1
Die Espressomaschine hinter meinem Rücken zischte wie eine zornige Schlange. Das Geräusch klang unheimlich, um nicht zu sagen drohend in meinen Ohren, und ich dachte bei mir, dass fast alle unsere neuzeitlichen technischen Errungenschaften das gleiche Gefühl erwecken. Das bösartige Heulen eines Düsenflugzeugs, das dumpf-einschüchternde Dröhnen der Untergrundbahn, die schweren Lastzüge, die die Fundamente unserer Häuser erbeben lassen… selbst die gewöhnlichsten Haushaltsgeräte mahnen zur Vorsicht, so große Erleichterungen sie auch bieten mögen. Staubsauger, Waschmaschinen, Schnellkochtöpfe, Geschirrspüler und Eisschränke scheinen zu sagen: Vorsicht, ich bin zwar zu deiner Bequemlichkeit da, aber wehe, wenn du die Kontrolle über mich verlierst!
Eine gefährliche Welt – ja, wahrhaftig gefährlich.
Ich rührte in dem dampfenden Kaffee, der vor mir stand. Er duftete höchst angenehm.
»Was möchten Sie sonst noch? Ein schönes Sandwich mit Schinken und Banane?«
Das schien mir eine seltsame Kombination. Bananen erinnerten mich an meine Kindheit – oder höchstens noch an bananes flambées mit Zucker und Rum. Und Schinken war in meiner Vorstellung unweigerlich mit Eiern verbunden. Aber man muss mit den Wölfen heulen und da ich in Chelsea mit seinen vielen italienischen Restaurants lebte, musste ich mich eben den Gewohnheiten von Chelsea beugen. Also bestellte ich ein schönes Sandwich mit Schinken und Banane.
Obwohl ich nun schon seit drei Monaten hier eine möblierte Wohnung hatte, fühlte ich mich in dieser Gegend von London immer noch als Fremdling. Ich schrieb an einem Buch über die Architektur der Moguln, doch dazu hätte ich mich genauso gut in jedem beliebigen anderen Stadtteil niederlassen können. Meine Umgebung war mir völlig gleichgültig, sofern sie nicht direkt meine Arbeit betraf – ich lebte völlig in meiner eigenen Welt.
An diesem Abend jedoch hatte ich unter jenem Unlustgefühl gelitten, das jeden Schriftsteller von Zeit zu Zeit ergreift.
Lebensweise und Architektur der Moguln und all die faszinierenden Probleme, die sich daraus ergaben, fand ich auf einmal tödlich langweilig. Was bedeuteten sie schon? Weshalb wollte ich eigentlich darüber schreiben?
Ich blätterte zurück und überflog noch einmal, was ich bereits geschrieben hatte. Es schien mir alles gleich schlecht; erbärmlich geschrieben und unwahrscheinlich eintönig. Wer immer es auch gesagt hatte: »Geschichtliche Ereignisse sind nur Hindernisse auf unserm Weg« – vielleicht Henry Ford? –, der hatte vollkommen Recht gehabt.
In dieser Stimmung stieß ich mein Manuskript hasserfüllt von mir, stand auf und schaute auf die Uhr. Es war kurz vor elf. Hatte ich eigentlich zu Abend gegessen? Nach dem leeren Gefühl in meinem Magen zu schließen, wohl nicht. Einen kleinen Lunch, ja – aber das war schon lange her.
Ich ging in die Küche und guckte in den Eisschrank. Da war ein Rest getrockneter Zunge, der mich jedoch gar nicht lockte. So kam es denn, dass ich die King’s Road hinunterschlenderte und schließlich in einer Coffee Bar landete, die quer über dem Fenster in roten Neonbuchstaben den Namen »Luigi« trug, und jetzt tiefsinnig ein Sandwich mit Schinken und Banane betrachtete, während ich über die düsteren Aspekte des Lärms in unserem technischen Zeitalter und ihre atmosphärischen Auswirkungen nachgrübelte.
