Zweiundzwanzig
»Und das ist das Wohnzimmer«, sprach ich in den Computer und trug ihn aus dem Schlafzimmer. »Wir bekommen neue Couchen, also schau dir die gar nicht erst an, da liegt nur Müll drauf.«
»Neue was, Angela Clark?« Louisa lachte durch den Computer, als ich meinen Laptop vorsichtig auf dem Kaffeetisch abstellte. »Tut mir leid, aber ich spreche kein Amerikanisch.«
»Sofas«, betonte ich. »Entschuldige, ich bin inzwischen bilingual. Das muss man sein. Sonst wird schon das Einkaufen fürs Essen zum Problem.«
»Was du nicht sagst.« Sie zeigte mir den Stinkefinger. Skype war wirklich die beste Erfindung überhaupt. »Also, die Wohnung macht einen netten Eindruck. Dieser Ausblick auf Manhattan ist fantastisch.«
»Genau«, sagte ich und öffnete eine Flasche Weißwein. »Beeindruckend.«
»Genau«, äffte Louisa mich nach. »Musst du das am Ende jedes Satzes sagen? Du gehst uns verloren. Ich mache mir Sorgen wegen deines Einflusses auf dieses Baby.«
»Bei meinem Patenkind werde ich absolut perfekt sein«, versprach ich und deutete auf das Ultraschallbild, das ich ausgedruckt und auf den Kühlschrank geklebt hatte. »Siehst du, wie hingebungsvoll ich bereits bin? Alex hat mich gebeten, es abzunehmen, weil es ihn vom Essen abhält.«
»Ich finde es einfach nur merkwürdig, dass du das Foto vom Innenleben deiner besten Freundin an den Ort geklebt hast, wo wir unser Essen aufbewahren«, verteidigte Alex sich vom Schlafzimmer aus. »Hey, Louisa.«
»Hallo, Alex«, schrie Louisa zurück. »Entschuldige, dass wir dich beim Duschen gestört haben.«
Ich sah auf dem Bildschirm, dass ich rot geworden war, und lachte, als Lou zurückwinkte.
»Euch ist schon klar, dass ich euch beide sehen kann?« Alex steckte seinen feuchten Kopf durch die Wohnzimmertür.
»Genau«, gackerte Louisa.
»Ach, ihr könnt mich mal!« Alex verschwand wieder im Schlafzimmer.
»Achte nicht auf ihn«, sagte ich und setzte mich mit meinem Glas auf die Couch. »Er sollte inzwischen angezogen sein.«
»Es ärgert mich, dass ich nicht zu eurer Party kommen kann.« Lou zog einen Schmollmund. »Aber Tim konnte nicht weg, wollte mich aber auch nicht allein fahren lassen. Was natürlich Blödsinn ist, tut mir leid.«
»Finde ich nicht.« Ich wischte ihre Entschuldigung beiseite. »Ich bin froh, dass er sich um dich und mein Patenkind sorgt.«
»Willst du denn wirklich nicht wissen, was es wird? Ich weiß es seit fast einer Woche und kann es kaum für mich behalten.«
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich es nicht wissen will!«, schrie ich und hielt mir die Ohren zu. »Ganz im Ernst, es ist so aufregend! Und ich möchte überrascht werden.«
»Freut mich, dass es für dich aufregend ist«, Lou legte dabei ihre Hand auf die praktisch nicht existente Wölbung ihres Bauches. »Für mich war es genug Überraschung, nach fünf Monaten endlich zu erfahren, dass ich überhaupt schwanger bin.«
»Das glaub ich dir gern«, stimmte ich ihr zu, weil ich es auch schlimm fand, dass Louisa ihre Schwangerschaft monatelang nicht bemerkt hatte, doch insgeheim freute es mich natürlich sehr, schon so bald ein Baby verwöhnen zu können. Die neue Little-Marc-Jacobs-Produktserie war unglaublich süß. »Du wirst sicherlich später noch genügend Überraschungen erleben.«
»Sag nicht so was«, sagte sie und hielt sich die Hand an die Stirn. »Lass uns erst mal das hier hinter uns bringen.«
Es klingelte, und ich schrak zusammen und verschüttete die Hälfte meines Weines über die Couch.«Mist«, flüsterte ich und rieb wie eine Verrückte darauf herum.
