31

 

»Nun, wie war es?«, fragte Rhoda eifrig am Frühstückstisch.

»Oh – der übliche Klimbim«, bemerkte ich nonchalant.

Forschend ruhten Despards Augen auf mir; er ließ sich nicht so leicht in die Irre führen.

»Pentagramme auf dem Boden?«

»In rauen Mengen.«

»Und weiße Hähne?«

»Nur einer. Das war Bellas Anteil an dem Spaß.«

»Natürlich Sybil in Trance und so weiter.«

»Wie du sagst: Sybil in Trance und so weiter.«

Rhoda machte ein enttäuschtes Gesicht. »Du scheinst das Ganze ziemlich langweilig gefunden zu haben«, warf sie mir vor.

Ich behauptete gähnend, diese Dinge seien eigentlich immer gleich – aber immerhin hätte ich meine Neugier befriedigt.

Etwas später, als Rhoda in die Küche gegangen war, meinte Despard: »Die Sache hat dir einen kleinen Schock versetzt?«

»Nun…«

Ich wollte mit einem leichten Wort darüber hinweggehen, aber Despard war nicht der Mann, der sich täuschen ließ.

Langsam fuhr ich daher fort: »Es war irgendwie… scheußlich und bestialisch.«

Er nickte verstehend. »Man will ja nicht daran glauben, jedenfalls nicht mit dem Verstand. Aber trotzdem kann man sich dem Einfluss nicht entziehen. In Ostafrika habe ich viele derartige Dinge gesehen. Die Medizinmänner dort haben eine ungeheure Macht über die Menschen und man muss zugeben, dass oft genug Seltsames geschieht, das sich unserem normalen Denkvermögen entzieht.«

»Auch Todesfälle?«

»O ja. Sobald der Magier einem Menschen sagt, er sei vom Tode gezeichnet – stirbt jener tatsächlich.«

»Die Macht der Suggestion?«

»Höchstwahrscheinlich. Und dennoch erklärt das nicht alles. Es gibt auch Fälle, wo unsere ganze Wissenschaft versagt…« Er ließ es dabei bewenden.

Gleich darauf begab ich mich in die Pfarrei. Die Tür war offen, doch niemand schien da zu sein. Ich ging in das kleine Zimmer zum Telefon und rief Ginger an.

Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis ich endlich ihre Stimme hörte.

»Hallo.«

»Ginger?«

»Oh – Sie sind es. Was ist passiert?«

»Sind Sie wohlauf?«

»Selbstverständlich. Was sollte mir denn fehlen?«

Eine heiße Welle der Erleichterung durchlief meinen Körper.

Mit Ginger war alles in Ordnung. Ihre Stimme klang frisch und energisch wie immer. Wie hatte ich nur jemals befürchten können, dieser ganze lächerliche Humbug würde einen so normalen, gesunden Menschen wie Ginger zu beeinflussen vermögen?

»Ich wollte nur wissen, ob Sie gut geschlafen haben«, erklärte ich ziemlich lahm.

»Ehrlich gesagt, nicht besonders. Ich lag lange Zeit wach und wartete, ob etwas Sonderbares geschehe – und schließlich war ich fast ärgerlich, dass alles ganz ruhig blieb.«

Ich lachte befreit auf.

»Aber erzählen Sie mir doch – wie war es denn?«

»Gar nichts Besonderes. Sybil lag auf einem Diwan und sank in Trance.«

Ginger kicherte vergnügt. »Wie wundervoll. Eine Decke aus schwarzem Samt natürlich und Sybil ganz nackt.«

»Keine Spur. Sie zelebrierten doch nicht die schwarze Messe. Sybil trug eines ihrer üblichen langwallenden Gewänder mit einer Menge eingestickter Symbole.«

»Und was machte Bella?«

»Das war tatsächlich widerlich. Sie tötete einen weißen Hahn und tauchte Ihren Handschuh in das Blut.«

»O wie ekelhaft! Und was geschah weiter?«

»Eine ganze Menge«, gab ich zu, doch hütete ich mich, die Sache dramatisch zu gestalten. »Thyrza ließ ihre neumodischen Tricks los. Sie zitierte auch einen Geist herbei… Macandal hieß er, soweit ich mich erinnere. Gedämpftes farbiges Licht und Musik. Auf manche Leute hätte es vielleicht Eindruck gemacht.«

»Aber Sie erschraken nicht?«

»Nun, Bella brachte mich einigermaßen außer Fassung – sie fuchtelte mit einem blitzenden Messer herum, und einen Augenblick befürchtete ich fast, sie würde den Kopf verlieren und mich als zweites Opfer ihrem Hahn beigesellen.«

Ginger drängte: »Und das war wirklich alles?«

»Nur noch das übliche Theater mit Händehalten und so weiter.«

»Weshalb waren Sie denn so froh, dass mir nichts fehlt?«

»Weil… weil…« Ich vermochte nicht fortzufahren.

