ANGST VOR HÜHNERN
(Alektorophobie)
Die Intensität der Furcht ist unter anderem bestimmt vom Grad der Bedrohung. Manchmal ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass man in Gefahr ist. Z.B. als einziger Mann im Zuschauerraum bei einem Auftritt der »Chippendales«. Manchmal muss das Risiko als eher klein gelten, aber die Vorstellung dessen, was passieren könnte, ist einfach zu grausam. Wie z.B. als einziger Mann auf dem Mond.
Insofern gibt es Ängste, die alle verstehen: Entweder, weil sie oft auftreten. Oder weil alle sie teilen. Alektorophobie ist ein Beispiel für die viel zu seltenen Fälle, in denen beides zusammenkommt. Jeder hat schon einmal in die wirren, wüsten, wilden Augen eines Huhns schauen und seine abgrundtiefe Verachtung uns Menschen gegenüber spüren müssen. Immer und überall werden wir schließlich von diesen Fasanesken bedroht. Zum anderen waren die Konsequenzen ihrer Attacken für die Betreffenden stets schier unerträglich brutal. Wer hat noch nicht gehört von den grausamen Entstellungen, die Hühner in Thailand unschuldigen Touristen beigebracht haben? Oder den zahlreichen Vertreibungen in Afrika, die militanten Gockelorganisationen zugeschrieben werden? Von den schleichenden Giftattacken durch Hühner im Rahmen unsere Ernährung ganz zu schweigen. Die Geflügel-Taliban tarnen sich teilweise als »Nuggets«, um als solche unser Immunsystem zu schwächen. Wer sich so ernährt, hat bald keine Fluchtchance mehr und kommt nicht vom fettigen Fleck. Zumal er ohnehin geschwächt ist durch den permanenten Schlafmangel, den das frühmorgendliche Geschrei dieser mörderischen Rasse hervorruft.
Hühner sind bekannt und gefürchtet – zu Recht, denn sie sind falsch und hinterlistig. Gerade zum Fest der Auferstehung Christi, am Ende der Fastenzeit, nutzen sie unsere kindliche Freude über die Erlösung aus und schieben uns in dieser emotionalen Ausnahmesituation dioxin- oder cholesterinverseuchte Eier unter, deren nicht gänzlich hartgekochtes Gelb uns dem Herztod einen großen Schritt näherbringt. Und damit unserer eigenen Auferstehung, wie sich diese zynischen Federviecher abends am Tresen gegenseitig zugackern mögen.
Ihr als schrill zu bezeichnender Kamm legt es schon nahe: Insbesondere Hähne sind aggressiv, schnell und rücksichtslos. Und stehen auf Menschenfleisch. Bei der Jagd nehmen sie auf sich und ihresgleichen keine Rücksicht. Wenn es mehrerer von ihnen bedarf, um beispielsweise einen starken Mann zu bezwingen, so opfern sie sich. Getrieben werden sie dabei von einem ungeheuren Tötungsinstinkt. In einzelnen Fällen, insbesondere in den amerikanischen Südstaaten, kam es schon zu Ritualmorden an harmlosen Bluegrass-Sängern, deren Leiber von Hühnern grausam entstellt waren: Der kleine Zeh war jeweils abgeknickt.
Konsequenterweise sperren wir diese Tier-Terroristen ein. Aber erst, wenn alle Hühner hinter Gittern sind, kann sich die Menschheit wirklich sicher fühlen. Selbst dann jedoch wird die Angst wohl bleiben, werden viele von uns nachts schweißgebadet aufwachen, weil sie den markerschütternden Schrei des Hahns zu hören meinen. Dreimal ertönt er und erinnert so an den Verrat im Garten Gethsemane, als der Hahn ursächlich beteiligt war an der Hinrichtung des Gottessohnes. Er beginnt tief und drohend, schwillt dann an, schraubt sich in die Höhe und saust letztlich herab wie eine Guillotine.