Vierzehn
Als in meinem Kopf alles verschwamm, wechselte ich zu einem Mojito, um den in der Bar verbrachten Teil des Abends abzukürzen. Die Logik des Betrunkenen überzeugte mich davon, dass der Wein das Problem war, nicht der Alkohol als solcher. Was jedoch nicht bedeutete, dass ich mich sehr logisch fühlte. Da ich mich dank der Weisheit, die ein paar Drinks in mir zutage gefördert hatten, dazu entschlossen hatte, Alex auf das anzusprechen, was ich gesehen hatte, war ich ein wenig in Eile, es hinter mich zu bringen, aber Virginie ließ sich wirklich Zeit mit ihrem Wein. Sie schien wieder den Cheerleadermodus eingeschaltet zu haben, aber irgendwas stimmte nicht. Ihre forsche Art, mit der sie mir bisher lästig gefallen war, hatte an Schärfe verloren, und sie wirkte ein wenig abwesend. Ich versuchte ihr von meiner Arbeit an meinem Artikel zu erzählen, aber sie reagierte auf meine halbtrunkene Begeisterung nur mit Kopfnicken, Lächeln und einem gelegentlichen einsilbigen Murmeln, und als ich sie darauf anzusprechen versuchte, wann sie nach New York kommen wollte, kiekste sie, zuckte mit den Achseln und schaute aus dem Fenster.
Ich gab es auf und kehrte zu meinem Mojito zurück, den ich allerdings so schnell getrunken hatte, dass nur noch unglaublich süßes geeistes Wasser mit Minzgeschmack übrig war. Meine Füße taten mir vom nächtlichen High-Heel-Marathon durch die Stadt noch immer weh, aber ich würde es schon schaffen, den Gig durchzustehen, und Virginie hatte gemeint, die Musikkneipe sei gleich um die Ecke. Und das war sie auch. Wie sich herausstellte, waren wir in wenigen Minuten dort, und zudem lag das Nouveau Casino gleich neben dem Café, in dem ich Alex am ersten Abend getroffen hatte. Das Paris der Hipster war wirklich winzig klein, worüber meine Füße sich freuten. Virginie hingegen hatte kein einziges Mal mehr gelächelt, seit wir auf der Straße waren. Vielleicht war sie sauer, weil ich noch immer ihre Schuhe hatte. Als ich mich meiner kleinen Gefährtin zuwandte, sah ich, dass sie eifrig auf ein iPhone einhämmerte, das ich bisher noch nicht gesehen hatte.
»Sie besitzen ein iPhone?«, fragte ich, um wieder ein Gespräch in Gang zu bringen. »Das ist cool.«
»O ja«, sie blickte nervös auf. »Ich habe einen Laden gesucht, um für Sie ein Netzkabel für Ihren Computer zu kaufen. Es war dumm von mir, denn natürlich gibt es jetzt einen Apple Store in Paris. Und da habe ich mir das Telefon gekauft.«
»Hatten Sie nicht früher ein anderes?«, fragte ich und schielte neidisch auf ihre zahllosen Apps. Ganz ehrlich, Apple war wie eine Droge, man wurde sehr schnell abhängig.
»O, ja.« Sie ließ das Telefon achtlos in ihre Tasche fallen. Ich konnte gar nicht hinsehen, gleich würde ich einen Diebstahl versuchen. »Ich benutze inzwischen beide Telefone parallel, da noch nicht alle die neue Nummer haben.«
»Ja, ich habe auch ewig lang mehrere Telefone benutzt. Ich hatte mein Telefon, dann das Arbeits-BlackBerry. Doch kaum habe ich mich entschlossen, nur noch das BlackBerry zu benutzen, gibt das seinen Geist auf, und ich bin ziemlich aufgeschmissen. Ich hätte mir ein iPhone holen sollen.«
»Kann gut sein. Haben Sie im Büro angerufen? Damit man sich darum kümmert?«
»Cici kümmert sich um meine Telefonprobleme«, erklärte ich. »Und sie macht eindeutig keinerlei Anstalten, mir zu helfen. Nachdem ich meinen Laptop wieder aufgeladen hatte, habe ich eine E-Mail an die IT-Abteilung geschickt, aber die hat sich noch nicht gemeldet, das dauert immer Tage. Und ich habe meiner Redakteurin von The Look, Mary, gemailt, um ihr mitzuteilen, dass Cici mich gelinkt hat, aber ich habe noch keine Antwort bekommen. Jedenfalls noch nicht, als ich das letzte Mal nachgesehen habe.«
»Sie haben eine Mail an Ihre Redakteurin geschickt?« Virginie sah mich alarmiert an. »Was haben Sie geschrieben?«
»Das ist schon in Ordnung, keine Sorge. Mary ist meine Chefin für die Website, nicht für Belle, und Cici ist ihre Assistentin. Bei Belle habe ich mich nicht gemeldet, da brauchen Sie keine Angst zu haben, Sie werden keine Schwierigkeiten bekommen. Wenn überhaupt, sind Sie eine Heldin. Ich werde dort berichten, dass Sie meine Rettung waren und so.«
»O.k.« Endlich lächelte sie mich wieder an. »Sie wissen doch, wie die Mädchen bei Belle sein können, aber ich mache mir keine Sorgen.«
Allem Anschein nach hatte mein Versprechen, ein gutes Wort für sie einzulegen, sie etwas aufgeheitert, denn sie lief fast federnd vor mir die Straße hinunter. Ich gab mir Mühe, ihr zu folgen, doch meine noch immer wunden Ballen protestierten, indem sie heftig brannten. Für ein derart kleines Wesen ging sie unglaublich schnell.