»Ich verrate dich nicht«, versprach Louisa. »Zieh einfach diesen Überwurf drüber. Hast du nicht gesagt, ihr bekommt ohnehin neue Sofas?«
»Da hast du recht.« Ich deutete auf den Monitor und folgte dann ihrem Rat. So gut wie neu. »Ich mache lieber mal die Tür auf.«
»Und ich sollte jetzt lieber Schluss machen, es ist schon sehr spät«, sagte Louisa und winkte mir zu. »Ich wünsche euch eine schöne Einzugsparty, ich und das Baby, wir wären gern dabei.«
»Ich drück euch beide«, sagte ich und hauchte dem Monitor Küsse zu. »Und Tim ebenso.«
Ich schloss den Laptop und schob ihn unter das Sofa, um einer weiteren Beschädigung seines angeknacksten Gehäuses vorzubeugen. Dann sprang ich auf und zupfte mein umwerfendes rosa-orange gestreiftes Partykleid von Marc by Marc Jacobs zurecht (Alex hatte gemeint, es sei viel zu übertrieben für eine Hausparty mit ein paar von unseren Freunden, aber ich hatte seinen Moderatschlag höflich überhört) und ging zur Tür.
»Alex, die Leute sind da«, rief ich ins Schlafzimmer und drückte für ein ganzes Grüppchen den Türöffner. Ich hielt die Tür auf und begrüßte sie alle mit Küsschen. Graham und sein Freund. Craig und seine Neue, Freundin würde ich nicht sagen, aber sie war weiblich und machte einen netten Eindruck. Vanessa und ein paar der Mädchen aus The Union folgten zusammen mit Erin und Thomas und etwa einem Dutzend von Alex’ Freunden aus der Brooklyner Nachbarschaft.
»Kannst du bitte Musik auflegen, Alex?«, fragte ich und wollte gerade die Tür schließen, als ein Paar tolle Leder-Flip-Flops sie blockierten.
»Du willst mir doch wohl nicht die Tür vor der Nase zuschlagen?«, beschwerte sich eine Stimme im Flur.
»Jenny!«, kreischte ich, packte sie am Hals und umschlang sie mit meinen Armen. »Ich wusste gar nicht, dass du kommst!«
»Es ist zwar kaum zu glauben, aber wir haben es tatsächlich geschafft, etwas fast eine ganze Woche lang vor dir geheim zu halten.« Alex lehnte an der anderen Seite des Türrahmens und wirkte äußerst selbstzufrieden.
