NEUNZEHNTES KAPITEL

Und jetzt steht ihr dem Feind gegenüber. Drohend lässter seine Truppen aufmarschieren, er bedroht euch. Und wäre es nicht an der Zeit, euch zu fragen, warum es so weit kommen konnte, ehe ihr ihn bekämpft?

Diese euch als unausweichliche und notwendig erscheinende Konfrontation, ist sie nicht das Resultat eurer Schwäche?

Und trotzdem weist ihr die Schuld an diesem Krieg dem anderen, eurem Feind zu. Ihr klagt ihn an, der Verursacher eures Elends zu sein, ihr schenkt ihm eure Macht …

Seht euch den Feind gut an: Er ist das getreue – das grausam getreue Spiegelbild eurer verlorenen Seelen, denn ihr habt die Kraft der Stille verloren, ihr habt eure Quellen vergessen …

Betrachtet den Feind als ein Zeichen. Als Zeichen, dass ihr so schnell wie möglich den Weg der inneren Besinnung wieder beschreiten müsst, der allein zum See des Xui führt. Als Zeichen, dass ihr eure Herzen weit der Liebe öffnen müsst …

Auszug eines alten Videoholos, das auf wunderbare Weise von der großen Feuersbrunst, die die Fundamente des Klosters des Ordens der Absolution während der Schlacht von Houhatte verwüstete, verschont geblieben war. Trotz der schlechten Bild- und Tonqualität gelang es den Experten, den Kommentator zu identifizieren: Es war der Mahdi Franko D. H. Brenton, einer der Schüler des Mahdi Bertelin Naflin, der ihm sehr nahestand.

Ein Klirren unterbrach die in Filp Asmussas Zelle herrschende absolute Stille, denn durch die meterdicken Steinmauern drang weder Licht noch Laut. Knarrend wurde jetzt die Tür geöffnet, und grelles Licht blendete den im Finstern sitzenden Krieger.

Die Silhouette des Ritters Choud Al Bah, Leiter der Verwaltung und Beichtvater des Kriegers, zeichnete sich im Gegenlicht ab. Nach zwei durchwachten Nächten zur Unterstützung seines Patenkindes war er müde und abgespannt. Über seinen grünen, sonst so strahlenden Augen lag ein grauer Schleier. Er trug die dunkelgraue Kutte des Ritters und nicht die den Mitgliedern der Verwaltung vorbehaltene grüne Robe.

Seit Filp in seine Zelle eingeschlossen worden war, hatte er jedes Zeitgefühl verloren, denn er sollte während dieser Tage und Nächte absoluter Besinnung von allen äußeren Einflüssen abgeschirmt werden, damit er sich ganz und gar in den See des Xui versenken konnte und Zwiesprache mit seinem Gewissen und der absoluten Wahrheit halten konnte. Er durfte keinerlei Nahrung zu sich nehmen und nicht schlafen. Diese Exerzitien dienten der Reinigung des Aspiranten und seiner Vorbereitung auf die Ritterschaft. Sehr alte Ritter behaupteten, diese Einkehr habe früher nicht drei, sondern dreißig Tage gedauert, und sollte ein Krieger währenddessen nicht den erwünschten Zustand der Berufung und geistigen Klarheit erreicht haben, habe das seinen Tod bedeuten können.

Nachdem sein Pate, Choud Al Bah, die Zellentür in Begleitung eines Gardisten des Entscheidungsgremiums vorschriftsmäßig verschlossen hatte, folgte Filp in der plötzlich nachtschwarzen Stille dem Rat seines Beichtvaters, der ihm gesagt hatte, er solle ohne Restriktion einfach dem Fluss seiner Gedanken folgen.

»Lasst Eure Gedanken schweifen, Euch von ihnen führen. Denn ihre Quelle ist der See des Xui. Eure Energie. Eure Wahrheit. Sie wird ganz von selbst erscheinen, ohne dass Ihr sie aufspüren müsst. Nur eines ist wichtig: Dem Schlaf müsst Ihr entsagen. Solltet Ihr einschlafen, könnte Euch die Offenbarung nicht zuteil werden. Doch zu fürchten braucht Ihr Euch nicht. Denn diese Offenbarung wird Euch sagen, ob Ihr der Ritterschaft würdig seid … Ich hingegen bin dessen schon überzeugt …«

Anfangs dachte Filp spontan an Aphykit. Er ist überzeugt, dass seine härteste Prüfung darin besteht, sie drei Tage nicht sehen zu können. Er sehnt sich danach, sie wiederzusehen. Und er kann es kaum erwarten, die graue Kutte des Ritters anzulegen, weil er sich ihrer nur in diesem Stand würdig fühlt. Ihr Gesicht ist ihm immer präsent und wird umso deutlicher, wenn er müde wird oder ihn auch nur der geringste Zweifel beschleicht. Doch nach und nach wird dieser Zweifel immer größer. Er gleicht den zahllosen vergifteten Pfeilen, die während der Befragung der Weisen auf die hastig errichtete Festungsmauer seines Glaubens abgeschossen wurden. Und dieser Zweifel spricht mit der Stimme des Ritters Long-Shu Pae, des Verbannten, dessen Worte in der Erinnerung des Kriegers auftauchen und den Klang der Wahrheit haben, einen ganz anderen Klang als die von den Alten des Klosters verkündete Wahrheit.

