Samstag, 22. November 2008

Sie fuhr hoch. Ihr Herz klopfte laut, mit weit aufgerissenen Augen blickte sie sich um, aber es war so stockdunkel wie immer. Was hatte sie geweckt? Hatte sie tatsächlich ein Geräusch gehört oder nur davon geträumt? Amelie starrte in die Dunkelheit und lauschte angestrengt. Nichts. Sie hatte es sich nur eingebildet. Mit einem Seufzer richtete sie sich von der modrigen Matratze auf, umfasste ihre Fußknöchel und massierte ihre kalten Füße. Auch wenn sie sich immer wieder sagte, dass man sie finden, dass sie diesen Alptraum hier überleben würde, so hatte sie insgeheim die Hoffnung aufgegeben. Wer auch immer sie hier eingesperrt hatte, hatte nicht vor, sie jemals wieder rauszulassen. Bislang hatte sich Amelie der regelmäßig wiederkehrenden Panikattacken erwehren können. Aber nun verließ sie immer häufiger der Mut, und sie lag nur einfach da und wartete auf den Tod. So oft hatte sie im Zorn zu ihrer Mutter gesagt Ich wollte, ich wäre tot! – aber jetzt begriff sie erst, was sie da so leichtfertig von sich gegeben hatte. Längst bereute sie bitter, was sie ihrer Mutter aus Trotz und Gleichgültigkeit angetan hatte. Wenn sie nur lebend hier rauskäme, würde sie alles, alles, alles anders machen. Besser. Keine Widerworte mehr geben, nie mehr von zu Hause abhauen oder undankbar sein.

Es musste einfach ein Happy End geben. Es gab doch immer eins. Meistens auf jeden Fall. Sie fröstelte, als ihr all die Zeitungsnotizen und Fernsehberichte einfielen, in denen es kein glückliches Ende gegeben hatte. Tote Mädchen, im Wald verscharrt, in Kisten eingesperrt, vergewaltigt, zu Tode gefoltert. Verdammt, verdammt, verdammt. Sie wollte nicht sterben, nicht in diesem Drecksloch, in der Dunkelheit, einsam und alleine. Verhungern würde sie so schnell nicht, aber verdursten. Es war nicht mehr viel zu trinken da, sie teilte sich das Wasser mittlerweile in Schlucke ein.

Plötzlich fuhr sie zusammen. Da waren Geräusche! Das bildete sie sich nicht ein. Schritte, draußen vor der Tür! Sie kamen näher und näher, hörten auf. Dann drehte sich ein Schlüssel quietschend im Türschloss. Amelie wollte aufstehen, aber ihr Körper war steif vor Kälte und von der Feuchtigkeit, die ihr nach den vielen Tagen und Nächten der Dunkelhaft in die Knochen gekrochen war. Ein greller Lichtschein fiel in den Raum, erhellte ihn für ein paar Sekunden und blendete sie. Amelie blinzelte, konnte aber nichts erkennen. Schon ging die Tür wieder zu, der Schlüssel drehte sich mit einem Knirschen, und Schritte entfernten sich. Die Enttäuschung griff mit Krakenarmen nach ihr, hielt sie fest umklammert. Kein frisches Wasser! Plötzlich glaubte sie, Atemzüge zu hören. War da jemand außer ihr im Raum? Die feinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf, ihr Herz schlug wie rasend. Wer war das? Ein Mensch? Ein Tier? Die Angst drohte ihr die Luft abzudrücken. Sie presste sich gegen die feuchte Wand. Schließlich nahm sie allen Mut zusammen.

»Wer ist da?«, flüsterte sie heiser.

»Amelie?«

Ungläubig schnappte sie nach Luft. Ihr Herz machte einen Freudensprung.

»Thies?«, flüsterte sie und tastete sich an der Wand hoch. Es war gar nicht leicht, in der Dunkelheit das Gleichgewicht zu halten, obwohl sie mittlerweile jeden Quadratmillimeter des Raumes kannte. Mit ausgestreckten Armen machte sie zwei Schritte und zuckte zusammen, als sie einen warmen Körper berührte. Sie hörte die angespannten Atemzüge, umfasste Thies' Arm. Statt vor ihr zurückzuweichen, ergriff er ihre Hand und hielt sie fest.

»Oh Thies!« Plötzlich konnte Amelie die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Was machst du hier? Oh Thies, Thies, ich bin so froh! So froh!«

Sie drängte sich an ihn, schlang ihre Arme um ihn und ließ ihren Tränen freien Lauf. Ihre Knie wurden weich, so groß war ihre Erleichterung, endlich, endlich nicht mehr allein zu sein. Thies ließ sich die Umarmung gefallen. Nicht nur das. Auf einmal spürte sie, dass er sie ebenfalls umarmte. Vorsichtig und ungeübt. Aber dann zog er sie fest an sich und legte eine Wange auf ihr Haar. Und ganz plötzlich war ihre Angst verschwunden.

Wieder weckte ihn das Handy. Diesmal war es Pia, diese gnadenlose Frühaufsteherin, die ihm um zwanzig nach sechs mitteilte, dass Thies Terlinden in der Nacht aus der Psychiatrie verschwunden war.

»Die Oberärztin hat mich angerufen«, erklärte Pia. »Ich bin hier schon in der Psychiatrie und habe mit dem Stationsarzt und der Nachtschwester gesprochen. Sie hat um 23:27 Uhr auf ihrer letzten Runde nach ihm gesehen, da lag er schlafend im Bett. Als sie um 5:12 Uhr das nächste Mal geschaut hat, war er weg.«

»Was haben sie für eine Erklärung?« Bodenstein hatte Mühe, aus dem Bett zu kommen. Nach höchstens drei Stunden Schlaf fühlte er sich wie gerädert. Erst hatte Lorenz bei ihm angerufen, kaum dass er eingeschlafen war. Dann Rosalie, der er nur mit aller Mühe ausreden konnte, sich wieder ins Auto zu setzen und zu ihm zu fahren. Mit einem unterdrückten Stöhnen gelang es ihm, in die Vertikale zu kommen und aufzustehen. Diesmal erreichte er den Lichtschalter an der Tür, ohne irgendwo anzustoßen.

»Keine. Alles wurde abgesucht, er hat sich nirgendwo versteckt. Die Tür seines Zimmers war abgeschlossen. Sieht aus, als hätte er sich in Luft ausgelöst, wie alle anderen auch. Es ist doch zum Kotzen.«

Weder von Lauterbach noch von Nadja von Bredow oder Tobias Sartorius gab es eine Spur, trotz bundesweiter Fahndung in Presse, Funk und Fernsehen.

Bodenstein wankte ins Badezimmer, in dem er nachts noch in weiser Voraussicht die Heizung aufgedreht und das gekippte Fenster geschlossen hatte. Sein Gesicht im Spiegel bot keinen erfreulichen Anblick. Während er Pia weiter zuhörte, rotierten seine Gedanken. Leichtfertig war er davon ausgegangen, dass Thies in der geschlossenen Psychiatrie sicher war, dabei hätte er wissen müssen, in welcher Gefahr der Mann schwebte. Er hätte ihn zum Schutz überwachen lassen müssen! Schon sein zweites schwerwiegendes Versäumnis innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Wenn es so weiterging, war er der Nächste, der mit einer Suspendierung rechnen konnte! Er beendete das Gespräch, zog sich das verschwitzte T-Shirt und die Unterhose aus und duschte ausgiebig. Die Zeit lief ihm davon. Der ganze Fall drohte ihm zu entgleiten. Auf was kam es jetzt in erster Linie an? Wo musste er ansetzen? Nadja von Bredow und Gregor Lauterbach schienen die Schlüsselfiguren in dieser Tragödie zu sein. Sie galt es zu finden.

Claudius Terlinden nahm die Nachricht vom Freitod seines Sohnes Lars ohne äußerliche Regung auf. Nach vier Tagen und drei Nächten in Polizeigewahrsam war seine gelassene Liebenswürdigkeit verstocktem Schweigen gewichen. Bereits am Donnerstag hatte sein Anwalt Protest eingelegt, aber Ostermann war es gelungen, den Richter von einer möglichen Verdunklungsgefahr zu überzeugen. Lange würden sie ihn jedoch nicht mehr festhalten können, sollte es nicht bald stichhaltigere Beweise geben als die Tatsache, dass er für den Zeitraum von Amelies Verschwinden kein Alibi hatte.

»Der Junge war sein Leben lang zu weich«, war Terlindens einziger Kommentar. Mit offenstehendem Hemdkragen, Bartstoppeln und strähnigem Haar besaß er noch so viel Charisma wie eine Vogelscheuche. Vergeblich versuchte Pia sich zu erinnern, was sie an ihm so fasziniert hatte.

»Aber Sie«, sagte sie nun sarkastisch. »Sie sind hart, nicht wahr? Sie sind so hart, dass es Ihnen vollkommen egal ist, was Sie mit Ihren Lügen und Vertuschungen angerichtet haben. Lars hat Selbstmord begangen, weil er sein schlechtes Gewissen nicht mehr ertragen konnte, Tobias Sartorius haben Sie zehn Jahre seines Lebens gestohlen, und Thies haben Sie derart eingeschüchtert, dass er elf Jahre lang auf ein totes Mädchen aufgepasst hat.«

»Ich habe Thies niemals eingeschüchtert.« Claudius Terlinden blickte Pia das erste Mal an diesem Morgen an. In seinen geröteten Augen lag plötzlich ein wachsamer Ausdruck. »Und von welchem toten Mädchen reden Sie?«

»Ach, kommen Sie schon!« Pia schüttelte ärgerlich den Kopf. »Sie wollen mir ja wohl nicht weismachen, dass Sie nicht wussten, was im Keller unter der Orangerie in Ihrem Garten gelegen hat.«

»Nein. Ich war bestimmt zwanzig Jahre nicht mehr dort.«

Pia zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich ihm gegenüber hin.

»Wir haben gestern im Keller unter Thies' Atelier die mumifizierte Leiche von Stefanie Schneeberger gefunden.«

»Was?« In seinen Augen flackerte zum ersten Mal Unsicherheit auf. Die Fassade eiserner Selbstbeherrschung bekam erste feine Risse.

»Thies hatte damals beobachtet, wer die beiden Mädchen getötet hat«, fuhr Pia fort, ohne Terlinden aus den Augen zu lassen. »Jemand hat das erfahren und Thies gedroht, er werde ihn in ein Heim stecken, sollte er jemals einen Ton darüber sagen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie das waren.«

Claudius Terlinden schüttelte den Kopf.

»Thies ist seit heute Nacht aus der Psychiatrie verschwunden, nachdem er mir verraten hat, was er damals gesehen hat.«

»Sie lügen«, entgegnete Terlinden. »Thies hat Ihnen niemals etwas gesagt.«

»Stimmt. Sein Augenzeugenbericht war nonverbal. Er hat Bilder gemalt, die den Tathergang so detailliert darstellen wie Fotos.«

Endlich zeigte Claudius Terlinden eine Reaktion. Seine Pupillen zuckten hin und her, und seine ruhelosen Hände verrieten Nervosität. Pia frohlockte innerlich. Würde dieses Gespräch endlich den Durchbruch bringen, den sie so dringend brauchten?

