17
Ilkars Sinne wurden durch einen starken Geruch wieder zum Leben erweckt, klebrig und mit einem süßlichen Nachgeschmack. Pfeifenrauch.
Er lag im großen Saal auf dem Rücken, und als er die Augen öffnete, sah er zunächst nichts außer der verschwommenen, von hellem Sonnenlicht beschienenen Decke. Einen Moment lang genoss er die Stille, während seine Augen sich anpassten. Erienne hatte ihm das Leben gerettet. Er war müde, ein dumpfer Schmerz kündete von schweren Verletzungen, doch er wusste, dass er nicht mehr in Lebensgefahr schwebte. Es war ein gutes Gefühl.
Er stemmte sich auf die Ellenbogen hoch und bemerkte Denser.
Der Xeteskianer saß auf einem Stuhl, hatte die Beine ausgestreckt und die Füße auf den Tisch gelegt. Soweit Ilkar es sehen konnte, war Densers Gesicht noch von den Spuren der Schläge gezeichnet, doch in die gewohnten schwarzen Gewänder gekleidet und mit der Mütze im Schoß war er schon fast wieder der Alte. Die Pfeife qualmte behaglich in seinem Mund, ein dampfender Krug stand neben ihm auf dem Tisch, und die Katze schlief zusammengerollt auf seinen Beinen.
»Ich hätte mir in meinen wildesten Träumen nicht vorstellen können, jemals erfreut zu sein, einen Xeteskianer zu sehen.«
Denser lachte, und die Bewegung weckte die Katze, die gähnte, sich streckte und auf den Boden sprang. Der Magier nahm die Füße vom Tisch und schlenderte zu Ilkar hinüber.
»Guten Morgen, Ilkar. Doch eigentlich müsste ich dir gleich zweimal einen guten Morgen wünschen.«
»Wie lange habe ich denn geschlafen?«
»Zwei Tage und zwei Nächte.«
»Und was ist mit Hirad?«
Denser lächelte. »Schau selbst.« Er deutete links neben Ilkar und kehrte zum Tisch zurück, wo er die Pfeife weglegte und dafür den Becher zum Mund hob.
Ilkar blickte in die Richtung, in die Denser gedeutet hatte, und war einen kurzen, schrecklichen Moment lang überzeugt, dass Hirad tot war. Doch dann sah er, wie sich der Brustkorb des Barbaren sanft und gleichmäßig hob und senkte. Es war ein wundervoller Anblick. Hirad war wie Ilkar auf ein festes Lager gebettet, der Kopf ruhte auf einem Kissen, und der Körper war bis zur nackten Brust zugedeckt. Der Wulst um die Hüften verriet, dass darunter dicke Verbände angelegt worden waren. Bleich war der Barbar, aber das spielte keine Rolle. Ilkars Herz frohlockte, und die Freudentränen schossen ihm in die Augen. Er wischte sie ab.
»Äh …«, setzte er an.
»Du darfst aufstehen«, erklärte Denser. »Komm und trink einen Becher Kaffee.«
Ilkar nickte und richtete sich langsam auf. Ihm wurde schwindlig, und er musste innehalten, um nicht das Bewusstsein zu verlieren.
»Alles in Ordnung?«, fragte Denser.
»Geht so«, sagte er. »Aber ich trinke lieber hier im Sitzen.«
Denser schlenderte kichernd zur Tür und spähte in die Küche. »Talan? Hör doch mal mit Schnippeln auf und bring einen Kaffee rüber. Hier ist jemand, mit dem du mal reden solltest.«
Das Klappern des Messers brach ab, dann waren Schritte zu hören, und Talan kam in den Raum geeilt. Er verschüttete beinahe seinen Kaffee, als er sah, wer ihn erwartete.
»Ilkar!« Er drückte dem Elfen den Becher in die Hände. »Du weißt gar nicht, wie gut du aussiehst.«
»Immer mit der Ruhe«, grinste Ilkar. »Vielen Dank für den Kaffee. Wie ist die Lage sonst?«
Talan wurde wieder ernst. »Ich habe Richmonds Totenwache allein gehalten. Er ist im Garten neben den Ställen beerdigt.«
Ilkar nickte und trank einen Schluck Kaffee. »Ich werde ihn vermissen.«
»Ich auch.«
»Und was ist mit ihm?« Er nickte zu Hirad hin.
Talan setzte sich neben ihm aufs Bett. »Ich muss schon sagen, es war wirklich beeindruckend«, sagte er und begann wieder zu strahlen. »Die Frau, diese Erienne … sie schläft jetzt wohl. Denser sagte, sie habe einen Körperspruch gewirkt. Heißt es nicht so?« Ilkar nickte. »Sie hat den ganzen Körper behandelt. Sogar ich konnte es fühlen; es war eine tiefe Wärme, die sich verlagert hat, wenn sie die Hände bewegte, und die in seinen Mund, in seine Ohren und seine Nase eindrang … sie war stundenlang mit ihm beschäftigt.«
Ilkar nickte wieder und schaute zu Denser auf.