»Schön«, meinte Ginger entgegenkommend, »Sie brauchen mir nichts weiter zu sagen. Aber irgendetwas hat Sie doch beeindruckt.«

»Eigentlich nur die Tatsache, dass Thyrza ihrer Sache so absolut sicher schien. Aber das ist natürlich lächerlich.«

»War Bella auch so sicher?«

Ich überlegte kurz, ehe ich antwortete. »Ich glaube, die gute Bella findet nur ihr Vergnügen darin, den Hahn umzubringen und sich selbst in eine Art wilder Ekstase zu steigern. Ihr Gekreisch: ›Das Blut… das Blut…‹ war wirklich allerhand.«

»Schade, dass ich es nicht hören konnte«, lachte Ginger.

»Ja«, bestätigte ich. »Es war wirklich sehenswert.«

»Jetzt sind Sie doch wieder völlig beruhigt, nicht wahr?«

»Was wollen Sie damit sagen, Ginger?«

»Sie waren sehr nervös, als Sie anriefen – aber nun scheint alles wieder in bester Ordnung mit Ihnen.«

Damit hatte sie völlig Recht. Der Klang ihrer hellen Stimme hatte Wunder gewirkt. Alle düsteren Gedanken waren wie fortgeblasen – Ginger ging es gut, sie hatte nicht einmal böse Träume gehabt.

»Was unternehmen wir jetzt?«, fragte sie voller Tatendrang. »Muss ich wirklich noch eine ganze Woche in einsamer Zurückgezogenheit leben?«

»Wenn ich die hundert Pfund von unserem lieben Mr Bradley kassieren will…«

»Selbstverständlich werden Sie das!«, ereiferte sie sich. »Den Kerl halten wir fest. Bleiben Sie solange bei Rhoda?«

»Ein paar Tage noch. Dann fahre ich vielleicht nach Bournemouth. Aber vergessen Sie nicht, dass ich jeden Tag bei Ihnen anrufen werde. Momentan bin ich in der Pfarrei.«

»Was macht Mrs Dane Calthrop?«

»Sie ist in ganz großer Form. Ich habe ihr übrigens alles ganz genau erzählt.«

»Das dachte ich mir. Nun denn, Auf Wiedersehen! Das Leben wird sehr langweilig sein in den nächsten Tagen. Ich habe mir zwar Arbeit mitgenommen und ein paar Bücher, für die ich bisher nie Zeit hatte.«

»Wie haben Sie in der Galerie Ihr Fernbleiben erklärt?«

»Ich unternehme eine kurze Rundreise.«

»Möchten Sie nicht, dass es wirklich der Fall wäre?«

»Nun – nicht direkt…« Ihre Stimme klang etwas bedrückt.

»Haben sich Ihnen irgendwelche verdächtigen Personen genähert?«

»Nur das Übliche, was so tagsüber an die Wohnungstür kommt. Der Milchmann, ein Mann, der den Gaszähler ablas, eine Frau, die wissen wollte, welche Medikamente und Kosmetika ich bevorzuge, und ein blinder Hausierer.«

»Das hört sich alles ganz harmlos an«, gab ich zu.

»Was haben Sie denn erwartet?«

»Das weiß ich selbst nicht so genau.«

Ich glaube, ich hatte auf etwas Unbegreifliches, Seltsames gehofft, dem ich hätte entgegentreten können.

Aber die Opfer des »Fahlen Pferdes« starben ja an ganz natürlichen, normalen Krankheiten.

Ginger schob meine zaghafte Andeutung beiseite, dass der Gasmann vielleicht unecht gewesen sein könnte.

»Er hatte einen Ausweis bei sich – ich habe ihn mir zeigen lassen. Und er kletterte nur auf eine Leiter im Badezimmer, las die Zahlen ab und schrieb sie auf. Ich kann Ihnen ganz bestimmt versichern, dass er keine Gasleitung in mein Schlafzimmer legte und den Hahn öffnete.«

Nein, mit derartigen offensichtlichen Dingen gab sich das »Fahle Pferd« nicht ab.