Je mehr Zeit verstreicht – und sie verstreicht unendlich langsam –, umso mehr Platz nimmt Long-Shu Pae in Filps Denken und Fühlen ein. Noch im Tod greift der verbannte Ritter in Filps Herz und durchdringt seine Seele. Filp fühlt, dass der Ritter seine Seele einnimmt.

Noch versucht er dem zu fliehen, wie ein kleines Beutetier, das versucht, den Klauen der Raubkatze zu entkommen. Doch er muss sich der Erkenntnis beugen: Jede Anstrengung, sich von Long-Shu Pae zu lösen, bewirkt nur eine noch größere Faszination. In diesem für seine Zukunft entscheidenden Augenblick kann er sich nicht mehr hinter seiner Arroganz und Überzeugung verstecken, und diese Entblößung seiner selbst macht ihm schrecklich Angst. Noch zögert er seine Niederlage hinaus; er konzentriert sich auf Aphykit, auf Kindheits- und Jugenderinnerungen, auf seine Familie, auf seinen langen Weg bis in diese feuchte, dunkle Zelle.

Doch diese geistige Flucht tröstet ihn nicht im Geringsten. Und jetzt stellt er sich der Erkenntnis.

Long-Shu Paes Worte sind die Worte der ursprünglichen Lehre, so wie die Mahdis der Gründerzeit sie verkündet haben. Der Orden aber hat diese Lehre im Laufe der Zeit immer mehr verfälscht, und der ihm drohende Konflikt ist nichts als das Resultat verloren gegangenen Wissens.

Filp Asmussas ganzes Wesen schreit diese Gewissheit. Er empfindet diesen Schrei als Meineid den vier Weisen des Gremiums gegenüber, wie eine Beleidigung seines unsichtbaren Meisters, des Mahdis Seqoram. Also fleht er um dessen Beistand, bittet um Licht in diesem finsteren Tunnel. Aber sein Gebet wird nicht erhört, keine Stimme tröstet ihn in seiner Einsamkeit, seinem Leid. Er bedauert seine Zaghaftigkeit, weil er auf dem Weg zu den unterirdischen Archiven umgekehrt ist und aus Schwäche darauf verzichtet hat, die Vergangenheit kennenzulernen. Und er bewundert Long-Shu Paes Mut, den allmächtigen Repräsentanten des Gremiums die Stirn zu bieten und mehr noch, den Verboten seines Gewissens zu trotzen, während er, Filp Asmussa, der Spross einer stolzen Adelsfamilie, im entscheidenden Augenblick versagt hat. Und allein wegen dieser fehlenden Kühnheit findet er sich der Ritterwürde nicht für würdig.

Und so wird ihm während seiner quälenden Selbsterforschung Long-Shu Pae immer mehr zum Maßstab. Nie hatte er geglaubt, dass diese letzte Prüfung sich als derart schwierig erweisen würde, denn alle seine Worte, seine Ideologie, seine Überzeugungen, dieses ganze Gebäude früherer Sicherheit stürzt in sich ein. Das ist der Beweis, dass es für ihn in dem Orden der Absolution keinen Platz mehr gibt.

Wie der verbannte Ritter gelangt er zu der Überzeugung, dass der Orden auf eine Katastrophe zusteuert, in der Ebene, weit von der Festung der Stille entfernt … Die Vorahnung auf ein unmittelbar bevorstehendes Desaster beschleicht ihn und lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren. Sein Glaube an die Überlegenheit der Ritter schwindet, und selbst sein Sieg über diesen grünen Kapuzenmann auf Roter-Punkt trägt nicht zu seiner Beruhigung bei. Im Gegenteil, er erinnert sich, dass dieser Kampf – auch wenn er zu seinen Gunsten ausgegangen ist –, einen seltsam bitteren Geschmack hinterließ. Jetzt hat er das Gefühl, manipuliert worden zu sein, um den Orden in die Irre zu führen. Bei diesem Gedanken wird ihm schwer ums Herz, sein Mund wird trocken, Tränen treten in seine Augen, und nur das Herauf beschwören Aphykits bewahrt ihn davor, den Boden unter den Füßen zu verlieren und ganz in seiner Verzweiflung zu versinken.

»Die Wahrheit kommt von ganz allein. Euer See des Xui …«

Ist das seine Wahrheit? Ist es die immer größer werdende Gewissheit, dass dieser Orden, dem er sich mit Leib und Seele verschrieben hatte, nichts als ein hohles Gebilde ist, das von einem selbstgefälligen, senilen Gremium geleitet wird? Und sollte auch der Mahdi davon betroffen sein?