Die Espressomaschine zischte mir wieder ins Ohr. Ich bestellte eine zweite Tasse und sah mich im Lokal um. Meine Schwester behauptete immer, ich würde überhaupt nichts sehen oder bemerken von dem, was um mich herum vorging. »Du lebst vollkommen in deiner eigenen Welt«, pflegte sie vorwurfsvoll zu sagen. Nun schaute ich mich also um in dem erhebenden Gefühl, eine besondere Leistung zu vollbringen. Man las doch fast jeden Tag etwas über diese italienischen Restaurants und ihre Besitzer in den Zeitungen und dies war meine Chance, mir mein eigenes Urteil über das Leben von heute zu bilden.
Es war recht düster im Raum, sodass ich nicht allzu viel sehen konnte. Die Gäste waren fast alle jüngere Leute und, wie ich vage vermutete, das, was man die Off-Beatgeneration nennt. Die Mädchen sahen so aus, wie sie mir heutzutage alle vorkommen, nämlich schmuddelig. Auch schienen sie viel zu warm angezogen zu sein. Das hatte ich schon vor ein paar Wochen bemerkt, als ich mit einigen Bekannten dinierte. Die junge Frau am Nebentisch damals mochte etwa zwanzig gewesen sein; im Lokal war es ausgesprochen warm, doch sie trug einen gelben Wollpullover, einen schwarzen Rock und schwarzwollene Strümpfe, und der Schweiß rann ihr die ganze Zeit übers Gesicht. Sie roch nach schweißgetränkter Wolle und auch sehr penetrant nach ungewaschenem Haar. Wie meine Bekannten behaupteten, galt sie als sehr attraktiv. Da war ich aber anderer Ansicht! Bei mir erweckte sie nur den sehnlichen Wunsch, sie in ein heißes Bad zu stecken, ihr ein Stück Seife in die Hand zu drücken und sie anzuflehen, nun ordentlich loszuschrubben. Was nur bewies, wie ich vermute, wie wenig ich die heutige Zeit verstand. Vielleicht kam es durch die vielen Jahre, die ich im Ausland gelebt hatte. Mit Sehnsucht dachte ich an die Inderinnen mit ihrem schön geschlungenen schwarzen Haar, an die Saris in den leuchtend klaren Farben, die Stoffe, die in weichen Falten niederfielen, und an den Rhythmus der geschmeidigen schlanken Körper.
Diese angenehmen Erinnerungen wurden höchst unsanft unterbrochen. Zwei junge Mädchen an einem Nebentisch hatten begonnen miteinander zu streiten. Die Jünglinge, die zu ihnen gehörten, versuchten sie zu beschwichtigen, allerdings ohne sichtbaren Erfolg.
Plötzlich schwoll der Lärm zu voller Lautstärke an. Das eine Mädchen schlug dem anderen ins Gesicht und dieses wiederum riss das erste vom Stuhl hoch. Sie schrien hysterisch und kämpften miteinander wie Fischweiber. Die eine war ein wuschliger Rotkopf, die andere hatte langes, blondes Haar.
Um was der Streit eigentlich ging, blieb mir unklar. Aber Rufe und Pfeifen erschollen von anderen Tischen.
»Los, Mädels! Gib’s ihr, Lou!«
Der Mann hinter der Bar, ein schlanker, italienisch aussehender Mann, den ich für Luigi, den Besitzer, hielt, eilte herbei.
»Halt! Aufhören – aufhören, sag ich! In einer Minute wird die halbe Straße hier sein… und die Polizei auch! Schluss damit, sag ich!«
Doch die Blonde hatte den Rotschopf am Haar gepackt und zerrte wütend daran, während sie schrie: »Nichtsnutzige Hexe! Nur auf Männerfang aus!«
»Selbst Hexe, du Dreckstück!«
Luigi und die beiden verwirrten jungen Männer rissen die Mädchen auseinander. In den Fingern der Blonden hingen ganze Büschel roter Haare. Sie hielt sie wie Siegestrophäen hoch und ließ sie dann zu Boden fallen.