»Wo ist Amelie Fröhlich?«

»Wer?«

»Ich bitte Sie! Sie sitzen mir schließlich hier gegenüber, weil die Tochter Ihres Nachbarn und Mitarbeiters Arne Fröhlich verschwunden ist.«

»Ach ja, stimmt. Das hatte ich für einen Moment vergessen. Ich weiß nicht, wo das Mädchen ist. Welches Interesse soll ich an Amelie haben?«

»Thies hat Amelie die Mumie von Stefanie gezeigt. Er hat ihr die Bilder gegeben, die er von den Morden gemalt hat. Das Mädchen war dabei, alle dunklen Geheimnisse von Altenhain aufzudecken. Da liegt es doch auf der Hand, dass Ihnen das nicht gefallen konnte.«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Dunkle Geheimnisse!« Ihm gelang ein spöttisches Auflachen. »Sie sehen wirklich zu viele Seifenopern! Im Übrigen müssen Sie mich bald gehen lassen. Es sei denn, Sie haben irgendetwas Konkretes in der Hand, was ich allerdings nicht glaube.«

Pia ließ sich nicht beirren. »Sie haben Ihrem Sohn Lars damals geraten, nicht zuzugeben, dass er etwas mit dem Tod von Laura Wagner zu tun hatte, obwohl es sich wahrscheinlich um einen Unfall gehandelt hat. Wir prüfen gerade, ob das für die Verlängerung des Haftbefehls reicht.«

»Weil ich meinen Sohn schützen wollte?«

»Nein. Wegen Behinderung der Justiz. Wegen Falschaussage. Suchen Sie sich etwas aus.«

»Das ist doch alles längst verjährt.« Claudius Terlinden musterte Pia kühl. Er war ein harter Knochen, Pias Zuversicht schwand.

»Wo waren Sie und Gregor Lauterbach, nachdem Sie den Ebony Club verlassen haben?«

»Das geht Sie nichts an. Wir haben das Mädchen nicht gesehen.«

»Wo wären Sie? Weshalb haben Sie Fahrerflucht begangen?« Pias Stimme wurde schärfer. »Waren Sie so sicher, dass niemand wagen würde, Sie anzuzeigen?«

Claudius Terlinden gab keine Antwort. Er ließ sich zu keiner unbedachten Bemerkung provozieren. Oder war er vielleicht wirklich unschuldig? In seinem Auto hatte die Kriminaltechnik keinen Hinweis auf Amelie finden können. Ein Unfall mit Fahrerflucht war kein Grund, den Mann noch länger festzuhalten, und mit der Verjährung der Tatbestände hatte er leider recht. Verdammt.

Er fuhr die ihm inzwischen vertraute Hauptstraße entlang, vorbei an Richters Laden und dem Goldenen Hahn, und bog beim Kinderspielplatz links in die Waldstraße ein. Die Straßenlaternen brannten, es war einer jener Tage, an denen es nicht richtig hell wurde. Bodenstein hegte die Hoffnung, Lauterbach an einem frühen Samstagmorgen zu Hause anzutreffen. Weshalb hatte er Hasse dazu angestiftet, die alten Protokolle zu vernichten? Welche Rolle hatte er im September 1997 gespielt? Er hielt vor Lauterbachs Haus und stellte verärgert fest, dass entgegen seiner Anordnung weit und breit kein Streifenwagen und auch kein ziviles Polizeifahrzeug zu sehen war. Bevor er mit der Zentrale telefonieren und seinem Ärger Luft machen konnte, öffnete sich das Garagentor, und die Rücklichter eines Autos leuchteten auf. Bodenstein stieg aus und ging hinüber. Sein Herz machte einen Satz, als er Daniela Lauterbach hinter dem Steuer des dunkelgrauen Mercedes erkannte. Sie hielt neben ihm an und stieg aus. Ihrem Gesicht war anzusehen, dass sie in der letzten Nacht nicht viel Schlaf bekommen hatte.

»Guten Morgen. Was führt Sie so früh zu mir?«

»Ich wollte Sie fragen, wie es Frau Terlinden geht. Ich habe die ganze Nacht an sie gedacht.« Das war glatt gelogen, aber mitfühlendes Interesse am Zustand der Nachbarin würde Daniela Lauterbach sicher für ihn einnehmen. Er hatte sich nicht getäuscht. Ihre braunen Augen leuchteten auf, ein Lächeln flog über ihr müdes Gesicht.

»Ihr geht es schlecht. Einen Sohn auf diese Weise zu verlieren ist mehr als fürchterlich. Und dann auch noch der Brand in Thies' Atelier und die Leiche im Keller der Orangerie – das war alles zu viel für sie.« Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich war bei ihr, bis eben ihre Schwester eingetroffen ist, um sich um sie zu kümmern.«

»Ich bewundere wirklich, wie Sie sich für Ihre Freunde und Patienten einsetzen«, sagte Bodenstein. »Menschen wie Sie gibt es nur sehr selten.«

Sein Kompliment schien sie zu erfreuen. Ihr Lächeln kehrte zurück, jenes warme, mütterliche Lächeln, das ein kaum zu unterdrückendes Bedürfnis auslösen konnte, sich auf der Suche nach Trost in ihre Arme zu werfen.

»Manchmal nehme ich am Schicksal anderer mehr Anteil, als gut für mich ist.« Sie seufzte. »Ich kann einfach nicht anders. Wenn ich jemanden leiden sehe, muss ich helfen.«

Bodenstein fröstelte in der eisigen Morgenluft. Sie bemerkte es sofort.

»Ihnen ist kalt. Gehen wir doch ins Haus, wenn Sie noch Fragen an mich haben.«

Er folgte ihr durch die Garage eine Treppe hinauf in eine große Eingangshalle, in ihrer repräsentativen Nutzlosigkeit ein typisches Relikt der achtziger Jahre.

»Ist Ihr Mann auch zu Hause?«, fragte er beiläufig und blickte sich um.

»Nein.« Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte sie etwas. »Mein Mann ist beruflich unterwegs.«

Falls das eine Lüge war, akzeptierte Bodenstein sie für den Moment. Vielleicht wusste sie aber wirklich nicht, welches Spiel ihr Mann spielte.

»Ich muss dringend mit ihm sprechen«, sagte er. »Wir haben herausgefunden, dass er damals eine Affäre mit Stefanie Schneeberger hatte.«

Der herzliche Ausdruck verschwand schlagartig von ihrem Gesicht, sie wandte sich ab.

»Das weiß ich«, gab sie zu. »Gregor hat es mir damals gestanden, allerdings erst, als das Mädchen verschwunden war.« Es fiel ihr offensichtlich schwer, über die Untreue ihres Mannes zu sprechen.

»Er sorgte sich, dass man ihn bei seinem … Schäferstündchen in Sartorius' Scheune gesehen haben und ihn verdächtigen könnte.« Bitterkeit lag in ihrer Stimme. Ihr Blick war düster. Die Kränkung schmerzte noch immer und erinnerte Bodenstein unwillkürlich an seine eigene Situation. Daniela Lauterbach mochte ihrem Mann nach elf Jahren vergeben haben, vergessen hatte sie die Demütigung ganz sicher nicht.

»Aber warum ist das jetzt wichtig?«, fragte sie verwirrt.

»Amelie Fröhlich hatte sich mit den Ereignissen von früher beschäftigt und muss das herausgefunden haben. Falls Ihr Mann das wusste, kann er Amelie als Bedrohung empfunden haben.«

Daniela Lauterbach starrte Bodenstein ungläubig an.

»Sie verdächtigen doch nicht etwa meinen Mann, etwas mit dem Verschwinden von Amelie zu tun zu haben?«

»Nein, wir verdächtigen ihn nicht«, beschwichtigte Bodenstein sie. »Aber wir möchten dringend mit ihm reden. Er hat nämlich etwas getan, was strafrechtliche Folgen für ihn haben könnte.«

»Darf ich wissen, was das sein soll?«

»Ihr Mann hat einen Mitarbeiter von mir dazu gebracht, die Vernehmungsprotokolle von 1997 aus den Akten zu entfernen.«

Diese Nachricht versetzte ihr offenbar einen Schock. Sie wurde blass.

»Nein.« Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, das kann ich nicht glauben. Weshalb sollte er das tun?«

»Das würde ich gerne von ihm wissen. Also, wo kann ich ihn finden? Wenn er sich nämlich nicht umgehend bei uns meldet, müssen wir ihn öffentlich zur Fahndung ausschreiben. Und das möchte ich ihm in seiner Position gerne ersparen.«

Daniela Lauterbach nickte. Sie holte tief Luft, behielt mit eiserner Beherrschung ihre Emotionen unter Kontrolle. Als sie Bodenstein wieder anblickte, war ein anderer Ausdruck in ihre Augen getreten. War es Furcht oder Zorn – oder beides?

»Ich werde ihn anrufen und ihm das mitteilen«, sagte sie, angestrengt darum bemüht, ihren Worten einen gleichmütigen Klang zu geben. »Da muss ein Missverständnis vorliegen, ganz sicher.«

»Das glaube ich auch«, pflichtete Bodenstein ihr bei. »Aber je schneller wir das geklärt haben, umso besser.«

Lange hatte er nicht mehr so tief und wunderbar traumlos geschlafen wie letzte Nacht. Tobias wälzte sich auf den Rücken und setzte sich gähnend auf. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, wo er war. Gestern Abend waren sie erst spät hier oben angekommen. Nadja hatte trotz heftiger Schneefälle die Autobahn bei Interlaken verlassen. Irgendwann hatte sie angehalten, Schneeketten angelegt und war unverdrossen weitergefahren, die steile Serpentinenstraße hinauf, höher und immer höher. Er war so müde und erschöpft gewesen, dass er das Innere der Hütte kaum wahrgenommen hatte. Auch Hunger hatte er keinen gehabt, war nur hinter ihr eine Leiter hinaufgeklettert und hatte sich ins Bett gelegt, das die gesamte Fläche der Empore einnahm. Kaum hatte sein Kopf das Kopfkissen berührt, war er schon eingeschlafen. Kein Zweifel, der tiefe Schlaf hatte ihm gutgetan.

»Nadja?«

Keine Antwort. Tobias kniete sich hin und blickte aus dem winzigen Fenster über dem Bett. Ihm stockte der Atem, als er den tiefblauen Himmel erblickte, den Schnee und das beeindruckende Bergpanorama im Hintergrund. Er war noch nie in den Bergen gewesen; Skiurlaub hatte es in seiner Kindheit und Jugend ebenso wenig gegeben wie Urlaub am Meer. Plötzlich konnte er es kaum noch erwarten, den Schnee zu spüren. Er kletterte die Leiter nach unten. Die Hütte war klein und gemütlich, mit Holz verkleidete Wände und Decke, eine Eckbank mit gedecktem Frühstückstisch. Es duftete nach Kaffee, und im Kamin knackten Holzscheite im Feuer. Tobias lächelte. Er schlüpfte in Jeans, Pullover, Jacke und Schuhe, stieß die Tür auf und trat ins Freie. Einen Augenblick lang verharrte er, geblendet von der gleißenden Helligkeit. Tief sog er die glasklare, eisige Luft in seine Lungen. Ein Schneeball traf ihn mitten im Gesicht.

»Guten Morgen!« Nadja lachte und winkte. Sie stand ein paar Meter unterhalb der Treppe und strahlte mit Schnee und Sonne um die Wette. Er grinste, sprang die Treppenstufen hinunter und versank bis über die Knie im pulverigen Schnee. Sie kam ihm entgegen, ihre Wangen waren gerötet, ihr Gesicht so schön wie nie unter der pelzbesetzten Kapuze.

»Wow, ist das toll hier!«, rief er begeistert.

»Gefällt es dir?«

»O ja! So was kenne ich ja nur aus dem Fernsehen.«

Er stapfte um die Hütte herum, die sich mit ihrem tiefgezogenen Dach an den steilen Hang schmiegte. Der meterdicke Schnee knirschte unter seinen Schuhen. Nadja ergriff seine Hand.

