Vier

Taschen_1c.tifSaß ich erst mal im Flugzeug, hatte ich kein Problem mit dem Fliegen, aber Flughäfen waren mir verhasst. Der Kick beim Duty Free ließ nach spätestens fünfzehn Minuten nach, wenn mir wieder einfiel, dass ich pleite war, und dass ich, allein in einem unbequemen Metallstuhl lümmelnd, ein durchweichtes McDonalds-Teil hinunterschlang, während Alex bereits up, up and away war, machte die Sache nicht besser. Cici schwor hoch und heilig, sie habe versucht für denselben Flug zu buchen, aber der sei bereits ausgebucht gewesen. Und das, obwohl der Stills-Manager seine Flüge an genau demselben Tag buchte, wie sie meinen.

Anstatt also mit meinem Freund zum Mile High Club zu stoßen, konnte ich mich auf den Neunstundenflug, eingekeilt zwischen völlig fremden Menschen, freuen. Während ich mir eine Handvoll Chips in den Rachen stopfte, überprüfte ich erneut mein (frisch zum Einsatz kommendes) von Spencer Media gesponsertes BlackBerry, fand aber nur wieder eine neue Nachricht von Esme. Freude. Es war mir gelungen, ein Wiedersehen mit den entzückenden Leuten beim Belle-Magazin zu vermeiden, aber vor Donnas und Esmes knappen und fast schon tyrannischen E-Mails gab es kein Entrinnen. Und wie wunderbar, hier war die nächste.

Angela.

Das französische Belle-Magazin schickt eine Assistentin, die Sie auf dem Laufenden hält. Seien Sie um 10.30 Uhr in der Hotellobby, dort erwartet Sie Virginie.

Esme.

Ach du lieber Gott, nein. Sie »schicken mir« einen supercoolen, superscharfen französischen Modefreak, damit mir meine Unzulänglichkeit nur umso deutlicher bewusst wird. Mary hatte recht, die Mädchen bei Belle waren wirklich nicht glücklich darüber, dass ich ihnen von Bob aufs Auge gedrückt worden war, aber ich war entschlossen, mich zu beweisen. Ich war ein echtes Journalistenmädel mit echtem Talent und hatte diese Chance verdient. Meinte jedenfalls mein Freund.

Und schließlich waren nicht alle bei Spencer Media gegen mich. Da im Zusammenhang mit meinem Auftrag alles auf den letzten Drücker geschehen musste, war Cici großzügigerweise eingesprungen und hatte mir angeboten, bei meiner Reiseplanung zu helfen. Nachdem es ihr nicht gelungen war, mich auf Alex’ Flug zu buchen, versprach sie sogar, einen Freund, der bei meiner Airline arbeitete, um ein Upgrade für mich zu bitten, und sie hatte mir per Kurier ein Paket mit meinem BlackBerry, einer Firmenkreditkarte, einem Stadtplan von Paris und sogar einer DVD von Ein süßer Fratz zukommen lassen. Und als wäre das nicht schon unheimlich genug, hatte sie die Begleitnotiz mit »xoxo Cici« unterschrieben. Entweder hatte sie sich einer kompletten Persönlichkeitstransplantation unterzogen, oder Großpapa Bob hatte wirklich großen Einfluss auf dieses Mädchen.

Allem Anschein nach hatte Großpapa Bob auch auf alles bei Spencer erheblichen Einfluss. Donna Gregory vergewisserte sich E-Mail um E-Mail, welche Fortschritte meine Recherche machte, und erinnerte mich ständig daran, wie sie es nicht haben wollte. Aber sie blieb völlig vage, wie sie sich diese tatsächlich vorstellte. Nicht sehr hilfreich. Ich hatte die ganze Woche mit Recherchen zugebracht, konnte es aber kaum erwarten, endlich nach Paris zu kommen, um mich wirklich in die Arbeit zu stürzen. Irgendwie spürte ich, dass dies mein großer Durchbruch war. Ich meine, ich hatte den Blog bereits für meinen großen Durchbruch gehalten, und das war er vermutlich auch, denn durch ihn war ich an das James-Jacobs-Interview gekommen. Und dann hatte ich geglaubt, das James-Jacobs-Interview wäre ein weiterer großer Durchbruch, aber es sollte sich als traumatisches Fiasko erweisen, das fast mein Leben zerstört hätte. Obwohl es mehr oder weniger zu dem geführt hatte, woran ich jetzt dran war. Einer Arbeit für Belle. Und zu einer neuen Marc-Jacobs-Handtasche, also kann es so schlimm nicht gewesen sein. Aber das hier, das war es. Ich spürte es im Urin. Was immer das auch bedeuten mag. Ein wenig unappetitlich, oder? Hm.

