ANGST VOR COMPUTERN

(Logiozomechanophobie)

Obwohl sie mittlerweile seit Jahrzehnten unser Leben prägen, haben viele von uns Nutzern (früher: Menschen) nach wie vor Angst vor Computern. Das ist nicht nur eine Frage des Alters: Auch viele Teenager sorgen sich um ihr Erbe, weil die Geburtstagsparty qua sozialem Netzwerk plötzlich zum Massenevent wurde und Hunderte wildfremde Jugendliche das Eigenheim der Eltern in eine Müllhalde verwandelten.

Grund für die Computer-Angst ist meistens Unwissenheit. Viele mechanisch-technische Vorgänge in unserer Umwelt können wir zumindest grob erklären: Heizung, Strom, Rolltreppe. Bei Computern allerdings hört der Spaß auf: Deren Programmierung zu verstehen, überfordert denn doch das Hirn der meisten Menschen. Angeblich geht es zwar nur um Eins oder Null. Praktisch allerdings sieht so ein Quellcode genauso aus, wie der Name klingt: sprudelnde Zahlen und Buchstaben, die irgendeinen Scheiß ausdrücken sollen. Um daraus auch nur den Hauch einer Botschaft zu ermitteln, bräuchte man eine Decodierungsmaschine wie die berühmte Enigma. Und womöglich wäre die Information dann trotzdem falsch; beispielsweise läsen wir, dass die Amerikaner keineswegs eine Invasion planen oder dergleichen. Weil wir die Funktionsweise eines Computers überhaupt nicht verstehen, spekulieren wir: was der Rechner denn jetzt wieder macht, warum er sich aufhängt, ob er denn immer übertreiben muss etc. pp. Und natürlich – was mit den Informationen geschieht, über die er verfügt.

Gerne stellen wir uns aufgrund unseres mangelnden Verständnisses einen Computer als Persönlichkeit vor, mit entsprechendem Eigenleben. Dieses Wesen spricht allerdings nicht mit uns, bleibt unberechenbar und fordernd und wird uns bei Fehlverhalten furchtbar strafen (siehe: Angst vor Gott). Männer empfinden interessanterweise ihren Rechner dabei meist als weiblich und belegen ihn mit den Attributen zickig und unlogisch, sie fühlen sich von ihm grundlos aufgehalten. Frauen bezeichnen Computer meist als männlich, als stur und unzugänglich, bar jeder Empathie. Beide haben recht, denn der Computer ist nachgewiesenermaßen bisexuell. Da darf sich jeder seinen persönlichen Albtraum zusammenstellen – das nennt man Open Source.

Mittlerweile ist es für die meisten unvorstellbar geworden, ohne Computer zu leben. (Aber insgeheim beneiden wir die Rentnergeneration, die noch ohne durchgekommen ist.) Etliche allgemein relevante Informationen sind außerhalb des Internets gar nicht mehr zugänglich, viele Tätigkeiten können analog gar nicht mehr ausgeübt werden. Eine solche Abhängigkeit ist stets ein hervorragender Nährboden für Befürchtungen jeder Art. Wir kennen die Angst, vom Rechner überfordert und deswegen nicht arbeitsfähig zu sein; oder durch Datenmissbrauch manipulierbar zu werden bzw. den Schutz der Privatsphäre zu verlieren. Und die Angst, generell von der Außenwelt abgeschnitten zu werden – entweder, weil man sich nicht informieren oder aber nicht kommunizieren kann. Ebenfalls weit verbreitet ist die Sorge, dass die bereits seit dem Kindergarten mit den modernen Medien vertrauten Kinder mit der elterlichen Kreditkarte ein Flugzeug ersteigern. Und zwar bei einem russischen Ölmagnaten, der in der Presse als extrem humorlos beschrieben wird und seine Millionen auf bestenfalls halblegale Weise erworben hat. Außerdem kennen wir noch die Angst, in den sommerlichen Mittagsstunden während der Arbeit mit der Stirn auf die Tastatur zu prallen. Und die Angst, viel Geld zu investieren für ein mobiles Endgerät, aber dann doch auf dem Busbahnhof Gießen-Lützellinden zu stehen und keinen Empfang zu haben. Alles umsonst: Das ist die Angst verheißende Botschaft des Computers.