Nach ein paar Minuten blieb Virginie abrupt stehen, wandte sich zu mir um und zeigte auf eine Menschenschlange vor einer großen dunklen Tür. Es war erst kurz nach zehn, aber schon standen die Leute an für die Show. Einen kurzen Moment lang vergaß ich, wie sauer ich auf Alex war, und war unheimlich stolz. Was musste das für ein Gefühl sein, wenn die Leute Schlange standen, um einem dabei zusehen zu können, wie man etwas tat, was man gern machte. Für mich würde sich wohl kaum einer anstellen, um dabei zu sein, wenn ich mir einen Becher Phish Food reinzog und es mir für einen dreistündigen Marathon von America’s Next Top Model bequem machte. Ich nahm mir vor, mal etwas für mein Leben wirklich Relevantes in Angriff zu nehmen. Oder wenigstens darüber nachzudenken.
Als wir uns der Tür näherten, erklärte Virginie dem Mädchen mit der handgeschriebenen Gästeliste, das desinteressierter nicht hätte dreinblicken können, auf Französisch, dass wir beide auf der Liste standen, und ja, wir wüssten, dass die Türen noch nicht geöffnet seien, aber nein, das sei uns völlig schnuppe, weil ich nämlich die Freundin des Leadsängers von Stills sei. Ich überlegte lieber nicht, wie lange mir dieses Etikett wohl noch anhaften würde, sondern vermittelte dem Mädchen mit hochgezogener Braue, dass dem so war. Es war nicht das erste Mal, aber ich war noch immer nicht sehr gut darin.
Als ich in fast völliger Dunkelheit in den Hauptraum des Klubs stolperte, konnte ich gerade noch rechtzeitig der eisernen Wendeltreppe ausweichen, die mitten im Raum stand. Ein paar Leute liefen herum, vermutlich Journalisten oder Freunde von Freunden, und die Vorband war noch immer mit dem Soundcheck beschäftigt.
»Ich werde mal sehen, ob ich Alex finde«, schrie ich Virginie zu, um den ohrenbetäubenden Lärm zu übertönen. Aua, dieser Soundcheck war definitiv nötig. »Wir treffen uns dann an der Bar?«
Sie nickte und lehnte sich mit einem versteinerten »Sprecht-mich-bloß-nicht-an«-Gesicht an die Wand, das den kichernden Jungs galt, die unter der Treppe standen und flüsternd auf sie zeigten.
Nachdem ich ziellos herumgelaufen war, entdeckte ich endlich jemanden, der aussah, als würde er hier arbeiten, und zückte meinen Anstecker, der mir Zugang zu allen Bereichen zusicherte (war ich nicht cool?). Der wenig beeindruckte französische Roadie deutete kopfschüttelnd auf die Metalltreppe. Gut, also dort hatte ich noch nicht nachgesehen. Ich holte tief Luft, um mich sowohl für die steile Treppe als auch für ein Gespräch zu wappnen, von dem ich noch nicht wusste, wie ich es führen sollte, und ging nach oben, wo sich ein kleiner Sitzbereich befand mit Lederbänken und niedrigen Tischen. Ich zeigte einem weiteren unglücklich aussehenden Mann mit Glatze den AAA-Pass und war drin. Leider war Alex nicht hier. Es war keiner hier. Ich beugte mich über das Geländer und versuchte Virginie auf mich aufmerksam zu machen. Mein vom Mojito befeuerter Mut ließ rasch nach, und jetzt, da ich mit Herzklopfen hier war, wollte ich Alex eigentlich gar nicht mehr zur Rede stellen. Nicht hier und nicht jetzt. Ich wollte einfach mit jemandem abhängen, der mir freundlich gesonnen war. Vom VIP-Bereich aus hatte man einen fantastischen Blick auf die Bühne und, was noch wichtiger war, freie Getränke, aber Virginie sah nicht her. Sie vermied sogar eifrig jeden Blick und tippte wieder etwas in ihr iPhone ein. Die Jungs, die sich unter der Treppe versteckt hatten, als wären sie Hipster-Kobolde, hatten sich jetzt an der Theke postiert und versuchten erfolglos, sie anzumachen.
Ich kniete mich auf eins der Ledersofas und versuchte Virginie zuzuwinken, wobei ich mir zum tausendsten Mal wünschte, ein funktionierendes Mobiltelefon zu haben, als ich plötzlich merkte, dass die Musik sich geändert hatte. Da spielte keine langweilige schwammige Indie-Supportband mehr, das war Alex. Mitten im Winken verharrte ich und sah ihn mit seiner Gitarre mitten auf der Bühne stehen, um sie zu stimmen, ein paar Akkorde anzuschlagen und dann dem Toningenieur ein paar Fragen auf Französisch zu stellen. Es machte mich wahnsinnig, ihn eine andere Sprache derart perfekt sprechen zu hören, als wäre er jemand anderer. Doch bei genauerer Überlegung wurde mir klar, dass ich weitaus glücklicher wäre, wenn die Tatsache, dass er fließend Französisch sprach, das Einzige wäre, was ich auf dieser Reise über Alex herausgefunden hatte. Graham und Craig tauchten hinter ihm auf und hantierten an ihren Instrumenten, während Alex weiterhin Saiten anschlug, sang und stoppte, bis der Sound ihn zufriedenstellte.