Während ich voller Ungeduld auf den Aufruf zum Einsteigen wartete, blätterte ich die Seiten der neuesten Ausgabe von Icon zum tausendsten Mal durch und wünschte mir, ich hätte meine Paris-Reiseführer und -notizen in mein Handgepäck gesteckt, um im Flugzeug daran zu arbeiten. An Schlaf während des Flugs war ohnehin nicht zu denken, so nervös, wie ich war. Nervös wegen des Artikels, nervös, weil ich kein Französisch konnte, nervös, weil ich allein zum Hotel fahren musste, und aus unerfindlichem Grund auch nervös, weil ich fast eine ganze Woche mit Alex in einem fremden Land verbrachte. Es war eine positive Nervosität, dessen war ich mir ziemlich sicher, aber der Flattermann war dennoch da. Obwohl er bestimmt nicht so heftig war wie bei Alex, der während der vergangenen drei Tage zunehmend ungesprächiger geworden war und eine attraktive blasse, leicht grünliche Färbung angenommen hatte. Mindestens zwanzig Mal erklärte er mir, dass er Fliegen nicht ausstehen könne, und egal wie oft ihm Graham und Craig, der Bassist und der Drummer seiner Band Stills, auf den Rücken klopften und ihm versprachen, ihn volllaufen zu lassen, bevor er an Bord ging, sein Zustand besserte sich dadurch nicht.

Ich suchte den Boden vor dem Gate nach verräterischen Spuren von Kotze ab, die mir gezeigt hätten, dass er hier gewesen war, aber es war alles blitzsauber. Vermutlich kümmerte man sich am JFK Airport um Derartiges sehr schnell. Sauberkeit war den Amerikanern wichtig.

Es war schon putzig. Alex war immer ganz entspannt, selbst wenn ich wegen irgendwas die Wände hochging, und deshalb fand ich seine panische Flugangst dann doch fast beruhigend. Er war also doch ein Mensch. Selbst als ich ihm versicherte, dass »jedes Jahr mehr Menschen bei Flusspferdangriffen als bei Flugzeugabstürzen sterben«, mein Lieblingsargument, das ich immer gern hervorkramte (ohne zu wissen, ob es tatsächlich eine Tatsache war), küsste er nur meinen Scheitel und tat so, als würde er ohnehin nicht fliegen.

Endlich wurde mein Flug aufgerufen, und ich schleppte mich und meine viel zu voll gestopfte, ramponierte MJ-Handtasche zum Gate. Mein schönes blaues Exemplar hatte ich eingepackt und mich für mein treues altes Schätzchen entschieden (nun, ich hatte es seit fast einem Jahr), aus Angst, die neue Tasche könnte Kratzer oder Flecken abbekommen oder von fremden Händen angefasst werden. Außerdem war ich mehr oder weniger zu der Überzeugung gelangt, dass die lädierte Tasche für die Reise besser geeignet war. Gewissermaßen. Nachdem ich durch den windigen Tunnel das Flugzeug erreichte, nahm ein beruhigend gelangweilt aussehender Flugassistent mein Ticket, kontrollierte meinen Pass und zeigte dann mit breitem Lächeln auf die rechte Seite des Flugzeugs. Ich verzog keine Miene und schlurfte den Gang hinunter, wobei ich darauf achtete, eine Begegnung meines Hinterteils mit den Gesichtern all der Passagiere der Clubklasse, die bereits eingestiegen waren, zu vermeiden. Eines Tages würde man mir sicher sagen, dass ich mich links halten soll, eines Tages.