»Schau an, ein Körperspruch also?«
»Wie aus dem Lehrbuch. Sie ist wirklich gut, Ilkar. Sehr stark. Thraun sagte mir, sie habe auch den Eiswind eingesetzt.« Denser zog die Augenbrauen hoch, leerte seinen Becher und schlurfte in die Küche, um sich mit frischem Kaffee zu versorgen.
Talan beugte sich vor. »Er genießt meine aufrichtige Bewunderung.«
»Ach?« Ilkars Widerspruchsgeist regte sich, es war ein alter Reflex.
»Erienne musste sich nach dem Körperspruch ausruhen. Dann hat sie ihre Arbeit mit einem weiteren Spruch beendet und Hirad in den Schlaf versetzt. Danach ruhte sie sich noch einmal aus, bevor sie sich um Denser gekümmert hat. Alles in allem hat sie zwei Tage gebraucht. Aber Denser hat die ganze Zeit nur hier gesessen und dich am Leben erhalten und dabei kaum ein Wort gesagt. Hat nur hin und wieder ein wenig gegessen und getrunken.«
»Ich weiß das Opfer, das er bringen musste, durchaus zu schätzen«, sagte Ilkar. Er hatte nicht gewusst, wie sehr Denser sich eingesetzt hatte, und jetzt wehrte er sich instinktiv gegen die Vorstellung, dem Dunklen Magier dankbar sein zu müssen.
»Sie haben ihm den Kiefer gebrochen und die Wangen verletzt, die Nase war zerquetscht, und die meisten Finger und Zehen und ein halbes Dutzend Rippen waren gebrochen. Er muss die ganze Zeit höllische Schmerzen gelitten haben. Du bist ihm etwas schuldig.« Talan schüttelte den Kopf, und Ilkar machte ein betretenes Gesicht. Denser kam wieder herein. Er lächelte, und erst jetzt bemerkte Ilkar die Katze vor seinen Füßen.
»Es ist eine Schuld, deren Begleichung ich niemals einfordern werde«, beruhigte Denser ihn. »Ich musste es einfach tun.«
»Wie auch immer«, erwiderte Ilkar, »mir fehlen die Worte, um meine Dankbarkeit auszudrücken.«
»Du bist am Leben und kannst reden, Julatsaner, und das ist mir Dank genug.« Denser stakste verlegen zur gegenüberliegenden Tür und ging in den Flur hinaus. Die Katze folgte ihm auf dem Fuße.
Später am gleichen Tag nahmen Ilkar und Denser Hirad in die Mitte und halfen ihm auf die Beine. Der Barbar musste starke Schmerzen ertragen, die seinen Körper durchfluteten, während die Muskeln in seinem Bauch unter der Belastung protestierten. Noch eine letzte Warme Heilung, sagte Erienne, und er werde am folgenden Tag fähig sein zu reiten – drei Tage nach dem wütenden Angriff auf die Burg.
Mit gemischten Gefühlen blickte Hirad auf Richmonds Grab hinunter. Das Rabensymbol war in die festgestampfte Erde eingebrannt worden. Er musste an die Unausweichlichkeit des Schicksals denken. Ras, Sirendor, der Unbekannte, Richmond. War der Rabe mit ihnen gestorben? Nur er, Talan und Ilkar waren jetzt noch da, und er fragte sich, ob sie genug waren. Dann erinnerte er sich, dass der Rabe nicht untergehen konnte, solange noch einer der alten Krieger am Leben war. Sie waren immer der Ansicht gewesen, dass der Rabe sich weiterentwickelte, wenn ein Kämpfer starb oder die Gruppe verließ, oder wenn neue Krieger hinzustießen. Es wäre eine Missachtung der Toten, wenn der Rabe auf einmal zu existieren aufhören würde.
Doch wer war nun der Nächste, der sterben musste? Offensichtlich hätte er selbst es sein sollen. Die Berichte über seine Rettung durch die drei Magier hatten seine Meinung über die magische Zunft im Allgemeinen und über Denser im Besonderen stark verändert. Er traute dem Mann immer noch nicht viel weiter, als er spucken konnte, doch er musste andererseits auch dessen Tapferkeit und Entschlossenheit anerkennen. Und er war Denser ebenso dankbar wie Erienne, die ihm allerdings auswich und anscheinend nicht geneigt war, überhaupt ein Wort mit ihm zu wechseln.
Er sah zu ihr hinüber. Wie in fast jeder freien Minute seit der Beerdigung kniete sie auch jetzt am Grab ihrer Kinder. Die Gruft ihres Gatten Alun beachtete sie kaum, sie richtete ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf ihre ermordeten Zwillingssöhne. Er empfand Mitleid mit ihr, doch er wusste auch, dass er es ihr niemals würde vermitteln können, weil sie einfach nicht zuhören wollte.