»Ach, ihr beiden Mistkerle«, sagte ich und war so glücklich, dass ich hätte weinen können. »Du hättest es mir sagen sollen. Hast du irgendwelche Taschen?«
»Ne, das ist alles schon in der Wohnung«, sagte Jenny und musterte mich. »Süß. Ganz süß.«
Sie sah selbst auch nicht allzu schäbig aus mit dem schmalen Streifen wasserblauer Seide um ihren gebräunten kleinen Körper. »Vena Cava«, bestätigte sie, ohne meine Frage abzuwarten. »Toll, oder?«
»Absolut«, stimmte ich ihr zu und ließ mir von Alex ein Glas Wein geben. »Dann bist du also wieder zurück in der Wohnung? Wie lange bleibst du?«
»Ja, das bin ich, und, na ja, vielleicht für immer?«, sagte sie und schielte mich dabei an der Kaskade nicht zu bändigender Locken vorbei an. »Ich habe mir überlegt, dass man sich als New Yorker L. A. nur in kleinen Dosen zumuten sollte.«
»Ehrlich? O Jenny, das ist wunderbar!« Ich gab mir Mühe, uns beide nicht mit Wein zu bespritzen, als ich sie zum zweiten Mal in meine Arme schloss. »Ich bin ja so glücklich. Ja, bleib, geh nicht zurück.«
»Du willst mich ja nur wegen des verbilligten Einkaufs hier haben.« Sie lachte, aber mir war klar, dass sie sich freute, so warmherzig willkommen geheißen zu werden. Als käme von mir was anderes. »Ich denke, ich kann in New York genauso viel Arbeit finden wie in L. A. Es gibt auch hier Leute mit viel zu viel Geld und nicht genug Geschmack, habe ich recht?«
»Definitiv.« Ich nickte. »Ach, ich bin ja so glücklich. Aber auch traurig, dass wir nicht mehr zusammenwohnen.«
»Ich mache keinen Umzug mehr für dich auf die andere Flussseite«, mischte sich Alex ein. »Unfassbar, was für einen Haufen Mist du hast. Und das, obwohl die andere Hälfte in die Luft gegangen ist.«
»Bitte nicht, ich will sie nicht zurückhaben«, sagte Jenny und trank ihr erstes Glas Wein leer und reichte es Craig, der sie schon wieder begeistert ansah. Seine Neue schien er bereits vergessen zu haben. »Van zieht dieses Wochenende aus, und ich fand, dass es mal ganz schön ist, allein zu leben. Du weißt schon, nach Daphnes Eskapaden. Ich werde das freie Zimmer zu meinem Büro machen.«
»Also, um Top Model anzuschauen, komme ich aber noch zu dir«, erklärte ich und drückte sie noch mal. Ich wusste, dass ich wie ein Trottel grinste, aber es war mir egal.
»Da tust du gut daran«, bestätigte Jenny und strich mir mein Haar über die Schulter. Es wurde immer länger. »Aber du bringst das Bier mit. Verdammt, ich habe dich so vermisst, Angie.«
»Ich dich auch«, sagte ich, und es traf mich genauso wie zuletzt, als ich Louisa umarmt hatte. Nur dass Jenny mir diesmal erhalten blieb. »Jetzt lass mich los, damit ich pinkeln gehen kann.«
»Wag es bloß nicht, auf dieses Kleid zu pinkeln«, drohte Jenny und ließ mich sofort los. »Das ist hundert Prozent Seide.«
»Und sähe auf meinem Schlafzimmerboden noch schöner aus«, schnurrte Craig ihr ins Ohr und streckte ihr seine Hand hin. »Ich glaube, wir sind uns noch nicht begegnet. Ich bin Craig.«
»Das meinst du doch wohl nicht ernst?« Jenny starrte Craig verständnislos an. »Junge, du kriegst da offenbar was in den völlig falschen Hals.«
Ich stürmte ins Badezimmer und schloss die Tür hinter mir. Mit einem Grinsen im Gesicht schaute ich in den Spiegel und versuchte mit einem Papiertaschentuch die Tränen unter meinen Augen aufzufangen, bevor sie über mein sorgfältig aufgetragenes und gekonnt verschmiertes Make-up rannen.
Seit unserer Rückkehr nach Paris war fast eine Woche vergangen, und ich war komplett bei Alex eingezogen. Mein doppelt blaues Auge war fast verheilt. Von Mary hatte ich hinsichtlich meines Jobs noch nichts gehört, aber von Cici eine handschriftliche Entschuldigung und einen Scheck über zweitausend Dollar erhalten. Das deckte zwar nicht annähernd den entstandenen Schaden, aber ich wusste die Mühe zu schätzen, die Mary sich offensichtlich gemacht hatte, und ich wurde dadurch auch recht zuversichtlich, meinen Job irgendwie und irgendwann zurückzubekommen. Bis dahin versuchte ich bei britischen Zeitschriften unterzukommen und mit meiner Kolumne weiterzukommen sowie jeden Gedanken an die Einwanderungsbehörde zu verdrängen.