»Ich weiß noch genau, wann er diesen Song geschrieben hat.«
Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, wer es war, tat es aber doch. Solène kniete neben mir auf dem Sofa und hatte ihre Arme und darauf ihr Kinn auf dem Metallgeländer abgelegt. Sie starrte verklärt lächelnd auf die Bühne.
»Wir haben nicht lange zusammengelebt. Ich hatte solches Heimweh nach Paris, und er gab sich so viel Mühe, mich glücklich zu machen.« Nun legte sie ihren Kopf auf ihren Armen ab und wandte sich mir mit ihrem Lächeln zu. »Wenn er ihn auf Französisch singt, ist er sogar noch schöner.«
Ich presste meine Lippen zusammen und hielt mich am Geländer fest. Eine kluge Antwort fiel mir nicht ein, dafür überkam mich das sehr starke Verlangen, auf ihren Kopf einzuschlagen, sie ein Miststück zu nennen und ihr zu sagen, dass sie sich verpissen solle. Was sehr befriedigend, aber nicht sehr erwachsen gewesen wäre.
»Manchmal haben wir zusammen gesungen, was noch schöner war.« Sie zog ihr langes blondes Haar über die Schulter und kämmte es mit ihren Fingern.
»Ach, verpiss dich einfach, du Miststück!« Ich starrte geradeaus. Und verhielt mich nicht sehr erwachsen. Aber wenigstens vermöbelte ich sie nicht. »Hast du nicht gesagt, du hast einen festen Freund?«
»Habe ich das gesagt?« Wie jede hinterhältige Harpyie, die wusste, was sie tat, ging Solène nicht auf meine lächerlich kindische Beleidigung ein. Sie lächelte mich weiterhin an. »Ich dachte, wir wären Freunde, Angela.«
»Nein, das dachtest du nicht«, erwiderte ich. »Du denkst daran, mir meinen Freund wegzunehmen.«
»Ach bitte, wir sind doch keine kleinen Kinder«, sagte sie lachend. »Ich werde dir doch nicht deinen Freund wegnehmen.«
»Tatsächlich nicht?« Mir gefielen die Anführungszeichen nicht, in die sie »deinen Freund wegnehmen« setzte. Und die Anspielung, dass ich diejenige war, die sich kindisch benahm, gefiel mir noch viel weniger. Selbst wenn es stimmte.
Sie seufzte. »Alex ist der Meine. Ich kann nichts wegnehmen, was mir bereits gehört.«
Nun setzte ein leichtes Zittern ein, und mein Mund wurde trocken, weil ich zu viel getrunken hatte. Ich drehte mich zu ihr um.
»Ist das dein Ernst? Hast du das wirklich gerade gesagt?«, fragte ich fassungslos. »Das sagt nämlich eigentlich keiner. Und außerdem ist er nicht der Deine. Ist es schon recht lang nicht mehr.«
»Was hast du denn mit deinem Gesicht angestellt?«, fragte sie und legte in vorgetäuschtem Entsetzen lachend ihre Hand auf ihren Mund. »Hoffentlich tut das nicht allzu weh.«
Ich ging nicht darauf ein und kämpfte gegen meine Tränen an. Aber Solène schien es nichts auszumachen, dass ich nicht voll in das Gespräch einstieg, denn sie plauderte fröhlich für uns beide.
»Es ist traurig, dass Alex und ich so lange getrennt waren, aber jetzt sind wir bereit dazu, wieder zusammenzukommen«, erläuterte sie. »Er ist bereit dazu.«
»Und er hat es überwunden, dass du ihn wie eine ausgewachsene Schlampe betrogen hast?«, fragte ich, um Gelassenheit bemüht. Keine leichte Aufgabe.
»Ich habe etwas Schreckliches getan, aber natürlich hat es auch einen Grund dafür gegeben. Wir haben bereits darüber gesprochen.«
»Und das ist auch der Grund, weshalb ich weiß, was für eine gemeine betrügerische Schlampe du bist.«
»Das ist so ein hässliches Wort.« Solène schüttelte ihr glänzendes blondes Haar. »Du bist doch Schriftstellerin, non? Fallen dir keine besseren Wörter für mich ein?«
Das Schlimmste war, mir fielen keine anderen ein. Ich hatte keine Worte. Nur einen riesigen Klumpen im Hals und den zunehmenden Drang, mich zu übergeben.
»Was ich getan habe, habe ich nur getan, weil er zu viel für mich war.« Solène legte ihre Hand auf meine. »Ich habe Alex sehr geliebt, aber ich war so jung, und er hat mich zu sehr bedrängt. Nachdem er um meine Hand angehalten hatte, habe ich Panik bekommen, mich betrunken, sein Freund ist vorbeigekommen, und ich war außer mir. Ich wusste nicht, wie mir geschah, aber plötzlich war ich mit ihm im Bett, und natürlich ist ausgerechnet in dem Moment Alex nach Hause gekommen.«
Ich zog meine Hand unter ihr weg, als hätte ich mich verbrannt. Wie konnte sie es wagen, mich anzufassen? »Noch mal zurück, was hast du gerade gesagt?«
»Ich verstehe nicht, wohin zurück?«, fragte sie unschuldig, die Augen weit aufgerissen.
