Zwei
»Was ist das für ein Lärm?«, stöhnte Alex unter seiner Bettdecke.
»Mein Telefon.« Ich kletterte am nächsten Morgen aus dem Bett und tapste fluchend ins Wohnzimmer, um dem Piepen zu folgen. »Schlaf weiter.« Ich tauchte einen Arm in die Dunkelheit, hinter der ich das Sofa vermutete, bis ich mein vibrierendes Telefon fühlte.
»Ja?«, meldete ich mich eloquent.
»Hi, Angela?«
»Äh?«, murmelte ich und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Wie spät war es überhaupt?
»Angela, hier ist Cici. Aus dem Büro. Waren Sie noch im Bett, Sie Schlafmütze?«
Kein Wunder, dass ich geschockt war. Wenn ich eine New Yorker Rachegöttin zu benennen hätte, dann wäre das Cici. Sie war die Assistentin meiner Chefin bei The Look: groß, dünn, stinkreich, verzweifelt »im Trend«, doch Gott sei Dank immer zuverlässig in ihrem leidenschaftlichen Hass auf mich. Bis auf heute. Mist.
»Äh, ich war unter der Dusche«, log ich völlig grundlos. Ich zog das Telefon von meinem Ohr und schielte auf die Uhr. Sie zeigte gerade mal halb neun. Was mich durchaus berechtigte, noch im Bett zu sein. Oder etwa nicht? Hatte ich was vergessen? »Was ist los, Cici?«
»Nichts ist los«, giggelte sie. Giggelte tatsächlich. »Mary hat mich gerade gebeten, Sie anzurufen, um zu hören, ob Sie heute Zeit hätten für ein Treffen um die frühe Mittagszeit. Nun kein Treffen, eher eine Verabredung zum Mittagessen. Zwölf Uhr? Im Pastis?«
Fast hätte ich den Hörer fallenlassen. Mary Stein, meine Redakteurin bei Spencer Media, hatte mich noch kein einziges Mal aus ihrem Büro begleitet, geschweige denn zum Mittagessen ausgeführt. »Ja?« Es war Frage und Bestätigung zugleich.
»Wunderbar.« Cici giggelte wieder. »Ach ja, und Mary lässt ausrichten, dass Mr. Spencer wie in Spencer Media sich zu Ihnen beiden gesellen wird. Also … und ich möchte Ihnen sagen, und das ist ganz lieb von mir gemeint, dass Sie sich gut anziehen sollten. Sie wissen schon, ziehen Sie bloß nicht das an, was Sie immer tragen, wenn Sie herkommen. Oder irgendwas, was Sie sonst immer hier getragen haben. Es ist was Schickeres.«
Und das war wieder ganz die Cici, die wir alle kannten und liebten. Bevor ich auch nur eine Antwort seufzen konnte, hatte sie schon aufgehängt. Ich saß in meiner Unterhose auf dem kalten Laminatboden und starrte aus dem Fenster hinaus auf die Stadt vor mir. Lunch mit Mr. Spencer wie in Spencer Media. Was hatte das zu bedeuten? Sicherlich was Gutes, denn es konnte unmöglich was Schlechtes sein.
Schlecht war nur mein Zustand, überlegte ich, als ich mich beim Aufstehen im Fenster gespiegelt sah. In einer Weste und in Flip-Flops und mit zotteligen Haaren konnte ich unmöglich im Pastis aufkreuzen. Verwuschelte Haare waren theoretisch super, aber in der Realität sahen sie einfach nur aus, als hätte ich nicht geduscht.
»Habe ich irgendwelche Klamotten hier?«, fragte ich den verschlafen aussehenden Alex, während ich mich im Schlafzimmer auf Hände und Füße fallen ließ, um nach einem verirrten Kleid oder Rock unter seinem Bett zu suchen.
