13
»Wo hast du gesteckt, Tuppence?«, fragte ihr Mann, als er am nächsten Tag nachhause kam.
»Also, zuletzt bin ich im Keller gewesen.«
»Das kann ich sehen. Weißt du, dass du Spinnweben im Haar hast?«
»Das wundert mich nicht. Der Keller ist voll davon. Im Übrigen war da nichts zu finden. Außer ein paar Flaschen Bayrum.«
»Bayrum?«
»Trinkt man den? Das halte ich für unwahrscheinlich.«
»Nein«, sagte Tommy. »Ich glaube, man hat ihn sich ins Haar getan.«
»Ja, da kannst du Recht haben. Ich erinnere mich an einen Onkel – ja, ich hatte einen Onkel, der Bayrum als Haarwasser benutzte. Ein Freund hat ihn ihm aus Amerika mitgebracht.«
»Ach, wirklich?«
»Uns hilft es auch nicht weiter. Ich meine, in einer Flasche Bayrum kannst du nichts verstecken.«
»Ach, nein?«
»Irgendwo muss man schließlich anfangen. Und es wäre ja möglich, dass das stimmt, was der gute Monty dir erzählt hat, obwohl ich nicht begreife, wo und was es sein könnte. Denn, sieh mal, wenn du ein Haus verkaufst oder stirbst, wird es doch ausgeräumt, nicht wahr? Ich meine, die Erben holen die Möbel ab und verkaufen es. Oder falls alles drin bleibt, zieht jemand anders ein und verkauft das Zeug. Wenn also jetzt noch was da ist, dann muss es den letzten oder vorletzten Bewohnern gehört haben, aber bestimmt nicht Familien, die schon lange vor ihnen im Haus wohnten.«
»Warum sollte jemand dir oder mir etwas antun oder versuchen wollen, uns aus dem Haus zu graulen – außer es gibt hier etwas, das wir nicht finden sollen!«
»Das ist allein deine Idee«, sagte Tuppence. »Es braucht gar nicht zu stimmen. Aber immerhin war der Tag nicht ganz vertan, ein paar Sachen habe ich gefunden.«
»Hatten sie was mit Mary Jordan zu tun?«
»Eigentlich nicht. Der Keller, das sagte ich schon, taugt nicht viel. Es waren ein paar alte Apparate da, die zum Fotografieren gehören. Dann eine Lampe zum Entwickeln, wie man sie früher benützt hat, mit einer roten Glasscheibe, und der Bayrum. Es gibt keine großen Steinplatten, die so aussehen, als könnte man sie aufheben und darunter etwas finden. Ein paar alte verschimmelte Koffer stehen rum, Blechkoffer und zwei Handkoffer, so kaputt, dass man nichts mehr hineinpacken kann. Wenn man ihnen einen Tritt gibt, zerfallen sie. Der Keller ist eine Fehlanzeige.«
»Das tut mir leid«, sagte Tommy. »Also erfolglos.«
»Aber jetzt gehe ich besser hinauf und mache die Spinnweben weg.«
»Das wäre nicht schlecht. Ohne sie habe ich dich lieber.«
»Eigentlich hättest du sagen sollen, dass du mich immer gern ansiehst und mich, egal wie alt ich bin, immer noch entzückend findest.«
»Tuppence, mein Liebling«, sagte Tommy, »ich finde dich überaus entzückend. Du hast eine dicke Spinnwebe über dem linken Ohr hängen, die sehr anziehend wirkt. Es erinnert mich an Kaiserin Eugenie, die auf gewissen Bildern auch so eine trägt. Übrigens scheint eine Spinne drinzusitzen.«
»Oh! Das mag ich gar nicht!«
Tuppence wischte die Spinnwebe fort und lief nach oben. Erst nach einer Weile kam sie zurück. Ein Glas stand für sie bereit. Sie sah es zweifelnd an.
