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»Viele Parkinsons liegen auf dem Friedhof«, sagte Tuppence beim Essen. »Mehrere Generationen; die Zahl ist beachtlich. Alte, junge, verheiratete – es wimmelt von Parkinsons. Und Capes und Griffins und Underwoods und Overwoods. Komisch, dass beide Sorten von Woods vertreten sind, was?«
»Ich hatte einen Freund namens George Underwood«, stellte Tommy fest.
»Ja, Underwoods habe ich auch gekannt, aber keine Overwoods.«
»Männliche oder weibliche?«, fragte Tommy etwas interessierter.
»Ein Mädchen, Rose Underwood.«
»Rose Underwood.« Tommy lauschte dem Klang des Namens nach. »Das passt nicht besonders gut zusammen.« Einen Augenblick später fügte er hinzu: »Nach dem Essen muss ich den Elektriker wieder anrufen. Pass oben auf dem Treppenabsatz auf, Tuppence, sonst brichst du ein!«
»Dann sterbe ich eines natürlichen oder auch eines unnatürlichen Todes. Eins von beiden.«
»Tod aus Neugier«, sagte Tommy. »Neugier ist gefährlich.«
»Bist du nie neugierig, Tommy?«
»Ich sehe einfach keinen Anlass zur Neugier. Was gibt es zum Nachtisch?«
»Sirupkuchen.«
»Mein Kompliment, Tuppence, es war ein köstliches Essen.«
»Ich freue mich, wenn es dir geschmeckt hat.«
»Was ist mit dem Paket vor der Hintertür? Ist es etwa der Wein, den wir bestellt haben?«
»Nein, es sind Blumenzwiebeln.«
»So?«
»Tulpenzwiebeln. Ich muss gleich mal mit dem alten Isaac sprechen.«
»Wo willst du sie denn einpflanzen?«
»Ich dachte rechts und links vom Mittelweg.«
»Der arme alte Kerl. Ich habe immer Angst, er fällt im nächsten Augenblick tot um«, sagte Tommy.
»Nicht die Spur. Isaac ist zäh. Übrigens scheint das eine Eigenschaft von Gärtnern zu sein. Sehr gute Gärtner, habe ich festgestellt, laufen erst zur Hochform auf, wenn sie über achtzig sind. Aber wenn ein blühend aussehender junger Mann von etwa Mitte dreißig sagt, er wollte immer schon gern im Garten arbeiten, kannst du sicher sein, dass er nicht viel tut. Die wollen immer nur ein paar Blätter zusammenrechen. Wenn man von ihnen mehr verlangt, behaupten sie einfach, es wäre nicht die richtige Jahreszeit. Und da man meistens nicht weiß, wann die richtige Jahreszeit ist – ich wenigstens nicht –, kommt man nie gegen sie an. Aber Isaac ist großartig! Er weiß einfach alles. Es müssten übrigens auch Krokusse dabei sein. Am besten sehe ich mal nach. Isaac kommt gleich. Er wird es mir erklären.«
»In Ordnung«, sagte Tommy. »Ich leiste dir später Gesellschaft.«
Tuppence und Isaac verstanden sich glänzend. Die Blumenzwiebeln wurden ausgepackt und Beratungen abgehalten, wo die Pflanzen am besten zur Geltung kämen; erst die frühen Tulpen, die schon Ende Februar das Herz erfreuen würden, dann die hübschen Papageientulpen mit den ausgefransten Blütenblättern, dann eine Sorte, die, so viel Tuppence verstand, Viridiflora hieß, besonders schön und langstielig war und Ende Mai bis Anfang Juni blühte. Da sie nur grün blühte, sollte sie in einem hinteren Teil des Gartens gepflanzt werden, um dann für interessante Sträuße im Wohnzimmer verwendet zu werden. Vielleicht konnte man die Zwiebeln auch neben dem Weg vom Gartentor zum Haus stecken, wo die Blüten dann den Neid und die Eifersucht aller Besucher erregen würden.
Um vier Uhr machte Tuppence in der Küche guten, starken Tee in einer braunen Tonkanne. Sie stellte eine Schale Würfelzucker und ein Kännchen Milch dazu und rief Isaac, damit er sich vor dem Nachhauseweg stärkte. Danach machte sie sich auf die Suche nach Tommy.
