die Klikiss, die Menschen mit Nahrung zu versorgen, nachdem sie die Felder abgeerntet haben?«

»Ich bezweifle, dass die Brüterin dazu bereit ist.«

»Wie ändern wir das? Die Kolonisten verfügen über einige versteckte Vorräte, doch die halten nicht lange.«

Margaret zögerte, sah Lotze in die Augen und stieß sich dann abrupt von der buckligen Wand des Turms ab. Ohne Furcht zu zeigen oder zu empfinden, trat sie einem marschierenden Arbeiter in den Weg. Das Schwarm-Bewusstsein kontrollierte alle Insektenwesen, und deshalb konnte sich Margaret direkt an die Brüterin wenden, indem sie zu einem beliebigen Klikiss sprach. »Du!« Sie klatschte in die Hände.

Das gelbschwarze Geschöpf verharrte. Margaret gab einige klickende und gutturale Laut von sich, die nach Zungenverrenkungen klangen, eine allgemeine Vorstellung von Nahrung vermittelten und darauf hinweisen, dass die Kolonisten Essen brauchten.

Der Arbeiter wich zur Seite und versuchte, an Margaret vorbeizugelangen, aber sie trat ihm erneut in den Weg und schlug auf seinen Rückenschild.

»Hör mir zu!« Sie wiederholte ihre Forderungen in der Klikiss-Sprache und erläuterte die Worte, indem sie Gleichungssymbole in den Boden kratzte.

»Nahrung. Für meinen Schwärm.« Sie deutete zum abgesperrten Bereich.

»Nahrung.«

Widerstrebend, wie es schien, schickte die Brüterin Anweisungen. Vier Arbeiter kamen aus den mit dicken Wänden ausgestatteten Silos, trugen Behälter mit dem Nahrungsbrei der Klikiss und brachten sie zur Siedlung. Davlin war beeindruckt. »Nicht schlecht. Kommen wir jetzt zum Trinkwasser...«