DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

O Mahdi Jabaïb, erlöse mich von dem Übel.
Bedecke meinen Körper mit den Zeichen der Heilung,
Und säe Leben spendende Samen in meine kranke Erde.

Gebet zur Heilung,
Bruderschaft der Heiler der Sterne
(Jabaïb: Geier in der Sprache der Sadumba)

Dem hermetisch abgeschlossenen Fluggerät war der Eintritt in die Erdatmosphäre gelungen, es hatte der durch die Reibung entstandenen ungeheuren Hitze standgehalten. Und Ghë hatte außer einer vorübergehenden Bewusstlosigkeit keinen Schaden genommen.

Als sie wieder zu sich kam, war sie von der Sonne geblendet, hatte aber sehen können, dass sich der Fallschirm ihres Flugkörpers geöffnete hatte.

Sie war die einzige Überlebende aus El Guazer und wusste nicht, was sie auf dieser Erde erwartete, von der aus ihre Vorfahren vor zehntausend Jahren (etwas mehr als einhundert SALG-Jahren) ins All aufgebrochen waren.

Würde sie von Menschen bewohnt sein? Und wenn ja, von was für Menschen? Würde der Boden fest genug sein, um ihr Gewicht zu tragen?

Noch immer tat ihr der Arm vom Kämpfen weh. Wie eine blutrünstige Barbarin hatte sie sich auf die Vigilanten gestürzt und ihren Rachedurst gestillt.

Wirre Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf … Die Kämpfe … Und dann die Nachricht, dass sich niemand mehr in den vordersten Waggons des Weltraumzugs befinde.

Ein Mann kam auf sie zugerannt, pures Entsetzen im Gesicht. Er trug den grünen Overall der Techniker.

»Das ist Harp«, erklärte Gil, »einer der Unseren.«

»Die Herrscher und alle anderen Kasten sind von Bord gegangen«, sagte Harp.

»Das ist nicht weiter schlimm«, entgegnete Gil. »Wir nehmen die restlichen Pendelraumschiffe.«

»Aber sie haben die K-Funktion ausgelöst …«

Gil wurde blass. »Wie viel Zeit bleibt uns noch?«

»Fünfzehn … fünfzehn SALG-Minuten.«

»Wenn wir uns beeilen, können wir noch an Bord der Raumschiffe gehen und uns weit genug vom Explosionsherd entfernen«, sagte Gil, ohne davon überzeugt zu sein.

»Meine Vorgesetzten haben einen Fehler gemacht«, sagte Harp. »Einen schrecklichen Fehler. Denn die K-Funktion erstreckt sich nicht nur auf den Weltraumzug, sondern ebenfalls auf die Pendelfahrzeuge. Das habe ich eben erst festgestellt.«

Schweigen.

Schließlich fragte Gil: »Bist du dir sicher?«

»Ja. Ich habe alle Computer überprüft. Ein Irrtum ist ausgeschlossen.«

»Dann muss dieser Prozess unterbrochen werden.«

»Das ist unmöglich. Es würde viel zu lange dauern. Wir fliegen alle in die Luft … sie aber auch. Nichts und niemand wird von El Guazer übrig bleiben …«

»Wir sind also alle verloren, Harp?«

»Ja.«

»Dann müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um die Erwählte zu retten! Im Namen von Maâ und den Seherinnen …«

Harp sah Ghë an. Er öffnete den Mund, aber kein Wort kam über seine Lippen. Schweiß trat auf seine Stirn. »Es … gibt vielleicht eine … eine Möglichkeit«, stammelte er.

»Und? Wie sieht die aus?«, drängte Gil.

»Ein Weltraumanzug, ein Fluggerät mit automatischer Abdrift sozusagen … Ich habe es für mich konstruiert, sollte etwas schiefgehen …«

»Das kann ich nicht annehmen!«, rief Ghë.

Gil legte ihr die Hände auf die Schultern und sah sie eindringlich an. »Wenn nur ein Mensch gerettet wird, so müsst Ihr es sein, Ghë«, sagte er mit fester Stimme. »Ihr wurdet von Maâ und den Seherinnen mittels der Kryptogame erwählt. Ihr seid das Geschenk El Guazers an die Menschheit. Solltet Ihr ablehnen, werden wir uns umsonst geopfert haben. Ihr müsst leben, Ghë, vollendet Euer Schicksal, und wir werden durch Euch leben und mutig und stolz in den Tod gehen.«

 

Das Fluggerät duchdrang die Wolkendecke, und Ghë sah endlich die Erde. Ein unbeschreibliches Gefühl überwältigte sie. Sie versuchte, Spuren der Zivilisation auszumachen, entdeckte aber nur ein schmales blaues Band zwischen schroffen braunen und ockerfarbenen Felsformationen.

»Warum müssen einhunderttausend Menschen sterben, damit ich leben kann?, fragte sie sich. Das Entsetzen auf Harps Gesicht werde ich nie vergessen.

»Wie viel Zeit haben wir noch?«, fragte Gil ungeduldig.