Logiozomechanophobie wird uns leicht gemacht, da Computer zumeist tatsächlich unintuitiv aufgebaut und schwer zu bedienen sind; die Software ist oftmals lückenhaft konstruiert. Dreisterweise wird es aber zur Philosophie erklärt, die Kunden die Fehler finden und womöglich gar beseitigen zu lassen – »Bananensoftware« heißt das dann: »Reift beim Anwender«. Gleichzeitig wird uns aber suggeriert, wir selbst seien inkompetent. Im Bereich der Computertechnologie ist extremes Posing angesagt, gerade begrifflich. Ausdrücke wie z.B. »Prozessor«, »Laufwerk« oder »Druckertreiber« vermitteln ein Gefühl von Arbeitslager. Wenn man einen Drucker kauft, darf man eben nicht erwarten, dass der druckt. Er braucht noch jemanden, der ihn treibt. Vorstellungen wie diese setzen den Logiozomechanophobiker noch zusätzlich unter Strom.

Viele Probleme mit Computern sind ausschließlich sprachlicher Art. Wer beispielsweise christlich erzogen wurde, hat bezüglich technischer Innovation natürlich ein gewisses Handicap. In unserer evangelischen Familie jedenfalls war klar, dass es nur ein PowerBook gibt, das hält, was es verspricht: die Bibel. Und zu Weihnachten wurde immer dasselbe Album von James Last aufgelegt, nämlich »Christmas Dancing«. Das war unsere Festplatte!

Der Generation, die heute mit Computern arbeitet (und deren Kinder bereits mit einer USB-Schnittstelle zur Welt kommen) wurde damals, in den Siebzigern, so gut wie kein Knowhow vermittelt. Im Gegenteil: Computer war Geheimfach. Die Dinger hießen zu der Zeit noch »Rechner« und waren auch welche. Sie waren riesengroß, konnten nur die Grundrechenarten und brauchten in der Schule einen eigenen Raum. Der war nur für die Physik-Lehrer zugänglich – und für die Mitglieder ihres Leistungskurses, die Hänger der Jahrgangsstufe. Die hatten ungewaschene Haare und Glubsch-Brillen und trugen seltsame Sweat-Shirts. Dieser Begriff passte: Sie rochen, ohne Sport zu treiben.

In den Achtzigern dann machten aber plötzlich immer mehr Leute in Computer. Nicht im gegenständlichen Sinne natürlich. Aber »Informatik« wurde ein Allerweltsstudium. Wirtschaft, Verwaltung, alle suchten händeringend Computerfachleute. Bis zuletzt auch alle vom Arbeitsamt nicht vermittelbaren Physiker umgeschult wurden auf »Systemanalytiker«. Und damit kam die große Zeit der Schwitzhemdträger. Denn jetzt wurden sie gebraucht. Und ihre Rache war furchtbar.

Die Spezialität sogenannter ITler besteht bis heute einfach darin, andere zu erschrecken. Mit z.B. klassischen Windows-Formulierungen wie: »Unbekannter Ausnahmefehler«. Genau genommen eine unverschämte Formulierung: Gerät, Hersteller und Programmierer tun so, als wüssten sie von nichts. Dass ihnen der Fehler nicht bekannt ist, ist keineswegs Zeichen eigener Inkompetenz, sondern seiner absoluten Ausnahmestellung. Und Grund für sein Auftreten ist die abnorme Verhaltensweise des Anwenders. Man bekommt immer das Gefühl vermittelt, man sei selbst schuld. Als sogenannter unbekannter Ausnahme-Anwender. Als User-Loser. Als DAU (Dümmster Anzunehmender User). Mit dem Ergebnis, dass viele Menschen Angst haben, überhaupt noch professionellen Support in Anspruch zu nehmen.

Ein Informatiker aus dem Bekanntenkreis wird Ihnen allerdings ebenfalls ein schlechtes Gewissen machen, weil Sie ihn in seiner Freizeit mit solchen Bagatellen behelligen und auch noch erwarten, dass er umsonst tut, was Sie mit ein wenig mehr Mühe selbst hätten erledigen können. Nach drei Stunden völlig unverständlicher Maßnahmen seinerseits und dem Verzehr von drei Flaschen Cola wird er kopfschüttelnd und unverrichteter Dinge wieder abziehen und den Kontakt zu Ihnen abbrechen. Das Gerät wird nach seiner Behandlung allerdings noch heterogener reagieren als zuvor.

Besonders beliebt ist auch das Phänomen, dass ein gebrauchter Computer jahrelang fehlerfrei funktioniert hat. Erst nachdem Sie ihn erworben haben, stellt er den Dienst ein. Eine herrliche Frustration: Das muss man einfach persönlich nehmen. Ihre Ängste werden sich dadurch noch steigern und ergänzt werden durch das wunderbare Gefühl, nicht mehr zukunftsfähig zu sein und demnächst aussortiert zu werden. Hier tun sich neue Möglichkeiten auf: Arbeitslosigkeit – Depression – einsamer Tod.

Die 33 tollsten Ängste ...: ... und wie man sie bekommt
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