»Oh! Ich hatte noch einen weiteren Besucher. Ihren Freund Dr. Corrigan. Er ist wirklich sehr nett.«

»Er schien zu denken, er müsse einem Namensvetter… oder sagt man in diesem Falle Namensbase?… beistehen. Ein Hoch den Corrigans!«

Als ich den Hörer auflegte, fühlte ich mich sehr erleichtert. Bei meiner Rückkehr war Rhoda im Garten mit einem ihrer Hunde beschäftigt. Sie rieb ihn mit irgendeiner Salbe ein.

»Der Tierarzt war soeben hier«, erzählte sie. »Er erklärt, es handle sich um eine Scherpilzflechte. Sehr ansteckend, soviel ich weiß. Ich möchte nicht, dass die Kinder etwas abbekommen – oder einer der anderen Hunde.«

»Auch für die Erwachsenen wäre es nicht gerade sehr angenehm«, hielt ich ihr vor.

»Oh, es sind meistens nur Kinder, die sich anstecken. Glücklicherweise sind sie heute den ganzen Tag in der Schule – sei doch still, Sheila! Du musst jetzt ganz brav sein, sonst fallen dir die Haare aus.« Zu mir gewandt, fuhr sie fort. »Das Zeug hinterlässt hässlich nackte Flecken, aber nach einer Weile wachsen die Haare wieder nach.«

Ich erbot mich, ihr zu helfen, aber sie wollte glücklicherweise nichts davon wissen.

 

Auf dem Lande gibt es meistens nur zwei oder drei Wege, die man einschlagen kann. In Much Deeping waren es deren drei und am folgenden Nachmittag blieb nur einer übrig, den ich noch nicht gegangen war.

Ich machte mich also dorthin auf und unterwegs kam mir ein Gedanke. Das war doch die Straße, die an Prior’s Court vorbeiführte – weshalb sollte ich nicht Mr Venables einen Besuch abstatten?

Je länger ich es mir überlegte, umso besser gefiel mir die Idee. Misstrauen erwecken konnte ein solcher Besuch nicht, da ich durch Rhoda ja bereits bei ihm eingeführt war. Die Erklärung, ich würde mir einzelne seiner Kunstschätze gern nochmal näher ansehen, sollte vollkommen genügen.

Dieser Venables war auf jeden Fall eine interessante Persönlichkeit und die Tatsache, dass der kleine Apotheker Osmond – oder Osborne? – ihn gesehen haben wollte, verstärkte dieses Empfinden. Allerdings behauptete Lejeune, dies sei infolge des Gebrechens von Venables ganz unmöglich und der Apotheker müsse sich geirrt haben. Aber dass dieser Irrtum sich gerade auf einen Mann bezog, der in nächster Nachbarschaft des »Fahlen Pferdes« lebte, war immerhin erstaunlich… besonders, da die Art und das Auftreten von Venables ohnehin zu allerlei Fragen Anlass bot.

Etwas Geheimnisvolles umgab diesen Menschen auf alle Fälle. Er war zweifellos sehr klug, mochte aber daher schlau wie ein Fuchs sein; bestimmt viel zu schlau, um selbst einen Mord zu begehen… aber möglicherweise ganz geeignet für die Rolle des großen Organisators hinter den Kulissen.

Es konnte also nichts schaden, wenn ich mir den Mann noch einmal genauer ansah. So bog ich nun in seinen Park ein und stand nach kurzer Zeit vor der Haustür von Prior’s Court.

Der gleiche Diener öffnete und bestätigte, Mr Venables sei zuhause. »Doch Mr Venables ist nicht immer wohl genug, um Besuch zu empfangen«, meinte er entschuldigend, als er mich in der Halle stehen ließ. Bald darauf jedoch kehrte er zurück mit dem Bescheid, der Herr sei sehr erfreut über meinen Besuch.

Dieser begrüßte mich auch wirklich wie einen guten alten Bekannten. »Sehr nett, dass Sie gekommen sind, mein Lieber. Ich hörte bereits, Sie seien wieder hier, und wollte heute Abend Rhoda anrufen, um Sie alle zum Essen einzuladen.«

Ich entschuldigte mich für mein Eindringen. »Ich machte einen Spaziergang und kam zufällig hier vorbei. Da konnte ich nicht widerstehen und wollte die Gelegenheit nutzen, Ihre alten orientalischen Miniaturen nochmal anzusehen. Letztes Mal kam man gar nicht richtig dazu.«

»Ich freue mich, dass sie ihnen gefallen. Wenn Sie die Details genau betrachten, werden Sie ihre Schönheit erst richtig würdigen können.«

Danach kreiste unser Gespräch ausschließlich um künstlerische Themen und es war wirklich eine uneingeschränkte Freude, seine Raritäten zu bewundern.