Wie vorherzusehen war ich mit einem klitzekleinen Sitz der Economy-Klasse in der Mitte von vier Plätzen gesegnet, von denen drei bereits belegt waren. Cici hatte mir tatsächlich vollen Ernstes versichert, es gehöre zur Reisepolitik von Spencer Media, alle Flüge unter zwölf Stunden Economy zu buchen, aber irgendwie nahm ich ihr das nicht ab. Außerdem gab es Economy – und es gab neun Stunden in der Hölle, die ich auszuhalten hatte. Als ich meine Handtasche unter den Sitz vor mir geklemmt hatte, schielte ich nach links, wo ein unglaublich großer Mann saß, der sich im Moment ständig mit geschlossenen Augen bekreuzigte und eine große Bibel auf seinem Schoß liegen hatte. Zu meiner Rechten saß kichernd ein jungverliebtes Traumpaar und hielt Händchen. Als die (doch nicht ganz so junge) Frau meinen Blick bemerkte, hielt sie mir ihre linke Hand unter die Nase.

»Wir haben gerade erst geheiratet!«, kreischte sie und wedelte mit ihrer Hand, um dem riesigen Solitär ausreichend Gelegenheit zu geben, mich zu blenden. »In New York! Geheiratet! Wir kommen aus England. Aber wir haben in New York geheiratet. Nicht in Vegas. Ist das nicht kitschig?«

»Genau«, stotterte ich und versuchte meinen Kopf von dem harten glänzenden Ding zurückzuziehen, das mich tatsächlich blind machen könnte. »Herzlichen Glückwunsch.«

»Oh, Sie sind auch Engländerin! Dave, sie ist Engländerin«, quasselte meine Sitznachbarin weiter. »Es war nur in der City Hall, ganz still, aber mit Klasse, wissen Sie? Und wir haben im Waldorf Astoria gewohnt. Zu Hause weiß keiner davon. Ich meine, sie wussten, dass wir verlobt waren, aber nicht, dass wir heiraten wollten. Dave war schon mal verheiratet, wissen Sie, also fanden wir, dass wir kein großes Trara daraus machen sollten.«

»Ich war schon mal verheiratet«, bestätigte Dave und beugte sich zu mir herüber, um mir seinen dicken Ehering samt Diamanten zu zeigen. Hm, wie geschmackvoll. »Sie war eine richtige alte Kuh. Nicht wie die hier.«

»Nun ja, ich gratuliere«, sagte ich wieder und fummelte als höfliches ›Lasst-mich-in-Ruhe‹-Signal an meinem Sitzgurt herum, während die Sitze 47 F und G ihre Liebe ziemlich heftig öffentlich kundtaten.

»Es war wunderbar«, sagte Daves Frau und schob ihren amourösen Ehemann beiseite. »Ich habe diese Loobootinschuhe bekommen, nicht wahr Dave? Ganz reizend.«

»Hat sie.« David nickte. »Loobootins.«

Sie sagten tatsächlich Loobootins. Ich kriegte ein müdes Lächeln zustande, hatte aber alle Mühe, nicht loszuheulen. Wie lange dauerte dieser Flug? Jenny hätte ihr inzwischen bestimmt schon ein paar Ohrfeigen verpasst, meine Toleranzgrenze war wirklich beeindruckend.

