Die Trennung von Schöpfer und Schöpfung

Auch wenn die weitgehend im Westen vom alten Griechenland ausgehende philosophische Revolution die Menschen in die Lage versetzte, das Universum in einer abstrakteren Weise zu betrachten – ohne sich auf einen bestimmten Schöpfer festzulegen –, fanden Philosophie und Religion weiterhin keinen gemeinsamen Nenner, sondern blieben zwei Parallelwelten. Selbst als Newton erste wissenschaftliche Zusammenhänge eines auf physikalischen Gesetzen beruhenden Universums nachwies, war dies kein Grund, die biblischen Ursprünge der Mythen in Zweifel zu ziehen. Noch im 19. Jahrhundert war es gang und gäbe, die Lebensdauer von in biblischen Geschichten auftretenden Schlüsselfiguren bis zu Adam und Eva zurückzuverfolgen, um auf diese Weise die Schöpfung im Buch der Bücher zeitlich zu datieren.

Doch in dem Maße, wie sich das Bild des durch einen Schöpfungsakt entstandenen Universums änderte – und diese Veränderungen wurden stets drastischer –, schien die Notwendigkeit immer größer zu werden, sich von dem auf einem Mythos basierenden Vergangenheitsbild zu lösen und den Versuch zu unternehmen, einen wissenschaftlich fundierten Erklärungsansatz zu finden. Dies musste nicht zwangsläufig bedeuten, Gott außen vor zu lassen. Viele Leute waren (und sind nach wie vor) durchaus angetan von der Idee, zur Erklärung der Entstehung des Universums eine wissenschaftliche Methodik mit einer göttlichen Intervention zu kombinieren, um diese Methodik zur Anwendung kommen zu lassen. Alles deutet darauf hin, dass Gott – vorausgesetzt, die Welt, in der wir leben, ist seine Schöpfung – bestrebt ist, die Funktionsweise der kleineren Dinge um uns herum nach logischen, wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu gestalten; wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass der Herr die Entstehung des Universums in anderer Weise in Angriff nahm.

Der Schritt, Religion und das Wesen des Universums in seiner Deutung zu trennen, beruht ausschließlich auf wissenschaftlichen Erkenntnissen (scientia auf Lateinisch), was sich am augenfälligsten in dem relativ unvermittelten Aufkommen einer erklärenden Philosophie in der alten griechischen Zivilisation im 6. Jahrhundert v.Chr. niederschlug. Dies führte nicht zwangsläufig zu einer plötzlichen und vollständigen Abkehr von dem Bild der Schöpfung, wie es von Mythen gepflegt wird. So findet sich zum Beispiel in der mythologischen Kosmologie der alten Griechen aus jener Zeit die Version, das Universum sei aus einem formlosen Chaos hervorgegangen, das ein Feuermeer war.

Als Anaximander, ein griechischer Philosoph aus Milet in Anatolien (heute Türkei), der in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. lebte, mit einer «wissenschaftlichen» Kosmologie aufwartete (wissenschaftlich in dem Sinne, dass er behauptete, physikalischen Gesetzen unterliegende Kräfte und nicht etwa die Götter hätten das Universum geschaffen), hielt er zwar an der Existenz des Universalfeuers der Schöpfung fest, stellte sich jedoch das heutige, geordnete Universum als eine Art Schutzschild vor, der uns vor dem Feuer bewahrte. Dieser Schutzschild wies verschiedene Löcher auf – ein großes, aus dem die Sonne entstand, sowie mehrere kleinere für die Sterne. Licht und Wärme gingen also aus dem urzeitlichen Feuermeer hervor, in dem unser Universum wie eine Insel schwebte.

Die Trennung zwischen dem physikalischen Gesetzen unterliegenden Wesen der Natur und den Göttern stieß in Griechenland keineswegs auf uneingeschränkte Zustimmung. Wie in so vielen anderen Punkten im Weltbild der alten Griechen setzte sich auch in diesem Fall Aristoteles’ Sicht der Dinge durch und sorgte – richtigerweise – für eine derartige Trennung. Aristoteles wurde im Jahr 384 v.Chr. im nordgriechischen Stageira geboren und trat mit 17 Jahren in Platons Akademie in Athen ein, wo er 20 Jahre lang bleiben sollte. Der Begriff «Akademie» ist längst zu einem festen Bestandteil unseres Wortschatzes geworden, weshalb es durchaus erwähnenswert ist, dass es sich hierbei um das Original handelt.