»Schau«, sagte sie. »Da drüben, das sind die bekanntesten Gipfel der Berner Alpen: die Jungfrau, der Eiger und der Mönch. Ach, ich liebe diesen Anblick.«

Dann wies sie hinunter ins Tal. Ganz unten, mit bloßem Auge kaum zu erkennen, lagen Häuser dicht aneinandergedrängt, und ein Stück weiter unten glitzerte blau ein langgestreckter See in der Sonne.

»Wie hoch sind wir hier?«, fragte er neugierig.

»1800 Meter. Über uns gibt es nur noch Gletscher und Gemsen.«

Sie lachte, schlang ihm die Arme um den Hals und küsste ihn mit kalten, weichen Lippen. Er hielt sie fest, erwiderte ihren Kuss. Ihm war so leicht und frei zumute, als hätte er die Sorgen der vergangenen Jahre irgendwo ganz weit unten in den Tälern zurückgelassen.

Der Fall nahm ihn so sehr in Anspruch, dass ihm keine Zeit blieb, über seine eigene Misere nachzugrübeln. Darüber war er froh. Seit Jahren wurde Bodenstein beinahe täglich mit menschlichen Abgründen konfrontiert, und zum ersten Mal erkannte er Parallelen zu sich selbst, vor denen er früher die Augen verschlossen hatte. Daniela Lauterbach schien so wenig über ihren Mann zu wissen, wie er über Cosima wusste. Es war erschreckend, aber man konnte offenbar fünfundzwanzig Jahre mit einem Menschen zusammen sein, in einem Bett schlafen und Kinder miteinander haben, ohne denjenigen wirklich zu kennen. Oft genug hatte es Fälle gegeben, in denen nichtsahnende Angehörige jahrelang mit Mördern, Pädophilen und Vergewaltigern zusammengelebt hatten und aus allen Wolken fielen, als sie die schreckliche Wahrheit erfuhren.

Bodenstein fuhr an Fröhlichs Haus und der rückwärtigen Einfahrt des Sartorius-Hofes vorbei bis zum Wendehammer am Ende der Waldstraße und bog in die Auffahrt der Terlindens ein. Eine Frau öffnete ihm die Haustür. Das musste die Schwester von Christine Terlinden sein, auch wenn er keine Ähnlichkeit feststellen konnte. Die Frau war groß und schlank; die Art, wie sie ihn musterte, zeugte von Selbstbewusstsein.

»Ja?« Der Blick aus grünen Augen war direkt und prüfend. Bodenstein stellte sich vor und äußerte den Wunsch, mit Christine Terlinden sprechen zu dürfen.

»Ich hole sie«, sagte die Frau. »Ich bin übrigens Heidi Brückner, die Schwester von Christine.«

Sie musste mindestens zehn Jahre jünger sein und wirkte im Gegensatz zu ihrer Schwester vollkommen ungekünstelt. Das glänzende braune Haar trug sie zu einem Zopf geflochten, ihr glattes, ebenmäßiges Gesicht mit hohen Wangenknochen war ungeschminkt. Sie ließ ihn ein und schloss die Haustür hinter ihm.

»Warten Sie bitte hier.«

Sie ging davon, blieb eine ganze Weile verschwunden. Bodenstein betrachtete eingehend die Gemälde an den Wänden, die unzweifelhaft auch von Thies stammten. Sie ähnelten den Bildern im Büro von Daniela Lauterbach in ihrer grauenhaft apokalyptischen Düsternis: verzerrte Gesichter, schreiende Münder, gefesselte Hände, Augen voller Angst und Qual. Schritte kamen näher, er wandte sich um. Christine Terlinden sah aus, wie er sie in Erinnerung hatte. Perfekt frisiertes Blondhaar, ein unbeteiligtes Lächeln auf einem faltenlosen Gesicht.

»Mein herzliches Beileid«, sagte Bodenstein und reichte ihr die Hand.

»Danke. Das ist sehr freundlich von Ihnen.« Sie schien ihm nicht nachzutragen, dass er ihren Mann seit Tagen festhalten ließ. Und auch der Suizid ihres Sohnes war äußerlich spurlos an ihr vorübergegangen, genauso wie der Brand des Ateliers und der Fund der Mumie von Stefanie Schneeberger. Erstaunlich. War sie eine Meisterin der Verdrängung, oder stand sie unter so starken Beruhigungsmitteln, dass sie das alles noch gar nicht realisiert hatte?

»Thies wird seit heute Morgen im Krankenhaus vermisst«, sagte er. »Er ist nicht zufällig nach Hause gekommen?«

»Nein.« Das klang beunruhigt, aber nicht über die Maßen besorgt. Man hatte sie auch noch nicht benachrichtigt, was Bodenstein eigenartig fand. Er bat sie, mehr über Thies zu erzählen, und ließ sich in dessen Zimmer im Souterrain führen. Heidi Brückner folgte ihnen in einigem Abstand, stumm und aufmerksam.

Thies' Zimmer war freundlich und hell. Da das Haus am Hang lag, erlaubten große Fensterscheiben einen schönen Ausblick über das Dorf. In Regalen standen Bücher, Stofftiere saßen auf einer Couch. Das Bett war gemacht, nichts lag herum. Das Zimmer eines zehnjährigen Jungen, nicht das eines dreißigjährigen Mannes. Außergewöhnlich waren nur die Bilder an den Wänden. Thies hatte seine Familie porträtiert. Und hier offenbarte sich, welch großartiger Künstler er wirklich war. Er hatte in den Porträts nicht nur die Gesichter der Menschen eingefangen, sondern auf eine subtile Art auch deren Persönlichkeit. Claudius Terlinden lächelte auf den ersten Blick freundlich, aber seine Körperhaltung, der Ausdruck seiner Augen und die Farben im Hintergrund gaben dem Bild etwas Bedrohliches. Die Mutter war rosig und hell gemalt, gleichzeitig flach und zweidimensional. Ein Bild ohne Tiefe für eine Frau ohne echte Persönlichkeit. Bemerkenswert. Das dritte Bild hielt Bodenstein zuerst für ein Selbstporträt, bis er sich daran erinnerte, dass Lars der Zwillingsbruder von Thies gewesen war. Es war ganz anders gemalt, beinahe verschwommen, und zeigte einen jungen Mann mit noch unfertigen Gesichtszügen und unsicheren Augen.

»Er ist hilflos«, antwortete Christine Terlinden auf Boden steins Frage, wie Thies so sei. »Er kann sich im Leben nicht alleine zurechtfinden, und er hat nie Geld bei sich. Auto fahren kann er auch nicht. Wegen seiner Krankheit durfte er den Führerschein nicht machen, und das ist auch besser so. Er kann Gefahren nicht einschätzen.«

»Und Menschen?« Bodenstein sah Christine Terlinden an.

»Wie meinen Sie das?« Sie lächelte verwirrt.

»Ob er Menschen einschätzen kann. Weiß er, wer ihm wohlgesonnen ist und wer nicht?«

»Das … kann ich nicht beurteilen. Thies spricht ja nicht. Er meidet den Kontakt zu anderen Menschen.«

»Er weiß ganz genau, wer es gut mit ihm meint und wer nicht«, ließ sich Heidi Brückner von der Tür aus vernehmen. »Thies ist nicht geistig behindert. Eigentlich wisst ihr ja gar nicht so genau, was er wirklich hat.«

Bodenstein war überrascht. Christine Terlinden erwiderte nichts. Sie stand am Fenster und blickte hinaus in das trübe Grau des Novembertages.

»Autismus«, fuhr ihre Schwester fort, »ist ein weites Feld. Ihr habt einfach irgendwann aufgehört, ihn zu fördern, ihn stattdessen nur mit diesen Medikamenten vollgestopft, damit er ruhig ist und keine Probleme macht.«

Christine Terlinden drehte sich um. Ihr ohnehin regloses Gesicht wirkte wie eingefroren.

»Entschuldigen Sie mich«, sagte sie zu Bodenstein. »Ich muss die Hunde rauslassen. Es ist schon halb neun.«

Sie verließ das Zimmer, ihre Absätze klapperten auf der Treppe.

»Sie flüchtet sich in ihren Alltag«, bemerkte Heidi Brückner mit einem Anflug von Resignation in der Stimme. »So war sie schon immer. Und sie wird sich wohl nicht mehr ändern.« Bodenstein sah sie an. Die Schwestern verband keine große Zuneigung. Aber weshalb war sie dann hier?

»Kommen Sie«, sagte sie. »Ich zeige Ihnen etwas.«

Er folgte ihr die Treppe hinauf in die Eingangshalle. Heidi Brückner blieb kurz stehen, um sich zu vergewissern, dass ihre Schwester nicht in der Nähe war, dann ging sie mit schnellen Schritten zur Garderobe und ergriff eine Tasche, die an einem der Haken hing.

»Eigentlich wollte ich das einem befreundeten Apotheker geben«, erklärte sie leise. »Aber unter den gegebenen Umständen erscheint es mir besser, wenn es die Polizei bekommt.«

»Was ist das?«, fragte Bodenstein neugierig.

»Ein Rezept.« Sie reichte ihm einen gefalteten Zettel. »Dieses Zeug muss Thies seit Jahren nehmen.«

Pia saß mit finsterem Gesicht an ihrem Schreibtisch und tippte den Bericht über die Vernehmung von Pietsch, Dombrowski und Richter in den Computer. Sie ärgerte sich, weil sie keine Handhabe hatte, um Claudius Terlinden länger in Gewahrsam zu behalten. Sein Anwalt war erneut vorstellig geworden und hatte auf sofortige Freilassung seines Mandanten gedrungen. Nach Rücksprache mit Kriminalrätin Dr. Engel hatte Pia Terlinden schließlich gehen lassen müssen. Ihr Telefon klingelte.

»Dem Mädchen wurde der Schädel eindeutig mit diesem Wagenheber eingeschlagen«, sagte Henning mit Grabesstimme, ohne sich mit einem Gruß aufzuhalten. »Und wir haben in der Vagina tatsächlich eine fremde DNA festgestellt. Aber es dauert noch eine Weile, bis wir die genauer bestimmen können.«

»Ja, super«, erwiderte Pia. »Und was ist mit dem Wagenheber? Könnt ihr die Spuren von damals noch mal untersuchen?«

»Ich frage mal nach, wie beschäftigt unser Labor ist.« Er machte eine kurze Pause. »Pia …«

»Ja?«

»Hat sich Miriam bei dir gemeldet?«

»Nein. Wieso sollte sie?«

»Weil diese bescheuerte Kuh sie gestern angerufen und ihr gesagt hat, dass sie ein Kind von mir kriegt.«

»Ach du Scheiße. Und jetzt?«

»Tja.« Henning stieß einen Seufzer aus. »Miriam war ganz ruhig. Sie hat mich gefragt, ob das sein könnte. Als ich es ihr dann gestehen musste, hat sie keinen Ton mehr gesagt, hat ihre Tasche genommen und ist gegangen.«

Pia hütete sich davor, ihm einen Vortrag über Treue und Seitensprünge zu halten. Er machte nicht den Eindruck, als könne er dies im Augenblick verkraften. Obwohl es sie nichts mehr anging, tat ihr Exmann ihr leid.

»Hast du dir mal überlegt, ob die Löblich dich vielleicht reinlegen will?«, erwiderte sie. »An deiner Stelle würde ich Nachforschungen anstellen. Ist sie wirklich schwanger? Und wenn ja, kommt nicht eventuell ein anderer Mann in Frage?«

»Darum geht es gar nicht«, erwiderte er. »Worum dann?«

Henning zögerte mit seiner Antwort. »Ich habe Miriam betrogen, ich Idiot«, sagte er nach einer Weile. »Und das wird sie mir nicht verzeihen.«

Bodenstein betrachtete das Privatrezept, das Dr. Daniela Lauterbach ausgestellt hatte, und überflog die verschriebenen Medikamente. Ritalin, Droperidol, Fluphenazin, Fentanyl, Lorazepam. Auch als Laie wusste er, dass Autismus keine Krankheit war, die man mit Psychopharmaka und Beruhigungsmitteln behandeln konnte.

