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Der Umzug ins eigene Haus ist oft mit angenehmen Vorstellungen und Vorfreude verbunden, aber leider gehen die Erwartungen nicht immer in Erfüllung.

Verbindungen müssen aufgefrischt oder aufgenommen werden, mit Elektrikern, Baufirmen, mit Tischlern, Malern, Tapezierern, den Geschäften für Gasherde und elektrische Geräte, mit Polsterern, Dekorateuren, den Firmen, die Linoleum legen oder Teppiche liefern. Jeder Tag bringt nicht nur die normalen Aufgaben, sondern noch eine Menge Besucher, die entweder seit Langem erwartet wurden oder mit deren Erscheinen man nicht mehr gerechnet hatte.

Dennoch gab es Augenblicke, in denen Tuppence mit erleichtertem Aufseufzen das Ende verschiedener Tätigkeiten auf verschiedenen Gebieten ankündigte.

»Ich glaube fast, dass die Küche jetzt endgültig fertig ist«, sagte sie, »nur kann ich nicht die passende Mehldose auftreiben.«

»Ach«, sagte Tommy, »ist das wichtig?«

»Wieso nicht? Weißt du, Mehl kauft man oft in Dreipfundtüten und dafür sind dann diese Dosen viel zu klein. Sie sind alle so niedlich. Eine ist mit einer hübschen Rose bemalt und die andere mit einer Sonnenblume, aber mehr als ein Pfund geht nicht hinein, und das ist lästig.«

Hin und wieder machte Tuppence auch Vorschläge, wie das Haus genannt werden sollte.

»Lorbeerhaus«, sagte sie, »so ein dummer Name, findest du nicht? Ich weiß gar nicht, warum es so heißt. Es gibt hier keine Lorbeeren. Zu den Platanen hätte viel besser gepasst. Platanen sind sehr schöne Bäume.«

»Ehe es zum Lorbeerhaus wurde, hieß es Long Scofield. Wenigstens hat man mir das erzählt.«

»Auch wieder ein Name, der nichts bedeutet«, stellte Tuppence fest. »Was oder wer ist Scofield und wer hat damals hier gewohnt?«

»Ich glaube, die Leute hießen Waddington.«

»Ich kriege das nie klar«, sagte Tuppence. »Waddingtons, dann die Jones’, die es an uns verkauft haben. Davor waren es die Blackmores, nicht wahr? Und davor vermutlich die Parkinsons. Es gibt eine Menge Parkinsons. Ich entdecke immer mehr.«

»Wieso?«

»Ach, es liegt wohl daran, dass ich so viel herumfrage. Weißt du, wenn ich was über die Parkinsons herausbekommen könnte, kämen wir mit unserem – na, sagen wir, unserem Problem besser voran.«

»Heutzutage nennt man einfach alles ein Problem. Und unser Problem ist also Mary Jordan, wie?«

»Nicht nur das, Tommy. Wir haben das Problem Familie Parkinson, das Problem Mary Jordan und vermutlich noch eine Menge anderer. ›Mary Jordan ist keines natürlichen Todes gestorben‹, aber dann geht die Botschaft ja gleich weiter; es heißt: ›Es war einer von uns.‹ Bedeutet das, einer aus der Familie Parkinson, oder lebte sonst noch jemand hier? Sagen wir mal, es gab zwei oder drei junge Parkinsons, dann ältere Parkinsons und Leute, die anders hießen, aber Tanten, Neffen oder Nichten waren. Vermutlich hatten sie auch ein Hausmädchen und eine Zofe und eine Köchin oder eine Gouvernante und vielleicht auch – nein, für ein Au-pair-Mädchen ist es zu lange her –, aber ›einer von uns‹ wird sich schon auf den ganzen Haushalt beziehen. Und zu einem Haushalt gehörten damals viel mehr Menschen als heute. Schön, Mary Jordan kann ein Hausmädchen oder die Köchin gewesen sein. Und warum sollte jemand ihren Tod wünschen? Jemand muss ihren Tod gewollt haben, sonst wäre ihr Tod doch ganz normal gewesen, nicht wahr? Übrigens bin ich übermorgen wieder zum Morgenkaffee eingeladen.«

»Du scheinst unentwegt zu morgendlichen Kaffee-Einladungen zu gehen«, bemerkte Tommy.

»Ach, es ist eine praktische Methode, seine Nachbarn kennen zu lernen und auch viele andere Einwohner aus dem Ort. Schließlich ist das Dorf nicht besonders groß. Die Leute reden auch dauernd über alte Tanten oder Bekannte von früher. Ich werde mir zuerst Mrs Griffin vornehmen, offenbar das Unikum in der Gegend. Nach allem, was ich gehört habe, hat sie mit eiserner Hand regiert. Weißt du, sie hat den Vikar tyrannisiert und den Doktor und die Gemeindeschwester und wen sie sonst noch in Reichweite hatte.«

»Könnte die Gemeindeschwester nicht nützlich sein?«

»Das glaube ich nicht. Sie ist tot. Ich meine die, die zur Zeit der Parkinsons hier gelebt haben muss. Die jetzige ist noch nicht lange hier und interessiert sich nicht sehr für das Dorf. Die hat bestimmt nie einen Parkinson gekannt.«

