ANGST VOR GEWITTER
(Fulguraphobie)
Die Angst vor Gewittern zieht sich durch die Menschheitsgeschichte. Die lange Zeit unerklärbaren Naturgewalten, die Spannung, der Luftdruck, die Geräuschkulisse – all dies vermag jedes Lebewesen zu erschrecken.
Der Regen findet dabei in aller Regel keine besondere Beachtung. Auch der Donner hat oft schon etwas Versöhnliches, Abwiegelndes: Das Schlimmste ist vorbei. Der Schockauslöser schlechthin aber ist der Blitz. Er kommt unangekündigt, reißt den Himmel auf und macht die Nacht taghell. Er ist daher bei Einbrechern besonders unbeliebt (siehe: Angst vor Dunkelheit).
Er transportiert zudem elektrische Spannung. Bereits vor der Erfindung der Glühbirne war der Menschheit bekannt, dass man vom Blitzschlag sterben kann. Statistisch kommt dies selten vor, aber wenn, möchte man nicht dabei sein. Die Treffgenauigkeit eines Blitzes entspricht in etwa der des VfL Osnabrück. Aber für beide gilt: Wenn, dann richtig.
Gewitter entstehen durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Temperaturen, die sich, vereinfacht formuliert, qua Entladung aneinander anpassen. Insofern entspricht die Position des Menschen in einem solchen Sturm der des Kindes, das seinen Eltern beim Streiten zusieht: Es weiß nicht genau, worum es geht und wer angefangen hat. Aber es kann sich sicher sein: Das Risiko ist extrem hoch, als Ableiter benutzt zu werden. Dann setzt es, wie man es im letzten Jahrtausend so treffend formulierte, »ein Donnerwetter«.
Unsere Angst vor Gewitter hat uns aber nicht davon abgehalten, das Phänomen Blitz als Inspiration für fotografische Effekte zu nutzen. Dort erzeugen wir ihn selbst. Und in aller Regel donnerfrei. Dies führt beim Könner im Studio durchaus zu ansehnlichen Portraits. Beim Amateur in freier Natur allerdings wird dann meistens der Vordergrund weiß, der Hintergrund aber ist trotzdem nicht zu sehen. Gerne genommen wird auch der »Rote-Augen-Effekt«, den man im Anschluss aufwändig wieder rückgängig machen muss, damit die Liebsten auf dem Bild nicht aussehen, als kämen sie gerade von einem mehrtägigen Aufenthalt in einem überchlorten Schwimmbad zurück. Oder von einem Massenbegräbnis. Oder noch schlimmer: aus Brandenburg (siehe: Angst vor Hunden).
Viele Menschen fürchten aber auch diese zivilisatorische Form des Blitzes. In manchen Kulturen glaubt man, er stehle die Seele. Bei uns wollen manche einfach nur nicht abgelichtet werden. Weil sie sich für unattraktiv halten oder nicht möchten, dass ihr nächtlicher Aufenthalt an dieser Hotelbar in dieser Begleitung dokumentiert wird. Oder, weil sie einfach zu schnell fuhren.
Die Radarmessung ist wohl die unbeliebteste Erscheinungsform des Blitzes. Obwohl sie selten Todesfälle nach sich zieht. Aber selbst das kommt vor: Unvergessen die zahllosen kreuzgefährlichen Vollbremsungen auf deutschen Autobahnen, nachdem die nationalen Qualitätsunternehmen Daimler und Telekom mit ihrer Tochterfirma Toll Collect die neuen Mautanlagen installiert hatten. Viele PKW-Fahrer hielten diese für Radarfallen und stiegen bei ihrem Anblick abrupt in die Eisen. Denn noch mehr als vor dem Kommunismus oder vor Unordnung fürchtet der Deutsche sich vor Punkten in Flensburg oder dem Führerscheinentzug (siehe: Angst um den Vergaser).
Um Angst vor Gewitter empfinden zu können, ist lediglich eine gewisse Schreckhaftigkeit bzw. Grundnervosität vonnöten. Wir empfehlen, auf feste Nahrung weitestgehend zu verzichten und viel Kaffee zu trinken. Dies wird sich positiv auswirken, zumal Gewitter meist in den Abendstunden auftreten, wenn die Koffeinkonzentration im Körper am höchsten sein dürfte.