3.) Mensch gegen Maschine gegen Sand

 

Dubai liegt mitten in der Wüste, und das ist im Prinzip sehr schön - wenn nur der ganze Sand nicht wäre. Mit Sand stehe ich auf Kriegsfuß. Leider ist mein Gegner mir zahlenmäßig deutlich überlegen, was er mich auch gerne spüren lässt. Zum Beispiel mit einem ordentlichen Sandsturm. Man bringt nur mal kurz die Kinder zur Schule und wenn man zurückkommt, hat die Natur bereits das halbe Haus zurückerobert. Alles ist mit einer feinen, gelblichen Schicht überzogen. Da Sand klein und gemein ist, findet man auch Wochen später noch Körnchen in Ecken, Schubladen und sonst wo.

 

Und dann steht der Sand auch noch zwischen mir und meinen Freunden. Die machen alle am Wochenende gerne Wüstentouren, im höchsten Schreckensfall sogar mit Übernachtung. Während meine Freunde mit einer Wüstenübernachtung Lagerfeuer-Romantik und Grillen verbinden, kann ich nur an Skorpione, fehlenden Toiletten, kein fließendes Wasser, sowie Aufwachen in einem Schlafsack, der mit Schmirgelpapier ausgelegt zu sein scheint, denken.

 

Aber man tut ja was für seine sozialen Kontakte, zumal meine Kinder bei der Geburt vertauscht worden sein müssen. Die finden Wüstentouren auch klasse und schreien jedes Wochenende:

 

„Fahren wir heute in die Wüste?“

 

Dann fangen sie an, für eine Wüstentour so unverzichtbare Dinge wie Barbies, Knetmasse und Plüschtiere einzupacken und ich gebe nach, rufe die Freunde an, denen ich vor dem Wochenende noch verkündet hatte, dass ich gedenke, dieses Wochenende sauber, ruhig und ohne Gefahren zu verbringen, und sage:

 

„Wir fahren doch mit.“

 

Wobei, schon mit dem „fahren“ fängt es an: Wüstentouren bestehen vorwiegend daraus, dass man bzw. die Autos im Sand stecken bleiben. Aus diesem Grund darf man auf keinen Fall, nicht und niemals allein in die Wüste fahren. Sonst hat man keinen, der einen wieder rausziehen kann aus dem Sand. So zumindest die Theorie.

 

In der Realität läuft es eher so ab: Unser Grüppchen selbsternannter Wüstenfüchse fährt gut gelaunt los. Irgendwann erreicht es das Wüstengebiet, alle lassen die Luft aus den Reifen, damit die Autos nicht so leicht in den Sand einsinken und der Kampf Mensch gegen Natur kann beginnen.

Nach wenigen hundert Metern bleibt das erste Auto trotz fast platter Reifen stecken. Alle steigen aus. Die Männer stellen sich im Kreis um das festgefahrene Auto auf, begutachten es kritisch und fachsimpeln, wie das Gefährt zu befreien sein könnte. Die Frauen rollen gleichermaßen fachmännisch die Augen und beginnen damit, den Kindern bzw. Hunden nachzujagen, die die Gelegenheit beim Schopfe erfasst haben, hinter die nächste Düne zu verschwinden. Ich kann derweil nur noch an Treibsand und metergroße Kamelspinnen denken und weiß, dass ich besser zu Hause geblieben wäre.

 

Wenn die Frauen mit den eingefangenen Kindern und Vierbeinern zurückkommen, stehen die Männer immer noch da und beratschlagen. So auch nach dem zweiten vereitelten Fluchtversuch von Kindern und Tieren. Und nach dem dritten. Dann kommen für gewöhnlich ein paar „Locals“, die nicht älter als 12 sein können, in irgendwelchen uralten, abgewrackten, total verbeulten, ehemaligen Autos vorbei und fragen, ob sie helfen können. Die Männer verneinen dies, die Frauen schreien: „Unbedingt!“

 

Die Hilfe der Locals sieht im besten Falle so aus, dass sie die mit allen Wüstenschikanen ausgerüsteten Luxuskarossen der Expats mit einem an ihrem Schrottauto befestigten Seil innerhalb weniger Minuten aus ihren Sandgräbern ziehen. Im schlimmsten Fall jedoch setzen sie sich ans Steuer der steckengebliebenen Gefährte und fahren sie so einfach raus, als hätten diese gar nicht festgesteckt.