Anschließend tranken wir Tee aus Tassen von feinstem chinesischem Porzellan, wozu ein delikater Kuchen serviert wurde.

»Hausgemacht?«, fragte ich.

»Selbstverständlich. In meinem Haus kommen nur hausgemachte Speisen auf den Tisch.«

»Ich weiß, Sie haben einen ausgezeichneten Koch. Ist es nicht schwierig, hier auf dem Lande gutes Personal zu bekommen?«

Venables zuckte die Achseln. »Ich gebe mich nur mit den besten Leuten zufrieden… und ich bekomme sie auch. Natürlich muss man entsprechend dafür bezahlen.«

Hier zeigte sich der ganze Hochmut dieses Mannes. Trocken meinte ich: »Wenn man es sich leisten kann, immer nur das Beste zu nehmen, löst das natürlich viele Probleme.«

»Es hängt im Grunde genommen nur davon ab, ob man weiß, was man vom Leben erwartet. Und die Wünsche müssen stark genug sein – das ist der springende Punkt. So viele Leute kommen zu Geld und wissen gar nicht, was damit anfangen. Und das Resultat? Sie werden zu reinen Geldmaschinen und bleiben ihr Leben lang Sklaven. Sie arbeiten und arbeiten, ohne etwas von ihrem Einkommen zu haben als noch längere Wagen, noch größere Häuser, anspruchsvollere Mätressen – verdorbene Magen und Kopfschmerzen.«

»Da haben Sie es anders gemacht«, lächelte ich.

»Ich, oh, ich wusste genau, was ich wollte: die Möglichkeit, alles Schöne auf Erden zu sehen und zu erhalten, sowohl Natur wie auch Kunst. Und da ich die Sachen nun nicht mehr in ihrer eigenen Umgebung bewundern kann, lasse ich sie eben aus allen Teilen der Welt zu mir kommen.«

»Auch dazu muss das Geld erst vorhanden sein.«

»Allerdings. Man muss planen können – und seine Pläne ausführen. Aber das kann man, wenn man den festen Willen dazu besitzt. Die Zeiten ändern sich – heutzutage viel rascher als früher. Man muss es nur verstehen, die Gelegenheiten zu nutzen. Ganz neue Aspekte haben sich eröffnet.«

Entschuldigend bemerkte ich: »Ich komme da nicht ganz mit. Vergessen Sie nicht, dass Sie zu einem Mann sprechen, dessen Interessen weit mehr in die Vergangenheit als in die Zukunft gerichtet sind.«

»Zukunft? Wer kann denn wissen, was die Zukunft bringt! Nein, ich rede von der Gegenwart, vom Heute. Etwas anderes kümmert mich nicht. Neue Techniken haben sich uns bereits erschlossen – Maschinen, die früher als Fantastereien gegolten hätten. Roboter, Elektrogehirne und all das.«

»Bald tritt die Maschine an die Stelle des menschlichen Denkens.«

»Nur an die Stelle des primitiven Arbeiters. Aber immer mehr braucht es Geistesgröße, Menschen mit überragendem Wissen, die zu leiten und zu lenken verstehen…«

»Der Übermensch also sozusagen?«, meinte ich zweifelnd.

»Weshalb denn nicht, Easterbrook? Das, was wir gemeinhin mit dem Ausdruck ›Gehirnwäsche‹ abtun, bietet unendliche Möglichkeiten. Nicht nur der Körper, auch der Geist reagiert auf Reizmittel.«

»Eine gefährliche Doktrin.«

»Das ganze Leben ist gefährlich. Am Ende werden wir nicht nur durch Naturgewalten zerstört, sondern durch das Werk unserer eigenen Hände und unseres Geistes. Diesem Zeitpunkt sind wir sehr nahe gerückt.«

»Das kann leider niemand bezweifeln. Mich fesseln im Moment aber nur Ihre Ideen über die geistigen Kräfte im Menschen selbst – der Übermensch, der Macht über die anderen erlangt.«

»Oh, das…!« Venables schien auf einmal verlegen. »Da habe ich wohl übertrieben.«

Ich fand diesen Rückzug äußerst viel sagend und aufschlussreich. Venables gehörte zu den Menschen, die oft allein sind. Solche Leute neigen dazu, sich einmal auszusprechen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Er hatte in mir einen Partner gefunden, der zuhören konnte… und war vielleicht weiter gegangen, als er wollte.

