18
»Was für aufregende Dinge doch auf dem Lande geschehen können«, meinte Hermia leichthin.
Wir hatten eben unser Abendessen beendigt; ein Kännchen mit schwarzem Kaffee stand noch vor uns auf dem Tisch.
Ich blickte Hermia forschend an. Ihre Worte hatten nicht ganz so geklungen, wie ich es erwartet hatte. Während der letzten Viertelstunde hatte ich ihr meine Geschichte erzählt und sie hatte interessiert zugehört. Nun aber war ich etwas enttäuscht… ihre Stimme schien vollkommen gleichgültig, weder entsetzt noch aufgeregt.
»Ich bin überzeugt, deine Fantasie spielt dir hier einen Streich. Aber ich will immerhin zugeben, dass deine alten Krähen selbst von ihrer Berufung überzeugt sind. Es sind sicher drei bösartige Weiber.«
»Aber nicht unheimlich oder gefährlich?«
»Mark, das ist doch alles Gefasel!«
Ich schwieg. Meine Gefühle schwankten zwischen Licht und Dunkelheit – der Düsterkeit des ›Fahlen Pferdes‹ und dem beruhigenden Licht, das Hermia repräsentierte. Ein klares, vernünftiges Licht war es, das in die dunkelsten Ecken leuchtete und alles Unheimliche daraus vertrieb. Und dennoch vermochte sie mich nicht zu überzeugen…
Hartnäckig wanderten meine Gedanken wieder zurück.
»Ich möchte, dass du dir alles noch einmal überlegst, Hermia. Wir müssen der Sache auf den Grund gehen.«
»Das finde ich auch – aber du bist es, der überlegen muss. Das Resultat wird jedenfalls sehr spaßig sein.«
»Das ist kein Scherz!«, rief ich heftig. Dann fügte ich ruhiger hinzu: »Ich hoffte, du würdest mir helfen, Hermia.«
»Helfen? Wie?«
»Ich möchte Nachforschungen anstellen – über die Leute auf dieser Liste, über alles, was mit ihnen geschehen ist.«
»O Mark, dazu habe ich jetzt wirklich keine Zeit! Ich bin so beschäftigt. Da ist mein Artikel für die Zeitung, den ich noch zu schreiben habe… und dann diese Sache mit Byzanz. Außerdem habe ich zweien von meinen Schülern versprochen…«
Sie fuhr mit ihrer Aufzählung fort, sehr vernünftig und logisch. Aber ich hörte kaum zu.
»Ich verstehe«, bemerkte ich langsam. »Du hast zu viele andere Pflichten, um dich auch noch damit abzugeben.«
»So ist es, Mark.« Hermia war ganz offensichtlich erleichtert angesichts meiner Fügsamkeit. Sie lächelte mir zu, nachsichtig und schonend – wie eine Mutter, die ihrem kleinen Jungen eine Unart verzeiht.
Aber zum Teufel – ich bin doch kein kleiner Junge! Und ich brauchte keine mütterliche Nachsicht, sondern eine Gefährtin, eine Helferin.
Ich betrachtete Hermia leidenschaftslos über den Tisch hinweg. Sie war so hübsch, so reif, so intellektuell und belesen… und dabei so unfassbar dumm!