»Zehn Minuten …«

»Und die Wucht der Explosion wird Ghë nicht treffen?«

Ghë glitt in den Flugkörper. Sie wurde nur von vier Personen begleitet. Gil und der Techniker trafen die letzten Vorbereitungen in der röhrenförmigen Abschussrampe. Die anderen standen in den Gängen und hielten sich, eine lange Kette bildend, an den Händen – eine Kette, die sich über vier Raumschiffe erstreckte.

Eine fast feierliche Gelassenheit hatte alle Menschen ergriffen, sogar Verzweiflung und Angst schienen vergessen zu sein. Alle stimmten die Hymne der Rückkehr an …

»Das weiß ich nicht«, flüsterte Harp, der seinen Vorschlag nun bereute.

Trotzdem erledigte er die Startvorbereitungen mit akribischer Sorgfalt, programmierte die Flugbahn zur Erde, das automatische Öffnen des Fallschirms und die Sauerstoffzufuhr.

Gil grüßte die Erwählte ein letztes Mal. Sie lächelte ihn an, weinte nicht, aber sie hatte große Schuldgefühle. Der Gesang der Zurückbleibenden übertönte den Motor des Fluggeräts.

Dann sah sie, wie ihre Begleiter sich zurückzogen und die runde Tür der Schleuse geschlossen wurde. Gleich darauf hatte sie das Gefühl, sich mit großer Geschwindigkeit zu bewegen. Vom Motor angetrieben, entfernte sie sich schnell von dem Raumschiffzug, einer lang gestreckten grauen Masse, die in ihrem Gesichtsfeld immer kleiner wurde, bis sie gänzlich verschwand. Sie näherte sich der Erde.

Ein überwältigendes Gefühl der Einsamkeit stieg in ihr auf.

In dem Moment erschütterte eine gewaltige Explosion den Orbit. Der Motor ihres Fluggeräts begann zu stottern. Gleich darauf kam es zu mehreren kleineren Explosionen. Und als Ghë sah, wie brennende Wrackteile der Raumschiffe wie Kometen am dunklen Himmel verglühten, begriff sie, dass sie die einzige Überlebende eines Volkes im Exil war, der einzige Mensch, der helfen konnte, El Guazers großen Traum zu verwirklichen.

Der Flugkörper näherte sich der Erde jetzt mit großer Geschwindigkeit. Ghë spannte intuitiv ihre Muskeln an, um sich auf den Schock vorzubereiten. Sie hatte Angst, dieses Gehäuse könne beim Aufprall zerbrechen und sie sterben, noch ehe sie den Boden betreten hatte. Das Atmen wurde immer mühsamer und die Hitze in diesem engen Raum immer unerträglicher, sie war schweißgebadet. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Vielleicht ist das der Tod, dachte sie noch, ein schmerzloses Hinübergleiten in die Anderswelt. Da werde ich meine Eltern, meine Schwestern, Gil und meine Mitstreiter wiedersehen … Und sie werden sich umsonst geopfert haben …

Dann wurde sie ohnmächtig.

Als sie wieder zu sich kam, stellte sie fest, dass der Schock des Aufpralls weit weniger heftig war, als sie vermutet hatte. Das Gerät rollte einen Hang hinunter, prallte gegen einen Fels und kam zum Stillstand.

Ghë wurde derart durchgeschüttelt, dass sie ein paar Minuten brauchte, bis sie wieder klar denken konnte. Sie hielt sich an die Instruktionen des Technikers Harp und öffnete die Verriegelung. Das Sichtfenster klappte knirschend auf, und sie spürte sofort den warmen Wind auf ihrer Haut, einen duftenden, köstlichen Wind voller Leben, der in nichts mit der Ventilation an Bord des Weltraumzugs zu vergleichen war.

Als sie aus dem Fluggerät kroch, wurde ihr schwindelig. Die plötzliche Sauerstoffzufuhr hatte sie in einen euphorischen Zustand versetzt, in eine Art Trunkenheit. Sie war außerstande, ihre Bewegungen zu koordinieren, und musste sich erst kriechend und auf allen vieren fortbewegen und sich etwas erholen.

Meine Ankunft auf der Erde ist weitaus weniger spektakulär gewesen, als ich mir vorgestellt habe, dachte sie. Anstatt inmitten meiner Schwestern und Brüder diesen Planeten hoch erhobenen Hauptes zu betreten, krieche ich auf dem Boden herum und habe mir Hände und Füße aufgeschürft.

Ghë stand auf, schwankte und musste sich auf das Fluggerät stützen, sonst wäre sie hingefallen. Das helle Licht tat ihren Augen weh; sie tränten und sie konnte nur verschwommen ihre Umgebung erkennen: eine karstige, unbewohnte, von schroffen Gebirgen umgebene Landschaft. Vergebens suchte sie nach jenen Gräsern und Bäumen, die sie im Museum von El Guazer gesehen hatte.

