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Inspektor Lejeune machte sofort einen Vertrauen erweckenden Eindruck auf mich. Sein ganzes Auftreten verriet ruhige Sicherheit und Tüchtigkeit. Außerdem aber schien er ein Mann zu sein, der auch bereit war, außergewöhnliche Faktoren nicht einfach von der Hand zu weisen.

»Dr. Corrigan hat mir von Ihrem Zusammentreffen berichtet«, begann er freundlich. »Er hat sich von Anfang an für diese Sache interessiert. Pater Gorman war sehr beliebt und geachtet in seinem Bezirk. Und Sie glauben also, wichtige Informationen für uns zu haben?«

»Ja. Diese Informationen betreffen in erster Linie ein altes Wirtshaus, das ›Fahle Pferd‹, in der Ortschaft Much Deeping.«

»Bitte erzählen Sie mir, was Sie darüber wissen.«

Ich begann mit der ersten Erwähnung des Namens durch Poppy. Dann schilderte ich meinen Besuch bei Rhoda und meine Einführung bei den »drei unheimlichen Schwestern«. So genau wie möglich wiederholte ich Thyrzas Reden an jenem Nachmittag. »Sie waren anscheinend sehr beeindruckt davon.«

Ich geriet in Verlegenheit. »Nun, nicht eigentlich… Ich meine, ich konnte wirklich nicht ernsthaft an…«

»Wirklich nicht, Mr Easterbrook? Es scheint mir aber doch so.«

»Sie haben Recht, Inspektor. Man gibt eben nicht gern zu, wie leichtgläubig man ist.«

Lejeune lächelte bloß.

»Sie haben etwas ausgelassen. Ihr Interesse erwachte nicht erst, als Sie nach Much Deeping kamen. Was war der ursprüngliche Grund?«

»Ich glaube, die Angst und das Entsetzen von Poppy haben mich zuerst stutzig gemacht. Dann traf ich mit Dr. Corrigan zusammen und er zeigte mir die Namenliste, die man bei Pater Gorman gefunden hatte. Zwei dieser Namen kannte ich und wusste, dass die Betreffenden tot waren. Auch den Namen von Mrs Delafontaine hatte ich schon gehört, doch erst später erfuhr ich von ihrem Tod.«

»Fahren Sie fort.«

Ich erzählte ihm von meinem Besuch bei Mrs Tuckerton und schließlich kam ich auf Mr Bradley in Birmingham zu sprechen. Der Inspektor folgte meinen Ausführungen aufmerksam. Bei diesem letzten Namen fuhr er auf.

»Bradley«, sagte er. »Soso, der hat auch die Finger mit drin.«

»Kennen Sie den Mann?«

»O ja, ganz genau. Er hat uns schon viel Kopfzerbrechen gemacht. Er ist ein glattzüngiger Schurke, ein Meister der Winkelzüge, immer haarscharf am Rande der Legalität balancierend. Ich würde ihm zutrauen, ein Buch zu schreiben über ›Hundert Wege, das Gesetz zu umgehen‹. Aber Mord – ein richtig organisierter Mord… nein, das scheint mir nicht auf seiner Linie zu liegen.« Lejeune schüttelte nachdenklich den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht.«

»Können Sie etwas gegen ihn unternehmen, nachdem ich Ihnen von unserer Unterhaltung berichtet habe?«

»Das ist leider nicht möglich. Erstens sind keine Zeugen vorhanden – er könnte alles als eine Erfindung von Ihnen abtun. Außerdem hat er natürlich Recht, wenn er behauptet, man könne in unserem Land Wetten über alles und jedes abschließen. Er wettet darum, dass jemand nicht sterben wird – und verliert. Wo liegt da das Verbrechen? Solange wir Bradley nicht mit der wirklich kriminellen Seite der Angelegenheit in Verbindung bringen können, lässt sich nichts gegen ihn unternehmen. Und das dürfte nicht leicht sein!«

Mit einem Achselzucken ging der Inspektor über diesen Punkt hinweg. Er überlegte einen Augenblick und fragte dann: »Sind Sie zufälligerweise in Much Deeping auf einen Mann namens Venables gestoßen?«

»Ja«, gab ich erstaunt zurück. »Wir waren sogar bei ihm zum Essen eingeladen.«

»Ah! Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?«

»Einen sehr guten. Der Mann ist eine starke Persönlichkeit, obwohl er Invalide ist.«

»Ich habe davon gehört. Kinderlähmung, nicht wahr?«

»Er kann nur in einem Rollstuhl herumfahren. Aber diese körperliche Behinderung scheint seinen Geist nur noch lebhafter gemacht zu haben.«

»Können Sie mir etwas mehr über ihn berichten?«

Ich schilderte ihm das Haus, die Kunstgegenstände und das große Interesse, das Venables an allem zeigte.

»Schade«, seufzte Lejeune.

»Wie meinen Sie das?«

»Schade, dass er ein Krüppel ist«, erklärte der Inspektor trocken.

Mir kam plötzlich ein Gedanke.

