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In Much Deeping war alles erfreulich normal. Rhoda war wieder einmal damit beschäftigt, ihre Hunde zu kurieren – ich glaube, diesmal handelt es sich um Wurmpulver. Sie schlug mir vor, ihr behilflich zu sein, doch ich weigerte mich und erkundigte mich nach Ginger.
»Sie ist zum ›Fahlen Pferd‹ hinübergegangen.«
»Was?«
»Ja, sie wollte dort irgendetwas erledigen.«
»Aber das Haus steht doch leer.«
»Ich weiß.«
»Sie wird sich überanstrengen; sie ist noch nicht kräftig genug, um…«
»Mach doch keine solchen Geschichten, Mark. Ginger geht es ausgezeichnet. Hast du Mrs Olivers neuestes Buch schon gesehen? Es heißt The White Cockatoo – liegt drüben in der Halle auf dem Tisch.«
»Gott segne Mrs Oliver! Und auch Edith Binns.«
»Wer um alles in der Welt ist Edith Binns?«
»Eine herrliche Frau, die eine Fotografie erkannt hat. Außerdem war sie die selbstlose Betreuerin meiner verstorbenen Patin.«
»Mark, du sprichst in Rätseln. Was ist denn nur los mit dir?«
Ich gab keine Antwort mehr, sondern machte mich auf den Weg zum »Fahlen Pferd«. Kurz davor stieß ich auf Mrs Dane Calthrop.
Sie begrüßte mich begeistert.
»Ich wusste doch die ganze Zeit schon, dass ich eine Riesendummheit gemacht hatte«, rief sie. »Aber ich sah nicht, welche. Sich so durch eine lächerliche Tarnung bluffen zu lassen! Es ist unfassbar!«
Sie wies mit der Hand zu dem alten Haus hinüber, das friedlich in der winterlichen Sonne lag.
»Ginger ist dort. Kommen Sie mit, wir wollen sehen, was sie treibt.«
»Weshalb ist sie hergekommen?«
»Sie wollte irgendetwas reinigen.«
Wir gingen durch den niedrigen Torbogen. Sofort machte sich ein starker Terpentingeruch bemerkbar. Ginger war sehr beschäftigt mit Flaschen und Lappen. Bei unserem Eintritt blickte sie auf. Sie war noch sehr blass und schmal. Ein Schal wand sich um ihren Kopf, dort, wo die Haare ausgegangen waren.
»Ihr geht es wieder gut«, bemerkte Mrs Calthrop, die wie üblich sofort meine Gedanken gelesen hatte.
»Schaut!«, rief Ginger triumphierend.
Sie zeigte auf das alte Wirtshausschild, an dem sie arbeitete. Der Schmutz der Jahrhunderte war entfernt, deutlich war die Gestalt eines Reiters erkennbar: ein grinsendes Skelett, das auf dem Pferde saß.
Hinter mir ertönte Mrs Calthrops Stimme, tief und wohl klingend: »Offenbarung, Kapitel sechs, Vers acht. Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, des Name hieß, Tod und die Hölle folgte ihm nach…«
Wir schwiegen alle eine Zeit lang. Dann meinte Mrs Calthrop, seelenruhig wieder ins Profane zurückfallend: »So ist das also …«, in einem Ton, der alles in den Papierkorb wischte.
»Ich muss jetzt gehen«, fuhr sie fort. »Mütterversammlung.«
Auf der Schwelle blieb sie stehen, nickte Ginger freundlich zu und erklärte mit Entschiedenheit: »Sie werden eine gute Mutter abgeben.«
Aus irgendeinem Grund wurde Ginger feuerrot.
»Ginger«, fragte ich leise. »Willst du?«
»Ob ich was will? Eine gute Mutter abgeben?«
»Du weißt genau, was ich meine.«
»Vielleicht… aber ich möchte es gern genauer wissen.«
Ich machte es ihr klar.
Nach diesem Zwischenspiel erkundigte Ginger sich: »Bist du auch ganz sicher, dass du nicht dieses Hermia-Geschöpf heiraten möchtest?«
»Du liebe Zeit!«, rief ich. »Das hatte ich völlig vergessen.« Damit zog ich ein Briefchen aus meiner Tasche.
»Das erhielt ich vor drei Tagen. Sie fragte an, ob ich mit ihr ins Old Vic gehen wolle zu einer Vorstellung von Love’s Labour’s Lost.«
Ginger nahm den Brief und zerriss ihn in kleine Fetzen.
»Wenn du in Zukunft ins Old Vic gehen willst, dann wirst du das mit mir tun.«