Und hier, direkt neben ihm, stand der Mann, für den keine Bewunderung zu groß sein konnte. Ilkar war bereit gewesen, sein Leben für ihn zu geben; er hatte sich bewusst dazu entschieden und wäre tatsächlich gestorben, hätte Erienne sie nicht beide geheilt. Loyalität im Kampf konnte Hirad leicht verstehen, doch dies war etwas Größeres. Er hatte einen Kloß im Hals, schluckte schwer und drückte Ilkar herzhaft an sich, während er sich zugleich am Magier festhielt, um nicht vor Schwäche umzufallen.
»Sind wir dann bereit?«
Ilkar nickte. »Wir haben genügend ausgeruhte Pferde, darunter alle, die uns selbst gehören. Die Leichen der Gegner sind beseitigt, und Will hat die Burg vermint. Ich muss schon sagen, er ist ein gerissener Hund.«
»Er versteht sich auf sein Handwerk«, stimmte Talan zu.
Will hatte inzwischen eine Möglichkeit gefunden, Hirads Wunsch zu erfüllen und die Burg erst dann dem Erdboden gleichzumachen, wenn sie selbst schon einen halben Tagesritt entfernt waren.
»Es ist besser, die Feinde werden erst zum Leuchtfeuer gelockt, wenn wir schon nicht mehr da sind«, hatte er erklärt.
Jetzt waren die Küche und der Festsaal, in dem sie so viel Zeit verbracht hatten, für sie nicht mehr zugänglich. Vorhänge, Teppiche und Möbel, Bücher und Balken waren mit Öl präpariert. Mit Öl getränkte Lunten durchzogen die Burg, an strategischen Punkten waren Holzstapel mit Zündern vorbereitet, und dort, wo Will besonders heftige Detonationen auslösen wollte – etwa in den Türmen und in der Eingangshalle –, waren Haufen von trockenem Mehl aufgeschüttet.
Alle außer Hirad und Erienne hatten daran mitgearbeitet. Will war immer wieder durch die Burg patrouilliert und hatte sichergestellt, dass alles den Plänen gemäß ausgeführt wurde, und er hatte langwierige Probeläufe mit vielen verschiedenen Arten von langsam brennenden Zündern durchgeführt. Seil, Öl und Pech wurden in immer neuen Verhältnissen gemischt und angezündet, und die Brenndauer wurde nach Wills Herzschlägen bemessen. Als er endlich zufrieden war, stellte er viele Meter Lunte her, so dick wie sein Daumen, und legte eine Zündschnur oben und eine zweite unten aus.
»Jetzt müssen wir nur noch packen und die Pferde satteln, und morgen früh können wir dann noch die letzten paar Räume mit Zündern versehen. Will und Thraun setzen die Zünder in Brand, und dann sind wir weg.«
»Gut. Denser ist sowieso schon unruhig, weil wir so viel Zeit verloren haben«, sagte Hirad.
»Da ist er nicht der Einzige«, gab Ilkar zurück.
»Wie hat sie eigentlich darauf reagiert, dass wir nach Dordover reiten, um ein Grab ihrer Meister zu plündern?«
Ilkar lächelte. »Das ist eine gute Frage. Ich weiß nicht, was sie abgesprochen haben, aber ich kann immerhin sagen, dass sie die Sache wichtig genug nimmt, um uns nicht zu hintergehen.« Er hielt inne und dachte nach. »Einzelheiten habe ich nicht erfahren. Sie weiß jedenfalls eine Menge über Dawnthief, und offensichtlich vertraut sie Denser.«
»Und die anderen?«, wollte Hirad wissen.
Ilkar zuckte mit den Achseln. »Sie sind gute Leute, Hirad. Thraun ist der geborene Schwertkämpfer. Erienne ist eine begabte Magierin, mit Jandyr haben wir den Bogenschützen, den wir immer haben wollten, und Will, nun ja, er ist klug und sogar gerissen. Sie bilden eine gute Ergänzung für die Truppe. Talan und ich haben sie auf den Kodex eingeschworen, und da du nicht ansprechbar warst, haben wir sie als Mitglieder des Raben aufgenommen. Ich weiß, dass wir es normalerweise nicht so halten, aber wir hatten nicht genug Zeit, sie gründlicher in Augenschein zu nehmen, und wir müssen sicher sein, dass sie dir ohne Wenn und Aber folgen. Ich bin zuversichtlich, dass sie es tun werden. Talan?«
»Ganz deiner Meinung.« Talan nickte, doch er blickte in weite Fernen. »Nur Will ist womöglich ein unsicherer Kandidat, doch ich glaube, Thraun kann ihn unter Kontrolle halten. Eriennes Kummer macht sie möglicherweise unberechenbar. Auch darauf solltest du achten.«
»Sie haben den Vertrag für den derzeitigen Auftrag unterzeichnet, und sie wissen, worauf sie sich einlassen«, fuhr Ilkar fort. »Denser hat ihnen die ganze grausame Geschichte erzählt, und es fiel ihnen nicht sehr schwer zu akzeptieren. Sie konnten eine Entscheidung treffen, die wir in dieser Weise nicht treffen konnten. Wenn sie überleben, dann sind sie reich, und wenn nicht, dann ist das Geld sowieso nicht mehr wichtig, was?«
Hirad zog die Augenbrauen hoch. »Da hast du wohl Recht.« Er war müde. »Ich glaube, ich schleppe mich mal lieber wieder nach drinnen und lege mich eine Weile hin.«
Die drei Rabenkrieger kehrten langsam in den Innenhof vor dem Haus zurück. An der Tür, die den offenen Toren gegenüberlag, hielt Talan sie auf.