»Es ist eben einfacher, Probleme mit der chemischen Keule zu lösen, als den mühsamen Weg über eine Therapie zu gehen.« Heidi Brückner sprach mit gedämpfter Stimme, aber der Zorn in ihren Worten war unüberhörbar. »Meine Schwester ist ihr Leben lang den Weg des geringsten Widerstandes gegangen. Als die Zwillinge klein waren, war sie lieber mit ihrem Mann unterwegs, als sich um die Kinder zu kümmern. Thies und Lars haben in ihrer frühen Kindheit eine extreme Vernachlässigung erfahren. Hausmädchen, die kein Wort Deutsch sprechen, sind ja wohl kaum der richtige Ersatz für eine Mutter.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

Heidi Brückner blähte die Nasenflügel.

»Dass das Problem von Thies hausgemacht ist«, antwortete sie. »Es war schnell klar, dass er Schwierigkeiten hatte. Er war aggressiv, neigte zu Wutausbrüchen und gehorchte nicht. Bis er vier oder fünf Jahre alt war, sprach er kein Wort. Mit wem auch? Seine Eltern waren so gut wie nie da. Claudius und Christine haben nie versucht, dem Jungen mit Therapien zu helfen, sie haben schon immer auf Medikamente gesetzt. Wochenlang wurde Thies völlig ruhiggestellt, er saß nur teilnahmslos herum. Kaum setzten sie dann die Medikamente ab, flippte er aus. Sie schafften ihn in die Kinderpsychiatrie und ließen ihn jahrelang dort. Ein Drama. Der Junge ist sensibel und hochbegabt und musste zwischen geistig Behinderten leben!«

»Wieso hat nie jemand eingegriffen?«, wollte Bodenstein wissen.

»Wer denn?« Das klang sarkastisch. »Thies hatte ja nie Kontakt zu normalen Menschen oder Lehrern, die vielleicht gemerkt hätten, was mit ihm los ist.«

»Sie meinen, dass er gar kein Autist ist?«

»Doch, das schon. Aber der Autismus ist keine klar definierte Krankheit. Das reicht von wirklich schwerer geistiger Behinderung bis zu leichten Ausprägungen des Asperger-Syndroms, bei denen die Erkrankten durchaus in der Lage sind, ein eigenständiges, wenn auch eingeschränktes Leben zu führen. Viele erwachsene Autisten lernen, mit ihren Eigenarten zurechtzukommen.« Sie schüttelte den Kopf. »Thies ist ein Opfer seiner egoistischen Eltern. Und Lars ist es nun auch geworden.«

»Ach?«

»Lars war als Kind und Jugendlicher extrem schüchtern. Er bekam kaum den Mund auf. Dazu war er tief religiös, er wollte Priester werden«, erklärte Heidi Brückner sachlich. »Da Thies kaum die Firma übernehmen würde, setzte Claudius all seine Hoffnungen auf Lars. Er verbot ihm das Theologiestudium, schickte ihn nach England und ließ ihn dort Betriebswirtschaft studieren. Lars war niemals wirklich glücklich. Und jetzt ist er tot.«

»Wieso haben Sie nicht eingegriffen, wenn Sie das alles wussten?«, fragte Bodenstein befremdet.

»Ich habe es versucht, vor vielen Jahren.« Sie hob die Schultern. »Da mit meiner Schwester nicht zu reden war, sprach ich mit Claudius. Es war 1994, ich erinnere mich genau, denn ich war gerade aus Südostasien zurückgekommen, da hatte ich als Entwicklungshelferin gearbeitet. Es hatte sich hier viel verändert. Wilhelm, der ältere Bruder meines Schwagers, war ein paar Jahre zuvor gestorben, Claudius hatte die Firma übernommen und war in diesen Riesenkasten hier gezogen. Ich wäre gerne eine Weile geblieben, um Christine etwas unter die Arme zu greifen.«

Sie schnaubte verächtlich.

»Claudius war das nicht recht. Er hat mich nie leiden können, weil er mich nicht einschüchtern und beherrschen konnte. Ich blieb zwei Wochen und beobachtete das Drama. Meine Schwester trieb sich auf Golfplätzen herum, überließ die Fürsorge für die Jungen einem Hausmädchen aus dem Dorf und dieser Daniela. Eines Tages kam es zwischen Claudius und mir zu einem heftigen Streit. Christine war auf Mallorca, wie so oft. Das Haus einrichten.« Heidi Brückner lachte geringschätzig. »Das war ihr wichtiger als ihre Söhne. Ich hatte einen Spaziergang gemacht, war durchs Souterrain unbemerkt wieder ins Haus gekommen. Ich traute meinen Augen nicht, als ich ins Wohnzimmer kam und meinen Schwager mit der Tochter seiner Haushälterin überraschte. Das Mädchen war höchstens vierzehn oder fünfzehn …«

Sie brach ab, schüttelte angewidert den Kopf bei der Erinnerung an dieses Ereignis. Bodenstein lauschte aufmerksam. Ihre Darstellung deckte sich mit dem, was Claudius Terlinden selbst erzählt hatte – bis auf einen entscheidenden Punkt.

»Er war auf hundertachtzig, als ich ins Wohnzimmer kam und ihn anschrie. Das Mädchen rannte weg. Claudius stand vor mir mit heruntergelassener Hose, knallrot im Gesicht. Leugnen war kaum mehr möglich. Und plötzlich stand auch Lars da. Ich vergesse nie im Leben seinen Gesichtsausdruck. Sie können sich denken, dass ich seit diesem Tag hier nicht mehr erwünscht war. Christine hatte nie den Mumm, gegen ihren Mann aufzubegehren. Sie glaubte mir nicht einmal, als ich ihr brühwarm am Telefon erzählte, was ich gesehen hatte. Ich sei neidisch und eine Lügnerin, sagte sie. Wir haben uns heute zum ersten Mal seit vierzehn Jahren wiedergesehen. Und ehrlich gesagt: Ich werde nicht lange bleiben.«

Sie stieß einen Seufzer aus.

»Ich habe immer versucht, meine Schwester zu entschuldigen«, sprach sie nach einer Weile weiter. »Vielleicht auch, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Insgeheim habe ich immer befürchtet, dass es eines Tages zu einer Katastrophe kommen würde, aber so etwas habe ich dann doch nicht erwartet.«

»Und jetzt?«

Heidi Brückner verstand, was Bodenstein meinte.

»Heute Morgen habe ich endgültig kapiert, dass bloße Familienzugehörigkeit kein Grund ist, jemanden in Schutz zu nehmen. Meine Schwester überlässt alles dieser Daniela, wie früher schon. Was soll ich hier?«

»Sie mögen Frau Dr. Lauterbach nicht?«, fragte Bodenstein.

»Nein. Ich dachte früher schon, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmt. Diese übertriebene Fürsorge für alle und jeden. Und wie sie ihren Mann bemuttert hat – das fand ich eigenartig, fast schon krankhaft.« Heidi Brückner strich sich eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht. Bodenstein sah einen Ehering an ihrer linken Hand. Für einen winzigen Augenblick empfand er Enttäuschung und wunderte sich in der gleichen Sekunde über dieses absurde Gefühl. Er kannte die Frau überhaupt nicht und würde sie nach Abschluss der Ermittlungen kaum jemals wiedersehen.

»Seit ich diese Medikamentenberge gesehen habe, halte ich noch weniger von ihr als je zuvor«, fuhr Heidi Brückner fort. »Ich bin zwar keine Apothekerin, aber ich habe mich ausführlich mit Thies' Krankheitsbild beschäftigt. Mir muss diese Frau nichts erzählen.«

»Haben Sie sie noch gesehen, heute Morgen?«

»Ja, sie war kurz hier, um nach Christine zu schauen.«

»Wann sind Sie gekommen?«

»Gestern Abend gegen halb zehn. Ich bin sofort losgefahren, nachdem Christine mich angerufen hatte und mir erzählt hat, was passiert ist. Von Schotten aus brauche ich eine Stunde.«

»Das heißt, Frau Dr. Lauterbach war nicht die ganze Nacht hier?«, erkundigte sich Bodenstein überrascht.

»Nein. Sie kam vorhin gegen halb acht, blieb auf eine Tasse Kaffee und ging wieder. Warum?« Sie blickte ihn aus ihren grünen Augen fragend an, aber Bodenstein blieb ihr eine Antwort schuldig. Wie von selbst fielen die Bruchstücke einzelner Informationen an die richtige Stelle. Daniela Lauterbach hatte ihn angelogen. Und sicher nicht zum ersten Mal.

»Hier ist meine Nummer.« Er reichte ihr eine seiner Visitenkarten. »Und vielen Dank für Ihre Offenheit. Sie haben mir sehr geholfen.«

»Sehr gerne.« Heidi Brückner nickte und reichte ihm die Hand. Ihr Händedruck war warm und fest. Bodenstein zögerte.

»Ach, falls ich noch eine Frage haben sollte – wie kann ich Sie erreichen?«

Ein winziges Lächeln huschte über ihr ernstes Gesicht. Sie zückte ihr Portemonnaie und entnahm ihm eine Karte, die sie Bodenstein gab.

»Sehr lange werde ich wohl nicht mehr hier sein«, sagte sie. »Sobald mein Schwager nach Hause kommt, wird er mich nämlich auf der Stelle rausschmeißen.«

Nach dem Frühstück waren sie ein paar Stunden lang durch den tiefen Schnee gestapft und hatten die herrliche Aussicht auf die verschneiten Berner Alpen genossen. Dann war urplötzlich das Wetter umgeschlagen, typisch für das Hochgebirge. Der strahlend blaue Himmel hatte sich innerhalb von Minuten zugezogen, und unvermittelt hatte heftiger Schneefall eingesetzt. Hand in Hand waren sie zur Hütte zurückgelaufen, hatten sich atemlos ihrer völlig durchnässten Kleidung entledigt und waren splitternackt die Leiter zur Empore hochgeklettert. Die Hitze des Ofens staute sich unter dem Dach. Eng aneinandergeschmiegt lagen sie auf dem Bett, während der Wind um die Hütte heulte und an den Fensterläden rüttelte. Sie sahen sich an. Ihre Augen waren dicht vor den seinen, er spürte ihren Atem. Tobias strich ihr das Haar aus dem Gesicht und schloss die Augen, als sie an seinem nackten Körper hinabglitt, über seine Haut leckte, ihn mit ihrer Zunge neckte. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren, er keuchte, seine Muskeln waren zum Zerreißen gespannt. Mit einem Stöhnen zog er sie auf sich, sah ihr vor Lust verzerrtes Gesicht. Sie bewegte sich immer heftiger, voller Begierde nach ihm, ihr Schweiß tropfte auf ihn herab. Eine Flutwelle rauschhaften Glücks erfasste ihn, brach mit einer unerwarteten Gewalt über ihn herein, und ihm war, als ob die Wände wankten und der Boden unter ihm bebte. Eine Weile lagen sie nur da, erschöpft und glücklich, und warteten keuchend darauf, dass sich ihr Herzschlag wieder normalisierte. Tobias nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste lange und sanft ihren Mund.

»Das war wundervoll«, sagte er leise.

»Ja. So sollte es für immer und ewig bleiben«, flüsterte Nadja mit rauer Stimme. »Nur du und ich.«

Ihre Lippen streiften seine Schulter, lächelnd kuschelte sie sich enger an ihn. Er zog die Decke über sie beide und schloss die Augen. Ja, so sollte es bleiben. Seine Muskeln entspannten sich, er wurde müde.

