ZWEITES KAPITEL
Von heute an bin ich Angestellter des Intergalaktischen Transportunternehmens und widme ihm im Bewusstsein des mirgewährten Privilegs mein ganzes Leben.
Ich komme meinen Aufgaben zum Wohle der Kunden, die mit dem Intergalaktischen Transportunternehmen reisen, mit größtem Eifer nach.
Ich bin im Voraus mit jeder Versetzung auf einen anderen Planeten einverstanden, sollte das Entscheidungskollegium eine solche Maßnahme zum Gedeihen des Intergalaktischen Transportunternehmens für notwendig erachten.
Ich bin ein Mitglied der großen Familie Galaktischer Transportunternehmen und als solches respektiere ich …
Auszug aus der Airain-Charta, der ethischen Pflichtenlehre des InTra-Amtseid, der vor der Einstellung vor dem Entscheidungskollegium auf dem Planten Oursse abgelegt werden muss.
Auf dem Planeten Zwei-Jahreszeiten kursierte hartnäckig ein Gerücht: Es hieß, der Dauerregen werde bald aufhören, und somit sei bald das Ende der Regenzeit gekommen.
Tixu Oty, der Oranger, fläzte in seinem abgenutzten, verstaubten Sessel in einer Dependance der Reiseagentur InTra und starrte mit dem stumpfen Blick einer himmlischen Kuh auf den strömenden Regen draußen vor dem Fenster.
Während der fünf oder sechs Standardjahre, die Tixu Oty auf den Zwei-Jahreszeiten lebte, hatte er sich in eine zottelige, träge, von Alkohol und Langeweile getränkte Masse verwandelt. Seiner zerknitterten, ehemals hellgrünen Uniform entströmte ein widerwärtiger Geruch, der an diese riesigen Echsen erinnerte, die Bewohner der Flüsse während der Regenzeit.
Wenn sich – was selten genug vorkam – ein Kunde in die vergammelte Agentur verirrte, wurde er von Tixu Oty mit einem derart scheelen Blick bedacht, dass er schnell eine Entschuldigung stammelte und wieder abzog. Welchen Eindruck mussten die unglücklichen Reisenden nur von dieser Firma haben, dem »wichtigsten Reiseveranstalter des bekannten und des unbekannten Universums«?! Von dem InTra, mit seinen Abertausenden Niederlassungen auf Hunderten Planeten der Naflin-Konföderation, inbegriffen die auf den entlegenen Welten der Marken. Das allmächtige InTra, das mithilfe einprägsamer Slogans und Mauscheleien zwischen Politik und Finanzwelt zum Quasi-Monopolisten innerhalb des galaktischen Transportsektors geworden war.
Gefangen in seiner Lethargie wusste Tixu jedoch, dass früher oder später ein Inspobot – ein Inspektor-Roboter – im Auftrag des Entscheidungskollegiums bei ihm erscheinen und seine Arbeit überprüfen würde. Die Direktion kümmerte sich um jede Agentur, auch wenn sie an den Grenzen des registrierten Universums lag. Wenn er viel Glück hatte, würde man ihn einfach nur rausschmeißen, wie man jeden anderen Faulenzer aus einer verantwortungsvollen Stellung entlassen hätte. Allein, diese Vorstellung entsprach seinem Wunschdenken. Viel wahrscheinlicher war, dass er vor dem Ethiktribunal des InTtra erscheinen musste, wo sein gesamtes Versagen in beruflicher Hinsicht offenkundig werden würde. Und da das InTra äußerst empfindlich war, wenn es um das Renommee seines Unternehmens ging, würde man ein Exempel an ihm statutieren, was bedeutete, dass er zu zehn bis fünfzehn Jahren Dienst in einer der Recyclingwerkstätten auf dem Planeten Oursse verurteilt werden würde. Dort würde er dann die Wahl haben, als Versuchspilot – Mortalitätsrate: 30,3 Prozent – zu arbeiten, oder im Strahlenlabor – Mortalitätsrate: 26,7 Prozent –, um Anomalien jedweder Art aufzudecken.
Doch Tixu war es dank seines bewundernswerten Phlegmas gelungen, diese Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen: den Eid, den er auf die Airain-Charta geleistet hatte; die Inspobots; die Maxime: der Kunde ist König; und das deprimierende Schicksal, das ihn erwartete … Ihn interessierte nur eins: der Augenblick, an dem die Computerstimme der Hostess des internen Senders die Schließung aller Reiseagenturen in der Zone 1098-A der Marken verkündete.
Reflexartig tippte Tixu dann auf der veralteten Tastatur den Geheimcode ein, drückte auf den Knopf, der die magnetische Schutzvorrichtung aktivierte, hievte seine immense Körpermasse aus dem Sessel und vergaß jedes Mal die altmodische holografische Leuchtschrift auszuschalten, bei der seit Ewigkeiten die Hälfte der Buchstaben fehlte. Dieses Reisebüro war wahrscheinlich das heruntergekommenste des bekannten und unbekannten Universums.
Dann machte sich Tixu träge auf den Weg und schlurfte durch die dunklen und verschlungenen Gassen der Innenstadt. Bald musste er auf schmale Stege ausweichen, die zur Regenzeit kleine Seen, Bäche und Flüsse überbrückten. Die Wassermassen reflektierten, zerbrochenem Spiegelglas gleich, den fahlen Schein der Lichtblasen, die vom Wind geschüttelt wurden. Manchmal tauchte plötzlich in der Gischt eine der Flussechsen auf, ein etwa zehn Meter langes, fleischfressendes Reptil. Sein gelb geschuppter Leib und seine kleinen rubinroten Augen leuchteten im grauen Zwielicht und wenn es sein Maul öffnete, glänzte eine Dreierreihe spitzer Zähne, während sein kräftiger Schwanz wütend die Wasseroberfläche peitschte.
Schon oft hatte eine Windbö einen betrunkenen oder vom Fieber geschwächten Passanten von einem der Stege geworfen. Der Mann hatte keine Chance, mit dem Leben davonzukommen. Immer lauerte eine Echse in der Nähe, und sie verschlang ohne Zögern ihre unverhoffte Beute (Todesrate: 100 Prozent).
Manchmal beobachtete Tixu diese Wassermonster eine Weile. Dann hielt er sich immer an den an den Stegen angebrachten Seilen fest. Nicht, dass er übermäßig am Leben hing, aber immerhin hielt er sich an dem fest, was sich ihm bot, und in dem Fall war es eben ein Seil.
Die Ureinwohner der Zwei-Jahreszeiten, die Sadumbas, glaubten, dass die Flussechsen Wassergottheiten seien. Vor der Ankunft der Kolonisten aus der Konföderation auf ihrem Planeten hatten sie den Echsen einige ihrer Neugeborenen in einem Ritual geopfert. Und obwohl das Konföderierte Recht einheimische kulturelle und ethische Gebräuche schützte, waren diese jahrhundertealten Praktiken verboten worden, weil man sie für barbarisch und einer aufgeklärten Gesellschaft nicht würdig hielt.