Wo ist die Schönheit dieser Erde geblieben, die wir in der Hymne der Rückkehr besungen haben, dachte sie. Wo ist das Wasser, das Grün, der sanfte Wind? Dieses geheimnisvolle Böse, hat es alles Schöne auf dem Planeten zerstört? Vielleicht bin ich an der falschen Stelle gelandet. Ich habe Hunger und Durst. Doch wenn ich hierbleibe, erwartet mich nur der Tod.

Über ihr kreisten schwarze Wesen und stießen schrille Schreie aus. Noch zögerte sie, sich von ihrem Fluggerät zu entfernen, bot es doch einen sicheren Unterschlupf. Doch dann dachte sie an die vielen Schwestern und Brüder, die ihr Leben in der Hoffnung gelassen hatten, dass sie – Ghë – ihr Schicksal erfüllen müsse. Ich darf mich nicht von der Angst überwältigen lassen!, ermahnte sie sich. Maâ hat mir weisgesagt, dass ich zu jenen geheimnisvollen Erwählten gehöre, die bereits El Guazer in einer Vision erschienen sind. Also muss ich mich auf die Suche nach meinen elf Gefährten machen. Auch wenn ich nicht weiß, in welche Richtung ich gehen soll.

Schließlich entschied sie sich, ihrem Gehörsinn zu vertrauen, denn aus der Ferne vernahm sie ein leises Brausen oder Tosen, das sie an das dumpfe Brummen des Weltraumzugs erinnerte.

Nach ein paar Schritten merkte sie, dass sie nicht mit der Erdanziehungskraft gerechnet hatte. Sitzend war ihr das nicht aufgefallen, doch während des Gehens hatte sie das Gefühl, bei jeder Bewegung von einer schweren Last niedergedrückt zu werden. So schleppte sie sich dahin.

Die schwarzen schreienden Wesen kamen immer näher, so als würden sie darauf warten, sich auf sie zu stürzen, sollte sie fallen.

Ihr Kabinennachbar hatte ihr von Tieren erzählt und dass es welche gebe, die den Menschen freundlich gesonnen seien, andere aber feindlich. Sie schaute hoch und beobachtete die über ihr kreisenden Wesen und fand, dass sie nichts Freundliches hatten. Ihre Körper waren mit einer Art seidiger Schuppen bedeckt, und sie bedienten sich ihrer Arme – eigentlich waren es keine Arme, aber Ghë fand kein anderes Wort dafür –, um sich in der Luft aufhalten zu können. Am bösen Funkeln ihrer kleinen schwarzen Augen erkannte sie, dass diese Wesen nur auf eine Schwäche von ihr warteten, um sie anzugreifen. Diese Erkenntnis verlieh ihr neue Kraft und trieb sie zum Weitergehen an, obwohl sie sich am liebsten hingelegt und geschlafen hätte.

Ihre Einsamkeit lastete immer schwerer auf ihr. Sie konnte sich nicht mehr mit ihren Schwestern und Brüdern mental austauschen. Seit sie den Fuß auf die Erde gesetzt hatte, empfing sie keine mentalen Impulse mehr; es war, als wären diese scheußlichen Kreaturen die einzigen Bewohner dieser Region.

Ghë wurde von einem fürchterlichen Zweifel ergriffen: War El Guazers Vision etwa nichts anderes als ein Fiebertraum gewesen? Das Hirngespinst eines kranken Mannes, der unter Paranoia litt? Oder hatte er sich bei seinen Berechnungen geirrt? Die Umrechnung von der SALG-Zeit in die LALG-Zeit führte zu Verwirrung, sodass die mutmaßlichen zehn Jahrtausende vielleich hundert Jahrtausende betrugen, eine Ewigkeit …

Ich komme zu spät, um die Menschheit vor dem Nichts zu bewahren. Maâs Worte gewannen in ihren Ohren plötzlich eine ungewollte ironische Bedeutung: »Du bist El Guazers Geschenk an die Menschheit, Ghë …«

Die Menschheit würde dieses Geschenk nie bekommen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil sie nicht mehr existierte.

Sie hörte auf zu gehen, ohne dass es ihr bewusst wurde. Sie sank auf die Knie und legte sich hin. Und sie gab sich ganz ihrer Verzweiflung hin. Sie hörte die rauen Schreie der fliegenden Tiere, achtete aber nicht auf sie. Von der Bitterkeit ihrer Niederlage erfüllt, erschien ihr der Tod als nicht nur die einzige, sondern auch als die wünschenswerteste Lösung.

So blieb sie eine Zeit lang liegen, völlig erschöpft und froh, ausruhen zu können. Zwischen halb geschlossenen Lidern sah sie die fliegenden Kreaturen, die sie aus ein paar Metern Entfernung beobachteten, aufmerksam und ohne sich zu rühren. Der Wind blähte ihr Kleid auf und trocknete den Schweiß auf ihrem Körper.

Ihr schien, als entdecke sie am Horizont einen Lichtstreifen. Dieses Licht rief in ihr die Erinnerung an ihre Vision wach: das von Säulen flankierte Lichtschiff, das von einer schrecklichen Leere umgeben war … und diese Vibrationen, die von ihren elf Gefährten ausgingen.