»Bin mir ziemlich sicher, dass du was anhattest, als du gekommen bist«, murmelte er und legte seinen Unterarm über seine Augen. »Ich weiß ja, dass du ständig irgendwas verlierst, aber auch du dürftest es kaum schaffen, über Nacht in einer kleinen Wohnung deine Kleider zu verlieren.«
»Du bist albern.« Ich zog das nicht mehr taufrische Ensemble vom Vortag unter dem Haufen hervor, den Alex aus seinen Jeans und seinem T-Shirt gemacht hatte. »Mein Verlag hat gerade angerufen, ich habe mit Mary eine Verabredung zum Mittagessen im Pastis. Ich muss heimfahren und mich umziehen.«
»Wenn du hier wohnen würdest, bräuchtest du das nicht«, erwiderte er, ohne sich zu rühren.
»Damit hast du nicht ganz unrecht«, sagte ich und kämpfte mich in meine Sachen. Ich beugte mich übers Bett, gab ihm einen flüchtigen Kuss und einen sanften Klaps auf den Kopf. »Ich ruf dich später an.«
»Ja, ja.« Er lächelte, hielt aber seine tiefgrünen Augen geschlossen. »Ich weiß ja, dass ich für dich nicht mehr bin als ein Rendezvous für Gelegenheitssex. Du harte britische Herzensbrecherin.«
Ich blieb in der Tür stehen, schlüpfte in meine Havaianas und verfolgte, wie er wieder unter das dünne weiße Laken seines Bettes abtauchte. Ich war wirklich dumm. Allein die Vorstellung, jeden Morgen neben diesem schwarzen Wuschelkopf aufzuwachen und nicht im Eiltempo zurück nach Manhattan zu müssen, weil es nur dort anständiges Haarwaschmittel und eine Haarspülung und was zum Anziehen gab. Wieso haben Jungs auch ohne Haarspülung immer so seidiges Haar? War die ganze Industrie ein einziger Schwindel? Kopfschüttelnd versuchte ich mich zu konzentrieren. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, sich über die Effektivität von Pantene Gedanken zu machen.
»Hast du vor, bald zu verschwinden, oder willst du da stehen bleiben und mich den ganzen Tag zum Ausflippen bringen?«, fragte Alex unter seinem Laken hervor und schreckte mich auf.
»Ich gehe«, sagte ich und nahm meine Handtasche vom Sofa mit. »Bin schon weg.«
»Ich komme heute Abend vorbei. Damit wir über Paris reden!«, rief er.
»Heute Abend«, willigte ich ein und schloss hinter mir die Tür.
Erst Dusche und Pastis, dann Alex und Paris.
Meine Vorbereitungen für das Treffen zum Mittagessen wären mir leichter von der Hand gegangen, wenn mir auf dem Nachhauseweg, beim Duschen und bei jedem Garderobenwechsel und sogar noch, während ich etwas Make-up auftrug, das bei dieser Hitze den Weg zum Pastis überdauern könnte, nicht eine Million verschiedener Schreckensszenarien durch den Kopf gespukt wären. Schließlich winkte ich in meinem löwenzahngelben Phillip-Lim-Kleid und goldenen Riemchensandalen vor meiner Wohnung ein Taxi herbei und versuchte nicht mehr an all die Gründe zu denken, die Mr. Spencer bewogen haben mochten, sich mit mir zu treffen. Vielleicht wollte er nur das Mädchen kennenlernen, das James Jacobs interviewt und versehentlich geoutet hatte. Das wollten viele Leute. Vor allem Frauen, ob jung oder alt, die mich gern bitterböse anschauen und mir dann unglaublich unpassende Fragen über seinen Freund stellen würden.
Vielleicht war er aber auch ein Fan meines Blogs. Meines ziemlich beliebigen ›Junge-Engländerin-lebt-in-New-York-und-schwafelt-über-ihr-Alltagsleben‹-Blogs. Ja, das gefällt mit Sicherheit einem über siebzigjährigen Medienmogul. Vielleicht war er aber auch ein begeisterter Fan meiner Rezension des Shakira-Albums, die gerade rauskam? Oder aber er war ein begeisterter Shakira-Fan, und ihm gefiel die Rezension überhaupt nicht? Sicher nicht, meine Rezension war wahnsinnig freundlich. Nein, das waren viel zu viele Möglichkeiten, die keine konkrete Vermutung zuließen.