Tixu schritt auf schwankenden Stegen über die unter ihm lauernden Geschöpfe, die aufmerksam jede seiner Bewegungen über die rutschigen Planken verfolgten. Auch wenn der Regen ihm nun ins Gesicht peitschte, lies er sich davon nicht aus seiner gleichgültigen Haltung bringen. Jetzt strebte er dem einzigen Ort der Siedlung zu, wo Alkohol ausgeschenkt wurde: eine Baracke, auf morschen Pfählen errichtet; kein sehr vertrauenerweckendes Etablissement. Unter einem verwitterten Wirtshausschild neigte sich eine baufällige Terrasse in bedrohlichem Winkel auf den unter ihr gurgelnden Bach zu. Wahrscheinlich war dies die heruntergekommenste Kneipe des bekannten und unbekannten Universums.
Tixu gesellte sich jeden Abend zu den zahlreichen Liebhabern einer einheimischen Spezialität, eines alkoholischen Getränks namens Mumbë, eine zweifelhafte Mixtur aus Säure und Gift, die jedem normalen Individuum die Gedärme zerfressen hätte. Tixu jedoch leerte schweigsam Glas um Glas, ohne den Blick zu heben. Die anderen Säufer standen an der Bar oder flegelten sich an roh zubehauenen Tischen, auch sie tranken schweigend. Ihre glänzenden, rot geäderten Augen starrten ins Leere. Die Kellner, drei Brüder vom Planeten Roter-Punkt, füllten schweigend die Becher und Gläser nach. Nur ihre Hände grabschten gierig nach den auf die Theke geworfenen Münzen.
Die Taverne der Drei Brüder – so wurde sie genannt, weil niemand das Wirtshausschild entziffern konnte – diente vor allem als Umschlagplatz für geschmuggelten Tabak aus den Skoj-Welten und künstlichem Alkohol. Beides war bereits per Gesetz der Konföderation seit mehr als einhundertsechzig Standardjahren verboten.
Von Zeit zu Zeit tauchten ein paar schrille Frauen in der verräucherten Kaschemme auf. Sie hatten bunt gefärbte Haare, und ihre hauchdünnen Negligés enthüllten schlaffes Fleisch, hängende Brüste, fette Beine und kahle Venushügel – heruntergekommene Prostituierte, die nicht die Mittel hatten, sich einer Verjüngungskur zu unterziehen. Sie verkauften sich an die Optalium-Sucher, an korrupte Beamte oder an dubiose Geschäftsleute.
Auch Tixu war in Momenten tiefster Verzweiflung schon ihren zweifelhaften Angeboten erlegen. Diese flüchtigen Begegnungen fanden in einem im ersten Stock gelegenen Zimmer statt, mitten in einem Schwarm aggressiver schwarzer Moskitos. Da diese Frauen äußerst professionell vorgingen, dauerte der gesamte Akt, von der Geldübergabe bis zur Ejakulation, nie länger als dreißig Sekunden. Und jedes Mal hatte Tixu nichts anderes in Erinnerung behalten als den widerlichen Geruch des Desinfektionsmittels auf der fleckigen Matratze.
Manchmal schnappte er Fetzen einer Unterhaltung oder eines Gedankens auf.
»Scheißregen! Das dauert jetzt schon länger als zwanzig Jahre. Eine-Jahreszeit, so müsste dieses Loch heißen!«
»Ja. Und der arme Morteen Olligrain … Dass er so enden musste. Hat sich einfach von einer dreckigen Echse fressen lassen …«
»Dabei habe ich ihm gesagt, nicht so nahe am Wasser zu graben. Erst mal, weil es in der Nähe des Wassers überhaupt kein Optalium gibt. Und dann, weil ich ja gesehen habe, dass das alles zusammenbrechen würde …«
»Er war eben stur … Aber so sind sie alle, diese Dickschädel von Artilex. Immer müssen sie recht haben.«
»He, du Oranger, da drüben! Wenn ich einen guten Fund mache, komme ich sofort zu dir. Und dann steckst du mich in deine beschissene Maschine und ich bin sofort zu Hause. Und dazu noch verjüngt!«
»Rede keinen Quatsch, Amigoët! So eine Deremat-Reise kostet mindestens zehntausend Eier. Und diese Verjüngungsgeschichte, das ist ein Märchen … Es wirkt vielleicht ein paar Monate lang, aber weil deine Körperzellen dein biologisches Alter gespeichert haben, ist die Wirkung bald vorbei. Das ist der korrigierte Gloson-Effekt … Stimmt doch, oder, Tixu?«
Tixu verzog nur das Gesicht, was man notfalls als Zustimmung deuten konnte.
»Du brauchst dich gar nicht über mich lustig zu machen«, beharrte der andere Mann. »Ich bin überzeugt, dass ich auf eine Ader gestoßen bin. Eine richtige.«
Bei dem Optalium handelte es sich um ein seltenes Edelmetall, das von den Goldschmieden und anderen bildenden Künstlern auf Bella Syracusa und den Mitgliedern des Heiligen Kunsthandwerks des Marquisats sehr geschätzt wurde. Deshalb hatte es eine Menge Abenteurer angelockt, Männer, die unter der Zenoïba litten, einem Fieber, das während der Regenzeit grassierte und unheilbar war. Die Erkrankten hatten Schweißausbrüche, ihnen fielen die Zähne aus, und sie halluzinierten. Sie kamen aus allen Gegenden des Universums und waren an ihrer Kleidung erkennbar, einem Overall aus dickem braunem Stoff, dem Tibou’ch. Und sie alle hatten nur eine Hoffnung: genug Geld zusammenzukratzen, um in ihre Heimat-Welten zurückkehren zu können und dort in Frieden zu sterben. Mit normalen Raumschiffen würden sie Jahre brauchen und die Reise nicht überleben. Diese Relikte aus der Eroberungszeit brauchten sechs Monate und manchmal sogar ein Jahr, um die Verbindungen zwischen den Hauptplaneten der Konföderation aufrechtzuerhalten, die Risiken der Piraterie und der Havarie nicht eingerechnet.
»Laut Expertise der Geodriller ist der Planet Zwei-Jahreszeiten reich an weißem Optalium …«
Diese lapidare Mitteilung, die von irgendeinem obskuren Bullovisionsender verbreitet wurde, hatte einen Ansturm auf den Planeten ausgelöst. Glückssucher hatten sich erbitterte Kämpfe geliefert und waren auch vor Mord nicht zurückgeschreckt, um die besten Claims zu ergattern … Doch durch den unablässigen Regen und das damit einhergehende tödliche Fieber sowie die Flussechsen hatte sich die Gewinnung des kostbaren Metalls äußerst schwierig gestaltet.