»Und jetzt geht es in die Flitterwochen nach Paris. Ist das nicht toll? Er ist ein Romantiker, mein Dave. Und ich wusste schon immer, dass ich einen Romantiker heirate. Sind Sie verheiratet, meine Liebe?«

»Nein.« Ich lächelte und schüttelte den Kopf. »Nicht verheiratet.«

»Verlobt?«

»Nein.«

»Freund?«

»Ja.«

»Nun, sehen Sie«, sagte sie und tätschelte mein Knie, »dann ist doch noch Hoffnung für Sie.«

Mit einem breiten Lächeln steckte ich mir blitzschnell meine Ohrstöpsel in die Ohren, bevor sie noch mal loslegen konnte. Doch sofort kam die Flugbegleiterin und klärte mich auf, dass ich sie zum Start nicht drinbehalten durfte. Blöde Kuh. Zum Glück war Daves Ehefrau keine routinierte Fliegerin und musste ihr Gesicht während des Startes und während der darauffolgenden fünfzehn Minuten an Daves tröstender Brust vergraben, und bis dahin hatte ich schon die Ohrstöpsel drin und gab vor zu schlafen. Kein leichtes Unterfangen, denn der Mann an meiner anderen Seite war a) unglaublich verschwitzt und murmelte b) die Bibelpassagen gerade so laut vor sich hin, dass ich überzeugt war, einen Serienmörder zum Sitznachbarn zu haben. Na wunderbar.

Ich schielte auf das Display meines iPods, bemüht, mich nicht mit offenen Augen erwischen zu lassen, und scrollte die Playlist herunter. Alex hatte mir versprochen, was »anderes als Justin Timberlake und Gossip Girl« draufzuladen, um mich adäquat auf Paris einzustimmen. Lächelnd klickte ich auf »Angelas Abenteuer: Paris Edition« und versuchte mein selbstgefälliges Grinsen zu unterdrücken, dass ich so einen wunderbaren Freund hatte, der mir ein Mixtape gemacht hatte – der international anerkannte Beweis echter Liebe eines Jungen. In Erwartung von etwas musique en français lehnte ich mich in meinem Sitz zurück, aus dem mich aber gleich darauf der Klang von Alex’ Stimme aufschreckte.

»Hey, Angela, ich habe ein paar Songs zusammengestellt, die dir helfen sollen, den Flug zu überstehen, obwohl ich es ja eigentlich bin, der Unterstützung brauchen könnte. Tja egal, ich wünschte wirklich, wir könnten zusammen fliegen, aber ich sehe dich dann im Hotel und verspreche dir, dass es eine wunderbare Reise werden wird. Und na ja, das ist ein neuer Song, an dem ich gearbeitet habe …«

Seine ruhige rauchige Stimme verlor sich in einem kurzen Hüsteln, dann setzte seine Gitarre ein. Ich schloss rasch meine Augen, weil ich der zweiten Missus Dave keine Gelegenheit bieten wollte, mir diesen Moment zu verderben. Nicht, dass sie das könnte. Mir schoss die Röte in die Wangen, während sich mein Magen verkrampfte und mein Herzschlag schneller wurde. Es war ein Gefühl, als wenn man im Traum von der Bordsteinkante fällt, nur im guten Sinne. Dasselbe empfand ich jedes Mal, wenn ich am Morgen die Augen aufschlug und Alex’ Gesicht sah. Und genauso erging es mir, wenn ich aus der Subway kam und ihn auf mich warten sah. Und jedes Mal, wenn ich ihn mir in einem Radius von einem Meter vorstellte. Also ehrlich, was war mein Problem? Er war umwerfend. Und er war nicht mein Ex. Mein Ex hätte mich gar nicht erst gefragt, ob ich mit nach Paris kommen möchte, vermutlich, weil er lieber seine Geliebte mitgenommen hätte, aber immerhin.

Natürlich sollte ich bei Alex einziehen.

Diese Erkenntnis traf mich, als hätte mir jemand mit Schwung die Offenbarungen des Offensichtlichen um die Ohren gehauen. Natürlich sollte ich mit ihm zusammenleben, ich liebte ihn doch. Sprudelnde Erregung erfasste mich: Wir würden zusammenleben! Und das könnte ich ihm an seinem Geburtstag sagen. Für den Fall, dass ihm die Uhr nicht gefiel, die ich für ihn gekauft hatte, wäre das eine große Hilfe …