»Sind Sie dessen wirklich ganz sicher? – Ich meine: Er könnte das Gebrechen nicht bloß vortäuschen?«

»Wir sind so sicher, wie man nur sein kann. Sein Arzt ist Sir William Dugdale – Harley Street –, ein Mann, der über jeden Verdacht erhaben ist. Wir besitzen Sir Williams Versicherung, dass Mr Venables unter Muskelschwund leidet. Mag unser kleiner Apotheker noch so bestimmt in ihm den Verfolger Pater Gormans zu erkennen glauben – er irrt sich.«

»Ich verstehe.«

»Wie gesagt, es ist schade drum. Denn wenn es so etwas wie einen organisierten Mord gibt, dann wäre Mr Venables ganz die Persönlichkeit, das Ganze zu planen.«

»Ja, das eben dachte ich auch.«

Mit dem Zeigefinger zeichnete Lejeune verschlungene Kreise auf seine Schreibtischplatte. Plötzlich blickte er scharf auf.

»Lassen Sie uns zusammenstellen, was wir bereits wissen. Es scheint ziemlich sicher, dass es wirklich eine Organisation gibt, die es sich zum Ziel gesetzt hat, lästige Personen aus der Welt zu schaffen. Diese Leute gehen jedoch nicht mit brutaler Gewalt vor und nichts beweist uns bis jetzt, dass die Opfer nicht eines vollkommen natürlichen Todes gestorben sind. Ihren Angaben über diesen Punkt kann ich noch hinzufügen, dass auch wir verschiedene unklare Informationen erhalten haben über weitere Personen, die auf Pater Gormans Liste stehen. Die Todesursachen schienen immer einwandfrei… weniger einwandfrei die Leute, die davon profitierten. Wir besitzen jedoch keine Beweise.

Die Sache ist klug ausgedacht, Mr Easterbrook, verdammt klug! Und wir besitzen nur eine relativ kleine Namenliste. Der Himmel mag wissen, wie weit verbreitet die ganze Sache ist!«

Er schüttelte zornig den Kopf und fuhr fort: »Nehmen wir nur einmal diese Frau – Thyrza Grey. Sie sagten mir, dass sie mit ihren geheimnisvollen Kräften prahlte. Nun, das kann sie ohne jede Gefahr tun. Mag man sie einsperren, des Mordes anklagen – sie kann ihre Vergehen vor jedem Gericht laut bekennen… und man müsste sie trotzdem wieder auf freien Fuß setzen. Sie ist nie direkt in Verbindung mit den Menschen getreten, die auf unserer Liste stehen; das wird sich bestimmt beweisen lassen. Nach ihren eigenen Angaben sitzt sie ruhig in ihrer Scheune und arbeitet nur per Telepathie. Jeder Gerichtshof würde darob in brüllendes Gelächter ausbrechen.«

Ich atmete tief durch und sagte überstürzt: »Vielleicht haben wir eine Möglichkeit, tiefer in die Sache einzudringen. Ich habe mit einer Freundin zusammen einen Plan ausgearbeitet. Sie mögen ihn vielleicht für sehr dumm halten…«

»Überlassen Sie die Beurteilung ruhig mir.«

»Ich entnehme Ihren Worten, dass Sie an die Existenz einer solchen Organisation glauben und auch daran, dass sie… Resultate erzielt.«

»Ganz bestimmt.«

»Aber wir wissen nicht, wie diese zu Stande kommen. Nur die ersten Schritte sind uns bekannt. Ein… Kunde setzt sich mit Mr Bradley in Birmingham in Verbindung und unterschreibt einen gewissen Vertrag. Wahrscheinlich wird er daraufhin an das ›Fahle Pferd‹ verwiesen. So weit ist uns alles klar. Was aber geschieht dann? Um genauer zu sein: Was geht im ›Fahlen Pferd‹ vor? Das muss jemand herausfinden.«

»Weiter!«

»Nun – ich bin bereit, als Kunde dorthin zu gehen.«

Lejeune starrte mich sprachlos an.

Ich erzählte ihm alles, was Ginger und ich geplant hatten. Er hörte mit gerunzelter Stirn zu und zupfte an seiner Oberlippe.

»Mr Easterbrook, ich verstehe Ihren Standpunkt. Aber sind Sie sich auch klar darüber, in welche Gefahr Sie und Ihre Freundin sich begeben? Vor allem Ihre Freundin?«

»Und ob ich das weiß!«, seufzte ich. »Wir haben stundenlang darüber gestritten. Mir sagt diese Rolle, die sie spielen will, gar nicht zu. Aber sie lässt sich nicht davon abbringen – nicht um alles in der Welt.«

Ganz unerwartet fragte Lejeune: »Ihre Freundin ist rothaarig, nicht wahr, so sagten Sie doch?«

»Ja«, gab ich verblüfft zu.

»Mit einem Rotschopf kann man nicht argumentieren«, lächelte der Inspektor. »Glauben Sie mir – ich muss es wissen!«

Ich fragte mich, ob seine Frau zu dieser Sorte gehörte.