Gegen die von Insekten übertragene Zenoïba hatten sich sowohl die Medikamente der renommiertesten Mediziner des Gesundheitskonvents der Konföderation, des GDK, als auch die Zaubertränke der Imas der Sadumbas, der einheimischen Schamanen, als wenig wirkungsvoll erwiesen. Auch unter den Sadumbas wütete das Fieber und forderte viele Todesopfer, was vielleicht auch auf die mangelnde Hygiene der Einheimischen und auf deren exzessiven Konsum von Mumbë zurückzuführen war. Denn die Sadumbas vom Planeten Zwei-Jahreszeiten kannten keine Kleidung. Sie blieben trotz des strikten Verbots der Kirche des Kreuzes weiterhin nackt, obwohl sie eine transparente und völlig haarlose Haut von einem krankhaften Weiß hatten, durch die ihre dunklen Venen schimmerten. Doch alte oder neue Dekrete waren ihnen völlig egal. Auf Nichteinheimische wirkten sie melancholisch, fast finster, was einen seltsamen Kontrast zu ihren runden Köpfen und ihren eher üppigen Formen bildete.
Die ältesten und sehr kranken Optalium-Sucher versicherten jedoch, dass sich die Sadumbas bei Anbruch der Trockenzeit vollkommen veränderten. Dann werde ihre Haut so trocken wie Baumrinde, und sie bekäme einen schönen Braunton, und vor allem würde sich ihr Charakter vollständig ändern: Sie seien großzügig, gastfreundlich und voller Lebensfreude, würden gerne singen und tanzen und rauschende Feste feiern.
Doch in Erwartung dieser glorreichen Tage – die wahrscheinlich nur in den von Fieber zerfressenen Hirnen der Optalium-Gräber existierten – saßen ein paar männliche und weibliche Sadumbas brav in einer Ecke; mit ihren Bechern voller Mumbë in der Hand schienen sie finstere Gedanken über das bekannte und unbekannte Universum zu spinnen.
Da betrat pünktlich wie auf den Glockenschlag einer prä-naflinischen Standuhr, wie jeden Abend um dieselbe Zeit, ein seltsamer Mann die Schenke. Er war groß und bleich. Sein struppiges rotes Haar schaute unter der Kappe seines safranfarbenen, schmutzigen und löchrigen Colancors hervor. Sein kantiges Gesicht war zerfurcht, und seine Augen unter den buschigen Brauen funkelten wütend. Sein Hals war so dürr wie der eines Geiers. Jetzt streckte er seinen skelettartigen Arm aus dem purpurfarbenen Umhang hervor und deutete anklagend auf die Zecher.
»Gesetzesbrecher!«, rief er so laut, dass seine kräftige Stimme das Prasseln des Regens auf dem Blechdach übertönte. »Der Alkohol hat aus euch Raskattas gemacht, Ungesetzliche, Tiere, die auf den Stufen der Evolution noch niedriger als die Flussechsen stehen! Ihr seid nichts als ein Haufen widerwärtiger Kreaturen, Sklaven des Alkohols. Früher oder später werdet ihr vor dem Tribunal der Kirche stehen, die euch durch das Feuer von euren Sünden reinigt! Bald ist die Zeit gekommen. Fürchtet die Qualen der Kreuze des Heils! Sie werden euch für eure Schamlosigkeit bestrafen!«
Die Gäste konnte der Sermon seiner Rede nicht beeindrucken. Die Huren provozierten ihn sogar, indem sie ihre Schenkel spreizten, mit der Zunge ihre geschminkten Lippen befeuchteten oder ihre Brüste streichelten. Zornentbrannt wandte sich der Missionar der Kirche des Kreuzes ihnen zu.
»Bedeckt euch, Satansweiber! Euer Benehmen ist eine Beleidigung für die göttliche Laïssa, die Mutter unserer Kirche. Und euch ist bereits ein Platz am Feuerkreuz gewiss!«
Mit brennendem Blick musterte er eine Weile die schattenhaften Gestalten in dem verräucherten Gastraum, schluckte heftig, sodass sein Adamsapfel in seinem dürren Hals auf und ab tanzte und verließ dann wie ein Schlafwandler unter den höhnischen Bemerkungen der etwas verunsicherten Huren das Lokal.
»Der tickt nicht richtig, der Kreuzler! Das kommt sicher von der Zenoïba!«
»Wenn der glaubt, dass er uns mit seinen Feuerkreuzen Angst einjagen kann, hat er sich geschnitten«, höhnte einer der Männer.
»An deiner Stelle würde ich nicht darüber lachen«, sagte ein alter Mann. »Ich habe sie gesehen, diese Scheißkreuze. Es gibt sie.«
Alle sahen den Optalium-Sucher an. Der vorzeitig gealterte Mann klammerte sich schwankend an die Theke. Die Huren erschraken, ließen ihre potenziellen Freier im Stich und scharten sich um ihn.
»Ich habe sie auf dem Planeten Julius gesehen, einem Satellitenstaat von Syracusa. Ich hatte dort damals einen Claim. Und dort ist die Kirche des Kreuzes Staatsreligion, und jeder, der nicht konvertiert, wird am Kreuz verbrannt … Ich habe gesehen, wie ganze Familien verbrannt wurden, Mann, Frau und die Kinder, ganz langsam. Ein entsetzlicher Anblick …«
»Dann gehörst du also auch zu diesen verdammten Kreuzlern!«, schrie ein Kerl, den der Mumbë aggressiv gemacht hatte. »Sonst hätten sie dich ja auch angezündet.«
Diese logische Folgerung wurde mit beifälligem Gemurmel gutgeheißen.
»Das war ich mal«, korrigierte der Alte. »Auf Julius war ich Kreuzler. Entweder oder. Sonst hätten sie mich umgebracht. Doch ich wollte leben. Wer will das nicht? Aber jetzt bin ich genauso Kreuzler wie du ein reicher Mann bist.«
Alle lachten. Wieder beruhigt ließen sich die Huren aufs Neue neben ihren Freiern nieder – wie ein gieriger Bienenschwarm auf einem üppig blühenden Blumenbeet.
Nach und nach kehrte Schweigen ein. Alle Köpfe waren vom Alkohol benebelt. Vielleicht wäre jetzt die Zeit gekommen zu gehen? Ein gefährliches Unterfangen, da draußen in der Regennacht herumzustolpern, ohne auf einem der glitschigen Stege auszurutschen und den Flussechsen als unverhoffte Mahlzeit zu dienen …
Wie Tixu den Weg in sein armseliges Domizil, eine völlig heruntergekommene Pension, gefunden hatte, daran konnte er sich nicht erinnern. Meistens hatte er nicht einmal mehr die Kraft, seinen Fuß auf den Gravitationssockel zu stellen und schlief gleich unten am Treppenabsatz ein. Deshalb schleppte ihn immer der Nachtwächter – ein Sadumba, bekleidet mit einer viel zu kleinen Uniformjacke und einem rein symbolischen Cachesexe – die Treppe hoch, bugsierte ihn in sein Zimmer, das einer Müllhalde glich, und stieß ihn auf seine stinkende Matratze. Nachdem der Nachtwächter diese schwierige Aufgabe erledigt hatte, fluchte er in seiner Muttersprache und ging. Dabei stolperte er jedes Mal über die vielen leeren Flaschen, fluchte wieder und machte die Tür hinter sich zu.