Doch plötzlich sah er Amelies Gesicht vor sich. Es traf ihn wie ein Fausthieb, schlagartig war er hellwach. Wie konnte er hier so ruhig herumliegen, während sie noch immer verschwunden war und womöglich irgendwo um ihr Leben kämpfte?

»Was hast du?«, murmelte Nadja schläfrig. Es gehörte sich nicht, im Bett von einer anderen Frau zu sprechen, aber Nadja machte sich ja auch Sorgen um Amelie.

»Ich habe gerade an Amelie gedacht«, erwiderte er also aufrichtig. »Wo sie wohl ist? Hoffentlich ist ihr nichts zugestoßen.«

Auf Nadjas Reaktion war er nicht gefasst. Sie erstarrte in seinen Armen, fuhr hoch und stieß ihn heftig von sich. Ihr schönes Gesicht war wutverzerrt.

»Ich glaube, du spinnst!«, schrie sie außer sich. »Du fickst mich und quatschst was von einer anderen Frau! Bin ich dir nicht genug?«

Sie ballte die Fäuste und trommelte ihm mit einer Kraft, die er ihr nicht zugetraut hatte, auf die Brust. Tobias hatte Mühe, sich ihrer zu erwehren. Keuchend und bestürzt über diesen Ausbruch, starrte er sie an.

»Du gemeines Arschloch!«, schrie Nadja, die Tränen quollen wie Sturzbäche aus ihren Augen. »Warum denkst du immer an andere Weiber? Schon früher musste ich mir immer anhören, was du mit dieser oder jener Tussi geredet und gemacht hast! Hast du dir nie überlegt, dass mich das verletzen könnte? Und jetzt liegst du hier mit mir im Bett und laberst von dieser … dieser kleinen Schlampe!«

Der dichte, feuchte Nebel lichtete sich und löste sich oben im Taunus ganz auf. Als sie auf der B8 hinter Glashütten den Wald verließen, begrüßte sie heller Sonnenschein. Bodenstein klappte die Sonnenblende nach unten.

»Lauterbach wird auftauchen«, sagte er zu Pia. »Er ist Politiker und um seinen Ruf besorgt. Seine Frau hat ihn sicher längst angerufen.«

»Na, hoffentlich.« Pia teilte den Optimismus ihres Chefs nicht so recht. »Claudius Terlinden wird auf jeden Fall überwacht.«

Die Telefonleitungen zwischen Kn, Staatsanwaltschaft und Gericht liefen heiß seit Jörg Richters Geständnis, Laura habe noch gelebt, als er und seine Freunde sie in den Bodentank geworfen hatten. Um ihr Leben gebettelt hatte sie, geweint und geschrien, bis sie den Deckel auf das Loch gewälzt hatten. Es war klar, dass es im Fall Laura Wagner zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens kommen musste, in dessen Verlauf man Tobias Sartorius freisprechen würde. Wenn er wieder auftauchte. Bis jetzt fehlte von ihm jede Spur.

Bodenstein bog nach links ab und fuhr durch das Dörfchen Kröftel nach Heftrich. Kurz vor der Ortseinfahrt von Heftrich lag der Bauernhof, den die Eltern von Stefanie Schneeberger vor zehn Jahren gekauft hatten. Ein großes Schild wies auf den Hofladen hin, in dem nur Bioprodukte aus eigenem Anbau und eigener Zucht verkauft wurden. Bodenstein hielt auf dem blitzsauberen Hof. Sie stiegen aus und blickten sich um. Von der nüchternen Funktionalität des ehemaligen Aussiedlerhofes, wie sie in den sechziger Jahren massenhaft aus dem Boden gestampft worden waren, war kaum noch etwas zu erkennen. Man hatte an- und umgebaut; unter dem neuen Vordach des Mittelbaus, in dem sich der Hofladen befand, warteten herbstliche Gestecke auf Käufer. Die Dächer der Gebäude bestanden beinahe ausschließlich aus Solar- und Photovoltaikplatten. Zwei Katzen rekelten sich auf der Haustürtreppe und genossen die seltenen Sonnenstrahlen. Der Laden war zur Mittagszeit geschlossen, und auch im Haus öffnete niemand. Bodenstein und Pia betraten den hellen Stall, in dem in großen Laufboxen Kühe mit ihren Kälbern knietief im Stroh standen oder lagen und zufrieden wiederkäuten. Welch ein Anblick, verglichen mit der üblichen Viehhaltung in engen Ständern auf Spaltenböden! Auf dem hinteren Hof putzten zwei acht- oder neunjährige Mädchen gemeinsam ein Pferd, das sich die liebevolle Pflege geduldig gefallen ließ.

»Hallo!«, grüßte Pia die beiden Mädchen. Sie glichen einander wie ein Ei dem anderen und waren unverkennbar die jüngeren Schwestern der toten Stefanie. Dasselbe dunkle Haar, die großen, braunen Augen. »Sind eure Eltern zu Hause?«

»Mama ist da drüben im Stall«, antwortete die eine und wies auf den langgestreckten Anbau hinter dem Kuhstall. »Papa ist mit dem Traktor den Mist wegfahren.«

»Ah ja. Danke.«

Beate Schneeberger fegte gerade die Stallgasse, als Bodenstein und Pia den Pferdestall betraten. Sie blickte auf, als der Jack-Russel-Terrier, der in einer leeren Box nach Mäusen gestöbert hatte, anfing zu bellen.

»Hallo!«, rief Bodenstein und blieb sicherheitshalber stehen. Der Terrier war zwar klein, aber sicher nicht zu unterschätzen.

»Kommen Sie nur näher.« Die Frau lächelte freundlich, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen. »Bobby macht nur Krach. Was kann ich für Sie tun?«

Bodenstein stellte sich und Pia vor. Beate Schneeberger hielt inne. Das Lächeln verschwand von ihrem Gesicht. Sie war eine schöne Frau, aber Kummer und Leid hatten deutliche Spuren in ihren ebenmäßigen Zügen hinterlassen.

»Wir sind gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass die Leiche Ihrer Tochter Stefanie gefunden wurde«, sagte Bodenstein.

Frau Schneeberger blickte ihn aus großen, dunklen Augen ruhig an und nickte. Ähnlich wie Lauras Mutter reagierte sie ruhig und gefasst.

»Lassen Sie uns ins Haus gehen«, sagte sie. »Ich rufe meinen Mann an. Er wird in ein paar Minuten da sein.«

Sie lehnte den Besen an eine der Boxentüren und kramte ihr Handy aus der Tasche ihrer Daunenweste.

»Albert«, sagte sie. »Kannst du bitte nach Hause kommen? Die Polizei ist hier. Man hat Stefanie gefunden.«

Amelie wachte auf, weil sie im Traum geglaubt hatte, ein leises Plätschern zu hören. Sie hatte Durst. Entsetzlichen, quälenden Durst. Ihre Zunge klebte am Gaumen, ihr Mund war so trocken wie Papier. Vor ein paar Stunden hatten Thies und sie die letzten beiden Kekse gegessen und das letzte Wasser getrunken, jetzt war nichts mehr da. Amelie hatte schon davon gehört, dass sich Menschen vor dem Verdursten gerettet hatten, indem sie ihren eigenen Urin tranken. Der schmale Lichtstreifen unter der Decke sagte ihr, dass außerhalb ihres Gefängnisses Tag war. Sie erkannte die Umrisse des Regals auf der anderen Seite des Kellerraumes. Thies lag zusammengerollt neben ihr auf der Matratze, den Kopf in ihrem Schoß, und schlief tief und fest. Wie war er hierhergekommen? Wer hatte sie beide hier eingesperrt? Und wo waren sie überhaupt? Amelies Verzweiflung wuchs. Am liebsten hätte sie geweint, aber sie wollte Thies nicht aufwecken, auch wenn ihr Bein unter dem Gewicht seines Kopfes schon ganz taub geworden war. Sie fuhr sich mit der trockenen Zunge über die ausgetrockneten Lippen. Da! Wieder das leise Glucksen und Plätschern! Als ob irgendwo ein Wasserhahn liefe. Wenn sie hier rauskäme, das schwor sie sich, würde sie nie mehr verschwenderisch mit Wasser umgehen. Früher hatte sie halbvolle Colaflaschen einfach ausgegossen, wenn die Cola schal geworden war. Was gäbe sie jetzt für einen Schluck lauwarme, abgestandene Cola!

Ihr Blick wanderte durch den Raum, fiel auf die Tür. Sie traute ihren Augen nicht, als sie sah, dass tatsächlich Wasser unter der Türritze hindurchsickerte. Aufgeregt schob sie Thies von sich, fluchte, als ihr eingeschlafenes Bein ihr nicht gehorchen wollte. Auf allen vieren kroch sie über den Boden, der schon nass war. Wie ein Hund leckte sie gierig das Wasser auf, benetzte ihr Gesicht und lachte. Der liebe Gott hatte ihre verzweifelten Gebete gehört. Er ließ sie nicht verdursten! Immer mehr Wasser floss unter der Tür hindurch, plätscherte die drei Stufen hinunter wie ein hübscher, kleiner Wasserfall. Amelie hörte auf zu lachen, richtete sich auf.

»Es reicht jetzt mit dem Wasser, lieber Gott«, flüsterte sie, aber Gott hörte nicht. Das Wasser lief immer weiter, bildete schon eine große Lache auf dem nackten Betonfußboden. Amelie begann, am ganzen Körper vor Angst zu zittern. Sie hatte sich nichts sehnlicher gewünscht als Wasser, und nun ging dieser Wunsch in Erfüllung, allerdings so ganz anders als erhofft! Thies war aufgewacht. Er saß auf der Matratze, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen, und wiegte seinen Oberkörper vor und zurück. Sie überlegte fieberhaft, ging zum Regal hinüber und rüttelte daran. Es war zwar rostig, schien aber relativ stabil zu sein. Wer auch immer sie und Thies hier eingesperrt hatte, musste das Wasser aufgedreht haben. Dieser Raum lag offenbar tiefer als der Rest des Kellers. Es gab keinen Abfluss im Boden, und das schmale Oberlicht lag direkt unter der Decke. Wenn das Wasser nun immer weiterlief, würde es irgendwann den Raum überschwemmen. Sie müssten ersaufen wie die Ratten! Amelie blickte sich wild um. Verdammt! Jetzt hatte sie so lange überlebt, ohne durchzudrehen, ohne zu verhungern oder zu verdursten, da würde sie sich nicht einfach so ersäufen lassen! Sie beugte sich über Thies und ergriff energisch seinen Arm.

»Steh auf!«, sagte sie scharf. »Los, Thies! Hilf mir, die Matratze da oben aufs Regal zu legen!«

Zu ihrem Erstaunen hörte er auf, sich hin und her zu wiegen, und stand auf. Gemeinsam gelang es ihnen, die schwere Matratze auf den obersten Regalboden zu wuchten. Vielleicht würde das Wasser ja nicht so hoch steigen, dann waren sie da oben in Sicherheit. Und mit jeder Stunde wuchs die Wahrscheinlichkeit, dass man sie finden würde. Das laufende Wasser musste doch irgendjemandem auffallen – den Nachbarn, dem Wasserwerk oder wem auch immer! Amelie kletterte auf das Regal, vorsichtig, damit es nicht noch umfiel. Als sie oben angelangt war, streckte sie die Hand nach Thies aus. Hoffentlich würde das alte, rostige Ding sie beide aushalten! Wenig später saß er neben ihr auf der Matratze. Das Wasser bedeckte mittlerweile den Boden des Kellerraumes und strömte mit unverminderter Geschwindigkeit unter der Türritze hindurch. Jetzt blieb ihnen nichts weiter übrig, als zu warten. Amelie verlagerte ihr Gewicht und streckte sich vorsichtig auf der Matratze aus.