»Verdammt, du weißt genau, wovon ich rede.« Gleich würde ich doch noch meine Fäuste einsetzen. »Er hat um deine Hand angehalten? Alex wollte dich heiraten?«
»Ja, das hat er. Mehrmals.« Sie lächelte traurig, warf sich herum und lehnte ihren Kopf gegen die Sofalehne. »Und ich wünsche mir jeden Tag, ich hätte ja gesagt.«
Ich kniete noch immer auf der Bank und schaute zu meinem Freund auf der Bühne. Er hatte seine Akustikgitarre gegen eine E-Gitarre getauscht und drehte eifrig an den Wirbeln, wobei sein Blick auf den Monitor vor seinem Fuß gerichtet war. Unter der Bühnenbeleuchtung schimmerte sein Haar bläulich, und sein T-Shirt, das ausgewaschene Nirvana-T-Shirt, das ich getragen hatte, als ich zum zweiten Mal bei ihm übernachtet habe (ich war ein Mädchen und vergaß solche Dinge nicht), steckte unter einer ausgeleierten schwarzen Jacke. Seine verwaschenen schwarzen hautengen Jeans zeigten, wenn er sich bückte, um an seinem Monitor herumzufummeln, ein klein wenig zu viel von seinen Boxershorts. Graham sah mich als Erster und winkte, formte ein wortloses Hi und rief dann Alex etwas zu. Er blickte von der Bühne auf und warf mir ein derart strahlendes Lächeln zu, das ich nicht anders konnte, als es zu erwidern. Aber meins konnte nicht mithalten.
»Und so bin ich zurück nach Paris gekommen. Ohne ihn hatte ich keinen Grund mehr, in der Stadt zu bleiben. New York war tot und kalt für mich«, erzählte Solène ihre sentimentale Geschichte weiter, während ich heftig und abgehackt atmend hinab auf die Bühne sah. »Ich habe ihn angefleht, mich wieder aufzunehmen, habe Briefe geschickt, ihm Songs geschrieben, sogar Flugtickets geschickt, aber sein Herz war gebrochen. Und als mir dann die vielen Geschichten zugetragen wurden, dass er sich mit vielen Mädchen trifft, hat das mir das Herz gebrochen.«
»Das habe ich auch gehört.« Ich löste mich von Alex’ Anblick und schwang meine Beine herum, bis ich auf dem Sofa saß. Das war nicht wahr, das durfte nicht wahr sein. »Aber dann hat er ein wirklich nettes Mädchen getroffen und sie immer öfter gesehen und war rundum glücklich.«
»Er hat nicht so glücklich gewirkt, als wir vorhin was trinken waren«, konterte sie. »Ich würde sogar sagen, er war sehr unglücklich. Und durcheinander.«
»Ich werde nicht mit dir hier zusammensitzen und mich mit dir streiten«, sagte ich und fand endlich genügend Kraft in meinen Beinen, um aufzustehen. »Du und Alex, das ist vorbei. Er hat es gesagt. Er hat es mir erklärt. Mir ist egal, warum ihr euch vorhin in dieser Bar getroffen habt, und es ist mir auch egal, welche Erwartungen du hegst. Es wird nicht geschehen. Es ist vorbei.«
»Nein, das ist es nicht. Es tut mir leid, Angela, du bist –«, sie machte tatsächlich eine Pause, um mich von Kopf bis Fuß zu mustern – »nett? Aber ich liebe Alex, und er wird mich immer lieben. Ich kenne ihn, ich weiß, was er will.«
»Und was ist, wenn er dich nicht will?«, fragte ich, plötzlich nicht mehr ganz so sicher, da Solène sich vom Sofa erhob und vor mich stellte, um die Treppe zu blockieren. Ihre hautengen Jeans betonten ihre Kurven, die auch nicht den kleinsten Muffin-Ansatz erkennen ließen, und ich war mir ziemlich sicher, dass sie unter ihrer schwarzen Weste keinen BH trug. Mit ihren langen blonden Haaren, die über eine Schulter nach vorne fielen, und ihren perfekt abgetragenen Ballerinas glaubte man in den schmeichelhaftesten Zerrspiegel zu blicken, den man sich nur vorstellen konnte.
»Aber er tut es.« Ihre Augen wurden schmal, und sie kam auf mich zu. »Er will mich ganz. Warum sollte er auch nur über dich nachdenken?«
Ich hatte nichts zur Hand. Also schob ich sie zur Seite und rannte die Treppe hinunter. Ich gab mir Mühe nicht zu fallen, aber auch das wäre mir egal gewesen. Meine Handtasche schlug rhythmisch gegen meine Hüfte, während ich schleunigst aus dem Hauptraum stolperte, um ja nicht Alex zu begegnen. Es reichte, das alles von ihr zu hören, es von ihm bestätigt zu sehen, sie zusammen zu sehen, wäre zu viel.
»Angela?«
Ich wusste nicht, wer es war, und es kümmerte mich auch nicht. Ich wollte nur noch zurück ins Hotel, weiß Gott, was danach kam, aber im Moment hielt mich hier nichts mehr.