»Das ist doch hoffentlich kein Bayrum?«
»Nein, Bristol Cream. Ich würde ihn selber auch nicht gern trinken.«
»Wie ist das?«, fragte Tuppence. »Soll ich jetzt weitererzählen?«
»Ja, bitte«, sagte Tommy. »Du wirst es sowieso tun, aber mir gefällt der Gedanke, dass du es nur erzählst, weil ich dich dränge.«
»Also: Ich habe zu mir gesagt: ›Wenn ich in diesem Haus etwas verstecken wollte, wo würde man es am wenigsten finden?‹«
»Natürlich. Logisch.«
»Und dann habe ich überlegt, welche Möglichkeiten es gibt. Eine wäre natürlich Mathildes Bauch.«
»Wie bitte?«
»Das Schaukelpferd. Ich habe dir doch von ihm erzählt. Es ist ein amerikanisches Schaukelpferd.«
»Was hier alles aus Amerika stammt! Der Bayrum auch.«
»Ja. Das Schaukelpferd hat ein Loch im Bauch. Isaac erzählte es mir. Ein Haufen altes Zeug soll drin sein, nichts Interessantes. Aber das wäre ein Ort, an dem jemand etwas versteckt haben könnte, nicht?«
»Ja, sicher.«
»Wahreliebe übrigens auch. Ich habe das Fahrzeug gründlich untersucht. Der Sitz ist aus zerschlissenem Segeltuch. Aber es war nichts da, schon gar keine persönlichen Papiere. Dann habe ich weiter nachgedacht. Es bleiben uns immer noch die Bücherregale und die Bücher. Und mit dem Bücherzimmer auf dem Dachboden sind wir auch noch nicht fertig.«
»Nein? Ich hatte es so gehofft!«
»Das unterste Fach fehlt noch.«
»Das ist doch sehr einfach. Man braucht auf keine Leiter zu klettern.«
»Eben. Darum bin ich raufgegangen, habe mich auf den Boden gesetzt und es durchgesehen. Das meiste waren alte Predigten, von einem Methodistenpfarrer. Wenigstens halte ich es dafür. Sie sind ziemlich uninteressant und darum habe ich sie alle rausgenommen und auf dem Boden gestapelt. Dabei habe ich eine Entdeckung gemacht. Unter den Büchern hatte jemand ein großes Loch ausgehöhlt und Zeug reingestopft, meistens völlig zerrissene Bücher. Eines war ziemlich groß und hatte einen braunen Papierumschlag. Ich habe es mir näher angesehen. Man kann ja nie wissen, nicht? Rate mal, was es ist?«
»Keine Ahnung. Die Erstausgabe von Robinson Crusoe. So was Wertvolles vielleicht?«
»Nein. Es ist ein Geburtstagsbuch.«
»Ein Geburtstagsbuch? Was ist das?«
»Früher war so was mal Mode. Dieses hier ist schon sehr alt. Ich glaube, es geht bis auf die Parkinsons zurück. Es sieht ziemlich mitgenommen aus. Zum Aufheben war es wohl nicht mehr schön genug und ich glaube auch nicht, dass es noch jemand interessierte. Aber es stammt aus jener Zeit. Vielleicht lässt sich was drin finden.«
»Ja? Meinst du, dass jemand was hineingelegt haben könnte?«
»Das dachte ich. Aber natürlich ist nichts drin. So einfach ist es nicht. Trotzdem werde ich es sehr genau unter die Lupe nehmen. Bis jetzt bin ich noch nicht dazu gekommen. Es könnte brauchbare Namen enthalten.«
»Ja, möglich.« Tommy hörte sich skeptisch an.