So entdeckt er auf wunderbare Weise eine andere Wahrheit, eine Wahrheit, die dem Ideal der Ritterschaft entspricht, so wie sie der Gründer des Ordens, Naflin, vor vielen hundert Jahren zur Regel machte. Doch im Augenblick überwiegt die Sorge, der unmittelbare Untergang des Klosters könne bevorstehen. Also trifft er eine folgenschwere Entscheidung: auf die Ritterschaft zu verzichten. Denn er will durch seinen fehlenden Glauben nicht wie ein poröser Stein in der Festungsmauer sein, durch den der Feind mental eindringen könnte. Und konsequent dieser neuen Logik folgend, überlegt er, ob er überhaupt an der Schlacht teilnehmen soll. Natürlich werden seine neidischen Gefährten ihn mit Hohn und Spott überhäufen. Aber warum sollte er für etwas kämpfen, das er von vornherein verloren glaubt? Andere Aufgaben warten in seiner Heimat auf ihn. Der Thron des Herrschers ist vakant … Seine Familie ist ins Zwischenreich aufgebrochen, in das Reich der Toten. Ist es nicht besser, auf seinen Planeten zurückzukehren und von dort aus den Widerstand gegen das neue Kaiserreich zu organisieren? Er, der letzte vom Herrscherhaus der Asmussa wird sich erheben, und sollten die Götter Aphykit am Leben erhalten – und das werden sie tun –, wird er sie heiraten, und sie beide werden über Sbarao und die Ringe herrschen, auch wenn die anderen Krieger ihn dann verachten würden. Mit einem bitteren Lächeln denkt er, dass er jeden, der ihm eine solche Handlungsweise unterstellt hätte, noch vor kurzem mit dem Bannstrahl seines Zorns bestraft hätte.

Diese Entscheidung bietet jedoch zwei Vorteile. Einmal erlöst sie ihn aus diesem unerträglichen Gewissenskonflikt, und zum anderen findet er – wenigstens vorübergehend  – seine Seelenruhe wieder, so wie frisches Wasser die Schmerzen eines Sonnenbrands kühlt.

In diesem Geisteszustand findet ihn Choud Al Bah, als er die Zelle betritt.

 

Filp Asmussas Beichtvater betrachtete seinen Patensohn mit müdem Blick. Der saß noch immer mit gekreuzten Beinen auf seiner Liegestatt, in den Augen das seltsame Funkeln eines Raubvogels.

Choud Al Bah versuchte, im Gesicht Filps abzulesen, zu welcher Entscheidung der Krieger gekommen war. Filp hingegen wappnete sich und nahm seinen ganzen Mut zusammen, um seinem Beichtvater die Gründe seines Verzichts erklären zu können.

»Also, mein Patenkind«, sagte Choud Al Bah mit kaum hörbarer Stimme, »zu welcher Erkenntnis seid Ihr während Eurer Suche nach den Xui gekommen?«

Filp wusste, dass er dem alten Ritter viel Kummer bereiten würde. Dessen müder Blick ruhte noch immer unverwandt auf ihm und er konnte ihn kaum ertragen.

»Ich fürchte …«, sagte er nach langem Schweigen, »ich fürchte, dass meine Erkenntnis in Euren Ohren nicht angenehm klingen wird, mein Pate.«

Entgegen dem, was er geglaubt hatte, schienen seine Worte den Ritter nicht sonderlich zu erschüttern, denn er nickte nur mehrmals.

»Ich wusste es von dem Moment an, als ich Euch sah«, sagte er resigniert. »Und um aufrichtig zu sein, ich war darauf vorbereitet …«

Er setzte sich neben seinen Patensohn, stemmte die Ellbogen auf seine Knie und legte das Kinn auf seine verschränkten Hände.

»Vor dieser letzten Prüfung habt Ihr engen Kontakt zu Long-Shu Pae gehabt«, fuhr er mit sanfter Stimme fort. »Das war ein gewisser Risikofaktor, und Ihr hättet eine eiserne Seele haben müssen, um unbeschadet daraus hervorzugehen. Denn Ihr zweifelt, nicht wahr?«

Filp nickte.

»Ich bin nicht berechtigt, Euch deswegen zu verurteilen, Filp … Ihr müsst wissen, dass ich früher von ebensolchen Zweifeln geplagt wurde … und sie plagen mich noch immer.«

Der Krieger sah seinen Paten verwundert an.

»Und trotzdem zähle ich die Jahre nicht mehr, seit ich in dem Ritterstand erhoben wurde«, sprach Choud Al Bah weiter. »Glaubt Ihr etwa, dass allein die Zeit und die Erfahrungen mich davor bewahrt haben, Fragen zu stellen? Auch mir hat Long-Shu Pae von dem Geheimarchiv und den Videoholos mit den Aufzeichnungen des alten Mahdis erzählt. Er hat damals versucht, mit meiner Hilfe eine Audienz bei dem Mahdi Seqoram zu bekommen. Doch das hätte bedeutet, dass es zu einem Krieg innerhalb dieser Mauern gekommen wäre. Deshalb bin ich seiner Bitte nicht nachgekommen und habe die eine Hälfte meines Lebens damit verbracht, diese Entscheidung zu bedauern, und die andere Hälfte, sie zu rechtfertigen. Also, wie könnte ich Euch Eure Zukunft vorwerfen, Euch, der noch nicht einmal in den Stand des Ritters erhoben wart, als Ihr jenen Mann kennenlerntet, dem es fast gelungen wäre, den Orden der Absolution zu revolutionieren?«

»Aber, wenn Ihr das alles wusstet, warum habt Ihr mich dann dem Entscheidungsgremium als den geeigneten Krieger für diese Mission auf Roter-Punkt empfohlen?«, fragte Filp mit leisem Vorwurf in der Stimme.