»Warte, Angela!«
Ich war schon bis zum schmalen Eingang des Klubs vorgedrungen, wo ich mich dem Massenansturm der Stills-Fans gegenübersah, die sich durch die Türen drängten, sobald geöffnet wurde. Einen Moment lang verharrte ich vor ihnen wie erstarrt, spürte dann jedoch eine Hand, die mich gewaltsam beiseite schob, und in einen anderen dunklen Durchgang zerrte. Ich tastete an den Wänden nach einem Lichtschalter, bis ich ein Klicken hörte. Ein paar mal Blinzeln später sah ich Graham vor mir stehen. Und jede Menge Wischmopps. Offenbar befanden wir uns in einer Besenkammer.
»Wo rennst du hin?«, fragte er. »Hast du mich nicht rufen hören?«
»Doch, nein. Ich meine, tut mir leid«, sagte ich mit Blick auf meine Füße. »Ich wollte einfach nur raus.«
»Ich würde eine Weile warten, bis der Andrang nachlässt«, meinte er und legte eine Hand auf meine Schulter. »Äh, Angela, ich glaubte vorhin Solène oben bei dir auf dem Balkon gesehen zu haben.«
Zum zweiten Mal in zwei Minuten erstarrte ich. Ich ertrug es nicht, ihren Namen zu hören, es war, als sähe ich eine riesengroße Spinne in der Badewanne.
»Dann war sie also da?«, hakte Graham nach. »Alex wird durchdrehen, wenn er sie hier sieht.«
»Oder auch nicht«, erwiderte ich ruhig und kämpfte tapfer gegen meine Tränen an. Ihretwegen würde ich keine vergießen. Jedenfalls nicht, solange ich mit Leuten zusammen war. Später vielleicht, in meinem Bett, allein. Stundenlang. Ja, das war das passende theatralische Ambiente.
»Alex wird ausflippen, wenn er herausfindet, dass sie hier ist, glaub mir.« Und Graham sah aus, als wäre es ihm ernst. »Ich muss sie finden und sie hinauswerfen, bevor …«
»Bevor er wieder um ihre Hand anhält?«, unterbrach ich ihn.
Für einen kurzen Moment fiel ihm die Kinnlade runter, aber gleich darauf tarnte er das mit einem Hüsteln.
»Und anstatt sie zu suchen, könntest du auch Alex fragen, warum er vorhin mit ihr in einer Bar war.« Ich kickte einen verirrten Bodenschwamm beiseite, auf dem ich stand, und traf Graham damit am Schienbein. »Und auch warum sie sich so sicher, so unglaublich sicher ist, dass er sie noch immer liebt.«
»Das tut er nicht, Angela«, beharrte Graham und kickte den Schwamm zu mir zurück. »In dem Punkt musst du mir einfach vertrauen. Ich kenne den Kerl seit mehr als zehn Jahren, und das kann nicht sein.«
»Nun, wem soll ich trauen, wenn die einzige Person, die mit mir Klartext spricht, seine Exfreundin ist, die beschlossen hat, ihn zurückzuerobern und zu heiraten«, platzte es aus mir heraus, weil ich schließlich doch die Kontrolle über mich verlor. »Und du wusstest offenbar nicht, dass er sie heute Abend getroffen hat, oder? Vielleicht erzählt er es dir einfach nicht, weil er weiß, dass du sie nicht magst.«
»Hör mir zu. Alex liebt sie nicht, er kann sie nicht ausstehen«, wiederholte Graham, obwohl sich das in meinen Ohren schon etwas unsicherer anhörte. »Und du weißt, dass er verrückt nach dir ist.«
»Ich weiß nicht mehr, was ich weiß«, sagte ich leise und versuchte mich zu beruhigen. Vor Graham auszurasten würde mir auch nicht weiterhelfen. Gut, es ginge mir dann vielleicht ein bisschen besser, aber es wäre keine langfristige Lösung.
»Möchtest du denn mit ihm reden?«, fragte Graham und legte einen Arm um meine Schultern, um mich in einer brüderlichen Umarmung an sich zu drücken. »Er ist mit dem Soundcheck fertig. Ich kann ihn herholen.«
»Ich glaube, ich möchte lieber gehen und mich schlafen legen.« Ich erwiderte die Umarmung. »Ehrlich. Morgen ist schließlich ein großer Tag.«
»Stimmt.« Graham nickte und ließ mich los. »Ich, äh, aber was soll ich Alex erzählen?«
»Erzähl ihm nichts«, sagte ich, reckte mich und gähnte. »Ich will ihm vor dem Auftritt keinen Stress machen, wir können später reden.«
Es war natürlich gelogen. Wenn auch nur irgendwas von dem stimmte, was Solène erzählt hatte, dann wäre Stress machen noch das Geringste, was ich ihm antun möchte. Und er wusste schließlich, dass ich schon anderen Männern was gebrochen hatte. Idiot.
»Aber ich möchte ihn nicht anlügen.« Graham fühlte sich unbehaglich. »Wenn er fragt, werde ich ihm einfach sagen, dass du ins Hotel zurückgekehrt bist und er dich anrufen soll, o.k.?«
»Sag, was du willst«, erwiderte ich und umarmte ihn kurz. Plötzlich hatte ich das Gefühl, mich tatsächlich in eine Müdigkeit hineingeredet zu haben. Und er brauchte nicht zu wissen, dass ich gar kein funktionierendes Telefon hatte.