Auf dem ganzen Weg nach Downtown hoffte und betete ich, dass Cici uns einen Tisch drinnen im Restaurant reserviert hatte, dicht neben der Klimaanlage, und nicht einen der winzigen Tischchen draußen zum Sehen und Gesehenwerden mit Blick auf das Kopfsteinpflaster des Meatpacking Districts, aber als das Taxi vorfuhr, konnte ich Marys stahlgrauen Bob dort bereits neben einem gleichermaßen eindrucksvollen Kopf schneeweißer Haare thronen sehen. Ich war also nicht nur die Letzte, sondern würde auch noch wie ein Schwein auf der Straße schwitzen müssen. Klasse. Natürlich ging auch mein Versuch, ladylike aus dem Taxi zu steigen, schief, denn ich stolperte nach vorn und blieb mit meiner Sandale im Kopfsteinpflaster hängen. In letzter Minute fand ich mein Gleichgewicht wieder, richtete mich auf, strich meinen Rock glatt und winkte Mary zu. Auch ohne hinter ihre große schwarze Sonnenbrille blicken zu können, war ich mir sicher, dass das kleine Lächeln, mit dem sie auf mein Winken reagierte, ihre Augen nicht erreichte.
»Angela Clark, das ist Robert Spencer«, sagte sie und erhob sich von ihrem Stuhl, als ich um den Tisch gehoppelt kam.
Mr. Spencer streckte mir seine Hand entgegen und begrüßte mich mit einem wirklich festen Händedruck. Aua.
»Hallo, Angela«, sagte er und deutete auf den freien Platz neben Mary. »Ich muss sagen, dass ich mich schon eine ganze Weile darauf freue, Sie kennenzulernen. Und bitte nennen Sie mich Bob.«
Ich schielte zu Mary, aber sie war viel zu beschäftigt, ihr Wasser zurück in ihr Glas zu spucken, als darauf einzugehen.
»Danke, äh, Bob«, erwiderte ich und stellte meine Handtasche unter dem Tisch zwischen meinen Füßen ab. »Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen. Ein echtes Privileg. Eine Ehre sogar.« Mary trat unter dem Tisch hart gegen mein Bein, ehe ich weiterschwafeln konnte. Sie hatte ja recht.
»Ganz und gar nicht«, erwiderte er ruhig und forderte den Kellner neben ihm kopfnickend auf, drei große Gläser Weißwein einzuschenken. »Ich genieße es immer, mir Zeit dafür zu nehmen, unsere aufsteigenden Sterne hier bei Spencer Media persönlich kennenzulernen.«
Er hielt sein Glas hoch. »Auf Sie, Angela.«
»Danke.« Ich verschwendete lieber keinen Gedanken daran, was passieren konnte, wenn ich Wein auf einen vollkommen leeren und von Panik aufgewühlten Magen trank, und nahm einen kleinen Schluck.
»Mr. Spencer wollte Sie treffen und mit Ihnen über ein paar neue Chancen sprechen«, sagte Mary und klappte die Speisekarte zu, mit der sie allem Anschein nach sehr vertraut war. »Dinge, die Sie außerhalb Ihres Blogs, außerhalb von The Look tun könnten.«
»Tatsächlich?«, fragte ich und starrte in das undurchdringliche Glas ihrer Sonnenbrille. War das ihr Ernst?
»Meine Damen«, Mr. Spencer klappte seine Speisekarte ebenfalls zu und legte sie vor sich ab. »Sollten wir nicht erst bestellen, bevor wir über Geschäftliches reden?«
»Natürlich, Bob.« Mary lächelte verkniffen und trank ihren Wein. Eine seltsame Situation. Noch nie hatte ich sie außerhalb ihres Büros getroffen, und sie schien sich auch äußerst unwohl zu fühlen. Zum Wohlfühlen war dieses ganze Szenarium wahrlich nicht. Langsam kam ich mir vor wie bei einem Essen mit meiner Mum und meinem Dad, wenn die beiden in einen heftigen Streit verwickelt waren. Und das würde sich keiner wünschen, der sich je mit meiner Mutter gestritten hat.