»Vielleicht weil ich hoffte, durch Euch eine Antwort zu finden … Ich hoffte, dass Eurem jugendlichen Enthusiasmus das gelingen würde, was meiner Resignation versagt bleibt … Aber lassen wir die Vergangenheit ruhen. Kehren wir in die Gegenwart zurück: Eure Exerzitien dauern erst zwei Tage.«

»Warum?«, rief Filp empört, weil er sich von dem alten Ritter manipuliert glaubte. »Warum habt Ihr sie unterbrochen, wenn ich doch die Gelegenheit gehabt hätte, meine letzte Wahrheit am dritten Tag zu erfahren?«

»Regt Euch nicht auf! Diese Unterbrechung geschah auf Befehl des Gremiums«, erklärte Choud Al Bah ruhig. »Also auf Weisung des Mahdis. Denn wir müssen schon heute Morgen zum Kampf antreten …«

Filp erstarrte. »Heute … heute Morgen?«

»Ja. Heute Morgen. Auf dem Oststrand der Halbinsel … Jetzt endlich ist die Stunde des Ordens gekommen, mein Patensohn. Jetzt endlich ist die lange erwartete Gelegenheit gekommen, wo wir alle, Ihr, ich, junge und alte Ritter in Erfahrung bringen können, ob wir uns fortentwickelt haben. Die Armeen des neuen Kaiserreichs haben sich bereits auf dem Sand versammelt und fordern uns heraus. Eben jene, die Eure Familie ermordet haben. Ah, wenn man sie so sieht, wirken sie nicht besonders eindrucksvoll. Sie bestehen nur aus dreihundert Scaythen vom Planeten Hyponeros, ebenso vielen Pritiv-Söldnern und ein paar Offizieren der Interlice … Und wir sind mehr als zehntausend! Wie auch immer, wir müssen gegen sie antreten. Allein aus diesem Grund wurden Eure Exerzitien unterbrochen. Doch das Gremium hat ausnahmsweise die Entscheidung getroffen, Euch durch mich vorzeitig in den Ritterstand zu erheben. Im Rahmen der üblichen Zeremonie werdet Ihr also vom Mahdi Seqoram durch mich zum Ritter geweiht.«

»Dessen bin ich nicht würdig, Ritter. Ich bin ein schwacher Mensch.«

Mit von Tränen verschleierten Augen hatte der zutiefst verzweifelte junge Mann diese Worte gesprochen. Fast hätte er sich schluchzend auf sein Bett gelegt. Choud Al Bah ergriff voller Mitgefühl die Hand seines Patenkindes.

»Glaubt Ihr etwa, ich sei dessen würdig?«, sagte er. »Glaubt Ihr, dass ich, Euer Beichtvater, den See der Xui, die Quelle meines Wesens, erreicht habe? Hier ist keine falsche Bescheidenheit am Platz, Filp. Seid nur demütig. Das Erreichen des Ritterstandes ist nicht ein Ziel an sich, sondern nur eine Etappe. Betrachtet sie als einen ersten Schritt auf dem Weg der Fortentwicklung. Solltet Ihr den Ritterschlag akzeptieren, ist das ein Beweis wahrer Demut, wahren Mutes und wahrer Erkenntnis. Auf diese Weise öffnet Ihr Eure Seele, und als junger Ritter werdet Ihr Eure erste Schlacht in den Rängen des Ordens schlagen. Danach könnt Ihr tun, was Euch beliebt, aber ein Ritter werdet Ihr bleiben; das heißt, ein Mann, der ohne Zögern sein Tun – wenn nötig, um jeden Preis und immer – nach den Geboten der Fortentwicklung ausrichtet.«

Filp war von diesen warmen, offenen Worten, die so nur selten hinter diesen Mauern ausgesprochenen wurden, so gerührt, dass er seinen vorher gefassten Entschluss vergaß und ein neuer Enthusiasmus ihn ergriff. Und plötzlich erschienen ihm seine noch vor Kurzem bestehenden quälenden Zweifel lächerlich und infantil. Nun war ihm, als hätte eine strahlende Sonne die finsteren, bedrohlichen Schatten verjagt.

»Warum habt Ihr noch nie zuvor auf diese Weise mit mir gesprochen, mein Beichtvater?«, fragte er wie im Fieber.

»Allein die Meister und Lehrer sind autorisiert, Unterricht zu erteilen. Wir anderen sind angehalten, den Weg nach dem See des Xui zu suchen … Aber solche Dinge wollen wir später diskutieren, denn der Mahdi wird in einer Viertelstunde im Ehrenhof des Klosters eine kurze Rede vor allen Mitgliedern des Ordens halten. Jetzt werden wir ihn sehen, Ihr und ich! Wie habt Ihr Euch entschieden?«

»Ich will die Kutte tragen und akzeptiere die Tonsur!«, rief Filp. »Ich möchte Ritter werden, denn dank Euch sehe ich diesen Stand in einem ganz neuen Licht.«

»Ja, so spricht ein Ritter!«, sagte Choud Al Bah mit ungeheurer Erleichterung. »Kommen wir zum Wesentlichen: Nehmt jetzt die Position des Selbstverzichts ein, und öffnet Euch dem Xui. Währenddessen werde ich die beiden Ritter holen, die als Beisitzer fungieren. Sie sind meine Freunde und warten bereits vor der Tür.«

Der alte Mann ging. Filp öffnete langsam die Beine. Durch das lange unbewegliche Verharren in einer Position waren sie steif geworden. Er reckte und streckte sich, um seine Glieder wieder geschmeidig zu machen. Dann kniete er vor seinem Lager nieder. Er senkte den Kopf. Die Position des Selbstverzichts fand normalerweise unter dem holografischen Bild im Rittersaal statt, wo in der toten Sprache Terra Maters die Regeln des Ordens an der Decke geschrieben standen. Sie drückten den Wunsch des Aspiranten aus, sein Ego in den Dienst des Universums zu stellen, das Ich vom lebensspendenen Xui durchdringen zu lassen.