»Bist du dir ganz sicher, dass du nicht mit ihm reden willst?«, erkundigte Graham sich noch einmal. »Mir gefällt es nämlich nicht, dass du jetzt ins Hotel zurückkehrst und den Mist, den sie dir erzählt hat, für bare Münze nimmst. Sie ist verrückt, Ange. Du solltest den Müll nicht glauben, den sie von sich gibt.«
»Ja, ich weiß.« Dass sie verrückt war, damit hatte er recht, aber Verrückte waren nicht zwangsläufig auch Lügner. »Ich verspreche dir, dass ich nach dem Gig mit ihm reden werde, mach dir keinen Stress. Geh. Spiel.«
Zufrieden, dass ich mich nicht in den Fluss werfen würde, öffnete Graham langsam die Tür, um sich zu vergewissern, dass wir nicht gleich von der gesamten Indie-Szene von Paris niedergetrampelt werden würden. Nach einer weiteren knappen Umarmung zwängte ich mich durch den Eingang und atmete auf, als mich die kühle Luft der dunklen Straße umfing. Mir war alles zu viel, und ich war völlig durcheinander und merkte deshalb erst auf halber Strecke, dass ich Virginie an der Bar völlig vergessen hatte. Brummelnd machte ich kehrt, um wieder hineinzugehen und ihr zu sagen, dass ich aufbrach. Sie dort einfach allein sitzen zu lassen wäre unverschämt, und obwohl ich das Gefühl hatte, einen Persilschein für unverschämtes Verhalten verdient zu haben, wäre es Virginie gegenüber nicht fair.
Allem Anschein nach waren alle diejenigen, die es gerade noch so eilig gehabt hatten, zum Gig zu kommen, nur kurz drinnen gewesen, um was zu trinken, denn sie kamen wieder heraus, um zu rauchen. Ich versuchte mir höflich einen Weg durch die Menge zu bahnen, um zu dem grellen Licht und all dem Lärm zurückzukehren, wo sich meiner Meinung nach der Eingang befinden musste, aber die frische Luft tat meinem benebelten Kopf nicht gut. Und da alle hautenge Jeans zu abgetragenen T-Shirts trugen und kunstvoll zerzaustes Haar hatten, konnte man ohnehin niemanden erkennen. Doch abgesehen von meinen Haaren, die wirklich zerzaust waren, und davon, dass ich weitaus mehr wog als alle anderen Frauen auf der Straße, fügte ich mich bestens ein. Es würde Jenny zwar auch nicht weiterhelfen, aber zum ersten Mal war ich erleichtert, dass ich keine Giuseppe-Zanotti-Stiefelchen und dazu ein mit Pailletten besticktes Minikleid von Balenciaga anhatte. Das blaue Auge hob mich schon genug von der Menge ab.
»Hi, ich muss wieder hinein, ich bin gerade erst rausgegangen«, erklärte ich dem Mädchen an der Tür. Sie sah mich verständnislos an, während sich mir ein sehr großer Mann in den Weg stellte.
»Ich stehe doch auf der Liste?«, sagte ich und sah erst das Mädchen, dann den Mann an. Der gleichermaßen unbeeindruckt war.
»Ich stehe auf der Liste für Stills, äh, je m’appelle Angela Clark.« Ich deutete mit Nachdruck auf die Liste.
»Je ne parle pas l’anglais«, sagte das Mädchen spöttisch, die Augen fest auf das Stück Papier vor ihr gerichtet, worauf mein Name sorgfältig ausgestrichen worden war. Na super.
Als ich schon aufgeben wollte und mir vornahm, Virginie vom Hotel aus eine E-Mail-Entschuldigung zu schreiben, entdeckte ich sie. Sie stürmte, ihr iPhone ans Ohr gepresst, aus dem Klub und drängte alle beiseite, die ihr im Weg standen. Sie sah wütend aus. Ich folgte ihr die Straße hinunter und versuchte sie einzuholen, ohne ihren Anruf zu unterbrechen, aber für jemand, der so winzig ist, war sie unheimlich schnell. Kein Wunder, dass sie nie ihre Louboutins trug, denn sie bräche sich Kopf und Kragen, wenn sie bei dieser Geschwindigkeit auf ihren zehn Zentimeter hohen Absätzen laufen würde.
»Aber mehr kann ich nicht tun«, hörte ich sie ins Telefon brüllen. »Ich habe ihr nicht bei dem Artikel geholfen, er wird nicht gut werden, was soll ich denn sonst noch machen?«
Ich folgte ihr, hielt aber ein wenig Abstand und drückte mich an die Mauer. Sie bog um die Ecke und seufzte laut. »Was kann ich denn sonst noch tun, Cici? Bitte, ich hasse das.«
Also wirklich, mir blieb an diesem Abend viel öfter die Luft weg, als gesund sein konnte. Cici? Sie telefonierte mit Cici?
»Vielleicht«, sagte sie langsam. »Alors, ihr Freund, der hat jemand anderen hier in Paris, eine Exfreundin. Sie ist deswegen sehr unglücklich.«
Ich schloss meine Augen und versuchte das Atmen nicht zu vergessen. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Sie redeten über mich? Sie sprachen über Alex?«
»Sie ist sehr hübsch, ja, aber ich weiß nicht, ob es stimmt.« Sie lachte kurz auf. »Nein, das zählt vermutlich nicht. Und sie ist sehr sexy, weshalb ich annehme, dass es auf ihn zutrifft. Außerdem war er Angela gegenüber nicht sehr aufmerksam.«
Nun, das stimmte, wie ich mir eingestehen musste. Aber mal ernsthaft, was ging da vor sich? Virginie war einen Moment lang still und gab zustimmende Laute von sich, während Cici auf sie einredete. Ich konnte sie selbst um die Ecke regelrecht durchs Telefon krähen hören, ohne den genauen Wortlaut zu verstehen.
