124 KOLKER

Kolker sah und wusste jetzt mehr als jemals zuvor, und deshalb spielte es keine Rolle mehr, wo sich sein Körper befand. Er stand ruhig im Park unweit des Prismapalastes und hatte das Gefühl, überall sein zu können. Er brauchte nicht einmal mehr den Schössling.

Mit halb geschlossenen Augen spürte er die Nähe einiger Konvertiten, Menschen, die in Mijistra geblieben waren, um hier zu arbeiten: Himmelsminenarbeiter, zwei Hanse-Techniker, ein neuer Roamer-Händler. Er wusste, dass sie alle die Botschaft von der Veränderung verbreiten würden. Inzwischen hörten sogar einige Ildiraner zu, und Kolker hatte endlich die Aufmerksamkeit des Linsen-Geschlechts bekommen. Er war sehr zufrieden, und seine Zuversicht wuchs.

Zahlreiche ildiranische Arbeiter hatten diesen Park wiederhergestellt, aber für Kolker verbanden sich unangenehme Erinnerungen damit. Hier waren Kugelschiffe der Hydroger in die Stadt gestürzt und hatten Tausende von Ildiranern getötet und verstümmelt, unter ihnen den alten Tery'l. Kolker blickte in das vom prismatischen Medaillon reflektierte Licht und fühlte, dass sein Philosophenfreund noch irgendwo existierte, auf der Ebene der Lichtquelle, mit den Seelenfäden verbunden. Tery'l wäre sicher sehr stolz auf ihn gewesen.

Der grüne Priester lenkte seine Gedanken in eine andere Richtung, bis er den Eindruck gewann, neben Tabitha Huck an Bord eines der neuen Kriegsschiffe zu stehen. Sie und ihre geistig miteinander verbundenen Techniker und Arbeiter hatten inzwischen einundzwanzig der riesigen Schiffe fertiggestellt, eine beispiellose Leistung in so kurzer Zeit.

Im Park schloss Kolker ganz die Augen und fühlte die Wärme der Sonnen auf der Haut. Er konzentrierte sich darauf, Tabitha zu beobachten, und gesellte sich indirekt ihrer Crew hinzu, als sie einen Testflug mit dem neuen Schiff unternahm.

Tabitha überprüfte das interplanetare Triebwerk und die Bordwaffen. Anschließend aktivierte sie den Sternenantrieb und begann mit einem Flug, der zu einigen benachbarten Sonnensystemen führte. Dabei ging sie auf der Brücke umher und erteilte Anweisungen, denen die Ildiraner unverzüglich nachkamen, als stammten sie vom Adar.

»Wir nähern uns Durris-B, Captain Huck«, sagte einer der Ildiraner an den Konsolen. Tabitha hatte sich den Rang des Captains selbst verliehen; er gefiel ihr.

»Berechnen Sie einen niederen Orbit und bringen Sie uns in die Umlaufbahn.« Tabitha wollte den toten Stern, der eine Narbe in der ildiranischen Psyche hinterlassen hatte, aus der Nähe sehen. Ildiranische Astronomen hatten die Reste der erloschenen Sonne beobachtet, in der Hoffnung, Anzeichen für ein Wiedererwachen des nuklearen Feuers in seinem Innern zu finden. Tabitha hielt den Stern für ein perfektes Mahnmal.

»Überprüfen wir unsere Systeme. Vollständige Tests mit den Analyseprogrammen. Kalibrierung entsprechend den früheren Basisdaten.« Zwar strahlte Durris-B kein Licht mehr ab, aber der abkühlende Stern hatte seine Masse und Gravitation behalten. Tabitha brachte das Schiff vorsichtig näher und kontrollierte immer wieder die Triebwerke, um sicher zu sein, dass sie dem Zerren der Schwerkraft entkommen konnten.

»Fehler bei der Kalibrierung, Captain Huck. Die thermischen Emissionen von Durris-B sind weitaus stärker als erwartet.«

»Deaktivieren Sie einige der Filter. Ich möchte es mit eigenen Augen sehen.«

Tabitha blickte auf die Schirme und beobachtete, wie der ausgebrannte Klumpen im All funkelte. Immer mehr Licht kam von dem Stern, als hätten sich die Hoffnungen der ildiranischen Astronomen plötzlich erfüllt, als wäre die nukleare Kettenreaktion tatsächlich wieder in Gang gekommen. Durris- B wurde heller.

»Die energetischen Emissionen nehmen immer mehr zu.«

Tabitha wollte jedes Risiko für das neue Kriegsschiff vermeiden. »Auf größere Entfernung gehen.« Sie wandte sich an die Hanse-Techniker - den Ildiranern traute sie nicht genug Vorstellungskraft zu. »Wie entfacht man das atomare Feuer in einem bereits erloschenen Stern?«

»Nicht mit gewöhnlichen Mitteln.« Einer der Techniker sah auf die Anzeigen und runzelte die Stirn. »Andererseits ... Ich habe früher Himmelsminenpumpen entworfen. Was verstehe ich schon von Sonnenmechanik.«

Auf dem offenen Platz im Park von Mijistra hob Kolker das Gesicht zum Himmel und hielt die Augen noch immer geschlossen. Um ihn herum unterbrachen die anderen Konvertiten ihre Aktivitäten - sie spürten ebenfalls, dass etwas Ungewöhnliches geschah. Die Ildiraner in der Stadt hatten noch nichts gemerkt.