Der Rest des Fluges verlief ziemlich ereignislos. Ich nickte immer wieder ein und wurde wach, das glückliche Paar betatschte sich ständig und erwischte dabei nur hin und wieder versehentlich (wie ich hoffte) meinen Oberschenkel, und mein religiöser Freund schaffte erfreulicherweise einige Bücher des Alten Testaments, ehe die Flugbegleiter mit dem Frühstück kamen. So gut es ging gähnte und streckte ich mich, rutschte von einer Seite zur anderen und zog mein krauses Haar aus meinem Gesicht. Fernstrecken waren meinem Aussehen nicht förderlich. Auf der anderen Gangseite und über einige Köpfe hinweg konnte ich Land unter uns erkennen. Ich schlang das kompakteste Blätterteiggebäck, das die Welt je gesehen hat, so schnell wie menschlich möglich hinunter, klatschte mir dann einen Klecks Beauty Balm ins Gesicht und sehnte mich, nachdem ich mich wieder zurückgelehnt hatte, nur noch danach, festen Boden unter die Füße zu bekommen.

»Oh, sind Sie endlich wach, Sie Schlafmütze!«

Toll.

»Ich dachte schon, wir müssen Sie im Flugzeug zurücklassen«, sagte Missus Dave und knuffte mich jovial, aber doch recht kräftig in meine Schulter. »Dann treffen Sie also Ihren Freund in Paris?«

»Oh, äh, ja«, sagte ich und versuchte Mascara aufzutragen, ohne mir dabei ins Auge zu stechen. Seien Sie nachsichtig, ich habe gerade erst gelernt, das anständig auf dem Boden zu tun, wie soll ich das also mitten in der Luft schaffen?

»Ach, das ist doch reizend«, sagte sie, schnallte sich wieder an und kuschelte sich in Daves Arm, der sie beschützend umschloss. »Wer weiß, vielleicht hält er um Ihre Hand an.«

Es war wirklich eine spontane Reaktion. Denn ich hatte nicht die Absicht, meinen die Mascarabürste haltenden Arm ins Gesicht meines Bibel lesenden Sitznachbarn zu schlagen. Und schon gar nicht hatte ich vor, dafür zu sorgen, dass er sich seinen brühheißen Kaffee über die Hose schüttete.

»Heilige Maria Muttergottes!«

Upps. Und dabei war es mir so gut gelungen, lange Zeit niemanden zu beleidigen oder zu verstümmeln. Aber ich hatte genug Folgen von Friends gesehen, um zu wissen, dass das Hantieren mit Servietten an seinem Schritt nicht helfen würde, also murmelte ich bloß meine Entschuldigungen, lehnte mich in meinem Sitz zurück und schloss meine Augen. Wenn dies das Schlimmste war, was mir auf dem weiten Weg bis nach Paris passierte, dann konnte ich mich sehr glücklich schätzen.

»Was meinen Sie damit, man habe mein Gepäck ›zerstören‹ müssen?«

Ich stand an der Gepäckausgabe des Charles-de-Gaulle-Flughafens und ließ mir von einem unglaublich gelangweilt dreinblickenden Beamtentypen zum vierten Mal erklären, was passiert war.

»Madame Clark, wie ich bereits erklärt habe«, seufzte er, »Ihr Koffer hat unser Sicherheitsscreening nicht bestanden und musste zerstört werden. Das hätte man Ihnen bereits am JFK mitteilen müssen. Sie hätten eigentlich gar nicht reisen dürfen.«

»Und Sie sagen zerstört.« Ich rieb mir die Schläfen und blinzelte ein paar Mal in der Hoffnung, dass ich dann aufwachte. »Außerdem bitte Mademoiselle

»Pardon, Mademoiselle. Zerstört. Er existiert nicht mehr.«

Ich durchwühlte meine abgewetzte Handtasche und überprüfte, was ich bei mir hatte. Sonnenbrille, Lippenbalsam, zwei Lippenstifte, Telefon, Brieftasche, Pass, Laptop, US Weekly. Nun, wenigstens mangelte es mir nicht an erzieherisch wertvollem Lesestoff. Gott sei Dank.