In diesem Moment hatte Filp das Gefühl, sich selbst zu belügen. Vergebens bemühte er sich, mit dieser Körperhaltung seine Ernsthaftigkeit auszudrücken. In seinem Innern wusste er, dass er dieses Ritual nur seinem alten Paten zuliebe ausführte. Denn eine kleine Stimme flüsterte ihm zu, nicht nur auf das Xui zu verzichten, sondern auch auf die Erhebung in den Ritterstand und den absurden bevorstehenden Kampf. Außerdem behauptete sie, dass wahrer Mut darin bestünde, mit seinem eigenen kleinen Ich in perfekter Harmonie zu leben, wahrhaftig und aufrichtig, auch wenn das von anderen als unehrenhaft betrachtet werde. Und es war nicht aufrichtig, einem in Dogmen erstarrten Gremium gegenüber Gefolgschaft und Gehorsam vorzutäuschen.

Wie anders war doch jetzt jene Zeremonie als die, die er sich erträumt hatte! Nichts Feierliches hatte sie mehr an sich, nichts Grandioses. Weder die Würdenträger des Ordens, noch der Mahdi Seqoram würden anwesend sein, denn sie fand in einer kalten, feuchten Zelle im Beisein dreier Ritter statt – inmitten seiner Verbitterung, und nurmehr mit Bruchstücken seines einstigen festen Glaubens.

Jetzt betraten die drei Ritter den kargen Raum. Auch die beiden Beisitzer waren alte, desillusionierte Männer, in verschlissenen, mit schwarzen Flecken bedeckten Kutten. Der eine trug eine neue Kutte über dem ausgestreckten Arm, der andere ein weißes Kissen, auf dem eine Schere, ein kleines Gefäß aus Perlmutt und Rasierzeug lagen.

Choud Al Bah ging zu dem Krieger, verneigte sich vor ihm, die rechte Hand quer an die Stirn gelegt, und erklärte: »Kraft der mir vom Entscheidungsgremium im Namen des Mahdis Seqoram verliehenen Vollmacht erhebe ich, der Ritter und Beichtvater des Kriegers Filp Asmussa, denselben in Anwesenheit meiner beiden Beisitzer, der Ritter Mölin Renehar und Ty Zarovov, nach Leistung des Treueschwurs, so wie er von dem verehrten Gründer unseres Ordens, des Mahdis Bertelin Naflin festgelegt wurde, in den Ritterstand. Nach dem Sprechen des Eids wird der hier anwesende Krieger Filp Asmussa die Kutte anlegen und für alle Zeiten die Tonsur tragen, als unantastbares Zeichen seiner Zugehörigkeit zu dem Orden der Absolution, dem er Gehorsam, Einhaltung der Regeln, Respekt und Vertrauen schwört und dem er von nun an das Geschenk seiner Persönlichkeit macht.«

Nach dem gebotenen kurzen Schweigen stimmten Choud Al Bah und seine zwei Beisitzer in der Sprache Terra Maters die alte Hymne an, deren getragene Melodie die Feierlichkeit der Zeremonie unterstrich.

Trotz großer Anstrengung konnte sich Filp nicht in dieses Ritual einbringen. Er kam sich wie ein Fremder vor, wie ein Ethnologe, der Zeuge eines fremdartigen Brauchs bei einem Eingeborenenstamm ist, dessen Riten ihm unverständlich sind. Zu seiner großen Verwunderung musste er feststellen, dass ihn das gesamte Geschehen tödlich langweilte. Er schämte sich seiner Gleichgültigkeit und bemühte sich, in die Tiefen seines Unterbewusstseins einzudringen. Glücklicherweise erschien Aphykit vor seinen geistigen Augen und leistete ihm bis zum Ende der Zeremonie Gesellschaft.

Nach Beendung der Hymne wandte sich Choud Al Bah an seinen noch immer vor ihm knienden Patensohn: »Krieger Filp Asmussa, seid Ihr bereit, den Eid abzulegen? Seid Ihr bereit, der Ritterschaft ewige Treue zu schwören?«

Filp zögerte kurz. In diesem Moment wäre er am liebsten davongelaufen.

»Ich … ich schwöre es«, sagte er mit tonloser Stimme, während er innerlich stumm das Gegenteil schrie.

»Gut. Bei Eurer Ehre, der unveränderlich bleibenden Ehre des Ritters, verpflichtet Ihr Euch, ganz gleich unter welchen Umständen, niemals diesen Schwur zu brechen?«

Filp versuchte, seiner Stimme einen festeren Klang zu verleihen. »Ich schwöre es.«

»Gut. Ich, Choud Al Bah, Ritter des Ordens der Absolution, erhebe Euch in Anwesenheit meiner zwei Beisitzer in den Ritterstand. Erhebt Euch bitte, Ritter, und entledigt Euch Eurer Kleidung.«

Filp gehorchte. Vielleicht ein wenig zu schnell in Anbetracht der Feierlichkeit eines solchen Ereignisses. Er zog hastig seine bronzefarbene Robe aus, die er während seiner dreijährigen Lehrzeit getragen hatte.

Jetzt stand er nackt in der Zelle und fror in der Kühle des frühen Morgens.