»Na ja«, sagte sie mit einem Anflug von Galgenhumor. »Das hat man vom Wünschen! Ich wollte als Kind immer ein Hochbett haben. Jetzt hab ich's endlich.«

Beate Schneeberger führte Bodenstein und Pia ins Esszimmer und bot ihnen Platz an dem wuchtigen Esstisch an, direkt neben dem mächtigen Kachelofen, der eine behagliche Wärme ausstrahlte. Aus den vielen kleinen Zimmern des ehemaligen Bauernhauses war ein einziger großer Raum geworden, von den Zwischenwänden hatte man nur die Holzbalken stehen lassen. Das Ergebnis wirkte modern und war dennoch erstaunlich gemütlich.

»Bitte warten Sie, bis mein Mann da ist«, sagte Frau Schneeberger. »Ich mache uns einen Tee.«

Sie ging in die Küche, die auch zu allen Seiten offen war. Bodenstein und Pia wechselten einen Blick. Im Gegensatz zu den Wagners, die am Verschwinden ihrer Tochter zerbrochen waren, schien es dem Ehepaar Schneeberger gelungen zu sein, mit den Wunden weiterzuleben und ein neues Leben anzufangen. Die Zwillingsmädchen mussten danach zur Welt gekommen sein.

Keine fünf Minuten später betrat ein großer, hagerer, weißhaariger Mann in kariertem Hemd und blauer Arbeitshose das Esszimmer. Albert Schneeberger reichte erst Pia, dann Bodenstein die Hand, auch er war beherrscht und ernst. Sie warteten, bis Frau Schneeberger den Tee serviert hatte, dann teilte Bodenstein ihnen behutsam alle Details mit. Albert Schneeberger stand hinter dem Stuhl seiner Frau, seine Hände ruhten leicht auf ihren Schultern. Die Trauer der beiden war greifbar, aber auch die Erleichterung, endlich Gewissheit über das Schicksal ihres Kindes zu bekommen.

»Wissen Sie, wer es getan hat?«, fragte Beate Schneeberger.

»Nein, noch nicht mit Bestimmtheit«, entgegnete Bodenstein. »Wir wissen nur, dass es nicht Tobias Sartorius gewesen sein kann.«

»Dann ist er zu Unrecht verurteilt worden?«

»Ja. Es sieht ganz danach aus.«

Eine Weile schwiegen alle. Albert Schneeberger sah nachdenklich durch die großen Fensterscheiben zu seinen beiden Töchtern hinüber, die einträchtig das nächste Pferd putzten.

»Ich hätte mich niemals von Terlinden dazu überreden lassen dürfen, nach Altenhain zu ziehen«, sagte er plötzlich. »Wir hatten eine Wohnung in Frankfurt, suchten aber nach einem Haus auf dem Land, denn Stefanie drohte in der Stadt in zweifelhafte Gesellschaft zu geraten.«

»Woher kannten Sie Claudius Terlinden?«

»Eigentlich kannte ich Wilhelm, seinen älteren Bruder. Wir hatten zusammen studiert, wurden später Geschäftspartner. Nach seinem Tod lernte ich Claudius kennen. Meine Firma belieferte seine. Zwischen uns entwickelte sich etwas, das ich fälschlicherweise für Freundschaft hielt. Terlinden vermietete uns das Haus in seiner direkten Nachbarschaft, es gehörte ihm.« Albert Schneeberger stieß einen tiefen Seufzer aus und setzte sich neben seine Frau. »Ich wusste, dass er großes Interesse an meiner Firma hatte. Das Know-how und unsere Patente passten ideal in sein Konzept und waren wichtig für ihn. Er war damals gerade dabei, seine Firma in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln, um an die Börse zu gehen. Irgendwann machte er mir ein Angebot. Es gab einige Interessenten. Die Konkurrenz für Terlinden war seinerzeit groß.«

Er machte eine Pause, nippte an seinem Tee.

»Dann verschwand unsere Tochter.« Seine Stimme klang sachlich, doch es war nicht zu übersehen, wie schwer es ihm fiel, sich die schrecklichen Ereignisse in Erinnerung zu rufen. »Terlinden und seine Frau waren sehr mitfühlend und aufmerksam. Echte Freunde, wie wir anfangs glaubten. Ich war kaum noch in der Lage, mich um mein Geschäft zu kümmern. Wir suchten mit allen Mitteln nach Stefanie, engagierten uns in den verschiedenen Organisationen, im Radio, im Fernsehen. Als Terlinden mir ein neues Angebot machte, ging ich darauf ein. Die Firma war mir völlig egal, ich konnte nur an Stefanie denken; ich hatte ja immer noch Hoffnung, dass sie wieder auftauchen würde.«

Er räusperte sich, versuchte, die Fassung zu bewahren. Seine Frau legte ihre Hand auf seine, drückte sie leicht.

»Wir handelten aus, dass Terlinden an der Unternehmensstruktur nichts verändern und alle Mitarbeiter weiter beschäftigen würde«, fuhr Schneeberger nach einer Weile fort. »Aber genau das Gegenteil trat ein. Terlinden fand einen Schwachpunkt in den Verträgen. Er ging an die Börse, zerschlug meine Firma, verkaufte alles, was er nicht brauchte, und entließ 80 von 130 Mitarbeitern. Ich war nicht mehr in der Lage, mich zu wehren. Es war … entsetzlich. All diese Menschen, die ich so gut kannte, waren plötzlich arbeitslos. Das alles wäre mir nicht passiert, wenn ich zu dieser Zeit den Kopf frei gehabt hätte.«

Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

»Beate und ich beschlossen, Altenhain zu verlassen. Es war für uns unerträglich geworden, direkt neben diesem … diesem Menschen zu wohnen und seine Falschheit hautnah mitzuerleben. Wie er die Leute in seiner Firma und im Dorf unter Druck gesetzt und manipuliert hat, und das alles unter dem Deckmäntelchen der Großherzigkeit.«

»Glauben Sie, dass Terlinden Ihrer Tochter etwas angetan haben könnte, um an Ihre Firma zu kommen?«, fragte Pia.

»Da Sie Stefanies … Leiche auf seinem Grundstück gefunden haben, könnte es durchaus sein.« Schneebergers Stimme schwankte, er presste entschlossen die Lippen zusammen. »Ehrlich gesagt konnten meine Frau und ich uns nie wirklich vorstellen, dass Tobias unserer Tochter etwas angetan haben sollte. Aber dann waren da all die Indizien, die Aussagen. Wir wussten irgendwann selbst nicht mehr, was wir glauben sollten. Zuerst hatten wir Thies im Verdacht. Er folgte Stefanie ja immer wie ein Schatten …«

Er zuckte hilflos die Schultern.

»Ich weiß nicht, ob Terlinden so weit gegangen wäre«, sagte er dann. »Aber er nutzte unsere Situation aus, ohne mit der Wimper zu zucken. Der Mann ist ein übler Spekulant und Lügner, ohne jegliches Gewissen. Er geht buchstäblich über Leichen, um zu bekommen, was er will.«

Bodensteins Handy klingelte. Er hatte Pia das Steuer überlassen und nahm den Anruf an, ohne auf das Display zu blicken. Als er unerwartet Cosimas Stimme vernahm, zuckte er zusammen.

»Wir müssen reden«, sagte Cosima. »Vernünftig.«

»Ich habe jetzt keine Zeit«, entgegnete Bodenstein. »Wir sind mitten in einer Vernehmung. Ich melde mich später.«

Damit drückte er das Gespräch einfach weg, ohne ein Wort des Abschieds. Das hatte er noch nie getan.

Sie hatten das Tal verlassen, der freundliche Sonnenschein war wie abgeschnitten, und düsterer, grauer Nebel umgab sie wieder. Schweigend fuhren sie durch Glashütten.

»Was würdest du an meiner Stelle machen?«, fragte Bodenstein plötzlich. Pia zögerte. Sie erinnerte sich lebhaft an ihre Enttäuschung, als sie von Hennings Affäre mit Staatsanwältin Valerie Löblich erfahren hatte. Dabei hatten sie zu diesem Zeitpunkt schon seit mehr als einem Jahr getrennt gelebt. Aber Henning hatte es immer abgestritten, bis Pia ihn und die Löblich in flagranti erwischt hatte. Hätte ihre Ehe nicht sowieso in Scherben gelegen, wäre dies das Aus gewesen. An Bodensteins Stelle würde sie Cosima niemals wieder vertrauen können, schließlich hatte sie ihn wirklich übel belogen. Eine Affäre war auch etwas anderes als ein Seitensprung, der unter gewissen Umständen verzeihlich war.

»Du solltest mit ihr reden«, schlug sie ihrem Chef vor. »Immerhin habt ihr ein kleines Kind. Und fünfundzwanzig Jahre Ehe wirft man nicht so einfach weg.«

»Ein super Ratschlag«, erwiderte Bodenstein spöttisch. »Vielen Dank. Und was denkst du wirklich?«

»Willst du das echt wissen?«

»Klar. Sonst würde ich wohl kaum fragen.«

Pia holte tief Luft.

»Wenn etwas zerbrochen ist, ist es zerbrochen. Und auch wenn man es klebt, wird es nie wieder ganz sein«, sagte sie. »Das ist meine Meinung. Tut mir leid, wenn du etwas anderes erwartet hattest.«

»Habe ich nicht.« Zu ihrem Erstaunen lächelte Bodenstein sogar, wenn auch alles andere als glücklich. »Deine Ehrlichkeit schätze ich ganz besonders an dir.«

Sein Handy meldete sich wieder. Diesmal schaute er vorher aufs Display, um sich eine weitere Überraschung zu ersparen.

»Das ist Ostermann«, sagte er und ging dran. Er lauschte ein paar Sekunden, nickte. »Rufen Sie Frau Dr. Engel an. Sie soll dabei sein, wenn wir mit ihm reden.«

»Tobias?«

»Nein.« Bodenstein atmete tief durch. »Der Herr Kultusminister ist aus der Versenkung aufgetaucht und wartet samt Anwalt auf uns.«

Sie besprachen sich vor der Tür des Verhörraumes, in den Bodenstein Gregor Lauterbach und seinen Anwalt hatte bringen lassen. Er wollte keine freundliche, zwanglose Atmosphäre; Lauterbach musste klar sein, dass er keine Sonderbehandlung zu erwarten hatte.

»Wie wollen Sie vorgehen?«, erkundigte sich Kriminalrätin Dr. Engel.

»Ich setze ihn massiv unter Druck«, erwiderte Bodenstein. »Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Amelie ist jetzt seit einer Woche verschwunden, und wenn wir sie noch lebend wiederfinden wollen, können wir niemanden mehr mit Samthandschuhen anfassen.«

Nicola Engel nickte. Sie betraten den nüchternen Raum, in dem eine Wand von einer großen verspiegelten Glasscheibe eingenommen wurde. Am Tisch in der Mitte saßen Kultusminister Lauterbach und sein Rechtsbeistand, der Bodenstein und Pia bestens bekannt und, alles andere als sympathisch war. Dr. Anders verteidigte beinahe ausnahmslos Prominente, die in Mord und Totschlag verwickelt waren. Es störte ihn nicht, Prozesse zu verlieren, denn er war begierig darauf, seinen Namen in die Presse und seine Fälle möglichst vor den BGH zu bringen.

Gregor Lauterbach hatte den Ernst der Lage erkannt und gab sich auskunftsfreudig. Blass und sichtlich angeschlagen erzählte er mit leiser Stimme, was sich am 6. September 1997 abgespielt hatte. Er hatte sich an jenem Abend mit seiner Schülerin Stefanie Schneeberger in der Scheune des Sartorius-Hofes getroffen, um ihr klarzumachen, dass er nicht vorhabe, etwas mit einer Schülerin anzufangen. Dann sei er nach Hause gegangen.