»Hört mal«, sagte er, »es fällt mir nicht leicht, es auszusprechen, aber ich kann nicht weiter mitmachen. Ich verlasse den Raben.«
Ilkar und Hirad verdauten schweigend, was er gesagt hatte.
»Ras und Richmond und ich, wir standen einander sehr nahe«, fuhr er fort. »Es war der Höhepunkt unserer Laufbahn, dem Raben beizutreten und für ihn zu kämpfen. Aber zwei Eckpunkte des Dreiecks sind jetzt dahin, und beim nächsten Mal wird es mich treffen. Das wurde mir bewusst, als ich Richmond gefunden habe … er ist allein gestorben.« Er seufzte und kratzte sich am Kopf. »Es tut mir leid, ich kann das nicht so richtig erklären. Ich weiß auch nicht … irgendwie habe ich plötzlich die Freude an der Sache verloren. Das Feuer ist erloschen. Richmonds Totenwache hat mir den Rest gegeben. Ich habe wirklich keine Lust, noch ein weiteres Mitglied des Raben zu beerdigen.«
Hirad sagte nichts, er nickte nur. Ilkars Gesicht verdüsterte sich, und seine Augen wurden schmal. Er runzelte die Stirn.
»Versteht ihr das?«, fragte Talan. »Nun sagt doch etwas, ihr zwei.«
»Ja, ich kann das verstehen«, sagte Hirad. »Als ich mit Sirendor allein war und sein totes Gesicht angesehen habe, da war ich auch schon drauf und dran, meine Klinge zu zerbrechen. Ich habe mich entschieden, es nicht zu tun, und ich finde es schade, dass du es nicht genauso sehen kannst.« Hirad wollte sich auf die Treppe setzen, und sofort kam Ilkar und stützte ihn.
»Mehr kannst du dazu nicht sagen?«, wollte der Julatsaner wissen.
Hirad zuckte mit den Achseln. »Was gibt es sonst noch zu sagen? Wenn er nicht mehr mit dem Herzen bei der Sache ist, dann ist er ein Risiko für uns, und wir sind ohne ihn besser dran. Er weiß es, ich weiß es, und du weißt es auch, Ilkar.«
»Unter normalen Umständen schon, aber anscheinend ist deiner Aufmerksamkeit entgangen, dass wir es hier nicht mit irgendeinem beliebigen Auftrag zu tun haben. Ich bin der Ansicht, dass er nach dieser Trennung eine viel größere Gefahr für uns darstellt als in unserer Nähe.«
»Du glaubst doch wohl nicht, dass ich …«, begann Talan.
»Sie kennen dich«, fauchte Ilkar. »Sie wissen, wie du aussiehst und woher du kommst, und sie werden erfahren wollen, was du weißt. Bei den Göttern, Talan, du hast Informationen, für die jeder Diener der Wytchlords sein Leben geben würde. Du weißt nicht nur, wie die Katalysatoren für Dawnthief beschaffen sind, sondern du weißt auch, wo man sie finden kann. Wenn du jetzt einfach weggehst, dann werden wir nie wissen, ob du in Sicherheit bist … oder ob du ihnen schon alles preisgegeben hast.«
»Ich würde lieber sterben, als euch zu verraten.«
»Ja, aber das kannst du nur beschließen, wenn man dir die Wahl dazu lässt.« Ilkar hielt inne, als er sah, wie zornig Talan wurde. »Hör mal, ich stelle nicht deine Loyalität und deinen Glauben infrage. Ich sage nur, dass es dir vielleicht gar nicht mehr möglich ist, dich für den Tod zu entscheiden. Du bist kein Magier, du kannst nicht einfach dein Herz anhalten.«
Talan nickte langsam. »Trotzdem. Wie sollen sie mich finden, wenn sie nicht einmal wissen, dass ich euch verlassen habe? Wenn sie nicht wissen, wohin ich gegangen bin?«
Ilkar lachte kurz und humorlos. »Es gibt nur einen sicheren Ort für dich, Talan, und das ist der Berg von Xetesk. Irgendwie glaube ich allerdings nicht, dass man dich dort mit offenen Armen empfangen würde.« Ilkar seufzte. »Du musst es dir anders überlegen. Oder wenigstens noch einmal darüber nachdenken.«
»Was glaubst du denn, was ich in den letzten paar Tagen gemacht habe? Gedichte geschrieben?«
»Du kneifst vor dem Kampf um Balaia.«
Talan beugte sich vor und zielte mit dem Finger auf Ilkar. »Ich will dir was sagen, Ilkar. Du brauchst mir wirklich nicht zu erzählen, was ich tun oder lassen soll. Ich weiß, was mein Entschluss bedeutet, und ich fühle mich auch so schon mies genug, ohne dass du es mir unter die Nase reibst.« Talan hob hilflos die Arme. »Ich will, dass ihr mich versteht, ihr müsst ja nicht damit einverstanden sein. Ich verlasse den Raben. Es ist vorbei.« Er marschierte zum Tor.