Tixu öffnete ein Auge und konnte im Türspalt gerade noch einen ausladenden weißen Hintern und darüber das lächerliche schwarze Jäckchen sehen, ehe er in einen komaähnlichen Schlaf sank.
An jenem Morgen verkündete die honigsüße Stimme einer Hostess für alle Angestellten der Zone 1098-A der Marken, dass es Zeit zum Aufstehen sei. Tixu fand diese Stimme unerträglich. Er hatte das Gefühl, dass jedes Wort aus dem Resonator des firmeneigenen Senders ihm wie mit einem Mikroskalpell die Nerven durchtrennte.
Der Tagwächter – ein stummer, schlecht bezahlter Troblosser, der aber anständig gekleidet war – brachte ihm das Frühstück: scharf gewürzte einheimische Süßigkeiten und ein heißes, dickflüssiges Gebräu, das man weder als Kaffee noch als Tee bezeichnen konnte. Der Troblosser gähnte, dass er sich fast den Kiefer ausgerenkt hätte; das war seine Art, freundlich einen Guten Morgen zu wünschen.
Tixu setzte sich auf die Bettkante und erwiderte den Gruß nur mit einem leichten Kopfnicken. Diese nicht sehr höfliche Geste missfiel dem Tagwächter. Er stellte das Tablett achtlos auf den Haufen dreckiger Kleidungsstücke, die auf dem Tisch lagen, und verschwand.
Wie jeden Morgen rührte Tixu weder das Frühstück an, noch wusch er sich oder putzte sich wenigstens die Zähne. Er hievte sich mühsam aus dem Bett und verließ seine dreckige Bude. Auf dem Weg am Empfang vorbei murmelte er eine unhörbare Entschuldigung in Richtung des beleidigten Troblossers und betrat die Straße. Vom ewigen Regen, dem Wind und dem ständigen Halbdunkel genervt, ging er direkt zum Reisebüro.
Selbst die wenigen Male, die Tixu morgens noch halbwegs nüchtern zum Dienst erschien, strengte er sich kaum an. Sein einziges Bestreben bestand darin, nicht die automatische globale Kontrolle auszulösen und somit die unverhoffte Inspektion eines Inspobots zu provozieren. Deshalb war pünktliches Erscheinen sein oberstes Gebot. Sonst wäre er fällig gewesen.
Er drückte auf den Knopf seines persönlichen Vibroaktivators, den er aus einer Jackentasche hervorgekramt hatte und das knisternde bläuliche Magnetfeld verschwand. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und gab den Geheimcode für die Öffnung des Deremats ein – ein altmodisches, ja veraltetes Gerät –, das dem Reisenden als Zugabe ein paar Unannehmlichkeiten bescherte, die das Intergalaktische Transportunternehmen bei seinen Werbesendungen in der Bullovision nie erwähnte.
Dann platzierte Tixu seinen massigen Körper in die bequemste Lage, verfiel in seine gewohnte Apathie und vertiefte sich in die Betrachtung der Regentropfen, die auf der schmierigen Schaufensterscheibe herabrannen. Schließlich schlief er ein.
»Hallo! Wachen Sie auf! Bitte!«
Tixu hob den Kopf. Er hatte die automatische Türklingel nicht gehört. Doch er dachte sofort: Eine Syracuserin! Was macht eine Syracuserin hier in diesem verlassen Ort?
Sie sah ihn mit ihren türkisfarbenen, mit Grün und Gold gesprenkelten Augen an. Ihre Augen erinnerten ihn an die der Musikvögel aus dem Land Organ, einer Provinz auf dem Planeten Orange – seiner Heimat –, die für ihre Vielfalt an Tieren berühmt war. Mit ihren feingliedrigen Händen drückte sie das Wasser aus ihren golden schimmernden Zöpfen, die unter der purpurroten Borte ihrer weißen Kopfbedeckung hervorschauten. Sie trug ein weites Cape aus changierendem Stoff, das auf der Brust von einer einfachen Brosche aus rosa Optalium zusammengehalten wurde. Ihr Teint war von unwirklicher Blässe, ihre Gesichtszüge waren von auserlesener Schönheit, und ihr sinnlicher Mund war weiß geschminkt. Ihre ganze Haltung und ebenso der leicht arrogante Blick verrieten die Syracuserin.
Tixu war einen Moment wie erstarrt. Dann erwachte er abrupt zum Leben. Er richtete sich in seinem Sessel auf, zupfte an seinem Hemdkragen, fuhr sich durch sein wirres Haar, glättete seine Uniformjacke, zog seinen Gürtel hoch und versuchte, wenn auch vergeblich, etwas Ordnung in das Chaos auf seinem Schreibtisch zu bringen …
Dann übte er sich in einem Lächeln, hatte aber das unangenehme Gefühl, dass er eher einem Weißen Olphel glich, einem jener gezähmten Affen, die die Leute wegen ihrer Grimassen liebten.
»Hm, eh … guten Tag. Was wünschen Sie?«
»Ich möchte eine Reise buchen, was sonst?«, entgegnete die schöne Kundin ironisch. »Sie verkaufen doch Reisen, nicht wahr? Oder habe ich mich geirrt …«, sagte sie mit einem derart warmen und melodischen Timbre in der Stimme, dass Tixu ihre Worte wie Stöße in den Solarplexus empfand.
Wie die meisten Syracuser konnte sie ihre Stimme präzise auf eine bestimmte Stelle lenken.
»Hm … ja … natürlich. Ja … Reisen …«, stammelte er verwirrt und kurzatmig. »Hm… vielleicht möchten Sie sich setzen?«
»Sehr gern. Aber wo?«
»Entschuldigen Sie … Ich bestelle sofort einen Stuhl …«
Schon wieder hatte Tixu eine der Grundregeln der Airain-Charta ignoriert (Kein Kunde darf im Stehen beraten werden.) Er hatte sogar vergessen, dass die Sessel mit Auotriebkraft überhaupt existierten.
Mit hochrotem Gesicht drückte er auf eine Taste des Leuchtpults. Ein unbeschreiblich hässlicher Lichtsessel rollte knirschend aus einem Wandschrank in Richtung der Kundin. Sie musterte die Staubschicht auf dem Luftkissen.
»Vielen Dank, aber ich bleibe lieber stehen. Wenn ich richtig informiert bin, bieten Sie auch Reisen durch De-und Rematerialisation an.«
»Ach, Reisen mittels des Deremats? Hm … ja … natürlich tun wir das. Denn wie Sie wissen, oder vielleicht wissen Sie es auch nicht, befinden Sie sich in einem Reisebüro des InTra, des bedeutendsten Transportunternehmes des bekannten und unbekannten Universums. Also frage ich Sie: Wo würden Sie eine Deremat-Maschine finden, wenn nicht hier?«
Tixus war über diesen Wortschwall, der aus seinem Munde kam, sehr überrascht. Normalerweise stieß er nichts als ein paar drohende Knurrlaute hervor, um die Charakterstärke und die Hartnäckigkeit seiner Kunden zu testen. Worauf dann die meisten entmutigt den Rückzug antraten und sich damit begnügten, drei Wochen ihres Lebens zu opfern und mit einer der regelmäßig zwischen den Zwei-Jahreszeiten und den anderen Planeten der Marken verkehrenden Raumfähren zu reisen.