»Am nächsten Tag habe ich erfahren, dass Stefanie und Laura Wagner spurlos verschwunden waren«, sagte Lauterbach. »Jemand rief bei uns an und erzählte, die Polizei würde Stefanies Freund, Tobias Sartorius, verdächtigen, die beiden Mädchen ermordet zu haben. Meine Frau hat in unserer Mülltonne einen blutigen Wagenheber gefunden. Ich habe ihr dann gesagt, dass ich mit Stefanie gesprochen habe, weil sie mich den ganzen Abend auf der Kerb bedrängt und angemacht hatte. Uns beiden war klar, dass Tobias den Wagenheber in unsere Mülltonne geworfen haben musste, nachdem er Stefanie aus Zorn erschlagen hatte. Daniela wollte verhindern, dass ich ins Gerede komme. Sie sagte mir, ich solle den Wagenheber irgendwo vergraben. Ich weiß auch nicht, warum ich das getan habe – es war wohl eine Kurzschlussreaktion –, aber ich habe den Wagenheber in die Jauchegrube von Sartorius geworfen.«

Bodenstein, Pia und Nicola Engel hörten schweigend zu. Auch Dr. Anders sagte nichts. Die Arme verschränkt und die Lippen geschürzt, starrte er wie unbeteiligt in die gegenüberliegende Spiegelscheibe.

»Ich … ich war überzeugt, Tobias hätte Stefanie erschlagen«, sprach Lauterbach weiter. »Er hatte uns zusammen gesehen, und dann hat sie auch noch mit ihm Schluss gemacht. Indem er den Wagenheber in unsere Mülltonne geworfen hatte, wollte er mich in Verdacht bringen. Aus Rache.«

Bodenstein blickte ihn scharf an. »Sie lügen.«

»Nein, das tue ich nicht.« Lauterbach schluckte nervös. Sein Blick glitt zu seinem Anwalt, aber der war noch immer in die Betrachtung seines Spiegelbildes versunken.

»Wir wissen mittlerweile, dass Tobias Sartorius mit dem Mord an Laura Wagner nichts zu tun hatte.« Bodenstein sprach aggressiver, als es sonst seine Art war. »Wir haben die mumifizierte Leiche von Stefanie gefunden. Und wir haben den Wagenheber aus unserer Asservatenkammer geholt und ins Labor bringen lassen. Man kann noch immer Fingerabdrücke feststellen. Darüber hinaus hat der Rechtsmediziner in der Vagina der Leiche Spuren einer fremden DNA gefunden. Sperma. Wenn sich herausstellen sollte, dass es sich dabei um Ihres handelt, dann sitzen Sie richtig tief in der Patsche, Herr Lauterbach.«

Gregor Lauterbach rutschte auf seinem Stuhl hin und her, fuhr sich mit der Zungenspitze nervös über die Lippen.

»Wie alt war Stefanie damals?«, fragte Bodenstein.

»Siebzehn.«

»Und wie alt waren Sie?«

»Siebenundzwanzig.« Lauterbach flüsterte fast. Seine blassen Wangen färbten sich blutrot, er senkte den Kopf.

»Haben Sie am 6. September 1997 mit Stefanie Schneeberger geschlafen oder nicht?«

Lauterbach war wie erstarrt.

»Sie bluffen doch«, kam ihm endlich sein Anwalt zur Hilfe. »Das Mädchen kann mit wer weiß wem geschlafen haben.«

»Welche Kleidung trugen Sie am Abend des 6. September 1997?« Bodenstein ließ sich nicht beirren, er wandte seinen Blick nicht von Lauterbach ab. Der sah ihn verwirrt an und zuckte die Schultern.

»Ich sage es Ihnen. Sie trugen eine Jeans, ein hellblaues Hemd, darunter ein grünes T-Shirt vom Kerbeverein und hellbraune Schuhe.«

»Was tut denn das nun zur Sache?«, wollte Lauterbachs Anwalt wissen.

»Hier.« Bodenstein schenkte ihm keine Beachtung. Er nahm die Ausdrucke von Thies' Bildern aus der Akte und legte sie Lauterbach hin, eines nach dem anderen. »Diese Bilder hat Thies Terlinden gemalt. Er war Augenzeuge der beiden Morde, und das hier war seine Art, sich mitzuteilen.«

Er tippte mit dem Zeigefinger auf eine der Gestalten.

»Wer kann das sein?«, fragte er. Lauterbach starrte auf die Bilder und zuckte die Achseln.

»Das sind Sie, Herr Lauterbach. Sie haben sich mit Stefanie Schneeberger vor der Scheune geküsst, dann haben Sie mit ihr geschlafen.«

»Nein«, murmelte Gregor Lauterbach, schneeweiß im Gesicht. »Nein, nein, das stimmt nicht, das müssen Sie mir glauben!«

»Sie waren ihr Lehrer«, fuhr Bodenstein ungerührt fort. »Stefanie stand in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Ihnen. Was Sie getan haben, ist strafbar. Das wurde Ihnen plötzlich bewusst. Sie mussten befürchten, dass Stefanie es ausplaudern könnte. Ein Lehrer, der mit seiner minderjährigen Schülerin schläft, ist erledigt.«

Gregor Lauterbach schüttelte den Kopf.

»Sie haben Stefanie erschlagen, den Wagenheber in die Jauchegrube geworfen und sind nach Hause gegangen. Dort haben Sie Ihrer Frau alles gebeichtet, und die hat Ihnen geraten, den Mund zu halten. Ihre Rechnung ging auf, wenn auch nicht ganz. Die Polizei hielt tatsächlich Tobias für den Mörder, er wurde verhaftet und verurteilt. Es gab nur ein kleines Problem: Stefanies Leiche war verschwunden. Jemand musste Sie und Stefanie beobachtet haben.«

Noch immer schüttelte Lauterbach unablässig den Kopf.

»Als Mitwisser hatten Sie Thies Terlinden in Verdacht. Damit er den Mund hält, hat Ihre Frau – als Thies' Ärztin – den jungen Mann regelrecht unter Drogen gesetzt und massiv eingeschüchtert. Das klappte gut. Elf Jahre lang. Bis Tobias Sartorius aus dem Gefängnis entlassen wurde. Sie erfuhren von Ihrem Bekannten Andreas Hasse, einem Mitarbeiter des K 11, dass wir uns für die alten Fälle interessieren, ja dass wir uns sogar die Akten haben kommen lassen. Und da haben Sie Hasse angestiftet, die entsprechenden Verhörprotokolle aus den Akten zu entfernen.«

»Das stimmt nicht«, flüsterte Lauterbach heiser. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn.

»Doch«, sagte nun Pia. »Hasse hat bereits gestanden und wurde deswegen vom Dienst suspendiert. Hätten Sie das übrigens nicht gemacht, säßen Sie jetzt nicht hier.«

»Was soll das alles?«, mischte sich nun Dr. Anders ein. »Selbst wenn mein Mandant damals mit seiner Schülerin geschlafen hätte, wäre der Tatbestand des Missbrauchs längst verjährt.«

»Aber der Mord nicht.«

»Ich habe Stefanie nicht ermordet!«

»Warum haben Sie Herrn Hasse dann dazu überredet, die Verhörprotokolle zu vernichten?«

»Weil… weil ich … ich … ich dachte, es wäre besser, wenn ich meinen Namen aus allem heraushalte«, gab Lauterbach zu. Er schwitzte so stark, dass ihm der Schweiß über die Wangen lief. »Kann ich etwas zu trinken haben?«

Nicola Engel stand wortlos auf, verließ den Raum und kehrte wenig später mit einer Flasche Wasser und einem Glas zurück. Beides stellte sie vor Lauterbach auf den Tisch und setzte sich wieder. Lauterbach schraubte die Flasche auf, goss sich ein Glas Wasser ein und trank es aus, ohne einmal abzusetzen.

»Wo ist Amelie Fröhlich?«, fragte Pia. »Und wo ist Thies Terlinden?«

»Woher soll ich das wissen?«, fragte Lauterbach zurück.

»Sie wussten, dass Thies damals alles beobachtet hat«, erwiderte Pia. »Außerdem haben Sie erfahren, dass sich Amelie für die Ereignisse von 1997 interessiert. Die beiden stellten eine echte Bedrohung für Sie dar. Da liegt der Gedanke nicht so fern, dass Sie etwas mit ihrem Verschwinden zu tun haben. Sie und Terlinden waren zu der Zeit, als Amelie verschwand, genau dort, wo sie zum letzten Mal gesehen wurde.«

Gregor Lauterbach sah im grellen Licht der Neonröhren aus wie ein Zombie. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, er rieb nervös die Handflächen an seinen Oberschenkeln, bis sein Anwalt ihm die Hand auf den Arm legte.

»Herr Lauterbach.« Bodenstein stand auf, stemmte seine Hände auf die Tischfläche und beugte sich vor. Sein drohender Tonfall zeigte Wirkung. »Wir werden Ihre DNA mit der vergleichen, die in der Vagina von Stefanie Schneeberger gefunden wurde. Wenn sie übereinstimmt, werden Sie sich wegen Missbrauchs einer minderjährigen Schülerin verantworten müssen, ganz gleich, was Ihr Anwalt hier von Verjährung erzählt. Sie werden aufgrund dieser Vorwürfe ganz sicher die längste Zeit Kultusminister gewesen sein. Ich werde alles daransetzen, Sie vor Gericht zu bekommen, das verspreche ich Ihnen hier und jetzt. Was die Presse mit Ihnen macht, wenn herauskommt, dass wegen Ihres Schweigens ein junger Mann, noch dazu ein ehemaliger Schüler von Ihnen, zehn Jahre unschuldig im Gefängnis sitzen musste, das muss ich Ihnen wohl nicht erzählen!«

Er verstummte, ließ seine Worte wirken. Gregor Lauterbach zitterte am ganzen Körper. Was ängstigte ihn mehr – die zu erwartende Strafe oder eine mögliche öffentliche Hinrichtung durch die Presse?

»Sie bekommen von mir heute Abend noch eine Chance«, sagte Bodenstein nun mit ruhiger Stimme. »Ich werde unter Umständen von einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft absehen, wenn Sie uns helfen, Amelie und Thies zu finden. Denken Sie darüber nach und besprechen Sie sich mit Ihrem Anwalt. Wir machen jetzt eine Pause. Zehn Minuten lang.«

»Dieses Schwein«, sagte Pia und beobachtete Lauterbach grimmig durch die Glasscheibe. »Er war's. Er hat Stefanie umgebracht. Und jetzt hat er sich auch Amelie gekrallt, da bin ich mir ganz sicher.«

Sie konnten nicht hören, was Lauterbach mit seinem Anwalt besprach, denn Dr. Anders hatte darauf bestanden, das Mikrophon auszuschalten.

»Gemeinsam mit Terlinden.« Bodenstein furchte nachdenklich die Stirn und nippte an einem Becher Wasser. »Aber wie ist er darauf gekommen, dass Amelie etwas wissen konnte?«

»Keine Ahnung.« Pia zuckte die Schultern. »Vielleicht hat Amelie Terlinden etwas von den Bildern erzählt? Aber nein, das glaube ich nicht.«

»Ich auch nicht. Da fehlt noch ein Stück. Irgendetwas muss geschehen sein, was Lauterbach Angst gemacht hat.«

»Hasse?«, schlug Nicola Engel aus dem Hintergrund vor.