»Wir können ihn nicht gehen lassen«, sagte Ilkar.
»Wir können ihn aber auch nicht aufhalten«, sagte Hirad.
»Das wird Denser nicht gefallen.«
»Denser wird einsehen, dass er nichts tun kann. Dies ist eine Angelegenheit des Raben.«
»Hirad, ich glaube wirklich …«
»Es ist eine Angelegenheit des Raben.«
»Ich … ach, ich geb’s auf.« Ilkar marschierte frustriert im Kreis herum. »Habt ihr eigentlich immer noch nicht verstanden, was hier los ist? Das hier ist wichtiger als der Rabe. Es ist wichtiger als alles andere. Wir können es uns nicht leisten, bei dieser Aufgabe zu versagen, und wir brauchen jede Unterstützung, die wir nur bekommen können.«
»Nichts ist wichtiger als der Rabe«, sagte Hirad gelassen. »Der Rabe ist der Grund dafür, dass wir überhaupt hier hineingezogen wurden, und der Rabe ist der Grund dafür, dass wir siegen werden. Und zwar, weil wir immer siegen.«
Ilkar starrte Hirad an, und sein hartes Gesicht entspannte sich nach und nach.
»Darauf gibt es wohl keine Antwort mehr, würde ich sagen.«
»Nein.«
»Blinder Glaube ist etwas Wunderbares.«
»Es ist kein blinder Glaube, mein lieber Elf, es ist eine Tatsache. Nenne mir eine einzige Aufgabe, bei der wir versagt haben.«
»Du weißt, dass ich das nicht kann.«
Hirad zuckte mit den Achseln.
»Ilkar?«, rief Talan.
»Was willst du?«
»Ich brauche deine Augen. Hier drüben.«
Irgendetwas in Talans Stimme ließ Ilkar seine Erwiderung herunterschlucken und zum Tor eilen. Hirad rappelte sich unter Schmerzen auf, stützte sich an der Wand ab, bis der Schwindel abgeklungen war, und folgte dem Magier.
»Was ist los?«, fragte Ilkar, der Talan inzwischen erreicht hatte.
Talan deutete nach vorne. »Da, direkt vor uns. Mir war, als hätte ich eine Bewegung gesehen.«
Ilkar nickte. »Ja. Ein Reiter. Er kommt hierher, und wie es aussieht, in vollem Galopp. Und er ist ein ziemlich großer Kerl.«
»Jandyr! Thraun! Vorderes Tor!«, rief Talan. »Wenn es Ärger gibt, Hirad«, fuhr er fort, als er den Barbaren herbeischlurfen hörte, »dann hältst du dich raus.«
»Leck mich doch.«
»Ich dachte mir schon, dass du das sagen würdest.«
»Warum hast du es dir dann nicht gleich verkniffen?«
»Vielleicht um der alten Zeiten willen?« Er wechselte einen Blick mit Hirad, und die beiden Männer lächelten.
»Du kannst jederzeit zu uns zurückkommen«, sagte Hirad.
»Man kann nie wissen.« Talan blickte wieder zum vorderen Tor hinaus.
Als Jandyr und Thraun zu ihnen stießen, konnten sie Hufschläge hören und den Reiter in der Ferne ausmachen.
Ein dunkler Mantel bauschte sich hinter ihm, und er ritt auf einem riesigen Grauen. Als er näher kam, zogen sie ihre Schwerter blank. Ilkar machte sich bereit, einen Spruch zu wirken. Etwa dreißig Schritt vor ihnen zügelte der Mann jedoch sein Pferd und kam im Schritt zum Tor, eine Hand zum friedlichen Gruß erhoben. Er trug eine volle Gesichtsmaske, aber keinen Helm.
»Das ist nahe genug«, knurrte Talan. »Was ist dein Begehr?«
»Ihr könnt die Schwerter wegstecken«, sagte Denser, der sich zur Gruppe am Tor gesellt hatte. »Er ist auf unserer Seite.«
»Ach, wirklich? Und wer ist er?«, fragte Hirad. Ilkar wusste die Antwort bereits.