»Der Übermensch«, wiederholte ich. »Sie haben mir da ganz neue Ausblicke eröffnet.«

Er schüttelte den Kopf. »Der Gedanke ist keineswegs neu; die Formulierung dieses Wortes lässt sich sehr weit zurückverfolgen. Ganze Philosophien sind darauf aufgebaut.«

»Natürlich. Aber mir scheint, Ihr Übermensch ist etwas ganz anderes – ein Mann, der über gewaltige Kräfte verfügt, ohne dass die Welt etwas davon ahnt. Ein Mann, der ruhig in seinem Stuhl sitzt und an den Fäden zieht.«

Ich sah ihn scharf an, während ich sprach. Er lächelte bloß.

»Haben Sie mich für diese Rolle ausersehen, Easterbrook? Ich wünschte, es wäre so. Man braucht eine Entschädigung für… dies hier.« Seine Hand glitt über die Decke, die seine Beine umhüllte, und es lag tiefe Bitterkeit in seiner Stimme.

»Ich will Ihnen nicht mein Mitgefühl ausdrücken… Mitleid ist zu billig für einen Mann in Ihrer Lage«, entgegnete ich. »Lassen Sie mich etwas anderes betonen: Wenn es überhaupt einen Menschen gibt, der über eine unerwartete Katastrophe den Sieg davonträgt, dann sind Sie die Persönlichkeit dafür.«

Er lachte. »Sie schmeicheln mir.« Doch ich sah, dass ihn meine Worte freuten.

Aber ich fürchtete trotzdem, zu weit gegangen zu sein, und fuhr erklärend fort: »Sie sind ein Mann mit viel Verstand und Geschmack, Sie wissen Ihre Schätze gut auszuwählen… aber Sie haben selbst angedeutet, dass Sie diese Reichtümer nicht durch Ihrer Hände Arbeit erwarben.«

»Das ist richtig, Easterbrook. Ich sagte bereits, dass nur Narren sich abrackern und schinden. Der kluge Mann denkt und plant. Das Geheimnis eines jeden Erfolges ist sehr einfach – wenn man erst dahinter gekommen ist. Man überlegt… und man führt aus. Das ist alles.«

Ich starrte ihn an. »Einfach« – so einfach zum Beispiel wie das Beiseiteschaffen im Wege stehender Personen? Hatte Mr Venables »geplant«, während er in seinem Rollstuhl saß? Und die Rolle der Ausführenden hatte Thyrza Grey übernommen?

Unter halb geschlossenen Lidern beobachtete ich ihn scharf, während ich tastend bemerkte: »Das Wort Übermensch hat mich übrigens an eine merkwürdige Behauptung von Miss Grey erinnert.«

»Ach, unsere gute Thyrza!« Seine Stimme klang freundlich und gleichgültig – aber hatten nicht seine Augenlider leise geflattert? »Die beiden alten Damen schwatzen viel Unsinn. Und sie glauben daran, sie glauben allen Ernstes daran! Sind Sie schon einmal zu einer ihrer Séancen eingeladen worden? Ich bin überzeugt, man wird Sie dazu auffordern.«

Einen Augenblick zögerte ich, ehe ich mir klar war, wie ich reagieren sollte.

»Ja«, sagte ich dann langsam, »ich… ich bin bei einer solchen Séance gewesen.«

Ich wich seinem Blick aus und gab mir den Anschein eines Menschen, der sich in seiner Haut nicht wohlfühlt.

»Sie empfanden natürlich alles als einen großen Humbug – oder waren Sie davon beeindruckt?«

»Nun… natürlich glaube ich nicht an dieses Zeug. Die Damen scheinen es ja sehr ernst zu nehmen, aber…« Ich zog meine Uhr hervor und sprang auf. »Oh, ich hatte keine Ahnung, wie spät es bereits ist. Ich muss mich wirklich beeilen; Rhoda wird sich wundern, wo ich stecke.«

»Sie haben einem Invaliden zu einem anregenden Nachmittag verholfen. Empfehlen Sie mich Ihrer Kusine. Sie müssen sehr bald zum Essen herkommen. Morgen fahre ich allerdings nach London zu einer sehr interessanten Versteigerung. Französisches Elfenbein aus dem Mittelalter. Sie werden die Sachen sicher bezaubernd finden, wenn es mir gelingt, sie zu erwerben.«

Auf dieser freundschaftlichen Basis trennten wir uns. Hatten seine Augen nicht spöttisch geblinzelt, als er meine Verlegenheit hinsichtlich der Séance bemerkte? Mir war es so vorgekommen. Aber es konnte auch Einbildung sein.