»Perfekt. Dann möchte ich also ein … eine Deremat-Reise – so heißt sie doch, nicht wahr? – zum Planeten Roter-Punkt. Haben Sie eine solche Reise im Programm?«
»Zum Planeten Roter-Punkt?«, wiederholte Tixu.
Wieder umspielte den opalfarbenen Mund seiner Kundin ein leises Lächeln. Sie wirkte ruhig, fast abwesend. Die Kontrolle der Emotionen war ein wesentlicher Bestandteil im Bildungsprogramm der Syracuser. Mimik und Gesten durften niemals Gefühle verraten, vor allem nicht Fremden. Die vor Verblüffung weit aufgerissenen Augen Tixus offenbarten im Gegensatz dazu einen tiefen Einblick in die Wüste seiner Seele.
»Warum antworten Sie mir nicht? Ist eine solche Reise nun möglich oder nicht möglich?«, fragte die schöne Syracuserin mit etwas Angst in der Stimme. Was Tixu nicht entging. Er sah ebenfalls, dass ihr Bein unter dem leichten Stoff ihres Capes leicht zitterte.
»Natürlich ist sie möglich. Wir ermöglichen unseren Kunden Reisen in alle registrierten Welten. Es ist nur so … Entschuldigen Sie, wenn ich mich in etwas einmische, das mich nichts angeht, aber was hat eine junge Frau wie Sie auf einem Planeten wie Roter-Punkt zu suchen? Sehen Sie, ich stehe heute zum ersten Mal einer Syracuserin aus den Marken gegenüber und …«
»Warum halten Sie mich für eine Syracuserin?«, unterbrach die junge Frau Tixu ungehalten.
»Bitte, seien Sie mir nicht böse«, entschuldigte sich Tixu mit einer hilflosen Geste. »Ich will Sie nicht ausspionieren. Aber ich bin in meinem Leben schon weit gereist und kenne die Syracuser. Das ist alles … Wissen Sie denn nicht, in welchem Ruf der Planet Roter-Punkt steht?«
»Ja, ich habe davon gehört. Wie alle. Aber das ändert nichts an meinem Entschluss.«
»Nun, das ist Ihre Sache. Haben Sie Verwandte dort? Jemanden, der Sie aufnimmt? In Anbetracht der dortigen Umstände wäre es besser, wenn Sie …«
»Was kostet die Reise?«, fragte die junge Frau mit schneidender Stimme. Sofort schlüpfte Tixu wieder in die Rolle des servilen Angestellten.
»Sie sind die Kundin, und der Kunde ist König. Ich wollte Ihnen nur einen Gefallen tun …«
Mit einem Finger fuhr er leicht über die Tasten des Leuchtpults. Doch es gelang ihm nicht, die herumwirbelnden Gedanken in seinem Kopf unter Kontrolle zu bringen, die mit einem Mal seine Mauer aus Gleichgültigkeit und Desinteresse durchbrochen hatten. Er schämte sich zutiefst seines desolaten Aussehens. Er war nicht rasiert, seine Nägel hatten Trauerränder, seine Zähne waren gelb vom roten Tabak der Skoj-Welten und dem Mumbë. Und er schämte sich, weil sein Reisebüro so heruntergekommen war. Plötzlich wurde ihm in Gegenwart dieser anmutigen und herablassenden Syracuserin das ganze Ausmaß seines seelischen und körperlichen Verfalls bewusst.
Auf dem Bildschirm nahmen fluoreszierende Ziffern Gestalt an.
»Der Transfer zum Planeten Roter-Punkt kostet fünfzehntausend Standardeinheiten.«
»Fünfzehntausend? Das ist zu teuer.«
»Ich … ich glaube nicht, dass Sie diese Reise zu einem günstigeren Preis bekommen«, entgegnete Tixu. Er war irritiert, weil eine Syracuserin sich so weit erniedrigte, den Preis herunterhandeln zu wollen. »Das InTra hat die günstigsten Tarife des Universums … ich meine, des bekannten und unbekannten Universums. Im Übrigen gibt es keine andere De- und Rematerialisations-Reise von Zwei-Jahreszeiten aus …«
Die Syracuserin sah den Oranger plötzlich mit einer derartigen Intensität an, dass ihn ihr feuriger Blick beinahe zum Taumeln gebracht hätte.
»Leider bin ich momentan nicht im Besitz einer solchen Summe«, sagte sie langsam. Es klang, als würde sie jedes Wort wie einen Pfeil abschießen. »Aber es ist unumgänglich, dass ich mich auf diesen Planeten begebe. Es ist von existenzieller Bedeutung. Begreifen Sie das?«
»Ich verstehe … ich verstehe«, log Tixu. Unbeholfen versuchte er, sich von dem schrecklichen Druck zu befreien, den seine Kundin auf ihn ausübte. »In dem Fall reisen Sie eben mit dem Temporal-Raumschiff.«
»Das kommt überhaupt nicht infrage! Dann brauche ich mindestens drei Standardwochen und riskiere eventuell noch einen Überfall von Piraten. Fünfzehntausend sagten Sie …«
Sie suchte offensichtlich nach einer Lösung ihres Problems und biss sich mit ihren perlmuttfarbenen, bläulich schimmernden Zähnen auf die Unterlippe. Ihr Bein zitterte heftiger. Also konnte sie kaum ihre Emotionen kontrollieren, was darauf hindeutete, dass sie ein wirklich schwerwiegendes Problem hatte.
»Ich kann Ihnen achttausend Einheiten zahlen«, sagte sie beschämt, ein solches Angebot machen zu müssen. »Den Rest später. Selbstverständlich hinterlege ich meinen persönlichen Abdruck als Schuldanerkenntnis.«
»Es tut mir leid, aber das kann ich nicht akzeptieren«, erklärte Tixu mit einem freundlichen Lächeln, aber ohne den nötigen Nachdruck. Um sich zu rechtfertigen, fügte er schnell hinzu: »Welches auch immer die Gründe sein mögen, mir diesen Zahlungsmodus vorzuschlagen … und Sie haben sicher gute Gründe … ich kann den Geschäftsbedingungen unseres Unternehmens nicht zuwiderhandeln.«
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, hörte er eine kleine, längst vergessene Stimme aus seiner Seele flüstern, warum sich plötzlich der Angestellte Tixu Oty, Codenummer MSÖ 12A2 um die Geschäftsbedingungen des Unternehmens Sorgen mache? Ob es sich dabei um einen Rest Professionalität handele, oder ob er sich nur interessant machen wolle?