»Aber warum?« Ich konnte hören, dass meine Stimme gleich brechen würde. Offensichtlich dämmerte mir langsam, was da geschehen war. »Wieso musste er, o mein Gott, warum musste er zerstört werden?«

»Dafür gibt es viele Gründe, Madame, die Sicherheitsbestimmungen sind im Moment sehr streng. Womöglich hatten Sie was Verbotenes in Ihrem Koffer? Etwas Gefährliches?«

»Das Gefährlichste darin war ein Paar Schuhe, die einmal in einem Fall von schwerer Körperverletzung zum Einsatz gekommen sind.« Ich presste die Lippen aufeinander, entschlossen, meine Tränen in Schach zu halten. Das konnte nur ein Irrtum sein. »Mit wem kann ich darüber reden?«

»Ich fürchte, das bin ich.« Der Beamte seufzte. Wieder. »Vielleicht war da was, äh, was Batteriebetriebenes?«

»Batteriebetrieben?«

»Vielleicht auch vibrierend?«, tastete er sich diskret vor.

»Vibrierend? Ein Vibrator?«, kreischte ich. Mann, ich konnte wirklich schrill werden, wenn ich wollte. Und angesichts der Blicke, die mir die anderen Reisenden im Flughafen zuwarfen, war Vibrator ein Wort, das global verständlich war. Hervorragend.

»Aber was heißt zerstört?«

»Man hat ihn gezielt detonieren lassen.«

»Gezielt …«

»Ja.«

»Gesprengt?«

»Oui

»Ich … was?« Plötzlich fühlte ich mich sehr, sehr unsicher auf meinen Beinen.

»Es tut mir leid, Mademoiselle Clark. Ich darf Ihnen gestatten, den Flughafen zu verlassen, weil es für Sie keine Sicherheitswarnung gibt, aber Ihr Gepäck ist vernichtet worden. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Soll ich Sie zu einem Taxi begleiten?«

»Aber ganz ehrlich, wie kann es …«, versuchte ich es noch mal, als der Beamte mich am Arm durch das Flughafengebäude zu den großen Doppeltüren führte.

Als ich endlich in die Stadt kam, hatte ich gerade erst das dritte Trauerstadium erreicht. Während der Flughafenbeamte mich im wahrsten Sinne des Wortes in den Fond eines Taxis gestoßen hatte, hatte ich noch im Nicht-glauben-wollen gewatet, doch als wir die Hälfte der Strecke in die Stadt zurückgelegt hatten, kochte die Wut in mir hoch. Nachdem ich den erstgeborenen Kindern sämtlicher Flughafenbediensteten von JFK und Charles de Gaulle Rache geschworen hatte, verfiel ich in Depression. Meine Louboutins. Meine wunderbare blaue Marc-Jacobs-Tasche. Alle meine Kleider. Alle. O Gott, all die Kleider, die Jenny mir geschickt hatte. Alle von einem verschwitzten Mann im kurzärmeligen Hemd am Flughafen in ihre Einzelteile zerlegt. Womöglich hatte er einen Schnurrbart. Sie hatten alle kurzärmelige Hemden und Schnurrbärte.

Irgendwo in meinem Gehirn versuchte eine Stimme mir von all den Kleiderläden und Schuh- und Wäschegeschäften zu erzählen, in denen ich auf meinen Rechercheexkursionen würde einkaufen können, aber jedes Mal, wenn ich meine Augen schloss, sah ich nur mein löwenzahngelbes 3.1-Phillip-Lim-Sommerkleid in die Luft fliegen und sich in Millionen kleine Teilchen auflösen, während mehrere französische Sicherheitsleute mit Käppis danebenstanden und schallend lachten. Militärkäppis. Und das Lanvin. Du liebe Güte, das Lanvin. Meine fieberhafte Einbildung zog es vor, den Koffer in Frankreich in die Luft sprengen zu lassen.