»Haben Sie schon mal im Pastis gespeist, Angela?«, erkundigte sich Bob.
Ich schüttelte den Kopf und trank meinen Wein, denn ich hatte das Gefühl, dass ich das Sprechen soweit möglich am besten vermeiden sollte.
»Dann würde ich als Vorspeise die Jakobsmuscheln empfehlen und dann vielleicht die pasta puttanesca?«
»Wissen Sie, dass pasta puttanesca Hurenpasta bedeutet?«, ließ ich beiläufig einfließen.
Mary hustete in ihr Weinglas.
»Ich meine, es ist das, was die Huren sich wohl machen, wenn sie, Sie wissen schon, gearbeitet haben.« Ich schaute erst Mary, dann Bob und dann wieder Mary an. Tja. Ich sollte mich an meinen Plan, nicht zu sprechen, auch halten.
»Dann vielleicht die moules frites«, schlug Bob leise vor.
Ehe ich einwilligen konnte, meldete sich jemandes Telefon. Bob schob seinen Stuhl zurück und zog ein winziges Telefon aus seiner Jackentasche. »Verzeihung, meine Damen, das ist für mich. Entschuldigen Sie mich einen Moment?«
»Natürlich, Bob«, sagte Mary und biss die Zähne zusammen, als er den Tisch verließ.
»Wie kann er auch noch ein Jackett anhaben?«, staunte ich und drehte mich in meinem Stuhl herum, um ihm hinterherzuschauen, als er auf die Straße hinausging. Als er sich umdrehte, wirbelte ich wieder zurück. »Es ist so verdammt heiß.«
»Wenn ich Sie wäre, würde ich nicht ganz so schnell trinken, Angela«, sagte Mary und schenkte mir ein Glas Wasser ein. »Das ist kein geselliges Mittagessen.«
»Was Sie nicht sagen, ich hatte so darauf gehofft.« Widerwillig tauschte ich mein, o Mann, mehr als halbleeres Glas Wein gegen das Glas Wasser. »Was ist es dann?«
»Für mich einfach nur schrecklich.« Mary leerte ihr Weinglas und erwiderte auf meine fragend hochgezogene Braue: »Ich kann was vertragen, keine Sorge. Das, Angela, ist eine ›Große Chance Für Sie‹. Offenbar ist eine von Bobs Enkelinnen Ihr ›größter Fan‹ und scheint der Auffassung zu sein, Sie sollten mehr, ich weiß auch nicht, ›seriösen Journalismus‹ für eine von Spencers anderen Zeitschriften wie Icon oder Belle liefern.«
»Seriösen Journalismus?« Mir gefielen die vielen Anführungszeichen, die sie während ihres letzten Satzes gemacht hatte, ganz und gar nicht. »Belle? Sie möchten, dass ich für ein Modemagazin schreibe?«
»Offensichtlich. Aber fragen Sie mich nicht, was.« Sie schenkte sich Wein nach. »Ich bin nur hier, weil ich von Cici davon erfahren habe und Bob angerufen habe, um zu erfahren, was zum Teufel da im Busch ist.«
»Einen Moment mal, wie hat Cici davon erfahren?« Jetzt war ich völlig verwirrt.
»Cici Spencer. Sie ist eine von Bobs Enkelinnen.«
Ich war schlagartig nüchtern. »Natürlich.«
»Sie glauben doch nicht etwa, ich hätte sie wegen ihres Charmes eingestellt, oder?« Mary sah mich dabei Verständnis heischend an. »Bob und ich sind alte Freunde.«
Es kostete mich Mühe, meine Braue nicht hochzuziehen. Alte Freunde. Dass ich nicht lache.