Tixu sagte sich, dass die junge Frau sowieso gleich gehen werde – was er bereits bedauerte –, aber sie war so ganz anders als seine gewöhnlichen Kunden, die sich sonst sofort durch sein rüdes Benehmen abschrecken ließen.
Jetzt legte sie ihre schmalen, langen Hände – die Hände einer Künstlerin – auf seinen Schreibtisch, und ihr Gesicht kam gefährlich nahe an seines. Er atmete den Duft ihres Parfüms ein und war davon schon ganz berauscht.
»Ich weiß, dass Sie die Regeln einhalten müssen, weil Sie von dem Unternehmen, das Sie beschäftigt, abhängig sind. Jeder ist von irgendjemandem oder irgendetwas abhängig. Aber diese Reise ist unbedingt notwendig! Unerlässlich! Bitte, geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß, und verschanzen Sie sich nicht hinter Ihren Vorschriften.«
Die schöne junge Frau schwieg und sah Tixu an, der sich immer tiefer in seinen Sessel verkroch.
»Nicht für mich ist diese Reise unerlässlich, sondern für das Universum. Für das Universum! Die Konföderation von Naflin ist in großer Gefahr. Und das hat nichts mit irgendwelchen Regeln oder Vorschriften zu tun … Ich muss unbedingt sofort abreisen!«
Ihre silbernen und nach syracusischer Mode spitz gefeilten Fingernägel krallten sich fest in das Holzimitat des Schreibtischs. Tixu fühlte sich in seiner Haut nicht wohl, und er ließ seinen Drehsessel kreisen. Funken sprühten aus den Rohrleuchten. Er spürte ein Kribbeln in den Handgelenken und Unterarmen.
»Das Universum! Sie reisen doch nicht mit leichtem Gepäck durchs Universum. Und dann die Versicherung. In einem solchen Fall sind nicht alle Ansprüche gedeckt … Vor allem nicht für diesen Preis … einen lächerlich niedrigen Preis …«
Und während Tixu derartige Banalitäten wie ein Papagei dahinplapperte, überlegte er, welche Konsequenzen ein solcher Rabatt haben würde. Wenn er das Programm mit falschen Angaben fütterte, würde der Deremat nicht funktionieren. Denn alle Angaben – die Zahl der Passagiere, der genaue Bestimmungsort, der Preis, die Art und Weise der Bezahlung – würden in der Zentrale der Zone 1098-A gespeichert. Der nötige Betrag musste also dem Bankkonto des Unternehmens vorher gutgeschrieben werden. Das gab ihm einen Spielraum von zwei bis drei Minuten, ehe die Computer eine Unregelmäßigkeit feststellten und die Geschäftsleitung sich der Sache annahm. Nach einem oder zwei Tagen spätestens würde dann der Inspobot in seiner Filiale auftauchen.
Tixu sagte sich auch, dass das absurde Katz- und -Maus-Spiel mit der Direktion lange genug gedauert hatte. Diese junge Frau bot ihm die lange ersehnte Gelegenheit, seinem Aufenthalt auf diesem sintflutartigen Planeten endlich ein Ende zu machen.
Also verkündete er fast fröhlich: »Achttausend, das sagten Sie doch, oder?«
»Ja. So ungefähr … Heißt das, Sie sind einverstanden?«
Tixu gab sich Mühe, dem Blick der jungen Frau standzuhalten. Weil schließlich schon alles den Bach hinuntergegangen war, konnte er sich auch den Luxus erlauben, einer schönen Syracuserin einen Dienst zu erweisen, selbst wenn sie ihn ärgerlicherweise für einen Idioten hielt. Und dann war diese Geschichte vom Universum-retten-müssen – vor wem?, von wem? – wesentlich interessanter als alle Hirngespinste der Optalium-Sucher.
»Sie wissen es hoffentlich zu schätzen, dass ich ein großes Risiko eingehe, wenn ich eine Deremat-Reise so billig verkaufe …«
Tixu war besiegt, aber als schlechter Verlierer wollte er, dass seine Geste gewürdigt wurde, die heroische Geste eines zwielichtigen Angestellten, der beherzt seine ganze Karriere für das Lächeln einer schönen Frau aufs Spiel setzt.
Da die Syracuserin jedoch nicht das geringste Zeichen der Bewunderung erkennen ließ, senkte er den Blick.
»Also haben wir für achttausend Eier das Vergnügen einer doppelten Expedition: Sie zum Planeten Roter-Punkt und ich geradewegs in die Schei… in eine scheußliche Situation. Ich kann Ihnen Ihre Abdrücke abnehmen, aber das ist eigentlich egal …«
Die blau-grün-goldenen Augen der Syracuserin strahlten. Ein bezauberndes Lächeln umspielte ihren Mund. Tixu musste an eine sich öffnende Blüte denken und fragte sich flüchtig, wie lange es her war, dass er zum letzten Mal eine Frau geküsst hatte. Denn die schlaffen Münder der Kneipenhuren luden nicht zu leidenschaftlichen Küssen ein.
»Wann kann ich reisen?«
»Sobald Sie die notwendigen medizinischen Formalitäten erledigt haben. Sehen Sie die Kabine da drüben? Befolgen Sie nur die Anweisungen auf dem Monitor. Sollte das automatische Prüfgerät nicht positiv reagieren, kann die zellulare Wiedergeburt nicht stattfinden. Welche Bedeutung auch immer Ihre Reise für unsere hochgeschätzte Konföderation haben mag …«
Doch die Syracuserin hörte nicht mehr zu und begab sich leichtfüßig zur Kabine. Der Oranger gab den Code für das Prüfgerät ein, und die verglaste Tür der Kabine öffnete sich.
Tixu hatte das Gefühl, einen Riesenfehler gemacht zu haben. Nicht nur, weil Unregelmäßigkeiten bei Deremat-Reisen intern als schwere Verstöße betrachtet und geahndet wurden, sondern auch, weil er strafrechtlich belangt, als Raskatta klassifiziert und auf den Index gesetzt werden konnte. Er verfluchte seine Dämlichkeit: Er hatte sich wie der letzte Paritole – mit diesem verächtlichen Namen bezeichneten alle Syracuser die Bewohner der übrigen registrierten Welten – an der Nase herumführen lassen.
Gleichzeitig war er so glücklich wie ein kleiner Junge. Glücklich, mit dem ganzen Mist aufhören und alle Regeln über Bord werfen zu können. Und glücklich, dass endlich sein Denken und Handeln wieder übereinstimmten.
Die roten Lämpchen des Prüfgeräts erloschen eines nach dem anderen. Ein grünrotes Dreieck blinkte rechts auf dem Bildschirm: Die Reisende war physisch in der Lage, die Dematerialisation und Rematerialisation ihrer Zellen und ihrer DNA unbeschadet zu überstehen. Das Resultat enttäuschte Tixu, denn jetzt konnte er seine Zusage nicht mehr rückgängig machen. Doch diese junge, für ihn unerreichbare Frau hatte seltsamerweise ein Gefühl wiedererwachender Vitalität in ihm ausgelöst. Sie erinnerte ihn an jene Feen aus den alten Märchen der Oranger, die Wüsten in fruchtbare Landschaften verwandeln. Auch wenn sie aus einer fernen Welt kam, so fern, wie die Welten des Zentrums von den Marken waren, hatte sie den ersten Sonnenstrahl in seine immerwährende Nacht gebracht.