Platon, der 427 v.Chr. in Athen geboren wurde, hatte seine Philosophenschule gegründet, nachdem er – einige Jahre vor Aristoteles’ Geburt – aus dem Militärdienst ausgeschieden war. Wie so mancher, der in der Armee gedient hatte, war er von den Fähigkeiten der Politiker nicht allzu beeindruckt, und so rief er seine Schule eigens zu dem Zweck ins Leben, deren Auftreten im öffentlichen Leben qualitativ zu verbessern. Die in Athen ansässige Akademie befand sich auf dem Gelände eines Olivenhains, das einem Mann namens Akademos gehörte – daher die Bezeichnung «Akademie». Als Aristoteles auf den Plan trat, genoss die Akademie bereits hohes Ansehen. Sie sollte bis zum Jahr 529 n.Chr. ihre Pforten geöffnet haben, konnte also schließlich auf stolze 900 Jahre ihres Bestehens zurückblicken; selbst die Universitäten von Oxford und Cambridge, die ältesten Universitäten im angelsächsischen Raum, werden dieses bemerkenswerte Alter erst im 22. Jahrhundert erreichen.

Aristoteles war der Ansicht, die einzige Lichtquelle im Universum sei die Sonne. Die Sterne, so glaubte er, würden ebenso wie der Mond lediglich reflektiertes Sonnenlicht darstellen. Ihm war klar, dass der Mond verfinstert würde, wenn der Erdschatten auf ihn fällt, und dass dieses Phänomen bei den Sternen nicht zu beobachten war, was er jedoch nicht als Problem einschätzte. Er dachte, die Sterne würden nie vom Erdschatten verdunkelt, weil dieser Schatten sich nur bis zum Planeten Merkur erstreckte, jedoch nicht darüber hinaus, und folglich keine Auswirkungen auf diese weiter entfernten reflektierenden Lichtquellen habe.

Es ist interessant, dass ausgerechnet der im Mittelalter lebende Protowissenschaftler Roger Bacon, der Aristoteles als eine unbestrittene Kapazität betrachtete, die Sache mit dem Sternenlicht in Frage zu stellen bereit war. Er hielt es für ausgeschlossen, dass sich Sternenlicht in dieser Weise verhielt, und so schien ihm die These, die Sterne seien von einer Sonnenfinsternis nicht betroffen, ausgesprochen lästig, war doch das Sonnenlicht laut Aristoteles durchaus in der Lage, die Gestirne zu erreichen und von diesen wie von Spiegeln reflektiert zu werden.

Allerdings lag Bacon nicht in allen Punkten richtig. Er glaubte, auch der Mond schiene aus eigener Kraft, und verweigerte sich der Erkenntnis, dass seine Helligkeit allein der Reflexion des Sonnenlichts geschuldet sein könnte. Er dachte zwar, das Sonnenlicht verstärke die Leuchtkraft des Mondes (weshalb dieser vom Schatten der Sonne überlagert werden und dunkle Phasen aufweisen könne), jedoch in der Weise, dass es lediglich eine stärkere, dem Mond selbst innewohnende Leuchtkraft erzeuge.

Das Universum war – zumindest für die Verfasser der frühen Schöpfungsmythen – ein sehr kleiner Ort. Es umfasste nur die Erde sowie einen Himmel, der diese umgab und in seiner Gesamtheit einer über die Erdoberfläche gespannten, dünnen Haut glich. Möglicherweise existierte ein größerer leerer Raum, in dem das Universum schwebte, der allerdings über keine nennenswerten Ausmaße verfügte. Als sich der antike griechische Philosoph und Ingenieur Archimedes schließlich anschickte, die Größe des Universums zu berechnen, um zu ermitteln, wie viel Sand vonnöten wäre, um es aufzufüllen, war es bereits erheblich angewachsen und wies einen Durchmesser von etwa 1800 Millionen Kilometern auf – nach heutigen Maßstäben jedoch nach wie vor eine winzige Größenordnung.

Vor dem Urknall
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