Nach der letzten Textnachricht, die ich von Alex erhalten hatte, befand er sich offenbar um sieben Uhr in einem Café Charbon, wo ich ihn treffen sollte. Es war viel zu spät, um erst noch ins Hotel zu fahren, und was hätte ich außerdem zum Umziehen gehabt? Das hier war nicht Projekt Laufsteg, denn ich konnte wohl schlecht aus den Seiten der US Weekly und einer Lancôme-Tube einen Pariser Abendlook kreieren.

Ich versuchte mich dem Fahrer verständlich zu machen, musste ihm aber Alex’ SMS zeigen, damit er wusste, wo er mich hinbringen sollte. Grunzend raste er durch winzige Gässchen mit Kopfsteinpflaster, gesäumt von winzigen Tischen und noch winzigeren Mädchen, alle mit außergewöhnlich langen Haaren und Schmolllippen in ihren Unglücksmienen. Vive la France.

Schließlich hielt das Taxi an, und der Fahrer drehte sich zu mir um. Obwohl ich wusste, dass ich kein schöner Anblick war, hielt ich seinem Blick stand. Hatte er etwa gerade alles verloren, was glänzend, hübsch und schön war? Nein. Nein, hatte er nicht. So unhöflich, wie ich konnte, zog ich eine Handvoll Euros heraus und reichte sie ihm auf, wie ich hoffte, blasierte Weise. Gleich darauf machte ich diese Wirkung allerdings wieder zunichte, indem ich mich linkisch bei ihm bedankte und ihm zu verstehen gab, dass er das Wechselgeld behalten konnte.

Um nicht in meiner aufgelösten Verfassung vor Alex zu treten, blieb ich vor einem Café mit prächtiger Glasfront stehen und atmete tief und langsam durch. Mehrere Dutzend Leute standen rauchend und lachend draußen, und sie sahen alle gut aus. Ganz ehrlich, in Jennys paillettenbesticktem Balmain-Kleid wäre ich overdressed gewesen, aber deshalb fühlte ich mich in meinen Reiseklamotten nicht weniger beschissen. Meinen nunmehr einzigen Klamotten. Sämtliche Mädchen trugen so enge Bluejeans, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wie alle die dunkeläugigen, dunkelhaarigen Jungs, die sie beäugten und ihnen mit Sicherheit an die Wäsche wollten, dies rein praktisch bewerkstelligen sollten. Wie um Himmels willen kamen sie ohne Spezialwerkzeug in diese Röhren hinein und wieder heraus? Sie standen da und nickten und gestikulierten mit ihren Zigaretten, und mir fiel auf, dass sie alle perfekt zerzauste Frisuren hatten, als kämen sie gerade aus dem Bett, im Unterschied zu mir und meiner krausen, plattgedrückten Frisur, und statt mascarafleckiger Wangen und dunkler Ringe, die hastig mit zu viel Touche Éclat zugekleistert waren, sah jede Einzelne von ihnen aus, als würde sie auf jegliches Make-up verzichten und ihrer natürlichen Schönheit vertrauen. Biester. Und sie führten mir nur allzu deutlich vor Augen, dass ich nicht mal im Rotweintrinken mithalten konnte, einfach weil ich unfähig war, auch nur ein einziges Glas zu trinken, ohne mich damit zu bekleckern. Oder jemanden in meiner unmittelbaren Nähe. Es gab demnach überhaupt keine Chance, für ein französisches Mädchen gehalten zu werden. Vielleicht für einen heimatlosen sechzehnjährigen französischen Jungen, aber für eine dieser hochnäsigen Sexbomben? Eher nicht. Autsch.

Schließlich stieß ich einen tiefen Seufzer aus, schob mich durch die Menge und betrat das Café. Alex entdeckte ich fast auf Anhieb. Selbst in einem Meer dürrer, dunkelhaariger Jungs, die sich nickend übers Kinn strichen, sprang er mir als Erstes ins Auge. Leider war das Zweite, was ich sah, ein unglaublich hübsches blondes Mädchen, das auf seinem Schoß saß, seine Arme um seinen Hals geschlungen hatte und sich vor Lachen nicht mehr einkriegte. Und als Drittes sah ich dann das Innere meiner Augenlider, weil ich nämlich in Ohnmacht fiel.