Kurz darauf stand sie wieder vor seinem Schreibtisch. Eine kaum sichtbare graublaue Aura umgab sie: Sie hatte die Kabine zu früh verlassen, noch ehe das Prüfgerät seine Lichtfelder ausgeschaltet hatte. Sie musste wirklich in Eile sein.
»Ist alles bereit?«
»Fast«, antwortete Tixu widerwillig. »Wir müssen nur noch … die … Zahlungsmodalitäten regeln … Ja, sprechen wir von regeln. Denn so ist es einfacher.«
Der schwarze Humor dieses verzweifelten Mannes, der gerade dabei war, alles zu verlieren, ließ die schöne Syracuserin kalt. Aus einer Innentasche ihres Capes holte sie ein mit Rubinen besetztes Täschchen hervor.
»Ich gebe Ihnen alles. Das ist syracusisches Geld. Ich hatte leider keine Zeit, es in die Standardwährung zu wechseln. Bitte, zählen Sie nach. Es müssen achttausend Einheiten sein.«
»Das ist nicht nötig. Ich vertraue Ihnen«, sagte der Oranger.
Auf etwas mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht mehr an. Im Gegenteil, es gefiel ihm, denn er hatte schon immer auf Kriegsfuß mit den interplanetarischen Wechselkursen gestanden.
»Ach ja, fast hätte ich es vergessen … Unsere Deremat-Maschine ist ein sehr altes Modell, kaum noch zu gebrauchen …«
»Aber sie funktioniert doch, oder?«
»Ja, ja. Das ist nicht das Problem. Aber man muss leider ein paar Nachteile in Kauf nehmen, die es bei den neuen Modellen natürlich nicht mehr gibt … Doch weil der Planet Zwei-Jahreszeiten so weit entfernt von allen anderen …«
»Was sind das für Nachteile?«, fragte sie, und wieder spürte er die Macht ihres Blicks.
Tixu errötete bis unter die Haarwurzeln. Schweißtropfen rannen ihm über die Stirn und den Hals. Warme Bäche bildeten sich unter seinen Achseln und liefen unter dem feuchten Hemd an seinem Körper hinunter.
»Der Apparat wurde für den Transfer menschlicher Zellen konstruiert. Allein für den menschlicher Zellen. Was bedeutet, dass er nur Ihren Körper transferiert, nicht Ihre Kleidung oder irgendwelche Gegenstände … Alles andere, das man normalerweise für eine Reise braucht, bleibt hier. Deshalb habe ich Sie vorhin gefragt, ob Sie jemanden kennen, bei dem ich Ihre Rematerialisation programmieren könnte.«
Sie schwieg und kämpfte innerlich, was eine steile Falte zwischen ihren Augenbrauen und erneutes Zittern ihres Beins verriet. Die schamhaften Syracuser zogen sich nie vor anderen aus. Vor allem ihren Colancor legten sie nie ab. Eine weiße Haut gehörte zum Kanon der Kirche des Kreuzes und wurde aus ästhetischen Gründen gefordert. Deshalb setzten die Syracuser ihre edlen Körper nie solaren Strahlungen aus. Von der wahnwitzigen Hoffnung ergriffen, sie noch etwas aufhalten zu können, streute Tixu Salz in ihre Wunde.
»Sie werden vollkommen nackt auf Roter-Punkt landen, Madame. Weil es sich dabei um einen Planeten handelt, auf dem man sich lieber nicht aufhalten sollte …«
Doch sie warf ihm einen derart verächtlichen Blick zu, dass er sofort schwieg.
»Ich kenne dort niemanden«, murmelte sie schließlich. »Genau gesagt, weiß ich nicht, wo die Person wohnt, mit der ich mich in Verbindung setzen muss …«
»Das ist natürlich schei… scheußlich.«
»Ich nehme an, dass es für dieses Problem keine Lösung gibt …«
»Doch! Sie verzichten auf diese Reise. Oder Sie verschieben sie. Wenn Sie es wünschen, helfe ich Ihnen …«
»Das kommt überhaupt nicht in Frage!«
Da begriff Tixu, dass seine Kundin ihren Entschluss nicht ändern würde. Er tippte den Code für die 3-D-Filmkarte der Hauptstadt auf Roter-Punkt ein. In rotes Licht gebadete Straßen und zerstörte Gebäude erschienen auf dem Bildschirm.
»Ich war noch nie auf Roter-Punkt«, sagte Tixu. »Aber ich weiß, dass es außerhalb der Hauptstadt nur Wüsten gibt. Also nehme ich an, dass Sie sich nicht nackt und ohne Wasser in einer Steppe oder Wüstenei bei einer Temperatur von fünfundsechzig Zentigraden wiederfinden möchten … Auf dieser Filmkarte kann man im Südteil der Stadt Ruinen erkennen …«
Er drehte den Schirm so, dass sie alles sehen konnte.
»Die Ruinen werden nur von Clochards bewohnt. Diese Leute nehmen eine Droge namens Freudenpulver, und das macht sie manchmal aggressiv. Dort könnten Sie vielleicht alte Kleidungsstücke finden, bis jemand Ihnen hilft. Außerdem gilt Roter-Punkt als Drehscheibe des Schwarzhandels, Drogenhandels, Waffenhandels und vor allem des Menschenhandels. Sollten Sie in Schwierigkeiten kommen, können Sie sich auf die Hilfe der Gendarmen der Konföderation nicht verlassen. Denn diese Leute stehen alle auf der Gehaltsliste der Schmuggler und Sklavenhändler. Deshalb glaube ich, dass es am besten ist, wenn ich Sie hier programmiere.«
Tixu hielt die Filmkarte an und deutete auf eine dreistöckige Ruine, die isoliert auf einem verwüsteten Gelände stand.
»Was halten Sie davon?«
»Gar nichts«, antwortete sie bissig. »Aber ich habe keine andere Wahl. Wenn ich mich Ihrem Unternehmen als Kundin anvertraue, bin ich also gezwungen, nackt zu reisen und ohne Mittel im Ankunftsland. Ist das richtig?«
Tixu entschlüpfte ein trauriges Lachen. Seit Ewigkeiten hatte er nicht mehr gelacht.
