99 VORSITZENDER BASIL WENZESLAS

Basil konnte die Klikiss zum Vorteil der Hanse nutzen - auf diese Weise ließ sich am besten mit der Situation umgehen. Und der Erzvater des Unisono würde sein Sprecher sein.

Jedes Haar musste sich an der richtigen Stelle befinden, und nicht eine einzige Falte durfte sich zeigen - alles musste perfekt sein. Basil beobachtete, wie Friseure, Makeup-Spezialisten und Rhetoriker den Erzvater auf sein großes Debüt vorbereiteten.

Basil sah dem dicklichen alten Mann in die saphirblauen Augen. Diese Augen waren es, die sein Interesse für ihn geweckt hatten. Das klare Blau war natürlich, was Implantate überflüssig machte. Der Erzvater hatte eine tiefe, volltönende Stimme und einen dichten weißen Bart. Weite Umhänge fielen von seinen schlaffen Schultern herab, gaben ihm ein imposantes Erscheinungsbild und täuschten gleichzeitig über seine Leibesfülle hinweg. Sein Zeremonienstab war beeindruckend: golden und mit geschliffenen Edelsteinen besetzt, die alle poliert worden waren, damit sich selbst bei höchster Auflösung nicht der kleinste Fleck auf ihnen zeigte.

Der Erzvater wirkte beruhigend, und seine Ähnlichkeit mit dem Weihnachtsmann war kein Zufall. Sein väterliches Gebaren passte gut dazu. Das Unisono war seit langer Zeit ein bequemer Bestandteil des Hanse- Lebens, wie ein gutmütiger alter Hund ohne Zähne. Aber das würde sich bald ändern. Mit der Rede, die der Erzvater heute halten sollte, begann eine neue Epoche.

Vor einem Jahrhundert, als frühere Hanse-Vorsitzende das Unisono geschaffen und ihm mit dem Erzvater ein Gesicht gegeben hatten, waren die symbolischen Verbindungen mit großer Sorgfalt gewählt worden. Der Erzvater erinnerte Basil in vielerlei Hinsicht an den Alten König Frederick, eine gehorsame Marionette, die nicht zu klug gewesen war.

»Sie sind bereit.« Basil formulierte es ganz bewusst nicht als Frage.

»Ich glaube schon, Vorsitzender.«

»Sie müssen ganz sicher sein. Sie bekommen keine zweite Gelegenheit.« Der Erzvater straffte die Schultern. Er war immer ein guter Schauspieler gewesen. »Ich bin gut vorbereitet worden und kenne sowohl den Text als auch die Konsequenzen für den Fall eines Versagens.« Seine Lippen bewegten sich, als wollten sie mit dem weißen Bart eins werden.

»Kein Lächeln! Weder jetzt noch in nächster Zukunft. Es darf nicht die geringste Gutmütigkeit in Ihren Augen geben, während Sie von der sich anbahnenden Katastrophe sprechen. Wenn wir General Lanyans Bilder vom Angriff auf Pym zeigen, müssen Sie empört und zornig sein angesichts der neuen Gefahr, der wir uns gegenübersehen. Sie dürfen dabei auf kei nen Fall wie ein Idiot grinsen.« Der Erzvater nickte verlegen, und Basil fuhr fort: »Von heute an wird Ihre Verantwortung wesentlich größer sein. Sie sind nicht länger lebendes Inventar, sondern eine Waffe im Dienst der Menschheit.«

Eine vorbereitete Menge hatte sich auf dem Platz des Palastdistrikts eingefunden. Normalerweise sprach der Erzvater vom Tempel des Unisono aus, doch diesmal hielt Basil den Flüsterpalast für besser. »Also los. Die Menschen warten auf Sie. Mein Stellvertreter und ich sehen von hier aus zu.«

Angetrieben von den Worten des Vorsitzenden ging der Erzvater los, begleitet von Bediensteten, die seine Umhänge glatt strichen und immer wieder imaginäre Fussel entfernten. Er wurde seiner neuen Rolle gerecht und ging mit schweren Schritten, stützte sich dabei auf den Zeremonienstab.

Der stellvertretende Vorsitzende Cain traf ein, und Basil nickte ihm zu. »Da sind Sie endlich. Gut. Ich möchte, dass Sie die Worte des Erzvaters hören.« Er nahm auf dem Balkon Platz, von dem aus er das Geschehen beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Unruhe kam ins Publikum, als die Ehrenwache zur Plattform marschierte und den Erzvater ankündigte.

»Die bisherigen Ansprachen des Erzvaters waren immer voller Gemeinplätze«, sagte Cain und blickte auf die Zuschauermenge hinab.

»Heute nicht. Von jetzt an nicht mehr.«

Der bärtige Mann stieg die Treppe hoch, und als er auf der hohen Plattform stand, breitete sich Stille aus. Der Erzvater begann mit dem traditionellen Gebet und fügte ihm einige militaristische Phrasen hinzu, die über das übliche »Kümmert euch umeinander und liebt Gott« hinausgingen. »Es gibt nichts Heiligeres als einen Soldaten, der für eine heilige Sache kämpft. Ich sage euch, was wir tun müssen.« Er hob den Stab und hielt ihn wie einen Speer - er hatte jetzt die volle Aufmerksamkeit des Publikums.