»Aber Cici hasst mich«, sagte ich und tauschte nun das Wasser gegen den Wein. Jetzt war Wein gefragt. Wenn ich jedoch meinen Gesichtsausdruck und meinen Mund unter Kontrolle halten wollte, müsste ich mich vom Alkohol fernhalten. »Wieso sollte sie ihrem Großvater sagen, dass er mir Arbeit geben soll?«
»Cici hasst Sie nicht«, sagte Mary und schenkte mir erneut Wasser nach. »Cici ist eifersüchtig auf Sie. Sie weiß, dass sie nur dank ihres Großvaters meine Assistentin ist. Seit sie ihren Collegeabschluss hatte, wollte sie schreiben, aber selbst Bob weiß, dass ihr jegliches Talent dazu fehlt.«
»O Mann. Das ist schlimm.«
»Fangen Sie bloß nicht an, Mitleid mit ihr zu haben, Angela, sie ist ein Miststück. Und sie würde Sie, ohne zu zögern, abschießen, wenn sie glaubte, Ihren Job übernehmen zu können.«
»Na gut«, erwiderte ich und verstaute jede knospende Cici-Sympathie wieder. »Aber warum sollte sie mich dann für mehr Projekte empfehlen?«
»Ich warte nur darauf, dass sie das Interesse verliert und sich wie ihre Schwester ihrem Treuhänderfonds widmet, aber dieses Mädchen will einfach nicht aufgeben.« Mary nickte Richtung Bob, der wieder zurück an den Tisch kam. »Wenn sie für jemanden anderen und nicht für mich arbeiten würde, wäre ich von ihrer Hartnäckigkeit beeindruckt. Aber machen Sie sich nichts vor. Sie war das nicht, das war ihre Cousine.«
Bob nahm mir gegenüber Platz, als die Vorspeisen aufgetragen wurden. Das Essen sah köstlich aus, aber mein Hunger hatte sich verabschiedet.
»Entschuldigen Sie, meine Damen, ich habe meine Sekretärin gebeten, während der nächsten paar Stunden keine Anrufe mehr weiterzuleiten, damit ich ganz Ihnen gehöre«, sagte er wieder mit einem strahlenden Lächeln.
»Da bin ich aber erleichtert«, erwiderte Mary und spießte eine Jakobsmuschel auf.
Ich schaute nervös von einem zum anderen. Bobs wohlwollendes Grinsen prallte auf Marys ganz offensichtlich verärgerten Gesichtsausdruck. Ich griff nach dem Wein. Was soll’s.
»Lassen Sie mich das machen«, sagte Mary und riss mir die Flasche aus der Hand, um dann einen winzigen Schluck Wein ins Glas zu schütten.
Unbehaglicher konnte es eigentlich nicht mehr werden.
»Ich weiß nicht, ob Sie sich dessen bewusst sind, Angela, aber in einer meiner Enkelinnen haben Sie einen großen Fan«, kam Bob schließlich beim Kaffee auf den geschäftlichen Teil unseres Treffens zurück. Nachdem Mary für uns beide das Dessert ausgeschlagen hatte. Mist.
Ich blies auf meinen Cappuccino und lächelte nervös. Für Kaffee war es noch immer viel zu heiß, aber in einer Situation wie dieser wäre nun wirklich keine Cola light angemessen gewesen. »Tatsächlich? Das wusste ich nicht«, log ich hoffentlich überzeugend.