»Ja, vielleicht. Heute hat sie sich mit einer Freundin aus London getroffen und war sehr traurig«, plauderte Virginie weiter. »Und ich glaube, sie spricht nicht mehr mit ihrer amerikanischen Freundin, sie heißt Jenny, wie ich glaube? Wenn ihr Freund sie wirklich betrügt, dann vielleicht. Wenn außerdem der Artikel richtig schlecht wird, dann macht sie das vielleicht.«
Was macht sie vielleicht? Was?
»Ich glaube nicht, dass es Ihnen problemlos gelingen wird, sie zur Abreise zu bewegen, und wie gesagt, Cici, sie hat Ihrer Mary eine E-Mail geschickt, in der steht, dass Sie sie mit Ihren Vorschlägen in die Irre geführt haben. Könnte das nicht zum Problem werden?«
Natürlich nicht, sagte ich mir verbittert, für Cici gab es keine Probleme. Sie war eine Spencer. Dann waren all diese idiotischen Adressen, zu denen sie mich geschickt hatte, nicht scherzhaft gemeint gewesen, sondern Teil ihres Plans, mich wirklich loswerden zu wollen. Mein Gott, was war nur los mit diesem Mädchen?
»Sie wissen, dass ich das nicht mag, Cici«, winselte Virginie ins Telefon. »Ich weiß, was Sie gesagt haben, aber ich mag sie. Sie von dem Artikel abzulenken war nicht allzu schwer gewesen, aber das ist nicht fair. Da geht es um ihr Leben, nicht bloß um einen Job.«
Ich strich mit meinen Ringfingern unter meinen Augen ein paar verirrte Tränen weg. Sie versuchte offenbar allen Ernstes, mich fertigzumachen. Und Virginie machte mit? Sie war also doch ein Belle-Mädchen. Ich war ja so dumm. Natürlich war sie nicht so nett, wie sie tat! So nett war keiner! Und wenn ich darüber nachdachte, dann hatte ich sie für so viele Dinge in Schutz genommen, die einfach nicht stimmten, und das nur, weil ich sie mochte. Wann würde ich endlich meine Lektion lernen? Man durfte Leuten einfach nicht vertrauen.
»Vielleicht trifft sie die Entscheidung ja selbst«, sagte sie. »Es gibt eigentlich nichts, was sie in New York festhalten sollte. Sie wäre in London bestimmt glücklicher.«
Ich schielte um die Ecke und hörte einen lauten Aufschrei von Cici, bei dem Virginie sich abrupt den Hörer vom Ohr riss.
»Ich weiß, dass es Ihnen völlig egal ist, ob sie glücklich ist, aber ich bin auch nicht glücklich«, seufzte sie. »Ich habe alles getan, worum Sie mich gebeten hatten. Haben Sie mit Donna gesprochen?«
Sie knabberte an ihren kurzen Nägeln und nickte ins Telefon. »Das war aber unsere Vereinbarung Cici, Sie werden mir doch das Visum beschaffen können, oder?«
Das Nicken ging in ein Zittern über, und ihre hübsche Schnute wurde zu einer harten, dünnen Linie. »Non, um das Vorstellungsgespräch kann ich mich selbst kümmern, aber ich brauche das Visum.«
Ich hatte Virginie noch nie richtig wütend erlebt, aber verrückterweise war sie auf diese Weise viel überzeugender als in ihrer Rolle als superflotter Superfan. Das kannte ich, das war menschlich. Selbst wenn es ein Mensch war, der mich nach Strich und Faden beschissen hatte.
»Das können Sie nicht machen!«, kreischte sie ins Telefon. »Ich habe getan, was Sie von mir verlangt haben, ich kann niemanden dazu bringen, in ein anderes Land zu ziehen. Sie haben mir Ihr Versprechen gegeben, Cici …«
Ich bog um die Ecke und hielt mich am Riemen meiner Tasche fest, um Halt zu finden.
»Angela!« Virginie schaltete auf Lächeln um, aber es ging nicht schnell genug. »Ich bin nach draußen gegangen, um Sie zu suchen.«
Einen Moment lang stand ich nur da und starrte sie an. Und dann plötzlich löste sich explosionsartig alles in meinem Kopf. Mein gesprengter Koffer, Jenny, die nicht mehr mit mir redete, dass ich über Alex’ blöde Schuhe gestolpert war und mir mein Gesicht angeschlagen hatte, der vermasselte Belle-Artikel, Alex, der beschlossen hatte, nun doch nicht mehr auf meinen Einzug bei ihm erpicht zu sein, Louisa, die ich so sehr vermisst hatte und die jetzt ein Baby bekam, und dann das hier. Es gab überhaupt keine Worte für meine unglaubliche Wut. Also suchte ich auch nicht nach Worten. Ich schlug ihr sofort ins Gesicht.