Die Tür flog auf und ein breitschultriger Polizist trat ein.
»Was ist los hier?«, fragte er energisch.
Sofort bildete das ganze Lokal eine Front gegen den gemeinsamen Feind.
»Ach, wir haben nur Spaß gemacht«, meinte der eine der jungen Männer.
»Nichts weiter«, bestätigte Luigi, »nur ein Scherz unter Freunden.«
Mit seinem Fuß schob er die Büschel roter Haare geschickt unter den nächsten Tisch. Die beiden zornigen Gegnerinnen lächelten einander zuckersüß an.
Der Polizist blickte misstrauisch von einem Gast zum anderen.
»Wir wollten gerade gehen«, bemerkte die Blonde mit unschuldigem Augenaufschlag. »Komm, Doug.«
Durch einen seltsamen Zufall waren auch die meisten anderen Gäste gerade zum Aufbruch bereit. Der Polizist betrachtete grimmig die Szene. Seine Miene zeigte deutlich, dass er sie dieses Mal ungeschoren davonkommen lassen würde, aber ein scharfes Auge auf sie haben werde. Langsam zog er sich zurück.
Der Begleiter des Rotschopfs beglich die Rechnung.
»Fehlt Ihnen auch nichts?«, fragte Luigi das Mädchen, das sich einen Schal um den Kopf band. »Lou hat Ihnen mächtig zugesetzt – hat Ihnen die Haare in ganzen Büscheln ausgerissen.«
»Ich hab’s überhaupt nicht gespürt«, bemerkte die Rote gleichgültig. Sie lächelte ihn an. »Tut mir leid, dass wir einen solchen Krach gemacht haben, Luigi.«
Die kleine Gesellschaft entfernte sich, das Lokal war nun fast leer. Ich griff in meine Tasche, um zu bezahlen.
»Sie ist ein feiner Kerl«, erklärte Luigi und schaute zur Tür, die sich hinter dem Rotschopf schloss. Er ergriff einen Besen und fegte die Haarbüschel hinter die Theke.
»Das muss ihr doch wehgetan haben«, meinte ich.
»Ich hätt laut aufgeheult, wenn ich’s gewesen wär«, gab Luigi zu. »Aber ich sag’s ja: Tommy ist ein feiner Kerl.«
»Sie kennen das Mädchen gut?«
»Oh, sie kommt fast jeden Abend her. Tuckerton heißt sie, Thomasina Tuckerton, wenn Sie es genau wissen wollen. Aber jedermann hier herum nennt sie Tommy Tucker. Sie stinkt direkt vor Geld. Ihr alter Herr hat ihr ein Vermögen hinterlassen… und was tut sie? Kommt hierher nach Chelsea, lebt in einer kleinen Bude und treibt sich mit einer Bande herum, die alle das Gleiche tun. Die Hälfte dieser Clique hat massenhaft Geld. Sie könnten sich alles leisten, was das Herz nur begehrt – könnten im Ritz wohnen, wenn sie Lust dazu hätten. Aber nein, das Leben, das sie führen, scheint ihnen Spaß zu machen. Mir unfassbar.«
»Demnach würden Sie sich anders verhalten.«
»Ah, das kann man wohl sagen!«, rief Luigi. »Aber wie es nun mal ist, muss ich von dem leben, was ich einnehme.«
Ich erhob mich und fragte, weshalb der Streit denn eigentlich ausgebrochen sei.
»Oh, Tommy hat sich den Freund von Lou angelacht. Dabei ist er es wahrhaftig nicht wert, dass man um ihn kämpft, der Typ.«
»Diese Lou ist anscheinend anderer Meinung«, bemerkte ich.
»Lou ist eine romantische Seele«, lachte Luigi gutmütig.
Dies entsprach zwar nicht meiner Vorstellung von Romantik, doch ich schwieg.