»Ich wollte«, seufzte Tommy, »ich wollte, wir könnten alle Parkinsons vergessen!«

»Du meinst, dann gäbe es das ganze Problem nicht?«

»Ach, du meine Güte! Schon wieder das Wort Problem.«

»Daran ist Beatrice schuld.«

»Wieso Beatrice?«

»Sie hat das Wort ›Probleme‹ eingeführt. Nein, eigentlich war es Elizabeth, die Putzfrau, die wir vor ihr hatten. Ständig kam sie an und sagte: ›Ach, Madam, kann ich Sie eine Minute sprechen? Ich hab da nämlich ein Problem.‹ Ihre Nachfolgerin an den Donnerstagen war Beatrice; sie muss sich angesteckt haben, denn sie hat auch Probleme. Es heißt einfach, dass sie was von mir will, aber es hat immer den Namen ›Problem‹.«

»Na schön«, sagte Tommy. »Lassen wir’s gut sein. Du hast ein Problem – ich habe ein Problem – wir haben beide Probleme.«

 

Tuppence ging langsam die Treppe hinunter und schüttelte den Kopf, als Hannibal ihr erwartungsvoll entgegenlief. Er wedelte und hoffte, dass etwas Angenehmes geschehen würde.

»Nein, Hannibal. Du bist schon draußen gewesen. Du hast deinen Morgenspaziergang gehabt.«

Hannibal fand, dass sie sich täuschen müsste, er war noch nicht spazieren gegangen.

»Du bist der verlogenste Hund, den ich kenne«, rief Tuppence. »Du warst mit Herrchen draußen.«

Hannibal machte einen zweiten Versuch, der auf alle nur möglichen hündischen Ausdrucksarten zeigen sollte, dass jedem Hund ein zweiter Spaziergang zustand, hätte er nur einen Besitzer, der die Dinge im rechten Licht sähe. Über den ausbleibenden Erfolg enttäuscht, lief er die Treppe hinunter und schnappte laut bellend nach einem Mädchen mit zerzausten Haaren, das Staub saugte. Er mochte keine Staubsauger und hatte etwas dagegen, dass Tuppence sich in ein Gespräch mit Beatrice vertiefte.

»Oh, passen Sie auf, dass er mich nicht beißt«, rief Beatrice.

»Der beißt Sie nicht. Er tut nur so.«

»Na, ich glaube, dass er eines Tages tatsächlich zubeißt. Ach, übrigens, Madam, haben Sie einen Augenblick Zeit?«

»Oh«, sagte Tuppence. »Meinen Sie, dass Sie…«

»Ja, sehen Sie, Madam, ich hab da ein Problem.«

»Das hatte ich mir fast gedacht. Um was geht es denn? Übrigens, kennen Sie zufällig eine Familie oder einen Mann namens Jordan? Sie sollen früher hier gewohnt haben.«

»Jordan? Nein, nicht dass ich wüsste. Die Johnsons, ja, die kenne ich. Der eine war Polizist, ein anderer Postbote: George Johnson. Er war mein Freund.« Sie kicherte.

»Haben Sie nie von einer Mary Jordan gehört?«

Beatrice sah sie verwundert an. Sie schüttelte nur den Kopf und ging dann wieder zum Angriff über. »Wegen meinem Problem, Madam…«

»Ja, natürlich, Ihr Problem.«

»Hoffentlich belästige ich Sie nicht zu sehr, Madam, aber ich bin in einer schwierigen Lage und möchte nicht…«

»Könnten Sie sich nicht kurz fassen?«, fragte Tuppence. »Ich muss gleich weg. Ich bin zum Kaffee eingeladen.«

»Ja, stimmt. Bei Mrs Barber, nicht wahr?«

»Ja. Und was ist nun Ihr Problem?«

»Es geht um einen Mantel. Es war so ein schöner Mantel. Bei Simmonds im Laden. Ich bin reingegangen und hab ihn anprobiert und er hat mir sehr gut gefallen. Na, und da war ein kleiner Fleck dicht über dem Saum, wissen Sie, aber ich dachte, dass das keine große Rolle spielt. Außerdem…«

»Ja?«

»Es war wohl der Grund, warum er so billig war. Ich hab ihn also gekauft. Als ich nachhause kam, hab ich das Preisschild gefunden, auf dem stand nicht drei Pfund siebzig, sondern sechs Pfund. Wissen Sie, Madam, da wusste ich nicht, was ich machen sollte. Schließlich bin ich wieder zum Geschäft gegangen. Ich dachte, es wäre besser, ich brächte ihn zurück und erkläre ihnen, dass ich ihn zu so einem Preis nicht kaufen würde. Aber dann war da die Verkäuferin – sie ist sehr nett und heißt Gladys –, die hat sich furchtbar aufgeregt und ich hab gesagt: ›Dann zahle ich eben den Rest.‹ Doch sie hat gesagt: ›Das geht gar nicht, es ist schon alles verbucht.‹ Verstehen Sie, was ich meine?«

»Ich glaube, ja«, sagte Tuppence.