Als sie die Augen ganz öffnete, sah sie einen Kopf dicht vor sich, rosa, mit scharfem, gebogenem Schnabel und einer schwarz-weißen Halskrause.

 

Fracist Bogh brauchte länger als seine Gefährten, um die Kunst des psychokinetischen Reisens zu erlernen. Die kreuzianischen Dogmen hatte er zum großen Teil verinnerlicht, deshalb konnte er sich den Vibrationen des Antra nicht hingeben.

Yelle hatte nur ein paar Minuten gebraucht, schon transferierte sie sich auf einen anderen Kontinent und kehrte mit einer unbekannten Blume zurück. Nach ein paar Stunden war es Whu gelungen, vom Dorf zum Exod-Vulkan zu reisen. Phoenix und San Francisco konnten nach einem Tag eine Distanz von dreihundert Metern überwinden.

Doch Fracist Bogh plagte sich von früh bis spät. Nie erschienen diese ätherischen Korridore, von denen alle sprachen, nie gelang es ihm, sich in jener inneren Stille zu versenken, die Whu mit dem See des Xui verglich.

In der Morgendämmerung hatte Jek mit einer Axt das Dickicht aus Sträuchern entfernt, das den flammenden Busch des Narren umgab.

Dort, vor dem ewig blühenden Gewächs hatte Aphykit  – in eine weiße Robe gekleidet – ihre Tochter, den Ritter, den ehemaligen Muffi und die beiden Jersaleminer das Antra gelehrt.

Ein strahlender Tag war angebrochen, und die Vögel hatten mit ihrem Gesang das Aufgehen des Sonnengestirns begrüßt. Diese Stimmung hatte Aphykit an jene glücklichen Zeiten erinnert, als das Dorf voller Pilger war, als der junge Shari vor dem Busch den Pfad zur Arche suchte und stundenlang über den göttlichen Ursprung der Menschen sprach. Was war aus all diesen Menschen geworden? Wo waren sie geblieben, die Zeiten, als Tixu von seinen Abenteuern erzählte, die ihm den Namen Sri Lumpa eingebracht hatten?

Es war nicht verwunderlich, dass sich die Initiierten bald darauf zerstreuten und sofort die neuen Möglichkeiten erprobten, die ihnen das Antra bot.

Dass Yelle so schnell diese neue Kunst beherrschte, erstaunte niemanden, denn sie war die Tochter Sri Lumpas, des Mannes, der diese Art des Reisens wiederentdeckt hatte. Auch der unmittelbare Erfolg Whus hatte nichts Ungewöhnliches, wenn man in Betracht zog, dass er die Kunst des Xui beherrschte. Phoenix’ und San Franciscos Fortschritte waren normal. Ungewöhnlich war nur, dass beide gleichzeitig zu demselben Resultat gelangten, obwohl sie sich für ihre Versuche getrennt hatten.

Als die Nacht hereinbrach, war Fracist Bogh bitter enttäuscht. Außerdem hatte er starke Kopfschmerzen. Die Fröhlichkeit seiner Gefährten deprimierte ihn noch mehr, obwohl sie sich ihre Erfolge nicht anmerken lassen wollten. Er konnte sich mit seinem Versagen nicht abfinden und genoss nicht einmal mehr den Aufenthalt an der frischen Luft und die Sonne. Als er seinen Colancor und die Söldneruniform am Tag zuvor ausgezogen hatte, fühlte er sich zum ersten Mal seit seiner Kindheit in Duptinat frei. Nackt hatte er nachts eine Weile draußen gesessen, ehe er zu Bett gegangen war. Als er erwachte, lagen eine Hose und eine Tunika, sorgsam gefaltet, auf einem kleinen Tisch. Wie wohl er sich in diesen einfachen Kleidern fühlte, die auf Syracusa gerade für Tiermenschen als angemessen betrachtet worden wären.

Wenn er den Julianischen Ring an Yelles Hand sah, dieses Symbol absoluter, wenn auch zeitlich begrenzter Macht über die Kirche des Kreuzes, verspürte er kein Bedauern. Dieses Kleinod war in den besten Händen. Und seine kurze Herrschaft kam ihm jetzt wie ein Albtraum vor, wie ein Abstieg zur Hölle.

Die Sonne war schon längst hinter dem Hymlyas-Gebirge verschwunden, als er Aphykit auf dem Rückweg begegnete. Sie sah ihm sofort an, dass er sich quälte.

»Du darfst nicht an den Transfer denken«, sagte sie. »Lass dich einfach vom Antra tragen, kapp die Fesseln, die dich an die gegenständliche Welt binden. Dein Verstand hindert dich: Er will erst das Phänomen begreifen, ehe er es ausprobiert. Er will sehen, damit er glauben kann. Doch die Reise mittels der Gedanken verlangt das genaue Gegenteil.«

Fracist Bogh konnte sich noch schlecht an das Duzen gewöhnen  – ein Muss nach der Initiation, hatte Aphykit gesagt, ein Zeichen unserer unverbrüchlichen Freundschaft.