»O ja. Und Mary lobt Ihre Texte in den höchsten Tönen.«
»Tut sie das?« Diesmal musste ich die Überraschung nicht vortäuschen. »Tun Sie das?«
»Tue ich«, antwortete Mary widerwillig. »Ihr Blog ist sehr gut.«
»Und das, was Sie für Icon gemacht haben, das habe ich gelesen, Angela. Sehr gut. Sie haben einen lustigen Stil, sehr persönlich.« Bob stellte seine Kaffeetasse ab. »Durch Mary habe ich erfahren, dass Sie im Moment nur auf Teilzeitbasis für uns arbeiten. Als freie Mitarbeiterin?«
»Nun, ich arbeite nicht im Büro«, erklärte ich und versuchte Marys Gesichtsausdruck zu deuten, den sie unter ihrem Betonbob verbarg. »Aber meine Arbeitserlaubnis ist ans Schreiben meines Blogs für The Look geknüpft, deshalb …«
»Sie ist abhängig von uns, Bob, also sag endlich, worauf du hinauswillst«, unterbrach Mary mich. »Du willst sie mir wegnehmen, sehe ich das richtig?«
»Ganz und gar nicht«, er schüttelte seinen Kopf und legte eine Hand auf ihre. »Du weißt doch, dass ich dir nie auf die Füße treten würde. Obwohl ich denke, dass es in Angelas Interesse wäre, ihre Flügel etwas weiter auszubreiten. Umfassendere Erfahrung bei Spencer Media zu sammeln. Nun, wie hört sich das an, Angela, könnte Sie das interessieren?«
Ich biss mir auf die Lippen und nickte nur, denn ich befürchtete, dass Mary mir, wenn ich noch einen Laut von mir gab, ihren Espresso ins Gesicht schütten würde. Und obwohl in ihrer Tasse nicht viel Kaffee war, sah er doch richtig heiß aus.
»Fantastisch, dann kommen Sie doch einfach nächste Woche mal vorbei und lernen das Team von Belle kennen«, schlug Bob vor. »Vielleicht haben Sie ja ein paar Ideen, die Sie zu dem Treffen mitbringen können. Ich weiß, dass Emilia sich schon darauf freut, Sie kennenzulernen.«
Mary und ich verschluckten uns fast synchron an unseren Kaffees. Emilia Kitt, die Chefredakteurin der Zeitschrift Belle, Spencer Medias monatliche Modezeitschrift, war dafür berüchtigt, am liebsten gar niemanden zu treffen. Ich war zusammen mit Mary vor ein paar Wochen zu einem Meeting dort gewesen und sah Angelina Jolie in der Lobby warten. Und sie wartete immer noch, als ich ging. So viel zu Emilia.
»Das hört sich jetzt sicherlich dumm an, aber ich fahre nächste Woche nach Paris«, sagte ich, wobei ich nicht wusste, ob ich nicht einen großen Fehler machte. »Ab Montag, für eine Woche.«
»Tatsächlich? Seit wann wissen Sie das?«, wollte Mary wissen.
»Das habe ich erst gestern erfahren.« Ich wandte mich mit meinem besten ›So-helfen-Sie-mir-doch‹-Blick an sie. Bobs Miene war während des ganzen Essens unverändert geblieben, weshalb er für mich völlig undurchschaubar blieb. »Es ist zum dreißigsten Geburtstag meines Freundes.«
Keinen schien das sonderlich zu beeindrucken.
»Er spielt in einer Band und wurde gebeten, auf einem Festival in Paris aufzutreten.«
Noch immer nicht beeindruckt. Und jetzt sah Bob mich an, als wäre ich ein Groupie.
»Und ich habe gedacht, dass es für den Blog nicht schlecht sein kann. Sind die Besucherzahlen nicht nach oben gegangen, als ich in L. A. war?«
»Ja, aber als Sie in L. A. waren, haben Sie auch sämtliche Klatschblätter geschmückt«, erinnerte Mary mich unnötigerweise. »Haben Sie vor, sich auch in Paris wieder zum internationalen Spektakel zu machen?«
»Geplant hatte ich das auch beim ersten Mal nicht, also wer weiß?«, verteidigte ich mich jämmerlich.
»Ich finde, das klingt gut«, sagte Bob und brach damit das eisige Schweigen, das sich zwischen mir und Mary aufgebaut hatte. »Emilia plant, in einigen Monaten eine europäische Ausgabe auf den Markt zu bringen. Vielleicht könnten Sie für Belle einen Insider-Führer für Paris erstellen? Abseits der üblichen Pfade, Sie zeigen uns die heißen Underground-Adressen?«
»Das könnte ich machen«, willigte ich langsam ein.