»Setzt Euch, Ritter!«

Wieder gehorchte Filp. Ihm kam ein bizarrer Gedanke: Warum rasierte man ihm erst den Schädel und ließ ihn nicht seine Kutte anziehen, wenn er doch vor Kälte zitterte? Und wieder schalt er sich wegen solcher unpassenden Überlegungen.

Der Körpergeruch des alten Beisitzers drang ihm unangenehm in die Nase, als der Ritter ihm mit ungeschickten Bewegungen die Haare schnitt. Dann spürte er, nicht ohne Angst, wie die Klinge des Rasiermessers über seinen Schädel glitt. Danach rieb der Beisitzer die kahle Stelle mit »Mondsalbe« ein, eine Pomade nach uraltem Rezept, die das Nachwachsen der Haare verhinderte.

Darauf reichte der zweite Beisitzer Filp die Kutte. Der streifte sie sofort über, ohne auf die vor dem Anlegen gebotene innere Einkehr Rücksicht zu nehmen. Es entging ihm nicht, dass Missbilligung in den Augen der Beisitzer aufleuchtete. Aber Choud Al Bah umarmte seinen Patensohn mit großer Herzlichkeit.

»Ihr werdet es bald erfahren«, flüsterte der alte Mann Filp ins Ohr, »diese Kutte wird der Beginn eines neuen Lebens für Euch sein …«

 

Fünf Minuten später standen Filp und die drei alten Ritter auf dem Ehrenhof, wo sich auf Geheiß des Mahdis alle zehntausend Mitglieder, streng nach Rangordnung gegliedert, versammelt hatten. Auf dem Triumphbogen des Mahdi Drui-a-Der flatterte das Banner des Ordens, die Gestalt des Panthards in der Mitte, dessen große grüne Augen aus seinem rot gestreiften Pelzkleid herausleuchteten. Auf einem blauen Podium darunter hatten die vier Weisen des Entscheidungsgremiums in ihren makellosen weißen Roben Platz genommen. Ihre kahlen Schädel glänzten. Zwischen ihnen stand unter einem Baldachin, der von einem mottenzerfressenen Panthardfell bedeckt war, ein aus Holz geschnitzter uralter Sessel, der dem Mahdi vorbehalten, im Moment aber noch leer war. Hinter den vier Weisen stand in seiner blutroten Robe der Ehrenwerte Plays Hurtig, der Wächter der Reinheit der Lehre, und starrte mit misstrauischem Blick auf die Versammelten.

Als Choud Al Bah Filp seinen Platz unter den Rittern anwies, warfen ihm seine ehemaligen Kommilitonen neidische Blicke zu. Filp winkte ihnen freundschaftlich zu. Die Armen, wenn sie wüssten …

Eine bleierne Stille lastete über dem Ehrenhof. Sogar die Gelbmöwen und die Silberkammtölpel hatten die Klosteranlage verlassen, so als wollten sie diese trügerische Ruhe vor dem Sturm nicht stören.

Einer der vier Weisen – Filp erinnerte sich an die eiskalte Schärfe der Stimme dieses Mannes – ergriff das Wort.

»Ritter, Krieger, Aspiranten, heute ist ein großer Tag! Jener Tag ist angebrochen, auf den sich der Orden seit seiner Gründung vorbereitet hat, dem er seine Existenz verdankt. Heute machen wir dem Gründer, Mahdi Naflin, Ehre! Der Feind versucht, die Basis der Konföderation zu zerstören und für immer unsere Ordnung aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er lauert vor unserer Tür. Deshalb hat der Mahdi Seqoram uns, die einfachen Mitglieder des Entscheidungsgremiums gebeten, euch seinen Willen zu verkünden und euch seiner Unterstützung zu versichern.«

Filp hatte zutiefst gehofft, den großen Meister endlich einmal leibhaftig zu sehen, und jetzt fragte er sich, warum der Mahdi nicht persönlich erschien. Enttäuscht – noch eine Enttäuschung! – suchte er den Blick Choud Al Bahs, der einige Ränge von ihm entfernt saß. Zwar konnte er keinen Augenkontakt mit seinem Beichtvater herstellen, aber er sah, dass der alte Ritter erschüttert war, als sei eine dunkle Vorahnung plötzlich zu fürchterlicher Gewissheit geworden.

»Doch ihr dürft euch dessen gewiss sein: Dort oben von seinem Turm herab wird der Mahdi Seqoram euch geistig führen!«, fuhr der Weise fort. »Wenn er in der Stille seiner Gemächer im Xui verweilt, weit vom Chaos entfernt, wird seine Unterstützung umso effizienter sein. Und euch, ihr Ritter, bietet sich jetzt die einmalige Chance, eure Kenntnisse unter Beweis zu stellen. Deshalb beschwören wir euch, stärkt euren Geist! Lasst euch nicht durch das psychische Blendwerk eurer Gegner ablenken, denn wie wir erfahren haben, sollen sie auf diesem Gebiet Experten sein. Erweist euch als Meister des Klangs. Euer Schrei des Todes muss gnadenlos sein!