»Würde ich nicht daran glauben, hätte ich nicht die Inddikischen Grapheme zum Schutz und zur Heilung auswendig gelernt«, protestierte er. »Ich wäre nicht wie ein Feigling aus dem Bischöflichen Palast geflohen.«

»Es wäre feige gewesen, das Oberhaupt der Kirche zu bleiben! Du hast unendlich viel Mut bewiesen, indem du dich gegen die Kardinäle und die Vikare gestellt hast. Ich habe dir auch noch nicht gedankt, dass du über unsere tiefgefrorenen Körper gewacht hast. Drei lange Jahre warst du unsere einzige Verbindung zwischen Leben und Tod.«

»Ich habe nur den Rat eines Toten befolgt …«

Aphykit ließ den Blick über den dunklen Abendhimmel wandern. Vor ein paar Stunden hatte sie seltsame Lichteffekte im Zenit bemerkt, die sie sich nicht erklären konnte.

»Du darfst deine Verdienste nicht gering bewerten, Fracist«, sagte sie leise, »noch dich selbst. Du gestehst dir nicht ein, dass du Seelengröße besitzt. Du liebst dich nicht genug …«

Sie ging zu den leuchtenden Blüten des Strauchs des Narren und fügte nach kurzem Schweigen hinzu: »Ich will dir keine Moralpredigt halten oder dir gute Ratschläge erteilen. Ich selbst habe lange gebraucht, um mich als die Frau zu akzeptieren, die ich bin …«

»Ihr, Naïa Phykit?«, fragte Fracist Bogh verwundert.

Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn eindringlich an. Trauer und Schmerz waren in ihren wunderschönen goldgesprenkelten Augen zu lesen. Ihr blondes, in der Brise wehendes Haar sah im Licht des Nachtgestirns – Mond hatte Jek es genannt – fast weiß aus. Und wieder bewunderte der Marquisatiner die Schönheit dieser jungen Syracuserin.

»Für wen hältst du mich, Fracist?«

Die Frage traf ihn unvorbereitet. Er konnte sie nicht beantworten.

»Wegen der vielen Legenden, die über meine Person im Umlauf sind, machst du dir wahrscheinlich ein falsches Bild von mir. Ich bin nicht anders als alle Menschen, ich zweifle und leide. Solche Gefühle habe ich lange nicht zugelassen, aber durch diese Haltung habe ich mich meiner eigenen Größe verweigert.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Ich spreche von den Resten kreuzianischer Dogmen in deinem Kopf … Seit Jahrhunderten arbeitet die Kirche daran, die Menschen von ihrem Menschsein zu entfremden. Regeln, Gebote und Verbote sind nichts anderes als nützliche Werkzeuge, um Schuldgefühle bei den Gläubigen zu erzeugen. Menschen, die Schuld auf sich geladen haben, lieben sich nicht. Und da sie sich nicht lieben, fliehen sie in die Religion, suchen dort ihr Heil und vertrauen ihre Seele den Predigern, Priestern und Missionaren an …«

»Ich begreife noch immer nicht, was die Kirche mit Euch zu tun hat …«

»Ich rede von der Akzeptanz des eigenen Selbst. Früher akzeptierte ich mich nicht wie alle diese Menschen, die dazu gedrängt werden, sich Regeln und Dogmen zu unterwerfen. Ich habe teuer dafür bezahlen müssen, bis ich begriff, nicht dem Idealbild zu gleichen, das ich selbst von mir hatte. Deshalb habe ich Tixu verloren, und Yelle hätte ich fast verloren.«

»Whu wäre der Meinung, dass für diese Ereignisse nicht nur Ihr, sondern vor allem Euer Gemahl und Eure Tochter verantwortlich seien.«

»Das stimmt. Aber eine tiefe, aufrichtige Liebe ermöglicht verschiedene Lösungen für ein Problem. Dann gibt es die Möglichkeit der Wahl. Wenn du nicht lieben kannst, Fracist, kannst du auch nicht auf deinen Gedanken reisen. Du hast deinen Gefährten gegenüber ein Gefühl der Minderwertigkeit, weil sie sich schon am ersten Tag auf eine psychokinetische Reise begeben konnten, doch du kannst Hindernisse überwinden, für die sie Jahre, vielleicht Jahrhunderte brauchen würden. Die Lebenswege der Menschen sind niemals dieselben, und keiner ist dem anderen überlegen oder unterlegen. Warum hast du die Inddikischen Grapheme der Heilung auswendig gelernt?«

»Ich dachte, sie könnten mir eines Tages nützlich sein … Jetzt möchte ich Euch eine Frage stellen: Wie beurteilt Ihr das Verschwinden der Scaythen von Hyponeros?«

»Wir werden sie bald wiedersehen«, antwortete Aphykit nach kurzem Zögern. »In anderer Gestalt, in menschlicher Gestalt. Und wir müssen sie akzeptieren, sie lieben …«

Sie lächelte ihn an, legte ihm die Hand auf die Schulter und verschwand so plötzlich in der Dämmerung, dass er sich fragte, ob sie ihm nicht nebenbei demonstriert habe, wie man spontan auf seinen Gedanken reisen könne. Doch auf jeden Fall hatte sie ihm Nachhilfeunterricht auf dem Gebiet der Humanität erteilt.