»Das gefällt mir nicht«, sagte Tabitha im Kommando-Nukleus des Kriegsschiffs. »Ganz und gar nicht.«

Durch ihre neue Verbindung im Thism spürte sie, wie sich Unruhe an Bord ausbreitete und schließlich auch die Bewohner von Mijistra erreichte.

Plötzlich fühlten alle Ildiraner die Veränderungen in der Sonne. Doch der Weise Imperator war nicht imstande, ihnen Kraft und Führung zu geben. Er weilte noch immer auf Theroc, und von jenem fernen Planeten aus war er nicht imstande, allen seinen Untertanen Trost zu spenden. Der Erstdesignierte hielt sich zwar im Prismapalast auf, aber ihm fehlte die Erfahrung seines Vaters.

Im Kommando-Nukleus des Kriegsschiffs hob Tabitha die Hand vor die Augen und schrie auf. Durris-B gleißte plötzlich, und die Lichtflut kam so schnell, dass die automatischen Filter nicht rechtzeitig reagierten. Blitze zuckten über die Oberfläche der Sonne, die bis vor kurzer Zeit ein stellarer Leichnam gewesen war. Kleine helle Punkte erschienen und schwollen schnell an, wurden zu großen Feuerkugeln. Wie die Sporen eines reifen Pilzes kamen sie aus der Sonne.

»Faeros!«, rief ein Ildiraner. »Die Faeros sind zurück!«

»Das Schiff drehen und Kurs auf Ildira nehmen!«, ordnete Tabitha an.

Ihre Crew stellte die Triebwerke auf eine harte Probe und verlangte ihnen maximale Beschleunigung ab. Eine der Konsolen versagte plötzlich den Dienst, und bei einer anderen funktionierten nicht alle Kontrollen, aber das Schiff wurde schneller und entfernte sich von dem plötzlich gleißenden Stern. Tausende von Faeros kamen aus den Tiefen der Sonne, stiegen wie die Funken eines gewaltigen Feuers auf und verließen das Ildira- System.

Zehn Ellipsoide näherten sich Tabithas Kriegsschiff und umschwirrten es wie Vögel ein langsamer fliegendes Insekt.

Auf dem Platz im Park von Mijistra stöhnte Kolker leise. Tabithas Furcht vibrierte in ihm, in ihnen allen. Zehn gewaltige Kometen wurden immer größer, und in ihren Flammen zeigten sich geisterhafte, schreiende Gesichter.

Eine donnernde Stimme hallte durch Tabithas Bewusstsein und aus den Kom-Lautsprechern an Bord des Kriegsschiffs. »Was ist das für ein Thism?

Ich habe eure Seelenfäden gefunden, aber wer seid ihr?«

»Verschwinde!«

Die Faero-Stimme klang fasziniert. »Sie sind ein Mensch, und doch haben Sie eine Verbindung im Thism wie der Mensch, den wir bei den Wentals aufnahmen ... Und eine andere Verbindung führt ... ah, zum Weltwald! Zum Bewusstsein der Verdani.«

Als mehr und mehr Faeros aus der wiedererwachten Sonne kamen, schwebten die zehn Feuerkugeln näher an das Kriegsschiff heran, bis die Hüllenplatten zu schmelzen begannen. Die Anzeigen aller Hauptsysteme befanden sich plötzlich im roten Bereich, und Alarmsirenen heulten. Im Kommando-Nukleus sackten die Konsolen in sich zusammen. Das vordere Brückensegment explodierte, doch selbst das Vakuum des Alls konnte nichts gegen diese Art von Feuer ausrichten.

Kolker verlor den Kontakt zu Tabitha an Bord des Schiffes und fühlte den Schmerz wie einen Schwertstoß mitten in die Brust.

Doch es war noch nicht vorbei. Die Stimme der dominierenden Präsenz, des früheren Hyrillka-Designierten, dröhnte durch die von Kolker so sorgfältig ausgelegten Seelenfäden und erreichte sein Bewusstsein. »Ich verlange von eurem Seelenfeuer, die Faeros zu stärken. Ihr habt mir den Weg gezeigt.«

Tausende von Feuerkugeln rasten durchs All, und zehn, von Rusa'h angeführt, näherten sich Ildira. Kolker konnte die Präsenz des früheren Delegierten weder aus seinem Selbst verbannen noch aus dem Telkontakt und dem Thism. Seine Augen blieben geschlossen, und doch sah er, wie die anderen Konvertiten taumelten. Zwei von ihnen sanken auf die Knie und fingen plötzlich Feuer.

Kolker bemühte sich, die versengenden Seelenfäden zu blockieren und seine Konvertiten von den Enthüllungen - und der Verwundbarkeit zu trennen, die er mit ihnen geteilt hatte. Aber er konnte sie nicht retten und ebenso wenig sich selbst. Das Feuer der Faeros strömte wie Säure durch seinen Geist und auch den Körper. Es blitzte, und Kolker wurde zu einer von vielen kleinen Rauchwolken.