Jetzt will ich verkünden, welche Anordnungen der Mahdi für die Schlacht gegeben hat: In vorderster Reihe sollen die Ritter kämpfen. Sie werden vom Corps der Trapiten begleitet, deren Effizienz außer Frage steht. Die zweite Reihe wird von den angehenden Rittern gebildet. Sie sollen deren Position im unwahrscheinlichen Fall einer Niederlage einnehmen. Was die Krieger, Aspiranten und Klosterverwalter betrifft, so sollen sich diese Männer im Hintergrund halten. Ihre Aufgabe besteht vor allem darin, Augen und Ohren – die Fenster der Seele – weit zu öffnen, damit sie für immer von dieser einmaligen Erfahrung profitieren können.«

Eine ständig größer werdende Unruhe machte sich in der Menge breit, und Filp begriff, dass während der zwei Tage seiner Exerzitien eine fiebrige Unruhe das Kloster ergriffen haben musste. Vor allem die Trapiten brannten vor Ungeduld, sich mit den Streitkräften des neuen Kaiserreichs zu messen. Sie wollten sich beweisen und ihre absurden Träume von Ruhm und Eitelkeit wahr werden lassen. Filp kam sich wie ein Fremder inmitten dieser wie trunken wirkenden Männer vor, wie ein Eisblock inmitten eines Flammenmeers.

Er versuchte, unter den Rittern Nobeer O’An, den Heiler, ausfindig zu machen, weil er hoffte, etwas über Aphykits Gesundheitszustand zu erfahren. Vergebens. Die Versammlung war zu groß. Filp hätte nie geglaubt, dass das Kloster so viele Menschen beherbergte. Wo war Nobeer O’An? Und wo war Aphykit? Würde er die junge Frau jemals wiedersehen?

Es gab nur eine Antwort auf diese Frage. Er musste in den Krankentrakt gehen, sie holen und mit ihr fliehen.

»Jedes Mitglied des Ordens, gleich welcher Stellung und welchen Rangs, wird angewiesen, sich auf die Halbinsel zu begeben, um die Kämpfenden durch ihr Eintauchen in den See des Xui mental zu unterstützen!«, fuhr der Weise in seiner Rede fort. »Ewiger Ruhm wird euch zuteil, und euer Ansehen wird die Jahrhunderte überdauern. Ihr werdet diejenigen sein, die die Totengräber des Universums besiegt haben. Ihr werdet für die Freiheit kämpfen, für das Leben! Die Pforten des Klosters werden jetzt geöffnet. Und vergesst nicht, dass der Mahdi uns von seinem Turm aus sieht und uns Mut zuspricht. Jetzt nehmt eure Positionen ein, damit alles vor Anbruch des Tages vollendet werde!«

 

Choud Al Bah und Filp sahen sich an. In den grünen Augen des alten Ritters stand die reine Verzweiflung, und sie schienen Filp um Verzeihung zu bitten. Da bekam Filp wirklich Angst – eine Eiseskälte kroch in ihm hoch. Doch sein Stolz verbot ihm zu desertieren, zum Krankentrakt zu laufen, so wie er es mit jeder Faser seines Körpers wollte.

Die massiven Flügel der sechs monumentalen Portale öffneten sich einer nach dem anderen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Ordens wurden sie gleichzeitig geöffnet. Noch einmal suchte Filp die Menge nach dem Heiler Nobeer O’An ab. Wo war der Ritter?

Die Ritter der Absolution marschierten geschlossen nach draußen in Richtung der Halbinsel, zum Strand am Meer der Feen von Albar, der jetzt, bei Ebbe, verlassen dalag. Noch war der Sand an manchen Stellen feucht. Nicht ein Windhauch bewegte die tief stehende Wolkendecke. Nur die ferne Brandung und einzelne Schreie der Gelbmöwen und Silberkammtölpel durchbrachen diese seltsam dumpfe Stille.

Die Truppen des Ordens wurden von den weiß gekleideten Weisen und den ihnen folgenden Wächtern der Tugend angeführt. Hinter ihnen schritten die Trapiten mit ihren grimmigen Mienen, dann kamen die Garden und die Delegierten der Garden – Filp erkannte unter ihnen Godegezil Szabbo, den blonden Hühnen, der ihn in den Audienzsaal des Gremiums begleitet hatte. Ihnen folgten die Ritter in ihren grauen Kutten und die bronzefarbene Phalanx der Krieger und Aspiranten. Den Schluss bildeten die Ritter der Verwaltung und der Heilkunst in ihren dunkelgrünen, marineblauen oder hellblauen Roben.

Jetzt war es für Filp zu spät. Er konnte nicht mehr zurück. Eine große Angst ergriff ihn.

 

Gegenüber, auf der anderen Seite der Halbinsel, warteten die Truppen des neuen Kaiserreichs. Truppen war ein großes Wort im Vergleich zu dem nicht enden wollenden Strom von Männern, der aus den Klosterportalen quoll. Denn der Gegner bestand nur aus ein paar hundert Scaythen, Pritiv-Söldnern und Interlisten. Die mentalen Terminatoren in ihren schwarzen Kutten sahen wie eine Abordnung von Gespenstern aus, die starr über dem Sand zu schweben schienen. In einiger Entfernung von ihnen standen zwei Scaythen, einer in einen blauen und der andere in einen purpurroten Kapuzenmantel gekleidet.