 

Fracist konnte keinen Schlaf finden. Er stand auf, zog sich an und ging wieder nach draußen. Whu schlief, erschöpft von seinen ersten Transfers, tief und fest. Das kleine Haus, in dem die beiden wohnten, war nur fünfzig Meter vom Strauch des Narren entfernt.

Jek hatte ihm kurz die Geschichte des flammenden Buschs erzählt, der an dieser Stelle ohne menschliches Zutun nach dem Verschwinden des unsterblichen Hüters der Menschheit gewachsen war, des Mannes, der einhundertfünfzigtausend Jahre die Inddikischen Annalen bewacht und den Mahdi Shari die Kunst gelehrt hatte, auf den fliegenden Steinen zu reisen.

Fracist setzte sich im Schneidersitz vor den Strauch. Ein bleicher Mond stand hoch am Himmel. Stille herrschte, nur unterbrochen vom fernen heiseren Schreien der Raubvögel.

Viele Historiker waren der Meinung, dass die Kolonisierung anderer Planeten von Terra Mater ausgegangen war. Doch ehe ich nicht die Spuren der alten Kultur gefunden habe, dachte Fracist – der weder das Dorf noch den Vulkan Exod als Zeugnisse ehemaliger Kultur betrachtete –, kann ich mich dieser Hypothese nicht anschließen. Wie bei der psychokinetischen Reise möchte ich erst sehen, damit ich glauben kann. Wahrscheinlich bin ich auch deshalb Priester geworden. Aber ich bedaure nichts. Aphykit hat gesagt, dass ein Weg so gut wie jeder andere ist.

Er schloss die Augen. Sofort begann das Antra in seinem Inneren zu vibrieren. Jetzt aber versuchte er nicht, es nach seinen Wünschen zu formen, sondern gab sich ihm ganz hin.

Er sah den kleinen Fracist Bogh, einen fröhlichen unbeschwerten Jungen, der im Hof des Runden Hauses mit den neun Türmen mit dem jungen Seigneur List Wortling spielte. Er sah seine Mutter, eine bescheidene Wäscherin, wie sie mit den Gardisten lachte. Seinen Vater hatte er nie gekannt. Auch seine Mutter kannte ihn nicht. Sie hatte sich in ihrer naiven sinnlichen Art vielen Männern hingegeben. Diese Leichtlebigkeit hatte Fracist ihr sehr übel genommen, und seit seinem Besuch der heiligen Propagandaschule in Duptinat hatte er mit ihr gebrochen. Ist es nicht sie, die ich gesucht habe, als ich in quasi ekstatischer Verzückung die gequälten Körper an den Feuerkreuzen betrachtete, fragte er sich.

Plötzlich fand er sich auf dem Jatchaï-Wortling-Platz wieder, in dessen Mitte die Statue des Gründers der Dynastie thronte. Seit fünfundzwanzig Jahren hatte er keinen Fuß mehr in seine Heimatstadt gesetzt. Sie hatte sich, abgesehen von diesen leuchtenden Öffnungen, die strahlenförmig von dem Platz abgingen und Avenuen glichen, nicht verändert. Einer Eingebung folgend, ließ er sich in die hellste dieser Öffnungen treiben. Auf der anderen Seite sah er etwas, das einem glitzernden Band glich. Die Stadt war verschwunden, so als hätte sie nie existiert. Dann ergriff ihn eine Art mächtiger Strom, und er hatte das Gefühl, desintegriert zu werden, wie bei einem Deremat-Transfer.

Als er wieder zu sich kam, war der Tag angebrochen. Zuerst glaubte er, auf einem anderen Planeten zu sein, aber über einem Bergmassiv entdeckte er einen gelben Stern, der wie ein Bruder der Sonne von Terra Mater aussah. Daraus schloss er, dass er sich auf der jetzt hellen Seite des Planeten befinde.

Die Erkenntnis, allein durch die Kraft seiner Gedanken gereist zu sein, erfüllte ihn mit großer Freude. Um zum Ausgangspunkt zurückkehren zu können, müsste er sich das nur wünschen – jedenfall hatte Aphykit ihn das gelehrt  –, aber damit musste er warten. Eine große Müdigkeit hatte ihn ergriffen, eine ähnliche Erschöpfung wie nach einem Tag harter Arbeit.

Die Luft war sehr heiß, und Fracist atmete flach, fast hechelnd. Er hörte krächzende Schreie über seinem Kopf. Raubvögel waren, durch sein plötzliches Erscheinen gestört, aufgeflogen und kreisten am Himmel. Außerdem hörte er ein leises Rauschen. Es musste ein Fluss in der Nähe sein.