»Nein, Madame. Das wäre nicht so, wenn Sie elementare Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hätten, wie zum Beispiel zu einer Bank zu gehen und den nötigen Betrag auf eine Zweigstelle Ihres Reisezielortes zu überweisen. Das ist übrigens eine Dienstleistung, die wir normalerweise und bei … bei vorschriftsmäßigen Buchungen allen unseren Kunden empfehlen …«
»Was macht das schon! Ich muss jetzt reisen. Und was diesen Schuldschein angeht …«
»Bah! Vergessen Sie ihn! Auf jeden Fall werde ich nicht mehr hier sein, sollten Sie eines Tages auf die hirnrissige Idee kommen, Ihre Schulden bezahlen zu wollen … Aber Sie können Ihre Kleidungsstücke abholen. Das InTra verpflichtet sich, sie zwei Jahre aufzubewahren, und sollten Sie wieder einmal diesem wunderschönen Planeten einen Besuch abstatten …«
Die Syracuserin musterte ihn von oben bis unten.
»Machen Sie damit, was Sie wollen. Aber ich habe meine Zweifel, ob meine Kleidung Ihnen passt.«
Tixu hatte vollständig vergessen, wie widerwärtig er aussah und welchen Gestank er verbreitete. Und noch einmal schämte er sich abgrundtief.
»Folgen Sie mir!«, befahl er barsch.
Mit einer brutalen Geste entriegelte er die Schleuse und öffnete die gepanzerte Tür. Er betrat vor seiner Kundin den Flur, der zur Deremat-Kammer führte. Die Schleuse schloss sich automatisch hinter den beiden. Die Bildschirme zur Überwachung schalteten sich einer nach dem anderen ein. Sie waren in eine Metallwand integriert und dienten theoretisch dem Reisebüroangestellten dazu, einen Transfer zu kontrollieren oder sich im Fall eines auftretenden Problems an die Techniker des Unternehmens zu wenden.
Tixu spürte eine ohnmächtige Wut in sich aufsteigen. Er hätte alles getan, um diese arrogante Person an ihrer Reise zu hindern. Sie verachtete ihn, sie betrachtete ihn zweifellos als einen Irrtum der Natur. Aber sie hatte ihn wieder zum Leben erweckt, und deshalb klammerte er sich an den völlig absurden Gedanken, dass dieses wundervolle Geschöpf nicht rein zufällig seinen Weg gekreuzt hatte. Dieser Gedanke beherrschte ihn, obwohl er wusste, dass sie nun für immer aus seinem Leben verschwinden würde. Und diese Tatsache stürzte ihn in einen Zustand tiefster Traurigkeit und unendlichen Schmerzes.
Die Maschine thronte auf einem Podium in der Mitte der gewölbeartigen Kammer. Sie hatte die Form einer Halbkugel mit gebogenen schwarzen Flanken. Sie ähnelte einem riesigen umgestülpten Kochkessel aus prähistorischer Zeit. Auf den ersten Blick schien es unwahrscheinlich, dass dieses Ding auch nur jemanden auf die andere Straßenseite expedieren könnte.
Tixu betätigte einen Hebel, der links vom Eingang in die Wand eingelassen war. Sofort war die Kuppel der Maschine in gleißendes Licht getaucht, und das runde schwarz verglaste Einstiegsloch öffnete sich.
»Steigen Sie ein!«, murmelte der Oranger. Plötzlich hatte er es eilig, die ganze Prozedur zu beenden. »Legen Sie sich auf die Liege, und befolgen Sie die Instruktionen, die auf dem Monitor an der Decke zu lesen sind. Beachten Sie Folgendes: Sie dürfen sich nicht an den Wänden festklammern. Wahrscheinlich werden Sie nach der Rematerialisation zwei oder drei Stunden lang Kopfschmerzen haben. Aber das wissen Sie sicher bereits … Sie sind doch schon auf diese Weise gereist, oder nicht? Das war für Sie unerlässlich, weil der normale Transport hierher nur alle vierzehn Tage stattfindet.«
Ehe sich die Syracuserin durch den engen Einstieg gleiten ließ, drehte sie sich noch einmal um und sah Tixu an.
»Sie sind zu neugierig. Auch wenn die Neugier manchmal die Evolution in großen Schritten vorantreibt …«
»Ganz recht, ganz recht … Dürfte ich Ihnen eine letzte Frage stellen? Ein Verurteilter brennt immer darauf zu wissen, welches der eigentliche Grund für seine Verurteilung ist. Diese Geschichte, die Sie mir da erzählt haben, nämlich dass die Konföderation ernsthaft bedroht wird … das ist doch nichts weiter als ein Witz, nicht wahr? Jetzt können Sie es zugeben, denn Sie haben ja erreicht, was Sie wollten …«
»Nein, das ist kein Witz, das ist mein voller Ernst! Aber mehr darf ich Ihnen darüber nicht sagen. Je weniger Sie darüber wissen, umso besser für Sie. Wie dem auch sei, ich bin Ihnen unendlich dankbar für das, was Sie für mich getan haben.«
Sie hatte mit derart viel Wärme gesprochen und Tixu ein so strahlendes Lächeln geschenkt, dass er völlig durcheinander war. Dann stieg sie mit den Beinen zuerst in die Kapsel. Von unerklärlichen Gefühlen überwältigt, beugte sich Tixu über das Außenmikrofon und machte automatisch die nötigen technischen Angaben.
»Ankunft auf dem Planeten Roter-Punkt in voraussichtlich zwei Standardminuten. Atmosphäre: atemtauglich. Lokalzeit: dreizehn Uhr. Temperatur: neunundvierzig Zentigrade. Himmel: rötlich. Das Intergalaktische Transportunternehmen … ich wünsche Ihnen eine gute Reise.«
Er progammierte die Daten ein: Roter-Punkt, Hauptstadt, Koordinaten 456, 54. Breitengrad, 321. Längengrad. Relaispunkt X2 T3, liegende Position, Stunde und Ort der Abreise: 7 Uhr 57, Zwei-Jahreszeiten. Preis: fünfzehntausend Standardeinheiten, bezahlt und hinterlegt.
Die letzte Eingabe musste er zweimal wiederholen, bis sie korrekt war.
Die Maschine fing leise zu summen an, während das Licht immer schwächer wurde, bis es schließlich ganz erlosch.
Drei Minuten später leuchtete eine rote Kontrolllampe über dem Einstieg auf. Tixu öffnete die Schleuse. Die Kleidung der Syracuserin lag verstreut auf der Liege im Transferraum. Die heiße, stickige Luft roch nach Blumen. Mit einer hilflosen Geste griff Tixu nach dem Cape. Es war weich bei der Berührung und änderte seine Farbe, je nachdem, wie das Licht darauffiel, von kräftigen zu gedämpften Farbtönen. Zutiefst frustriert atmete er ihren herrlichen Duft ein. Nichts als die Wahrnehmung dieses Geruchs verband ihn jetzt noch mit ihr. Er kauerte sich auf den Boden und vergrub sein Gesicht in dem weißen federleichten Colancor und atmete in tiefen Zügen ein, genoss den feinen Duft ihres Körpers und ihres Parfüms.
Mit unendlichem Bedauern ging er dann aus der Kabine. Denn nun musste er sich seiner katastrophalen Lage stellen und konnte nur noch resigniert auf den Besuch des Inspobots warten.
Und das war ohne Zweifel die düsterste Perspektive im bekannten und unbekannten Universum.