Der neben Pamynx stehende Experte Harkot war angewiesen worden, durch eine mentale Inquisition die Strategie des Feindes herauszufinden. Die Rede des Weisen vor den versammelten Mitgliedern des Ordens hatte ihn sehr amüsiert, weil sie im Namen eines Phantoms – dem Phantom des Mahdis Seqoram – gehalten worden war. Das hatte er in den verschrobenen Köpfen der vier Greise und dem des Tugendwächters gelesen. Diese Männer waren genauso berechnend, hinterhältig und skrupellos wie der Muffi der Kirche des Kreuzes, Barrofill XXIV. Trotz ihrer Einzigartigkeit ähneln sich manche Menschen in ihrer geistigen Haltung auf merkwürdige Weise, dachte er. Und ohne den Mahdi als Oberhaupt, stellt der Orden eine allzu leichte Beute dar, obwohl sich der Todesschrei der Ritter als effiziente Waffe erweisen kann – doch nur gegen gewöhnliche Gegner. Aber was kann er schon gegen die mentalen Terminatoren ausrichten?

Doch Harkot quälte etwas anderes als der vorhersehbare Ausgang dieser Konfrontation. Seine äußerst sensiblen Antennen hatten eine Präsenz in der Nähe der Halbinsel aufgespürt. Eine flüchtige Präsenz, derer er nicht habhaft wurde. Vergebens aktivierte er alle seine mentalen Fähigkeiten, es gelang ihm nicht, in dieses Heiligtum der Stille einzudringen. Er wusste nur, dass diese Präsenz nicht mit den Streitkräften des Ordens in Kontakt stand, die jetzt in Form eines Fächers auf dem Strand in Stellung gingen. Also vermutete er, dass es sich bei dieser Präsenz um die Tochter des Syracusers Alexu handele, denn er wusste, das man sie in das Kloster gebracht hatte. Und er beschloss, sie nach der Schlacht zu suchen, um sich zu vergewissern, dass seine Vermutung richtig war.

Auch stellte diese flüchtige Präsenz den wahren Feind dar – die Meister-Creatoren waren ebenfalls davon überzeugt  –, im Gegensatz zu Pamynx, der in diesen lächerlichen Streitkräften den Gegner vermutete. Doch Pamynx’ Zeit lief langsam ab, denn die Botschaften des Hyponeriarchats galten von nun an ihm, Harkot. Er allein war für den erfolgreichen Abschluss der sechsten Etappe des Plans verantwortlich, und deshalb war es unerlässlich, dass er herausfand, warum sich der Geist dieser jungen Frau seiner – Harkots – mentalen Erforschung entzog.

 

Schweigend stehen sich die Gegner gegenüber, auf der einen Seite die brutalen Fratzen der eitlen Trapiten, auf der anderen die mysteriösen schwarzen Kapuzenmänner. Auf der einen Seite die riesige Mauer des Klosters, auf der anderen die von Felsenklippen gesäumten sandigen Buchten. Das Meer der Feen von Albar hat sich weit zurückgezogen, so als wollte es nicht am Krieg teilnehmen.

Auf den gedachten Befehl des Konnetabel hin, treten die mentalen Terminatoren in Aktion. Neben Filp Asmussa stürzen fünfzig Ritter zu Boden, wie von unsichtbarer Hand gemähte Halme. Die Trapiten stoßen ihre ersten Schreie des Todes aus, eine schreckliche, schrille Unterbrechung der Stille – ohne Wirkung.

Choud Al Bah wird bleich. »Wir sind verloren!«, ruft er und hebt die Hände gen Himmel.

Die vier Weisen liegen neben den toten Trapiten und Rittern. Ihre weißen Roben sind mit nassem Sand befleckt.

Choud Al Bah läuft zu Filp. »Verzeiht mir! Verzeiht mir. Ich hätte nicht …« Mehr kann der alte Mann nicht sagen. Er bricht in den Armen seines Patensohns zusammen. Ein schneidender Schmerz zerteilt sein Gehirn. Er fällt leblos, mit dem Gesicht nach unten, in den Sand.

Jetzt bricht Panik unter den Kämpfern des Ordens aus. Der Tod kommt aus dem Nichts, unerbittlich, unvorhersehbar. Er trifft Ritter, Krieger, Aspiranten, alle. Plays Hurtig läuft mit ausgebreiteten roten Flügeln über den Strand und versucht, die von Entsetzen ergriffenen Fliehenden aufzuhalten. Doch genau das haben die Pritiv-Söldner erwartet. Ihre glänzenden runden Scheiben bohren sich in Rücken und Hälse der Ordensmänner. Sie stolpern und brechen blutüberströmt zusammen. Ihre Köpfe rollen in die vom Meer in der Ebbe zurückgelassenen Rinnsale. Todesschreie lassen die Luft erzittern. Wo ist der Mahdi Seqoram? Warum hat der große Meister die Ordensleute ihrem Schicksal überlassen?

Eine Scheibe trennt Plays Hurtig einen Arm ab. Eine zweite bohrt sich in sein Nierenbecken. Er verfängt sich in den Falten seiner Robe und stürzt mit dem Kopf auf einen Felsen.

 

Der letzte Gedanke Filp Asmussas, des dritten Sohns Dons Asmussas, des Seigneurs von Sbarao und den Ringen, galt nicht Aphykit, sondern Long-Shu Pae. Er erinnerte sich an die Worte des Verbannten, er erinnerte sich, wie sehr sie ihn verletzt hatten. Denn die Wahrheit ist oft schwer zu ertragen.

»Eine Waffe des Friedens gibt als Waffe des Kriegs ein ziemlich jämmerliches Bild ab.«

Ein schwarzer Schleier legte sich über seine Augen. Und er versuchte, mit den Händen diesen unerträglichen Schmerz in seinem Kopf herauszuziehen.