Ein leises Klopfen, dann bewegte sich der Türgriff, und Alex steckte seinen Kopf herein. Ich hatte vergessen abzuschließen.
»Alles o.k. mit dir?«, fragte er mit einem zärtlichen Lächeln. »Tut mir leid, dass ich das mit Jenny nicht erzählt habe, aber ich habe gedacht, es sei eine nette Überraschung.«
»Ist es auch«, sagte ich und wedelte mit meinen Händen vor meinem Gesicht herum. »Ich bin so glücklich.«
»Und deshalb weinst du?« Er kam zu mir in das winzige Badezimmer und schloss hinter sich die Tür.
»Weil ich so glücklich bin«, wiederholte ich. »Ganz ehrlich. Erst der Einzug, jetzt ist auch noch Jenny zurück, das sind Freudentränen.«
»Du bedauerst es also nicht, nicht in London geblieben zu sein?«, fragte er und wischte mir sanft mit dem Daumen eine Träne weg.
»Ne«, sagte ich mit belegter Stimme. »Ich vermisse Lou und vielleicht sogar meine Mum, aber ich möchte hier sein. Und ich habe mich viel elender gefühlt, als Mary gemeint hat, ich könnte mein Visum verlieren, als beim Einsteigen in den Zug zurück nach Paris.«
»Wir werden das schon hinkriegen«, versprach Alex. »Ganz bestimmt. Es ist nur Papierkram. Es ist nichts.«
Ich nickte und hoffte, dass er recht hatte.
»Paart ihr beiden euch da drin?«, schrie Jenny durch die Tür. »Ihr habt nämlich Gäste, da wäre das verdammt unhöflich. Außerdem muss ich pinkeln.«
Kopfschüttelnd drängte ich mich an Alex vorbei und öffnete Jenny die Tür, die ihre Hände in die Hüften stemmte und ihre Braue so weit hochzog, dass sie ihr aus dem Gesicht zu fallen drohte.
»Mann, nun reiß dich doch zusammen, wenn ihr Gesellschaft habt«, sagte sie und gab Alex einen Klaps gegen den Kopf. »Sie wohnt jetzt bei dir, du hast Angela jetzt rund um die Uhr, und zwar heiß und kalt, und das sieben Tage die Woche. Kannst du nicht warten, bis wir wieder nach Hause gehen?«
Jemand hatte während unserer Pause im Badezimmer das große Licht ausgeschaltet und die Lichterketten angemacht, die ich Anfang der Woche trotz Alex’ Bedenken gekauft hatte, sie könnten die Wohnung in eine Playboy-Grotte verwandeln. Aber das taten sie nicht. Sie sahen toll aus. Mit ihrem Funkeln rahmten sie das Fenster und den Blick auf die Lichter von Manhattan ein, das grün angestrahlte Empire State Building, das wie eine umgedrehte Eistüte leuchtende Chrysler Building und das Flimmern der restlichen Stadt, mit dem sie uns ihrer Existenz versicherte. Das Leben ging weiter.
»Brauchst du irgendwas?«, fragte Alex und legte eine Hand um meine Taille, während ich die fröhliche Szene in unserer Wohnung in mich aufnahm.
»N-nein.« Ich schüttelte den Kopf und drehte mich ihm zu und küsste ihn. Pfeif auf den Lipgloss.
»Du willst wirklich nichts?«
»Ich habe alles, was ich brauche, und alles, was ich will«, erwiderte ich und drückte ihn dabei fest an mich. Mein Blick fiel auf Jenny, die angesichts irgendeiner blöden Geschichte, die Craig ihr erzählte, die Augen verdrehte, und dann auf Louisas Ultraschallfoto, das am Kühlschrank klebte.
Und für diesen Moment stimmte das auch hundertprozentig.