Fracist saß am Rand einer großen Felsspalte, mehrere Kilometer lang und etwa dreihundert Meter tief, umgeben von einer Steinwüste. Die Raubvögel flogen wieder in diese Spalte, wie um ihre Arbeit fortzusetzen, bei der er sie unterbrochen hatte. Er beugte sich vor und warf einen Blick nach unten. Dort sah er den Fluss, grüne Flecken und ein paar Bäume am Ufer.

In der Nähe des Wassers entdeckte er eine reglose weiße Gestalt – ein Mensch, den die Raubvögel offensichtlich als Beute ausersehen hatten.

Fracist überlegte schnell. Noch war er zu schwach, um die Entfernung kraft seiner Gedanken überwinden zu können, doch der Abstieg würde ihn etwa eine Stunde kosten, Zeit genug, dass inzwischen die Person dort starb, sollte sie noch leben. Also nahm er einen Stein und warf ihn nach den Räubern, die inzwischen in sicherer Entfernung die Person belauerten. Er hatte Erfolg. Ein paar Sekunden später flatterten die Vögel wütend kreischend auf.

Fracist bewaffnete sich mit weiteren Steinen, die er in seine Hosentasche steckte, und begann mit dem Abstieg. Er kam langsamer voran als gedacht. Er war kein geübter Bergsteiger und wählte oft die falsche Route. Wegen der Hitze musste er sich manchmal im Schatten eines Felsvorsprungs ausruhen. Doch ständig überwachte er die Raubvögel, und wenn sie der Gestalt zu nahe kamen, bewarf er sie mit Steinen und zwang sie zur Flucht. Dann freute er sich.

Als Fracist unten angekommen war und sich der Gestalt näherte, sah er, dass es eine Frau war. Sie lag auf dem Rücken und war so bleich, dass er sie im ersten Moment tot glaubte. Doch dann stellte er fest, dass sich ihre Brust regelmäßig hob und senkte. Sie atmete – und sie war haarlos.

Offensichtlich hatte sie aus dem Fluss trinken wollen, war aber ein paar Meter vor dem Ufer zusammengebrochen. Mit ihrer fehlenden Behaarung und der weißen Blässe ihrer Haut – selbst auf Syracusa, wo ein solcher Teint außerordentlich geschätzt wurde, hatte Fracist noch nie jemanden gesehen, der so blass war – war sie ein Mensch, der einem Leben in der Wüste überhaupt nicht angepasst war. Wie war sie hierhergekommen?

Die Raubvögel hatten sich inzwischen heiser schreiend wieder in die Lüfte erhoben, als sich Fracist neben die Frau kniete und vorsichtig ihren Kopf hob. Sie öffnete die wimperlosen Augen und sah ihn abwesend an. Sie musste sehr krank sein, wenn nicht dem Tode nahe.

Fracist trug sie vorsichtig zum Flussufer, schöpfte Wasser mit der hohlen Hand und befeuchtete ihre Lippen. Ihre Stirn war glühend heiß, ihre Arme und Beine waren gerötet. Wahrscheinlich hatte sie einen Sonnenstich.

Fracist zog seine Tunika aus, tauchte sie ins Wasser und kühlte ihren Kopf.

Dann legte er sie in den Schatten eines Baums und flößte ihr ein paar Tropfen Wasser ein. Obwohl sie ihre hellblauen Augen weiter geöffnet hielt, reagierte sie nicht. Ihre Seele verließ langsam ihren Körper. Doch Fracist wollte nicht, dass sie starb. Er ahnte, dass diese Frau ihn von seinem gestörten Verhalten Frauen gegenüber heilen würde.

Als er nachdenklich den Blick über den dahinströmenden Fluss gleiten ließ, fielen ihm die grafischen Symbole in einem antiken Papier-Buch wieder ein. Jetzt habe ich die Gelegenheit, die zwölf Inddikischen Grapheme anzuwenden, dachte er. Vielleicht helfen sie. Aphykit hat sicher nicht zufällig darüber gesprochen.

Er stand auf und ging zum Flussufer. Die Sonne brannte auf seinem nackten Oberkörper. Soviel er auch grübelte, er konnte sich nicht erinnern, wie er diese heilenden Symbole anwenden sollte, die er damals in der verbotenen Bibliothek gefunden und sich gemerkt hatte.

Schließlich ging er zu der jungen Frau und kniete sich neben ihren Kopf. Ihr starrer ausdrucksloser Blick beunruhigte ihn zutiefst. Er horchte, das Ohr an ihr Herz gelegt. Es schlug ganz schwach.

Intuitiv einem inneren Impuls folgend, gab er nach und spürte sofort eine nie gekannte Energie in sich. Ihn durchströmte eine Kraft, die aus einem anderen Raum, aus einer anderen Zeit kam und durch ihn ihre Wirkung entfaltete.

Mit dem Zeigefinger zeichnete er die Grapheme der Heilung auf den Körper der Unbekannten. Er begann mit dem Kopf und beendete sein Werk auf dem Unterbauch. Er arbeitete ohne Zögern, so als wisse er, welches Symbol zu welchem Organ gehöre, und stärkte auf diese Weise die Selbstheilungskräfte dieses zarten Wesens, das wie ein verletzter Engel auf die Erde, auf einen ausgedörrten Boden herabgefallen war – er säte Leben.