Wahrscheinlich schläft er irgendwo, dachte sie, während sie von einem Zimmer ins andere ging. Erfreut stellte sie fest, dass aus dem tiefen Loch beim Treppenabsatz ein Kopf hervorschaute.
»Ma’am, jetzt ist es in Ordnung«, sagte der Elektriker. »Sie brauchen nicht länger vorsichtig zu sein. Wir sind fertig.« Leider fügte er hinzu, dass er am nächsten Morgen in einer anderen Ecke von vorn beginnen wollte.
»Hoffentlich kommen Sie auch«, sagte Tuppence. »Haben Sie übrigens Mr Beresford gesehen?«
»Ihren Mann, meinen Sie? Ja, der ist oben, glaube ich. Er hat was runtergeworfen. Es war was Schweres. Bücher zum Beispiel.«
»Bücher!«, seufzte Tuppence. »Nein, so was!«
Der Elektriker kehrte in seine Unterwelt zurück und Tuppence stieg zum Dachboden hinauf, der als Bibliothek für die Kinderbücher eingerichtet worden war.
Tommy saß auf einer Trittleiter. Um ihn herum lagen mehrere Bücher auf dem Fußboden, in den Regalen waren auffallende Lücken.
»Aha, da bist du ja«, sagte Tuppence. »Und dabei hast du so getan, als interessierst du dich gar nicht dafür. Du hast eine schöne Unordnung gemacht.«
»Tut mir leid. Ich hatte mich nur mal umsehen wollen.«
»Hast du noch mehr Bücher gefunden, in denen was mit roter Tinte unterstrichen wurde?«
»Nein.«
»Wie schade!«
»Ich glaube, dass es Alexander war. Master Alexander Parkinson.«
»Ja, sicher. Einer von den Parkinsons, den zahllosen Parkinsons.«
»Ich vermute, dass er ein ziemlich fauler Knabe war«, sagte Tommy. »Obwohl es mühsam war, die Buchstaben zu unterstreichen. Aber über den Fall Jordan hat er keine weiteren Informationen hinterlassen.«
»Ich habe den alten Isaac gefragt. Der kennt Gott und die Welt. Er kann sich an keine Jordans erinnern.«
»Was willst du mit der Messinglampe, die du neben die Eingangstür gestellt hast?«, fragte Tommy, als er mit ihr nach unten ging.
»Die bringe ich zum Raritätenbasar.«
»Warum?«
»Weil sie so hässlich ist. Wir haben sie auf irgendeiner Reise gekauft, weißt du noch?«
»Ja, da müssen wir verrückt gewesen sein. Du hast sie nie leiden können. Ich kann dir nur beipflichten. Außerdem ist sie sehr schwer, viel zu schwer.«
»Dabei hat Miss Sanderson sich sehr gefreut, als ich sie ihr anbot. Sie wollte sie abholen, aber ich habe gesagt, ich würde sie hinbringen. Heute müssen wir sie abliefern.«
»Wenn du möchtest, erledige ich es.«
»Nein, ich würde lieber selbst fahren.«
»Dann komme ich mit und trage sie dir rein.«
»Ach, ich finde bestimmt jemand, der mir hilft.«
»So sicher ist das nicht. Pass auf, dass du dich nicht überanstrengst.«
»Selbstverständlich.«
»Du hast doch einen bestimmten Grand, warum du hinfährst?«
»Ich wollte eigentlich nur ein bisschen mit den Leuten reden.«
»Ich weiß nie genau, was du ausheckst, Tuppence, aber ich weiß genau, wie du aussiehst, wenn du was ausheckst.«
»Geh inzwischen mit Hannibal spazieren, Tommy. Ich kann ihn nicht mitnehmen, denn ich möchte nicht in eine Hundebeißerei geraten.«
»Na schön. Gehen wir, Hannibal!«
Hannibal gab wie stets sofort seine Zustimmung. Zustimmung und Ablehnung waren bei ihm nicht zu verkennen. Er wackelte, wedelte, hob die Pfote, senkte sie wieder und rieb heftig den Kopf gegen Tommys Bein.
So ist’s gut, schien er sagen zu wollen, dazu bist du da. Wir machen einen herrlichen Spaziergang mit vielen schönen Gerüchen.