»Dann kommen Sie doch morgen vorbei und lernen Sie das Belle-Team kennen.« Und damit erhob Bob sich unvermittelt vom Tisch. »Ich werde dafür sorgen, dass Emilias Assistentin Sie später anruft, Angela.«
Mary erhob sich genauso unvermittelt, und weil mir nichts Besseres einfiel, machte ich es wie sie und ließ Bobs theatralische Luftküsse über mich ergehen.
»Schön, Sie kennengelernt zu haben, Angela, und Mary, es ist mir immer ein Vergnügen.« Er lächelte und ging auf eine lange schwarze Limousine zu, die wie aus dem Nichts vor dem Restaurant auftauchte. Mary ließ sich zurück in ihren Stuhl fallen und leerte ihr Weinglas.
»Dieser windige Mistkerl hat sich nicht mal die Rechnung geben lassen.« Kopfschüttelnd zog Mary eine große Brieftasche aus einer noch größeren Handtasche. »Nun, ich hoffe, Sie sind glücklich, Angela Clark.«
»Sollte ich das nicht sein?«, fragte ich und versuchte mir über das klar zu werden, was gerade passiert war. Und auch ob Mary nun mit Bob schlief oder nicht. Denn mit Sicherheit hatte sie es einmal getan.
»Für Belle zu schreiben ist nicht das Gleiche, wie einen Blog für mich zu schreiben.« Sie rief einen Kellner herbei und reichte ihm eine schwarze American-Express-Karte. »Sie müssen sehr genau wissen, worauf Sie sich da einlassen.«
»Aber ich kann doch diesen Reiseführer für Paris machen«, sagte ich. »Der wird bestimmt gut. Oder nicht?«
»Sie wissen, dass ich Sie mag, Angela«, sagte Mary und zeichnete mit ihrer kunstvollen Unterschrift den Kreditkartenbeleg ab. »Aber wenn Sie das vermasseln, habe ich keine Möglichkeit, Ihnen zu helfen. Die Mädchen bei Belle sind nicht die Mädchen von The Look oder Icon.«
»Aber man will dort doch, dass ich das mache, oder?« Vielversprechend klang das nicht. »Ich meine, es war doch deren Idee?«
»Es war Bobs Idee«, korrigierte Mary mich. »Schlimmer noch, es war die Idee von Bobs Enkelin. Bevor Sie dieses Büro betreten, sollten Sie wissen, dass Cici im Vergleich zu den Mädchen bei Belle ein zahmes Hündchen ist. Jede von ihnen hat schon mal die Karriere einer anderen zerstört oder mindestens mit drei verschiedenen verheirateten Männern geschlafen, um es dorthin zu schaffen.«
»Scheint ein nettes Trüppchen zu sein.«
»Dann scheine ich nicht klar genug zum Ausdruck gebracht zu haben, was für eine Horde von Biestern das ist.« Mary steckte ihre Brieftasche zurück in ihre Handtasche. »Man wird dort jedenfalls nicht begeistert sein, wenn Sie mit einem Auftrag für Paris angetanzt kommen, ohne sich auch nur einen Fingernagel auf der Fashion Week abgebrochen zu haben. Nicht dass eine von ihnen sich jemals im Leben einen Nagel abgebrochen hätte. Es sei denn, weil sie einer anderen die Augen ausgekratzt hat.«
»Ach du liebe Zeit«, sagte ich und atmete tief durch. »Komme ich irgendwie aus dieser Nummer raus?«
»Nachdem Bob darin verwickelt ist, nicht mehr«, sagte Mary und stand wieder auf. »Hören Sie, ich will nicht allzu zynisch sein, es könnte gut für Sie laufen. Halten Sie einfach Ihre Augen offen, OK? Und Sie sollten vor dem Meeting zum Friseur gehen.«
Gut, überlegte ich und zwirbelte die Enden meines Bobs, um sie seufzend auf Spliss zu untersuchen, wenigstens wird Paris schön werden.