Seit General Lanyans Rückkehr hatte Basil geplant, den Fehlschlag in eine Art Stemmeisen zu verwandeln. Er verzichtete auf eine Zensur der schrecklichen Bilder von Pym und sorgte dafür, dass die Medien den Tod der TVF-Soldaten in allen blutigen Details zeigten. Noch bevor die überlebenden Kolonisten Gelegenheit bekommen hatten, sich Blut und Dreck von der Haut zu waschen und die zerrissene Kleidung zu wechseln, waren ihre Beschreibungen der schrecklichen Klikiss-Invasion in Wort und Bild festgehalten worden.

In den Nachrichtensendungen erschienen immer wieder die grässlichen Klikiss, aufgenommen von den Kameras in den Kampfanzügen der Soldaten. Millionen von Zuschauern erschauerten, als sie beobachteten, wie die Insektenwesen wehrlose Kolonisten töteten oder verschleppten.

»Diese Ungeheuer sind das Wunder, das wir gebraucht haben.« Basil lächelte zufrieden. »Dadurch fällt ein ganz neues Licht auf König Peters Rebellion und seine die Menschheit spaltenden Aktivitäten. Die Leute werden seine Politik als dumm und schädlich erkennen und sich nicht von ihr beeinflussen lassen. Die Bedrohung durch die Klikiss wird alle loyalen Bürger der Hanse veranlassen, sich enger zusammenzuschließen.«

»Vielleicht würden sie Peter ganz vergessen, wenn Sie ihnen einen neuen König gäben«, schlug Cain vor. »Wann wollen Sie Ihren neuen Kandidaten der Öffentlichkeit vorstellen? Wann zeigen Sie ihn mir?«

»Wenn es so weit ist. Im Moment brauchen wir etwas anderes. Religion ist der Schlüssel, und deshalb kommt dem Erzvater von jetzt an eine wichtige Rolle zu.« Basil deutete zum Podium. »Hören Sie ihm zu.«

Der Erzvater hielt seine Rede mit großem rhetorischem Geschick und sprach voller Leidenschaft. Die Worte bewegten das Publikum. »Sie haben die Bilder gesehen. Jene Geschöpfe greifen uns an und stehlen Welten, die wir unter großen Mühen besiedelt haben. Man nennt sie Klikiss.« Er hob eine Faust. »Aber ich nenne sie Dämonenl Keine wahrhaft gläubige Person braucht wissenschaftliche Erklärungen für eine so offensichtliche Antwort.« Die Leute riefen und jubelten.

»Ich spreche heute, um Ihnen Hoffnung zu geben, aber zuerst müssen wir uns einer unangenehmen Realität stellen. Zuerst müssen wir verstehen, warum die Dämonen gekommen sind. Wir haben diese Strafe selbst herbeigerufen, indem wir die Religion zugunsten weltlicher Dinge beiseiteschoben, indem wir Geschäft und Politik mehr Beachtung schenkten als Gott.«

Basil lächelte, als er die Überraschung in Cains Gesicht sah. »Ein guter Einfall, nicht wahr?«

»Zuerst brachten uns die Hydroger Zerstörung und Tod, aber wir haben sie besiegt. Dann wandten sich sogar der König und die Königin gegen uns, verließen Erde und Hanse - und kaum hatten sie sich von uns abgewandt, kamen die Klikiss.« Der Erzvater nickte weise. »An jener Stelle haben wir den rechten Weg verlassen. Peter verbreitet auch weiterhin seine vergif- teten Lügen über den Vorsitzenden und die Hanse - gegen uns alle. Dafür gibt es keine Vergebung, und Sie werden es bitter bereuen, wenn Sie auf ihn hören.

Die Klikiss-Dämonen sind als Strafe für unsere Abirrungen über uns gekommen. Wenn wir uns Rettung wünschen, so müssen wir unsere Denkweise ändern. In den nächsten Tagen werde ich einen großen Plan für unser aller Überleben verkünden. Gott straft uns nur als Erinnerung daran, dass wir ihn enttäuscht haben. Aber wie immer ist Gott gütig und wird uns den Weg zur Erlösung zeigen.«

Die Zuhörer jubelten. Basil war sehr zufrieden, doch Cain wirkte verwundert. »Das Unisono ist immer eine unstrittige Religion gewesen, die alle Glaubensrichtungen in sich vereint, ihnen damit Macht und Einfluss nimmt. Ich dachte, der Zweck des Unisono besteht vor allem darin, Fanatiker unschädlich zu machen und uns die Möglichkeit zu geben, ungestört unseren Geschäften nachzugehen.«

Basil schürzte die Lippen. »Bisher stimmte das, aber jetzt kann das Unisono keine harmlose Religion mehr sein. Nicht in Zeiten wie diesen. Der Erzvater wird, unter meiner Anleitung, weitere Ansprachen dieser Art halten.«