»Sein Name ist Sol. Er ist ein Protektor. Und wir sollten uns über eines im Klaren sein«, sagte Denser, an Talan gewandt. »Wie ich gerade jemanden ganz richtig sagen hörte, brauchen wir jede Unterstützung, die wir nur bekommen können.«
»Du hättest wenigstens mal erwähnen können, dass du einen Protektor angefordert hast«, sagte Ilkar. Der Nachmittag war von einer gewissen Spannung gekennzeichnet gewesen, und er hatte bis jetzt geschwiegen und es vorgezogen, Hirad im Glauben zu lassen, die Ankunft des Protektors sei Teil eines Plans, der abgesprochen worden war, als der Barbar noch im Koma gelegen hatte. Doch jetzt schlief Hirad und ruhte nach Eriennes letzter Warmer Heilung aus. Die Sonne war schon untergegangen.
Ilkar und Denser saßen in der warmen Abendluft allein auf der Vordertreppe der Burg und redeten miteinander. Wie immer hatte sich der Xeteskianer die Pfeife zwischen die Zähne gesteckt. Seine Katze war nirgends zu sehen.
»Hätte es denn irgendetwas geändert?«
»Es wäre ein Gebot der Höflichkeit gewesen«, erwiderte Ilkar giftig.
»Dann bitte ich um Verzeihung. Allerdings habe ich den Protektor nicht angefordert. Xetesk scheint zu glauben, dass er gebraucht wird, um meine Sicherheit zu gewährleisten.«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen.«
»Warum musst du eigentlich immer alles so negativ sehen?« Denser stopfte seine Pfeife. »Dies hat nichts damit zu tun, dass Dawnthief nach Ansicht meiner Meister letzten Endes nach Xetesk gelangen sollte.« Er zündete die Pfeife an und fabrizierte einen Rauchring. »Es wäre freilich für uns alle leichter, wenn es so einfach wäre.«
»Und wie bist du zu dieser Schlussfolgerung gelangt?«
»Nun, die Dinge werden da draußen in der großen weiten Welt, die wir anscheinend hinter uns gelassen haben, immer komplizierter.«
»Komplizierter.« Ilkar fand diese Formulierung mehr als beunruhigend. Denser hatte einen gefährlichen Hang zur Untertreibung, und seine Worte bedeuteten wahrscheinlich, dass es ausgesprochen übel aussah.
»Ich muss dir etwas sagen. Ich habe einen Bericht über das Treffen am Triverne-See bekommen. Die vier Kollegien sind übereingekommen, eine Armee aufzustellen und den Understone-Pass und die Bucht von Triverne zu verteidigen. Anscheinend wollen sie Blackthorne und Gresse die Verteidigung der Bucht von Gyernath überlassen. Leider haben die anderen Mitglieder der HAK beschlossen, die Warnungen zu ignorieren, und damit ist das Land weitgehend ohne Verteidigung, falls die Wesmen unsere Linien durchbrechen sollten.«
»Das dachte ich mir fast. Wie haben sie denn auf die Neuigkeit reagiert, dass wir Dawnthief suchen?«, fragte Ilkar. Er stellte sich vor, wie die Funken geflogen waren. Denser schwieg sich aus. »Nun?« Sein Lächeln verblasste.
»Es gab keine diesbezüglichen Nachrichten. Wir haben es ihnen nicht gesagt.«
»Wie bitte?«
»Die anderen Kollegien haben keine Ahnung, dass wir Dawnthief suchen.« Denser wich Ilkars Blick aus.
Ilkars Ohren zuckten, und er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Das Blut rauschte in seinem Kopf. Er stand auf, er konnte nicht mehr neben dem Xeteskianer sitzen.
»Wie dumm von mir anzunehmen, Xetesk könnte eine von den Wytchlords unterstützte Invasion für wichtiger halten als die eigenen Fortschritte.« Ilkar schnaufte schwer. »Weißt du, ich hatte schon zu glauben begonnen, dass sich in Xetesk wirklich etwas verändert hat. Jetzt scheint es allerdings so, als sei Xetesks Hauptziel nicht etwa, unser Land aus dieser Krise zu führen, sondern dafür zu sorgen, dass es die Vorherrschaft erringt, wenn wir Erfolg haben.«
»Diese Haltung teile ich allerdings nicht«, widersprach Denser.
»Nein?«
»Nein!« Denser lief rot an. »Was glaubst du denn, warum ich dir überhaupt etwas erzählt habe?«
»Weil es sowieso herausgekommen wäre, wenn wir nach Dordover gefahren wären. Sie hätten uns wohl kaum am Eingang erwartet und uns den Ring, als Geschenk verpackt, überreicht.«
»Ich kann ja verstehen, dass du wütend bist«, sagte Denser.
»Ich glaube, du verstehst überhaupt nichts«, fauchte Ilkar. »Dein Kolleg erwartet von uns, dass wir in den Kampf ziehen und sterben, aber es geht nicht etwa darum, ganz Balaia zu dienen. Ich will kein Bauer auf dem Spielbrett von Xetesk sein, und auch der Rabe wird da nicht mitmachen.«
»Was willst du dann tun?«, fragte Denser, als das Schweigen anhielt.