»Los!«, sagte Tommy. »Ich nehme die Leine mit. Lauf nicht gleich auf die Straße wie beim letzten Mal. Einer von diesen riesigen Lastwagen hätte dich fast überfahren.«
Hannibal sah zu seinem Herrchen auf. Sein Gesichtsausdruck sagte: Ich bin ein braver Hund, tue immer, was du willst. So falsch diese Miene auch war, sie täuschte sehr oft sogar die Menschen, die im engsten Kontakt mit Hannibal lebten.
Tommy trug die Messinglampe zum Auto und murrte über ihr Gewicht. Tuppence fuhr los, und als Tommy den Wagen um die Ecke verschwinden sah, nahm er Hannibal an die Leine und ging die Straße entlang. Er bog in einen kleinen Weg ein, der zur Kirche führte, und ließ Hannibal los, weil so gut wie kein Autoverkehr war. Hannibal genoss die Freiheit, knurrte und schnüffelte an den Grasbüscheln, die am Wegrand zwischen den Pflastersteinen wuchsen. Es war ganz klar, was er gesagt hätte, wenn er hätte sprechen können: Riecht gut, ausgezeichnet, war ein großer Hund, sicher der ekelhafte Schäferhund. Dann ein leises Grollen. Ich kann Schäferhunde nicht ausstehen. Wenn ich den treffe, der mich damals gebissen hat, beiße ich zurück. Aha! Sehr schön, eine reizende kleine Hündin. Würde ich gern treffen. Ob sie wohl weit weg wohnt? Ich glaube, sie stammt aus dem Haus dort.
»Na komm schon aus dem Tor raus«, rief Tommy. »Du sollst nicht zu fremden Häusern laufen!«
Hannibal tat, als hätte er nichts gehört.
»Hannibal!«
Hannibal beschleunigte sein Tempo und bog um die Hausecke, wo es zur Küche ging.
»Hannibal!«, schrie Tommy. »Hörst du nicht?«
Ob ich dich höre, mein Lieber, dachte Hannibal. Hast du mich etwa gerufen? Ach ja, natürlich.
Ein böses Bellen aus der Küche drang an sein Ohr. Er trottete aus dem Garten und schloss sich wieder Tommy an. Er blieb ihm dicht auf den Fersen.
»Braver Hund«, sagte Tommy.
Dann waren sie bei der Friedhofspforte. Hannibal, der die Fähigkeit besaß, seine Größe zu verändern, war nun kein ziemlich breiter, ein wenig fetter Hund mehr, sondern ein dünner schwarzer Aal. Er kroch ohne alle Schwierigkeit durch die Gitterstäbe.
»Komm zurück, Hannibal!«, rief Tommy. »Du darfst nicht hinein!«
Hannibal ließ sich nicht stören, sondern rannte munter auf dem Friedhof umher, als wäre er in einem besonders reizvollen Garten frei gelassen worden.
»Du bist ein böser Hund!«, schrie Tommy.
Er riegelte die Pforte auf, trat ein und lief, mit der Leine in der Hand, hinter Hannibal her. Hannibal war bereits in einer weit entfernten Ecke und schien sich durch eine nicht ganz geschlossene Tür Einlass in die Kirche verschaffen zu wollen. Tommy kam gerade noch rechtzeitig, um das zu verhindern. Er nahm ihn an die Leine. Hannibal sah zu ihm auf, als hätte er es erwartet. So, du nimmst mich an die Leine. Ja, ich weiß, das ist eine Prestigefrage für dich. Es beweist, dass ich ein sehr wertvoller Hund bin. Er wedelte mit dem Schwanz. Da niemand erschien und dagegen protestierte, dass Hannibal an der Leine mit seinem Herrn durch den Friedhof spazierte, wanderte Tommy umher und überprüfte die Ergebnisse von Tuppence’ Nachforschungen.
Er betrachtete zuerst ein etwas verwittertes Grabmal hinter einer kleinen Seitentür der Kirche. Er hielt es für eins der ältesten auf dem Friedhof. Es gab mehrere ähnliche Steine, die alle Daten aus dem vorigen Jahrhundert trugen. Dann kam ein Grabstein, vor dem Tommy sehr lange stehen blieb. »Merkwürdig«, sagte er, »verdammt merkwürdig!«
Hannibal blickte zu ihm auf. Er verstand diesen Teil der Unterhaltung mit seinem Herrchen nicht ganz. Er konnte an dem Grabstein nichts entdecken, was einen Hund interessiert hätte. Er setzte sich und sah Tommy fragend an.