Als Fracist seine Arbeit beendet hatte, zog er seine Hose aus, zerschnitt sie mit einem scharfen Stein und fertigte daraus eine einfache Decke, mit der er die junge Frau bedeckte. Dann wachte er stundenlang an ihrem Krankenlager, bis die Sonne hinter den Bergen versank. Die Grapheme hatte er noch mehrere Male gezeichnet.

Abends überkam ihn das unwiderstehliche Verlangen, ein Bad im Fluss zu nehmen – seit seiner Kindheit in Duptinat hatte er das nicht mehr getan. Das kühle Wasser erfrischte und stärkte ihn. Er trocknete sich mit Blättern ab und betrachtete den Vollmond, der inzwischen aufgegangen war.

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass seine Schutzbefohlene friedlich schlief, glitt auch er in einen unruhigen Schlaf voller Albträume.

 

Ein schriller Schrei weckte ihn.

Zartrosa Wolken trieben am frühmorgendlichen Himmel dahin.

Die junge Frau stand nackt bis zu den Oberschenkeln im Wasser. An der Art und Weise, wie sie sich bewegte, erkannte Fracist, dass dieses Element neu für sie war.

Er stand auf und ging zu ihr. Sie musste sein Kommen gespürt haben, denn sie drehte sich um und musterte ihn mit einer Mischung aus Freude und furchtsamer Neugier. Er fand sie wunderschön im Licht der Morgendämmerung.

Sie ging zu ihm und tat etwas Überraschendes: Sie streichelte sein Haar.

Er fragte sich, ob sie Interplanetarisches Nafle spreche. »Ich bin Fracist Bogh …«

»Sind Sie ein Bewohner der Erde?«, fragte sie mit einem starken Akzent, der Ähnlichkeit mit einem prähistorischen Weltraumidiom hatte. Aber sie konnten einander verstehen.

»Der Erde? Sie meinen wohl diesen Planeten, Terra Mater? Mein Heimatplanet ist das Marquisat, und ich komme vom Planeten Syracusa …«

Sie hörte auf, sein Haar zu streicheln, und sah ihn fragend an.

»Und Sie? Woher kommen Sie?«, fragte er.

Sie deutete auf den Himmel. »Von El Guazer, dem Weltraumzug. Mein Volk ist tot …«

Fracist erinnerte sich an die Worte des Mahdis Shari im Keller des Bischöfl ichen Palasts: … den beiden Jersaleminern, dem Muffi der Kirche, Aphykit und ihrer Tochter werden sich ein ehemaliger Ritter der Absolution zugesellen und ein Wesen aus einem Weltraumzug …

»Du bist die Zwölfte«, murmelte er halb zu sich selbst, halb zu der jungen Frau.

Sie strahlte. »Maâ und die Seherinnen haben gesagt, ich sei die Erwählte und werde als eine von zwölf für die Zukunft der Menschheit von Bedeutung sein.«

Er legte seine Hände auf ihre Schultern und lächelte. »Wie heißt du?«

»Ghë.«

»Willkommen auf Terra Mater, Ghë. Du bist am Ziel deiner Reise angekommen.«

 

Wenn sich die beiden nicht im Wasser erfrischten, ruhten sie sich im Schatten aus und redeten miteinander. Sie hatten sich viel zu erzählen, und Ghë wunderte sich, als sie erfuhr, dass die Erde ein unbewohnter Planet sei.

Fracist hingegen war jetzt überzeugt, dass die Erdbewohner auch andere Planeten besiedelt hatten, nachdem er von El Guazer gehört hatte. Doch mit der unterschiedlichen Zeitbestimmung tat er sich schwer, und seine Verwirrung entlockte Ghë ein Lachen, das erste seit langem. Sie hatten so viel zu berichten, das sie nicht merkten, wie die Stunden verstrichen, und sie spürten auch ihren Hunger nicht – vielleicht, weil ihr Hunger nach Zärtlichkeit größer war.

Als der Abend hereinbrach, hatte sich Ghë mit den Männern versöhnt und Fracist mit den Frauen.

»Ich muss unsere Mitstreiter von deiner Ankunft unterrichten«, sagte er schließlich. »Aphykit oder Shari werden dich das Antra lehren, die Kunst, auf deinen Gedanken reisen zu können.«

»Damit müsst ihr nicht länger warten«, sagte eine Stimme.

Beide drehten sich überrascht um und sahen eine Gestalt im goldenen Licht der Dämmerung stehen. Fracist erkannte den Mahdi sofort, obwohl er jetzt anders gekleidet war.

»Wir machten uns Sorgen, und ich habe nach dir gesucht«, erklärte Shari. »Und du hast recht getan, denn du hast den elften Funken der Inddikischen Deva gefunden.«

»Den elften?«, fragte Fracist erstaunt.

»Der zwölfte wird bald erscheinen, doch er wird erloschen sein. Werden wir die Kraft und genügend Zusammenhalt haben, um ihn wieder zum Leuchten zu bringen?«