Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Gibt es noch etwas anderes außer der Gegenwart? Wahrscheinlich nicht. Die Vergangenheit steht fest und kann nicht beeinflusst werden. Wir können sie weder sehen noch mit ihr in Kontakt kommen. Wir stützen uns auf zerbrechliche (und häufig falsche) Erinnerungen, die uns mit der Vergangenheit verbinden. Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Vor kurzem erhielt ich die E-Mail eines Freundes, der sagte, er habe mich mit meinem Hund spazieren gehen sehen und ich hätte dabei mit dem Handy telefoniert. Ich wusste, das konnte nicht stimmen, erstens, weil ich an diesem Nachmittag nicht mit dem Hund draußen gewesen war, und zweitens, weil ich nie das Telefon mitnehme, wenn ich mit dem Hund rausgehe, da ich mir dadurch die Gelegenheit zum Nachdenken verderbe.
Stellen wir uns jetzt vor, nur um die Geschichte auf die Spitze zu treiben, er habe gesehen, wie «ich» einen Mord beging. Nach der Auffassung meines Freundes von der Vergangenheit habe ich also gemordet. Er sah es mit eigenen Augen aufgrund seiner Erinnerung. Nach meiner eigenen Auffassung von der Vergangenheit allerdings weiß ich genau, dass ich nicht einmal dort war. Ein Gericht könnte seine Version der Ereignisse übernehmen und mich schuldig sprechen. Das wäre dann die offizielle Version der Vergangenheit, aber sie enthielte nicht das, was wirklich geschah. Die Vergangenheit ist nichts weiter als eine Kette von Erinnerungen.
Manch einer behauptet, dies sei eine altmodische Ansicht. Die Erinnerung war tatsächlich unsere einzige Verbindung mit der Vergangenheit, bevor die Technik ins Spiel kam. Inzwischen können wir uns auf Fotografien und Videos stützen, die die Vergangenheit wieder lebendig werden lassen. Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, sind viele unserer «Erinnerungen» früherer Ereignisse überhaupt keine wahren Erinnerungen: Sie sind die von Kameras eingefangenen Bilder. Dieses Argument verfehlt allerdings das Thema. Selbst wenn man über all diese Fotos und Videos verfügt, schaut man sie nicht genau jetzt alle an. Im Jetzt, in diesem Augenblick, sind sogar Ihre Fotos und Videos nur ein Bezugspunkt in Ihrem Gedächtnis.
Was die Zukunft betrifft, haben wir es nicht mit festgelegten Dingen zu tun, sondern vielmehr mit einer Ansammlung von Wahrscheinlichkeiten. Denken Sie an morgen. Ich könnte in der Nacht sterben. (Verzeihen Sie mir den morbiden Zug, aber das hilft mir, die Sache auf den Punkt zu bringen.) Für mich gäbe es dann keinen morgigen Tag, jedenfalls nicht so, wie ich normalerweise damit umgehe. Ich kann nicht behaupten, morgen sei in irgendeinem Sinn real. Der griechische Philosoph Aristoteles fand eine nützliche Analogie für das Nachdenken über die Zukunft. Er schlug vor, wir sollten über die Olympischen Spiele nachdenken.
Aristoteles legte nahe, es gebe eine andere Klasse von Dingen für den Alltag, ein potenzielles Ding. Existieren die Olympischen Spiele? Natürlich gibt es sie, niemand zweifelt daran. Aber nun stellen Sie sich vor, ein Außerirdischer tauchte in einer fliegenden Untertasse auf (hier kommt eher meine eigene Phantasie ins Spiel als die des Aristoteles) und bittet Sie, ihm diese «Olympischen Spiele» zu zeigen. Sie könnten es nicht. Es gibt sie zwar, aber nicht in dem Sinn, dass Sie derzeit mit ihnen in Kontakt treten und sie fühlen könnten (es sei denn, Sie lesen dieses Buch gerade – was für ein eigenartiger Zufall – als Zuschauer bei Olympischen Spielen). Dasselbe gilt für die Zukunft. Sie hat das Potenzial, in Erscheinung zu treten, aber man kann sie nicht erleben.
Deshalb ist die einzige Realität der unendlich kleine Schnipsel Zeit, der die Gegenwart darstellt. Das Jetzt. Wir glauben, wir könnten mit längeren und kürzeren Zeiträumen jonglieren, aber worüber wir in Wirklichkeit reden, ist entweder die Erinnerung vergangener Zeit oder zukünftige Zeit. Wir erleben keine längeren Zeitabschnitte. Stellen Sie sich vor, Sie hätten acht Stunden in einem kahlen Wartezimmer ohne Zeitschriften oder die Möglichkeit, irgendetwas zu tun, warten müssen, um jemanden zu treffen. Wahrscheinlich würden Sie sagen, es sei eine quälend lange Wartezeit gewesen. Aber eigentlich würden Sie gar keine lange Zeit erleben. Sie würden voraussehen, welche lange Wartezeit vor ihnen liegt. Sie würden sich an eine lange Wartezeit erinnern, nachdem sie vorbei ist. Aber erleben würden Sie stets nur den bruchstückhaften Augenblick des Jetzt.
Betrachten wir den Urknall aus einer augustinischen Perspektive (was in sich selbst eine seltsame Verzerrung der Zeit ist, denn wir nehmen ja den Standpunkt eines Menschen ein, der 1600 Jahre vor der Erfindung des Begriffs Urknall lebte), dann fangen wir mit dem «Jetzt» des Urknalls selbst an. Um die Vergangenheit müssen wir uns keine Sorgen machen. Kein Bedarf für einen kausalen Anschub, der von Natur aus ein «Davor» erfordert. Ganz allein der Urknall in einem «Jetzt», das dem Jetzt ähnelt, das Sie gerade erleben. Jetzt – dieser Augenblick. Wenn Sie dieses nächste Wort lesen werden. Jetzt.
Ich empfehle Ihnen wirklich, einen Augenblick innezuhalten (was selbst schon ein heikles Konzept in dieser zeitlosen Auffassung vom Bewusstsein ist), um sich mit diesen Vorstellungen vertraut zu machen. Spielen Sie ein wenig mit diesen Begriffen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Erwerben Sie sich ein Gefühl für das Konzept des Anfangs der Zeit. Es gibt kein «Davor».
Die Vorstellung, die Zeit habe mit dem begonnen, was Augustinus die Schöpfung nennen würde, ist nicht allein die Meinung eines Klerikers aus dem vierten Jahrhundert, auf den man sich heute immer noch beruft (obwohl ich es in der Tat faszinierend finde, dass in fast jedem Buch über den Urknall Augustinus erwähnt wird und ich es selbst in unserer Zeit noch lohnenswert finde, die Bekenntnisse zu lesen). Es ist eine echte Schlussfolgerung, die wir aus unserem modernen Verständnis von Raum und Zeit ziehen und die nun einmal mit den Vorstellungen des Augustinus in Einklang steht. Und so wird er immer wieder hineingezogen.