»Und dann hat sie hinzugefügt: ›Das können Sie nicht, sonst bekomme ich Ärger.‹«

»Wieso Ärger?«

»Das hab ich auch nicht verstanden. Sie hat mir erklärt, es wäre ein Fehler gewesen, dass sie nicht den richtigen Preiszettel gesehen und mir den Mantel zu billig verkauft hätte. Und deshalb könnte sie entlassen werden.«

»Ach, das glaube ich nicht«, erwiderte Tuppence. »Ich finde, Sie haben es ganz richtig gemacht. Eine bessere Lösung wüsste ich nicht.«

»Schon, aber es kam ganz anders: Sie hat sich schrecklich aufgeregt und angefangen zu heulen, bis ich den Mantel wieder mitgenommen habe. Und nun ist mir nicht klar, ob ich den Laden betrogen habe oder – also, ich weiß nicht, was ich tun soll.«

»Ich glaube, ich bin einfach zu alt, um Ihnen raten zu können. Heute ist in den Läden alles so verrückt. Die Preise sind mir unverständlich und alles ist so schwierig. An Ihrer Stelle würde ich, wenn Sie die Differenz bezahlen wollen, das Geld Gladys geben. Sie kann es einfach in die Kasse legen.«

»Das möchte ich nicht so gern, weil sie es vielleicht behält, wissen Sie. Ich meine, jetzt ist es so, als hätte ich das Geld gestohlen, aber das wollte ich gar nicht. Wenn ich es ihr gebe, sieht es so aus, als hätte sie es gestohlen. Und so ganz traue ich ihr nicht. Ach, du meine Güte!«

»Tja«, sagte Tuppence. »Das Leben ist schwierig, was? Tut mir leid, Beatrice, ich glaube, das müssen Sie selbst entscheiden. Wenn Sie Ihrer Freundin nicht trauen können…«

»Es ist keine richtige Freundin. Ich kaufe nur bei ihr und sie ist immer so nett. Ich glaube, sie hat schon mal Ärger gehabt, es hieß, sie hätte bei einem Verkauf Geld zurückbehalten oder so was.«

»Na, in dem Fall«, antwortete Tuppence leicht verzweifelt, »würde ich nichts unternehmen.«

Sie sagte das so streng, dass sich Hannibal in die Beratung einmischte. Er bellte Beatrice laut an und machte einen großen Satz auf den Staubsauger zu, den er für einen seiner Hauptfeinde hielt.

»Sei still, Hannibal! Hör mit dem Gebell auf und lass das Beißen sein!«, schimpfte Tuppence. »Oh, ich komme viel zu spät!«

Sie lief aus dem Haus.

»Überall Probleme«, brummte Tuppence vor sich hin, als sie den Hügel hinunterging und in den Obstgartenweg einbog. Dabei überlegte sie, wie schon oft, ob eins der Häuser am Weg je einen Obstgarten gehabt hatte. Es erschien ihr unwahrscheinlich.

Mrs Barber empfing sie überaus freundlich und tischte verlockend aussehende Eclairs auf.

»Hm«, sagte Tuppence, »sie sehen wunderbar aus. Sind sie von Betterby?«

Betterby war die Konditorei des Ortes.

»Nein, meine Tante hat sie gebacken. So etwas kann sie hervorragend.«

»Eclairs sind sehr schwierig zu machen. Ich habe damit nie Glück.«

»Man muss ein bestimmtes Mehl verwenden. Ich glaube, das ist das ganze Geheimnis.«

Die Damen tranken Kaffee und plauderten über die Tücken des Kuchenbackens.

»Miss Bolland hat neulich von Ihnen gesprochen, Mrs Beresford.«

»Ach? Wirklich? Wer ist Miss Bolland?«

»Sie wohnt neben dem Pfarrhaus. Ihre Familie ist schon sehr lange hier. Sie hat erzählt, dass sie bereits als Kind hier zu Besuch war. Sie hätte sich immer so darauf gefreut, wegen der guten Stachelbeeren im Garten. Und wegen der Reineclauden. Solche Pflaumenbäume sieht man heute kaum. Gelbe Pflaumen gibt es wohl, aber die schmecken anders.«

Die Damen sprachen über Früchte und Obstsorten, die heute nicht mehr so schmeckten, wie sie in ihrer Kindheit geschmeckt hatten.

»Mein Großonkel hatte auch Reineclauden«, stellte Tuppence fest.

»Ach? War das der Domherr in Anchester? Hier hat früher ein Domherr Henderson mit seiner Schwester gelebt – eine traurige Geschichte. Sie hat Kümmelkuchen gegessen, ein Kümmelkorn ist ihr in die falsche Kehle geraten und sie ist daran erstickt. Wenigstens wird das behauptet. Ist das nicht schrecklich? Einer meiner Vettern ist auch erstickt, an einem Stück Hammelfleisch. Angeblich kann es ganz leicht passieren. Es soll ja Menschen geben, die am Schluckauf gestorben sind, weil sie einfach nicht aufhören konnten.«