Wo ist die neue Materie?
Abgesehen von der Frage, die ich oben stellte, war das andere große Problem beim Steady State die Frage nach dem Aufenthaltsort der neuen Materie. Warum können wir sie nicht sehen? Dies ähnelt folgender Frage, die manche Leute stellen: «Wenn neue Arten über evolutionäre Prozesse in Erscheinung treten, warum sehen wir dann nicht, wie dies überall geschieht? Warum spielt sich die Evolution von Tieren und Pflanzen nicht unmittelbar vor unseren Augen ab?» Die Schwierigkeit dabei ist der riesige Zeitraum, den die Evolution für ihre Entwicklung benötigt, sodass jeder beliebige Zeitraum, den wir beobachten können, nicht genügt, um etwas sehen zu können. Wenn das Steady-State-Modell wahr wäre, würden sich die Vorgänge gleichermaßen so abspielen, dass auf unserer Zeitskala der Beobachtung nur eine kleine Menge Materie erschaffen werden müsste. Wie Fred Hoyle sich ausdrückte, ginge es dabei in einem Zeitraum von 100 Jahren und in einem Raum von der Größe des Empire State Building um die Neubildung eines einzigen Atoms.
Von den späten 1940er Jahren, als die Steady-State-Theorie erstmals formuliert wurde, bis zu den frühen 1960er Jahren gab es kaum einen Anlass, eine wohlbegründete Entscheidung für eine der beiden Theorien zu treffen, sodass häufig Vorurteile oder Interessenverbände ins Spiel kamen. Manch einer stellte das Modell als eher altmodisch dar, weil es sich nicht ausreichend von der einst vorherrschenden Theorie eines statischen Universums unterschied. Andere wiederum glaubten, der Urknall sei ein altmodisches Konzept, weil er auf die Genesis der Bibel zurückgreife. Wieder andere teilten sich in nationale Lager auf, da der Urknall aus den Vereinigten Staaten kam und der Steady State eine britische Theorie war.
Obwohl wenig darüber berichtet wird, gab es durchaus interessante Parallelen zwischen diesen Theorien und der Entwicklung geologischer Modelle ein Jahrhundert zuvor. Wie wir bereits gesehen haben, nahm man lange Zeit an, dass die Erde ihre Form einer Reihe von Katastrophen verdankte wie die ursprüngliche Schöpfung und die Sintflut, die in der Bibel beschrieben werden. Als sich aber die Geologie von Katalogisierungsübungen zunehmend zu einer echten Wissenschaft entwickelte, stellte man fest, dass es sich dabei viel häufiger um einen allmählichen Prozess handelte, den man Gradualismus oder Aktualismus nannte. Bei diesem heute weitgehend akzeptierten Ansatz hält man geologische Prozesse für kontinuierliche Vorgänge, die sowohl in der Vergangenheit als auch heute ohne plötzlichen katastrophischen Wandel auskommen. Der Steady State war eine solche gleichförmige Theorie, während der Urknall ein katastrophisches Modell war – ein Denkmuster, das außerhalb der Kosmologie von der Wissenschaftsphilosophie größtenteils abgelehnt wurde.
Als das Steady-State-Modell fest etabliert war, konnte es Punkte machen, nicht unbedingt, weil es möglich war, die Richtigkeit des Steady State zu beweisen, sondern vielmehr weil ein Schlüsselelement des Urknalls nicht mit der Realität übereinstimmte. Denken Sie daran: Man kann Theorien nur widerlegen und nicht beweisen. Das große Problem des Urknalls war das Alter des Universums. Wie wir bereits sahen, gab es seit den 1930er Jahren das ernste Problem, dass das Alter des Universums als wesentlicher Bestandteil der Urknalltheorie erheblich jünger zu sein schien als die Erde und die Sterne. Erst wenn dieses Problem gelöst war, konnte der Urknall eine Chance auf Erfolg haben.
Im Lauf der 1950er Jahre wurde das Alter des Universums zunächst auf 3,6 Milliarden Jahre, dann auf 5 und schließlich auf mehr als 10 Milliarden Jahre festgelegt. Nun stand das Alter des Universums der Urknalltheorie nicht mehr im Weg, aber es versetzte dem Steady State noch nicht den Todesstoß. Nur weil der Urknall jetzt logisch denkbar war, musste er noch lange nicht wahr sein.