»Angela!«, schrie sie und riss ihre Hände hoch. Ich starrte auf meine Handfläche – wow, das war weitaus schmerzhafter, als ich gedacht hatte. Aber letztendlich doch äußerst befriedigend. Selbst die Stimmen in meinem Kopf schwiegen verdutzt. Neben uns hatte sich ein kleiner Menschenauflauf gebildet, der zwischen Flüstern und Anfeuern gespalten war. Ich bewegte meine Finger, schaute Virginie an und drehte dann achselzuckend dieser ganzen traurigen Situation den Rücken zu. Aber ich fühlte mich sofort besser. Nicht, dass Gewalt zu irgendeiner Lösung beitrug. Nur manchmal half es einfach.
»Bitte warten Sie, Angela«, flehte Virginie mich an und folgte mir die Straße hinunter. »Angela!«
»Lassen Sie es gut sein.« Mit einem Gefühl wie Watte im Kopf ging ich weiter. »Ich habe alles mitgehört. Also ganz im Ernst, lassen Sie mich in Ruhe.«
»Nein, ich war nicht, ich – Sie haben es gehört?«, fragte sie und baute sich vor mir auf der Straße auf.
»Ich habe es gehört«, bestätigte ich. »Also verpissen Sie sich!«
»Aber ich hatte doch keine andere Wahl«, protestierte Virginie. »Ich werde Ihnen alles erklären. Ich bewerbe mich für eine Stelle als Beauty Assistant bei US Belle, bekomme aber nicht das dafür benötigte Visum. Cici hat gesagt, sie könnte mir helfen.«
»Cici hilft nie jemandem«, sagte ich und versuchte seitlich an ihr vorbeizukommen, aber sie sprang ständig vor mir hin und her. »Und ich habe gedacht, das wüssten Sie.« Ich blieb stehen, seufzte und schob sie aus dem Weg.
»Ich habe nicht gelogen, wir waren nicht befreundet.« Virginie rannte neben mir her. Abhängen konnte ich sie nicht, dazu war sie viel zu schnell. »Sie hat herausgefunden, dass ich mich für diesen Job beworben habe und mich dann gefragt, ob ich Ihnen bei Ihrem Artikel helfen möchte. Ich bin wirklich Fan von Ihrem Blog, Sie inspirieren mich.«
»Und was an mir hat Sie so inspiriert, dass Sie mich vollkommen verarscht haben?«, fragte ich und blieb schließlich stehen. Und dies, weil ich die Orientierung verloren hatte und nicht, weil ich ihr zuhören wollte. In New York verlor man die Orientierung nicht so leicht. So schön Paris auch war, sich hier zurechtzufinden, war nervig.
»Anfangs bin ich davon ausgegangen, dass ich Ihnen bei Ihrem Artikel helfen sollte, deshalb habe ich eingewilligt«, sagte sie rasch. »Aber nachdem ich den Job angenommen hatte, habe ich mit Cici gesprochen, und sie hat gemeint, ihre Chefin sei in Sorge, Belle könnte Ihrer Karriere abträglich sein, weshalb Sie den Job lieber nicht annehmen sollten, aber nachdem Sie sich nicht davon abbringen ließen, soll sie Cici gegenüber angeblich geäußert haben, Sie feuern zu wollen.«
»Und das haben Sie ihr geglaubt?«
»Belle ist für niemanden gut«, gab Virginie zu. »Es schadet Menschen, die nett sind.«
»Wissen Sie, was ich gerade sagen wollte?« Ich lachte. Oh, ich war so schräg drauf. »Ich wollte gerade sagen, dass Sie nett sind, obwohl Sie bei Belle arbeiten. Bin ich wirklich so blöd?«
»Ich weiß, dass ich nicht nett bin«, gab sie viel zu schnell zu. »Aber es ist mein sehnlichster Wunsch, in New York zu arbeiten. Und Cici hat mir erzählt, dass Sie wirklich eine Zicke sind, weshalb ich mich bei der ganzen Sache auch nicht allzu schlecht gefühlt habe. Bis ich Sie dann persönlich getroffen habe.«
»Cici hat also gesagt, ich sei eine Zicke«, wiederholte ich. »Wow, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.«
»Verzeihung, ich verstehe nicht.« Virginie holte aus, um mich am Arm zu packen. »Aber ich weiß, dass Sie keine Zicke sind. Ich bin eine Zicke, aber ich kann Ihnen immer noch bei Ihrem Artikel helfen. Es tut mir sehr leid, es war falsch von mir, aber ich möchte noch immer unheimlich gern nach New York kommen.«
»Ich brauche Ihre Hilfe nicht«, log ich, wohl wissend, dass ich sie mehr als nötig hätte. »Der Artikel sieht schon ganz passabel aus, ich kriege das schon hin. Und hören Sie auf damit, mich wieder auf Ihre Seite ziehen zu wollen, Sie sind aufgeflogen. Ihr seid beide ruiniert, Sie und diese verdammte Cici Spencer.«
»Passabel reicht nicht für Belle«, gab Virginie zu bedenken. »Lassen Sie mich bitte mithelfen. Es war sehr dumm von mir, Cici zu helfen, das weiß ich. Und ich fühle mich auch schrecklich dabei.«
»Nun, das sollten Sie auch«, sagte ich und löste ihre Hand von meinem Arm. »Sie haben einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Hoffentlich beißt er Sie in den Hintern.«
Ziemlich zuversichtlich, die richtige Richtung einzuschlagen, ließ ich Virginie einfach stehen und ging im Laufschritt die Straße hinunter zum Hotel.