In diesem Fall ist die Laune der Herren ruiniert und sie grummeln vor sich hin, dass die jungen Bengel ja quasi im Sand und am Autosteuer aufgewachsen seien und sie das Auto selbstverständlich auch alleine da rausbekommen hätten. Die scheinheilige Nachfrage der Ehefrauen "Warum hast du es dann nicht gemacht?" hilft nicht wirklich weiter.

 

Während ich heimlich bete, dass irgendjemand vorschlagen möge, dass es nun reicht mit der Wüste und wir nach Hause fahren, bekommen wie durch ein Wunder alle plötzlich wieder gute Laune und es geht weiter. Bis das nächste Auto stecken bleibt.

 

Dies wiederholt sich fröhlich so weiter, bis man nach ein paar Stunden endlich den Rastplatz erreicht. Alle sind erschöpft, bauen aber trotzdem die Zelte auf und bereiten das große Grillen vor. Selbstverständlich bin ich mit meinen Visionen von Kindern, die in das riesige Lagerfeuer fallen und Hunden, die für immer in den Tiefen der Wüste verloren gehen, allein.

 

So verbringe ich meinen Abend am Lagerfeuer in Panik um meine Kinder plus den Hund und sehe ständig – unterstützt von den zwei Gläsern Wein, die ich zur Beruhigung getrunken habe – gigantische Skorpione aus den Flammen steigen. Irgendwann hat, Gott sei Dank, alles ein Ende und es geht ins Zelt. Nicht, dass es da sicherer wäre, aber nach dem Aufstehen geht es nach Hause.

 

Selbstverständlich ist an Schlaf nicht zu denken. Der Untergrund ist schief und beide Kinder rollen ständig auf mich. Ist aber nicht weiter schlimm, da der Hund jault und raus will. Unbemerkt hat das gute Tier am Abend vollkommen uneigennützig den Grill gesäubert und fängt nun an, sich im Zelt zu übergeben.

 

Mittlerweile ist der Punkt für mich erreicht, an dem ich einfach nur noch in mein richtiges Bett möchte. Geht natürlich nicht, weil man ja nicht allein durch die Wüste fahren darf. Nachts schon gar nicht. Ich halte also durch und vor allem ein, weil ich mich allein im Dunkeln nicht hinter die nächste Düne zur „Wüstentoilette“ traue. Mitten ins Zeltlager will ich auch nicht machen.

 

Am nächsten Morgen scheinen alle – außer mir – prächtig geruht zu haben, verbreiten grauenvoll gute Laune und beglückwünschen sich ständig gegenseitig, wie toll und naturbelassen so eine Nacht in der Wüste doch ist. Mehrere Stunden wird versucht, die mitgebrachten Gaskocher zum Funktionieren zu überreden, um Kaffee zu machen. Kaffee hätte ich auch gerne, mein Wunsch nach Hause unter die Dusche zu kommen, ist aber stärker. Also beginne ich aufzuräumen und die Zelte der gesammelten Mannschaft abzubauen.

 

Sobald ich fertig bin, finden auch die anderen, dass man jetzt nach Hause könnte. Beim Abschied klopft man sich nochmals auf die Schulter und freut sich aufs nächste Mal. Ich denke derweil darüber nach, wo ich Freunde finden könnte, die meine Vorliebe für Wochenenden am Strand eines 5-Sterne-Ressorts teilen. Und dann höre ich mich sagen:

 

„Ja, war wirklich schön. Bis zum nächsten Mal.“