»Nun, das ist die entscheidende Frage, was?«, erwiderte Ilkar. »Mir bleibt nichts anderes übrig als weiterzumachen, weil ich glaube, dass Balaia in Gefahr ist. Aber eines will ich dir sagen. Jetzt, da Erienne und ich dich unterstützen, gehört Dawnthief allen Kollegien und nicht nur Xetesk.«
»Du wirst es kaum glauben, aber ich stimme dir zu, und ich kann deine Haltung verstehen«, sagte Denser. »Ich stimme aber auch mit der Haltung von Xetesk überein, und du irrst dich, wenn du glaubst, Xetesk wolle die Vorherrschaft erringen. Wenn wir aber am Triverne-See erklärt hätten, dass wir Dawnthief suchen, dann hätten die sich daraus ergebenden Störungen unserer Ansicht nach das ganze Unternehmen gefährdet, und damit auch ganz Balaia.«
»Wie praktisch«, murmelte Ilkar. »Wenn du das wirklich glaubst, dann hast du zu viel von deiner eigenen Doktrin abbekommen. Wie auch immer, wir müssen jetzt in aller Heimlichkeit nach Dordover gehen, weil deine Meister nicht gelernt haben, wie fruchtbar es sein kann, wenn man zusammenarbeitet. Wir sollten darauf achten, dass keiner von uns verletzt wird.«
Sol kam durchs Tor herein und verschwand im Haus. Ilkar hatte irgendwie den Eindruck, er werde genauestens gemustert, und schauderte innerlich. Der Protektor war ihm nicht geheuer. Wenigstens konnte er sagen, woran es lag. Es war die Maske. Sie war einfach, schlicht und schwarz. Aus Ebenholz geschnitzt, wie Denser sagte. Sie war Sols Gesicht angepasst, sah ihm jedoch nicht sonderlich ähnlich, wie der Xeteskianer weiter erklärte.
Ilkar kam sie vor wie eine Totenmaske, und das war ein recht zutreffender Eindruck. Wieder schauderte er, als er, ohne das Bild bewusst gerufen zu haben, noch einmal die Maske vor seinem inneren Auge sah. Die Protektoren waren im Grunde lebende Tote. Männer, die von Geburt an dem Berg von Xetesk geweiht waren und dorthin zurückgerufen wurden, wenn sie starben. Solange die Seele erhalten blieb, konnte der Körper neu erschaffen werden. Es war eine schreckliche Hinterlassenschaft aus der Vergangenheit, nachdem die Xeteskianer über Jahrhunderte hinweg die Lebenden und Toten für ihre Zwecke missbraucht hatten. Diese Unsitte sollte verboten werden, doch das Dunkle Kolleg weigerte sich, eine seiner mächtigsten Errungenschaften einfach aufzugeben.
Ilkar konnte nur ahnen, was der wiederbelebte Körper und die Seele durchmachen mussten. Er würde es niemals erfahren, denn die Protektoren waren durch ein Schweigegelübde gebunden und sprachen nur, wenn ihre Aufgaben es erforderten. Dieses Gelübde zu brechen, so hieß es in der xeteskianischen Überlieferung, sollte »ewigliche Qualen im Berg nach sich ziehen, neben denen die Qualen der gepeinigten Seele in der Hölle als Wohltat, Erbauung und Beschaulichkeit erscheinen müssen«. Aus derselben Überlieferung ging hervor, dass »niemals mehr das Licht oder eines lebenden Menschen Auge ihr Antlitz erblicken darf. Und sie sollen auch nicht reden, solange nicht das Leben ihrer Gebieter durch Schweigen in Gefahr gerät«.
Einzeln eingesetzt, waren die Protektoren äußerst loyale Leibwächter, da sie wussten, welche Qualen jede Zwietracht nach sich ziehen musste. Der wahre Grund für ihre Erschaffung war jedoch die Tatsache, dass eine Armee von Protektoren synchron und mit derartiger Kraft zu kämpfen vermochte, dass sie nur noch durch reine Magie aufzuhalten war. Und selbst dies war nicht sicher. Die Protektoren wurden bei ihrer Erschaffung mit einer inneren Abwehr gegen die Magie ausgestattet. Sie waren wahrhaft schaurige Gegner.
Sol würde von nun an Densers stummer Schatten sein und den Magier begleiten, wohin er auch ging, und der Schatten, den er warf, war in der Tat ein recht großer. Er war ein beeindruckender Mann. Größer noch als Thraun, vielleicht sogar größer als der Unbekannte. Auf dem Rücken trug er über Kreuz eine doppelschneidige Streitaxt und ein Zweihandschwert. Ilkar stellte sich vor, dass er mit jeder Hand eine dieser Waffen schwingen konnte, und nahm sich vor, nicht in der Nähe zu sein, wenn es dazu kommen sollte. Er wandte sich wieder an Denser.