»Nein, der wusste nichts von diesen Bildern«, widersprach Pia. »Wir haben sie ja erst gefunden, als er nicht mehr dabei war.«

»Hm. Dann fehlt uns tatsächlich eine Verbindung.«

»Moment mal«, sagte Bodenstein. »Was ist denn mit Nadja von Bredow? Sie war dabei, als die Jungen Laura vergewaltigt haben. Und sie ist auch auf einem der Bilder mit Stefanie und Lauterbach im Hintergrund zu sehen.«

Nicola Engel und Pia blickten ihn fragend an.

»Was, wenn sie die ganze Zeit über im Hof war? Sie ist nicht mit den Jungs weggefahren, um Laura zu verstecken. Und Nadja wusste über die Bilder Bescheid. Tobias hat es ihr selbst erzählt!«

Dr. Engel und Pia verstanden gleichzeitig, worauf Bodenstein hinauswollte. Hatte Nadja von Bredow Lauterbach mit ihrem Wissen erpresst und ihn so zum Handeln gezwungen?

»Gehen wir wieder rein.« Bodenstein warf den Becher in den Mülleimer. »Damit kriegen wir ihn.«

Das Wasser stieg. Zentimeter um Zentimeter. Im letzten Licht des Tages hatte Amelie gesehen, dass es bis zur dritten Stufe stand. Ihr Versuch, das Wasser mit einer dicken Wolldecke am Eindringen zu hindern, war nur so lange von Erfolg gekrönt gewesen, bis der Wasserdruck die Decke weggespült hatte. Nun war es stockdunkel, aber sie hörte das unverminderte Rauschen in den Leitungen. Vergeblich versuchte sie auszurechnen, wann das Wasser das oberste Brett des Regals erreicht haben würde. Thies lag dicht neben ihr, sie konnte spüren, wie sich seine Brust hob und senkte. Hin und wieder hustete er keuchend. Seine Haut war fiebrig heiß, die kalte Feuchtigkeit in diesem Loch würde ihm den Rest geben. Amelie erinnerte sich daran, dass er neulich schon krank ausgesehen hatte. Wie würde er das alles hier überstehen? Thies war so sensibel! Ein paarmal hatte sie versucht, mit ihm zu reden, aber er hatte ihr keine Antwort gegeben.

»Thies«, flüsterte sie. Es fiel ihr schwer, denn ihre Zähne klapperten so stark, dass sie kaum den Mund öffnen konnte. »Thies, sag doch was!«

Nichts. Und da verließ sie endgültig der Mut. Ihre eiserne Selbstbeherrschung, die sie in den letzten Tagen und Nächten davor bewahrt hatte, in der Dunkelheit durchzudrehen, war dahin. Sie brach in Tränen aus. Es gab keine Hoffnung mehr. Sie würde hier drin sterben, jämmerlich ertrinken! Schneewittchen war auch nie gefunden worden. Weshalb sollte sie mehr Glück haben? Die Angst überwältigte sie. Plötzlich zuckte sie zusammen. Sie spürte eine Berührung an ihrem Rücken. Thies legte einen Arm um sie, schlang sein Bein um ihres und zog sie dicht an sich. Die Hitze, die sein Körper ausstrahlte, wärmte sie.

»Nicht weinen, Amelie«, flüsterte er an ihrem Ohr. »Nicht weinen. Ich bin doch da.«

» Wie haben Sie von der Existenz dieser Bilder erfahren?«

Bodenstein hielt sich nicht mit einer langen Vorrede auf. Mit sicherem Blick vermochte er den Zustand von Gregor Lauterbach einzuschätzen. Der Herr Minister war kein sonderlich starker Mann, und der Druck machte ihm zu schaffen. Nach den zermürbenden Ereignissen der letzten Tage würde er nicht mehr lange standhalten.

»Ich habe anonyme Briefe und E-Mails bekommen«, erwiderte Lauterbach und brachte seinen Anwalt mit einer kraftlosen Handbewegung zum Verstummen, als dieser Protest einlegen wollte. »Ich hatte an dem Abend in der Scheune meinen Schlüsselbund verloren, und bei einem der Briefe war ein Foto des Schlüsselbundes dabei. Da wurde mir klar, dass jemand Stefanie und mich beobachtet hatte.«

»Wobei beobachtet?«

»Sie wissen es doch.« Lauterbach blickte auf, und Bodenstein las in seinen Augen nichts als Selbstmitleid. »Stefanie hat mich provoziert, schon die ganze Zeit. Ich … ich wollte nicht mit ihr … schlafen, aber sie hat mich so massiv bedrängt, bis ich … einfach nicht mehr anders konnte.«

Bodenstein wartete stumm, bis Lauterbach mit weinerlicher Stimme weitersprach.

»Als ich … als ich gemerkt habe, dass ich meinen Schlüsselbund verloren hatte, wollte ich ihn suchen. Meine Frau hätte mir den Kopf abgerissen, an dem Bund hingen auch die Schlüssel von ihrer Praxis!«

Er blickte auf, Verständnis heischend. Bodenstein musste sich anstrengen, um seine aufsteigende Verachtung hinter einer ausdruckslosen Miene zu verbergen.

»Stefanie sagte, ich solle lieber verschwinden. Sie würde den Schlüsselbund suchen und ihn mir später bringen.«

»Und das taten Sie dann auch?«

»Ja. Ich bin nach Hause gegangen.«

Bodenstein ließ es für den Moment dabei bewenden.

»Sie bekamen also Briefe und E-Mails«, sagte er. »Was stand da drin?«

»Dass Thies alles wüsste. Und dass die Polizei nichts erfahren würde, wenn ich weiterhin den Mund hielte.«

»Worüber sollten Sie denn den Mund halten?«

Lauterbach hob die Schultern und schüttelte den Kopf.

»Wer, denken Sie, hat Ihnen diese Briefe geschrieben?«

Wieder ein ratloses Schulterzucken.

»Sie müssen doch irgendeinen Verdacht haben! Herr Lauterbach!« Bodenstein beugte sich wieder vor. »Schweigen ist jetzt wirklich die schlechteste aller Lösungen!«

»Ich habe aber keine Ahnung!«, erwiderte Lauterbach in hilfloser Verzweiflung, die augenscheinlich nicht gespielt war. Auf sich allein gestellt und in die Enge getrieben, zeigte er sein wahres Wesen: Gregor Lauterbach war ein schwacher Mensch, der außerhalb des Windschattens seiner Frau zu einem rückgratlosen Männlein schrumpfte. »Ich weiß überhaupt nichts mehr! Meine Frau hat mir erzählt, dass es Bilder geben soll, aber Thies kann ja kaum die E-Mails und Briefe geschrieben haben.«

»Wann hat Sie Ihnen davon erzählt?«

»Irgendwann.« Lauterbach stützte die Stirn in die Hände, schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht mehr genau.«

»Versuchen Sie, sich zu erinnern«, drängte Bodenstein. »War es bevor oder nachdem Amelie verschwunden ist? Und woher wusste Ihre Frau davon? Wer kann es ihr erzählt haben?«

»Mein Gott, ich weiß es nicht!«, jammerte Lauterbach. »Ich weiß es wirklich nicht!«

»Denken Sie nach!« Bodenstein lehnte sich wieder zurück. »Sie waren an dem Samstagabend, an dem Amelie verschwand, gemeinsam mit Ihrer Frau und dem Ehepaar Terlinden im Ebony Club in Frankfurt essen. Ihre Frau und Christine Terlinden fuhren gegen halb zehn nach Hause, Sie fuhren mit Claudius Terlinden zurück. Was haben Sie gemacht, nachdem Sie den Ebony Club verlassen hatten?«

Gregor Lauterbach dachte angestrengt nach und schien zu begreifen, dass die Polizei eine ganze Menge mehr wusste, als er angenommen hatte.

»Ja, ich glaube, meine Frau hat mir auf der Fahrt nach Frankfurt erzählt, dass Thies dem Nachbarsmädchen irgendwelche Bilder gegeben hätte, auf denen ich angeblich abgebildet sei«, gab er widerwillig zu. »Sie hatte es am Nachmittag erfahren, von einer anonymen Anruferin. Wir hatten dann keine Gelegenheit mehr, darüber zu sprechen. Daniela und Christine fuhren um halb zehn weg. Ich fragte Andreas Jagielski nach Amelie Fröhlich, ich wusste ja, dass sie im Schwarzen Ross bedient. Jagielski rief bei seiner Frau an, und die bestätigte, dass Amelie bei der Arbeit sei. Claudius und ich sind also nach Altenhain gefahren und haben auf dem Parkplatz vor dem Schwarzen Ross auf das Mädchen gewartet. Sie kam aber nicht.«

»Was wollten Sie denn von Amelie wissen?«

»Ob sie diese anonymen E-Mails und Briefe an mich geschrieben hat.«

»Und? Hat sie?«

»Ich konnte sie ja nicht fragen. Wir warteten im Auto, es war ungefähr elf oder halb zwölf. Da tauchte Nathalie auf. Ich meine, Nadja. Nadja von Bredow nennt sie sich ja jetzt.«

Bodenstein blickte kurz auf und begegnete Pias Blick.

»Sie lief auf dem Parkplatz herum«, fuhr Lauterbach fort, »guckte ins Gebüsch und ging schließlich hinüber zur Bushaltestelle. Da erst fiel uns auf, dass dort ein Mann saß. Nadja versuchte, den Mann zu wecken, aber vergeblich. Schließlich fuhr sie weg. Claudius rief vom Handy aus im Schwarzen Ross an und fragte nach Amelie, aber Frau Jagielski sagte ihm, sie sei schon lange weg. Daraufhin sind Claudius und ich in sein Büro gefahren. Er hatte die Befürchtung, dass die Polizei in Kürze herumschnüffeln würde. Eine Hausdurchsuchung konnte er nicht gebrauchen, deshalb wollte er ein paar brisante Unterlagen woanders hinbringen.«

»Welche Unterlagen?«, fragte Bodenstein.

Gregor Lauterbach sträubte sich ein wenig, aber nicht lange. Claudius Terlinden hatte sich seine Machtposition über Jahre hinweg mit Bestechung im großen Stil gesichert. Er sei zwar immer wohlhabend gewesen, aber richtig zu Geld sei er erst Ende der neunziger Jahre gekommen, als er mit seiner Firma expandiert hatte und an die Börse gegangen war. Dadurch hatte er großen Einfluss in Wirtschaft und Politik bekommen. Die besten Geschäfte habe er dann mit Ländern gemacht, gegen die offiziell ein Wirtschaftsembargo verhängt worden war, beispielsweise mit Iran und Nordkorea.

»Diese Unterlagen wollte er an dem Abend verschwinden lassen«, schloss Lauterbach. Nun, da es nicht mehr direkt um ihn ging, gewann er wieder an Selbstsicherheit. »Da er sie aber nicht vernichten wollte, haben wir sie in meine Wohnung nach Idstein gebracht.«

»Aha.«

»Ich habe mit dem Verschwinden von Amelie oder Thies nichts zu tun«, beteuerte Gregor Lauterbach. »Und ich habe auch niemanden ermordet.«

»Das wird sich zeigen.« Bodenstein schob die Bilder zusammen und legte sie zurück in die Akte. »Sie dürfen nach Hause fahren. Aber Sie stehen unter polizeilicher Beobachtung, und wir werden Ihr Telefon überwachen. Außerdem bitte ich Sie, sich zur Verfügung zu halten. Geben Sie mir auf alle Fälle Bescheid, bevor Sie Ihr Haus verlassen.«

Lauterbach nickte demütig. »Könnten Sie meinen Namen nicht wenigstens vorerst aus der Presse heraushalten?«, bat er.

»Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht versprechen.« Bodenstein streckte die Hand aus. »Den Schlüssel für Ihre Wohnung in Idstein bitte.«