»Sonst habe ich leider nichts gefunden. Man sollte jetzt wohl noch die paar Schränke durchsuchen, die wir den Vorbesitzern abgekauft haben.«
»Und die übrigen Möbel?«, fragte Tommy. »Sie haben oft Geheimfächer.«
»Nein, Tommy, das hat keinen Sinn. Die haben wir alle mitgebracht. Das Einzige, was hier wirklich noch alt ist, ist das Gerumpel in dem Glashaus. Spielsachen und verwitterte Gartenbänke und so etwas. Antike Möbel gibt es keine. Der letzte Bewohner hat alles mitgenommen oder verkauft. Seit den Parkinsons müssen so viele Menschen hier gewohnt haben, dass von ihnen bestimmt nichts mehr da ist. Ich habe übrigens noch was gefunden, aber ich weiß nicht, ob es uns weiterhilft.«
»Was?«
»Menükarten aus Porzellan.«
»Menükarten aus Porzellan?«
»Ja. In dem alten Speisezimmerschrank, den wir nicht aufbekommen konnten. Weißt du, sie hatten den Schlüssel verloren. Ich habe ihn in einer alten Schachtel gefunden, übrigens auch im Ka-Ka, und ihn geölt; das Schloss funktionierte tatsächlich noch. Leider war nichts drin. Ein leerer, schmutziger Schrank mit ein paar Scherben, die sicher von den letzten Bewohnern stammen. Aber oben, auf dem obersten Brett, lag ein kleiner Stapel mit auf Porzellan gemalten viktorianischen Menükarten, die es bei Gesellschaften gab. Fabelhaft, was die gegessen haben – geradezu prachtvolle Mahlzeiten. Ich lese es dir vor, aber erst nach dem Essen. Es war wirklich faszinierend. Weißt du, erst zwei Suppen, eine klar, eine gebunden, dann zwei Sorten Fisch, zwei Vorspeisen, dann kam Salat oder so etwas Ähnliches. Danach erst der Braten. Hinterher… ach, das weiß ich nicht mehr genau. Sorbet, glaube ich. Das ist Eis, nicht wahr? Und darauf – Hummersalat! Kannst du dir das vorstellen?«
»Sei still, Tuppence!«, rief Tommy. »Ich glaube, mir wird schon ganz schlecht.«
»Na, das fand ich denn doch interessant. Übrigens sind sie sehr alt. Sie könnten aus der für uns wichtigen Zeit stammen.«
»Und was versprichst du dir von deinen Entdeckungen?«
»Das Einzige, woraus sich was ergeben könnte, ist das Geburtstagsbuch. In ihm steht der Name Winifred Morrison.«
»Und?«
»Soviel ich weiß, ist es der Mädchenname der alten Mrs Griffin, bei der ich neulich zum Tee war, erinnerst du dich? Sie ist eine der ältesten Einwohnerinnen und erinnert sich an vieles, was sogar noch vor ihrer Zeit geschehen ist. Ich denke mir, dass sie Namen aus dem Geburtstagsbuch kennt. Vielleicht bringt uns das weiter.«
»Ja, vielleicht.« Tommy klang immer noch zweifelnd. »Trotzdem…«
»Trotzdem?«
»Ach, ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Meinst du nicht, wir sollten die ganze Geschichte aufgeben? Warum müssen wir eigentlich wissen, wer Mary Jordan getötet hat?«
»Willst du es nicht wissen?«
»Nein, das will ich nicht«, sagte Tommy. »Wenigstens – ach, ich gebe auf. Du hast mich angesteckt, ich gestehe es.«
»Hast du denn nichts Neues herausbekommen?«
»Dazu hatte ich heute keine Zeit. Aber ich habe eine neue Informationsquelle. Ich habe dir doch neulich von einer Frau erzählt, die eine so gute Spürnase hat. Ich habe sie gebeten, sich um ein paar Dinge zu kümmern.«
»Na«, sagte Tuppence, »geben wir die Hoffnung nicht auf. Es ist im Grund alles Unsinn, aber es macht doch Spaß.«
»Ich bin nicht so sicher, ob es so lustig ist, wie du glaubst, Tuppence.«
»Dann ist es auch egal. Wenigstens haben wir unser Bestes getan.«
»Wenn du dein Bestes nur nicht stets allein tun würdest«, sagte Tommy. »Das macht mir große Sorgen. Du unternimmst immer etwas, wenn ich nicht da bin.«