»Entschuldige, ich war abgelenkt. Jetzt kann ich natürlich viel besser verstehen, warum er hier aufgetaucht ist. Aber du wolltest, glaube ich, etwas sagen?«
Denser entzündete seine Pfeife neu und benutzte dazu wie gewohnt eine Flamme, die auf der Spitze seines rechten Daumens entstand. »Mach dir keine Sorgen, er wird dir nichts tun. Er wurde genauestens über die Beteiligten und über unsere Situation informiert.«
»Von wem? Ich habe nicht gesehen, dass du seit seiner Ankunft mehr als ein Dutzend Worte mit ihm gesprochen hättest.«
»Er war mit meinem Hausgeist unterwegs.«
»Das soll mir reichen. Fahre fort.«
Denser änderte ein wenig seine Sitzposition.
»Nun, unsere Entscheidung, zu diesem Zeitpunkt nicht über Dawnthief zu sprechen, sondern abzuwarten, bis der richtige Augenblick gekommen ist, hat uns ein neues Problem eingebrockt.«
»Warum arbeitet der Rabe eigentlich für Xetesk?«, formulierte Ilkar die Frage, die viele sich stellten.
»Genau. Und das bringt am nächsten Ort, zu dem wir gehen, ein großes Problem mit sich.«
»Dordover.«
Ilkar schürzte die Lippen.
»Wenn du, Hirad oder ich in der Stadt gesehen werden, dann bekommen wir jede Menge Ärger mit dem Kolleg von Dordover. Wir können es uns aber nicht erlauben, uns zu trennen, denn wenn wir es tun, werden uns die Wytchlords im Handumdrehen zertrampeln.«
»Wir müssten aber schon ein beinahe unglaubliches Glück haben, wenn wir nicht entdeckt werden wollen.« Ilkar schüttelte den Kopf und fragte sich, ob die Kollegien irgendwann einmal lange genug mit ihrem Gezanke aufhören würden, um gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Gern hätte er Denser als Lügner betrachtet, doch er musste davon Abstand nehmen und sich eingestehen, dass der Dunkle Magier in ebenso großer Gefahr schwebte wie der Rabe. Das Verhalten von Xetesk jedoch war verabscheuungswürdig.
»Wir gehen dort überhaupt nicht hinein. Will, Thraun und Jandyr müssen es allein erledigen.«
»Und was ist mit Erienne?« Ilkar fühlte sich nicht recht wohl dabei, den Ring eines Meisters der Magie von unerprobten und mehr oder weniger unbekannten Rekruten rauben zu lassen. Doch er wusste, dass Densers Vorschlag vernünftig war.
»Wir können auf jeden Fall darauf vertrauen, dass sie uns nicht verrät.« Denser zwinkerte ihm zu. »Aber das ist nicht das Problem. Sie ist nicht gerade Dordovers liebste Tochter, und wenn wir sie hineinschicken, nun ja …«
»Das schmeckt mir alles nicht«, sagte Ilkar. »Ich muss nachdenken. Ich will mich mit Hirad besprechen.«
Selyn fuhr aus dem Schlaf auf. Das Geräusch vieler trampelnder Füße hatte sie abrupt geweckt. Es war später Nachmittag, und normalerweise hätte sie noch ein oder zwei Stunden geschlafen, bevor sie die Schattenschwingen gewirkt und die Reise nach Parve fortgesetzt hätte. Sie hatte sich in einem dichten Gebüsch auf halber Höhe einer Klippe versteckt. Von hier aus konnte sie die Straße überblicken, die von der Torn-Wüste nach Terenetsa führte. Sie war noch vier Tagesmärsche von Parve entfernt.
Vorsichtig, um nicht das Blattwerk ringsum zu bewegen, schob sie den Kopf über einen Felsvorsprung und blickte zur Straße hinunter. Wesmen liefen vorbei. Tausende mussten es sein, hin und wieder kam auch ein berittener Schamane. Sie sah fünf Minuten lang zu und versuchte abzuschätzen, wie viele dieser mit Fellen bekleideten Krieger zum Understone-Pass unterwegs waren.
Als die letzten Reiter vorbei waren, kam sie zu dem Schluss, dass sie etwa siebentausend Mann gesehen hatte. Bei dieser Geschwindigkeit mussten sie den Pass in etwa sechs Tagen erreichen.
»Bei den Göttern, jetzt geht es los«, schnaufte sie. Eigentlich hätte sie die nächste Kommunion erst nach ihrer Ankunft in Parve halten sollen, doch sie konnte nicht zulassen, dass die Verteidigung in Understone von so vielen Angreifern überrannt wurde. Wenn sie davon ausging, dass noch mehr Truppen auf den südlicher gelegenen Straßen aus dem Kernland kamen, dann bedeutete dies, dass eine enorme Streitmacht gegen Balaia vorrückte. Sie schüttelte den Kopf, legte sich hin und forschte im Mana nach Styliann.