Kapitel 2

In dem der Gestank der Abwasserkanäle dem Duft von Maiglöckchen vorgezogen wird

Victoria hatte London kein bisschen vermisst.

Neben ihren Straßen mit den Abwasserkanälen und den üblen Ausdünstungen, den endlosen Kolonnen aus Kutschen mit ihrem ständigen Geklapper barg die Stadt auch noch andere unangenehme Dinge: zu viele Erinnerungen zum Beispiel. Regent’s Park, wo sie mit Phillip, dem Marquis von Rockley, ausgeritten war und er sie zum ersten Mal geküsst hatte. Die hochherrschaftlichen Wohnsitze, in denen sie mit ihm getanzt und sich in ihn verliebt hatte. Das Theater in der Nähe von Covent Garden, in das sie ihn geschickt hatte, damit er ihr einen dort angeblich vergessenen Schal holte – und sie in der Zwischenzeit ungestört einen Vampir pfählen konnte.

Der Silberkelch, Sebastians Lokal, das regelmäßig von den Untoten besucht wurde und in das Phillip ihr gefolgt war. Der Ort, an dem er kurz nach ihrer Hochzeit von Vampiren gefangen worden war.

St. Heath’s Row, das große Londoner Stadthaus des Marquis’ und der Marquise von Rockley, wo sie und Phillip etwa vier Wochen lang in ehelicher Harmonie gelebt hatten, ehe er den folgenschweren Entschluss fasste, dem Silberkelch einen Besuch abzustatten.

St. Heath’s Row, ihr Schlafzimmer, wo sie den Vampir, zu dem er geworden war, vernichtet hatte.

Nein. Victoria hatte London kein bisschen vermisst.

Und trotzdem war sie nach mehr als sechs Monaten, die sie in Rom verbracht hatte, jetzt wieder in St. Heath’s Row, weil es endlich an der Zeit war, all ihre persönlichen Besitztümer aus dem Anwesen zu entfernen. Man hatte den Rockley-Erben schließlich doch an einem Ort namens Kentucky aufgespürt, und er würde bald den Besitz übernehmen, sodass Victoria dann für immer nach Rom – oder wo auch immer die Venatoren sie brauchten – zurückkehren konnte.

So saß sie nun achtzehn Monate nach Phillips Tod hier in diesem Haus: umgeben von seinem Duft, den Erinnerungen hatten schwächer werden lassen, und überschwemmt mit cremefarbenen, schweren, geprägten Einladungskarten, die ihr völlig gleichgültig waren.

»Aber was hast du denn erwartet, Victoria, Liebes? Deine Trauerzeit um Rockley war ja noch gar nicht um, als du nach Venedig abgereist bist«, sagte ihre Mutter, Lady Melisande Grantworth. Ihre Stimme klang eindeutig vorwurfsvoll, und das Funkeln in ihren Augen verhieß nichts Gutes: Victorias Wunsch nach Einsamkeit würde nicht so bald in Erfüllung gehen. Sie war die Einladungen durchgegangen, als wären sie an sie selbst gerichtet und ihre Tochter immer noch ein unverheiratetes junges Mädchen, das kurz davor stand, in die Gesellschaft eingeführt zu werden. »Der ton beobachtet mit atemloser Spannung, wem die Marquise von Rockley nach eineinhalb Jahren der Abwesenheit wohl als Erste einen Besuch abstatten wird. Nach dieser romantischen Tragödie deiner kurzen Ehe und Rockley, der zur See starb …«

»Hör auf«, fuhr Victoria sie an. Dann zügelte sie die tief sitzende Wut, die jetzt unterschwellig ständig da zu sein schien, und schloss die Augen. »Mutter, ich bin nicht hier, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, in welcher Form auch immer. Ich werde nur zu Gwendolyns Hochzeit gehen und beabsichtige, ansonsten so wenig wie möglich in Erscheinung zu treten.«

»Aber …«

»Bitte«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Hinter ihren Schläfen pochte es, und ihre Finger schmerzten, weil sie sie so fest ineinander verkrampft hatte. »Ich bin doch erst gestern wieder angekommen.«

»Und schau, wie schnell die Einladungen ins Haus flattern.«

Victoria öffnete die Augen und stellte fest, dass Lady Melly sie anschaute. Die freudige Erregung ob der vielen Einladungen war zwar verebbt, aber jetzt schien sie gekränkt zu sein wegen des gereizten Tonfalls ihrer Tochter.

»Ich weiß, wie begeistert Winnie wäre, wenn sie dich noch vor Miss Starcassets Hochzeit wieder in der Gesellschaft begrüßen könnte. Bitte, überleg doch mal, wie glücklich du sie machen würdest, wenn du zu ihrer Feier am Freitag gehst.«

»Ich werde es mir überlegen, Mama.«

Kaum eine Woche später watete Victoria durch knöcheltiefe Abwasserkanäle tief unter London. Sie hatte einen Holzpflock in der Hand und ging geduckt, um sich den Kopf nicht an der niedrigen Tunneldecke zu stoßen. Was einst ein kleiner Nebenfluss der Themse gewesen war, war im Verlaufe von sechs Jahrhunderten, während die Stadt immer größer wurde, zugebaut worden. Das träge fließende Wasser war voller Unrat, und nur Gott und die Lumpensammler wussten, was sonst noch.

Eigentlich hielt sie sich mittlerweile für abgehärtet, was den Anblick von allen möglichen Widerwärtigkeiten betraf, aber selbst sie schauderte bei der Vorstellung, auf was sie wohl alles trat, während sie durch den Schlamm stapfte.

Victoria wusste, dass sie die Möglichkeit gehabt hätte, auf der Abendgesellschaft der Bridgertons in einer weniger feuchten – aber genauso stinkenden – Umgebung zu tanzen, wenn sie statt auf Sebastian auf ihre Mutter gehört hätte. (Lady Bridgerton war berüchtigt für ihr außergewöhnlich streng riechendes Eau de Toilette aus Maiglöckchenextrakt.) Sie war noch zu keinem Schluss gekommen, was nun die bessere Wahl gewesen wäre, aber trotz einiger offensichtlicher Nachteile zog sie es wohl doch vor, Vampire in Abwasserkanälen zu jagen.

Zumindest konnte sie hier jeden, der sie dumm anredete, mit ihrem Pflock mundtot machen. Die Klatschtanten und Mitgiftjäger des ton dagegen waren nicht ganz so leicht zum Schweigen zu bringen.

»Ich spüre keine Untoten«, sagte sie gerade zu Sebastian, als sie auf etwas schrecklich Glitschiges trat. Ein neuer, widerlicher Gestank breitete sich aus, und beim nächsten Schritt merkte sie, dass sie auf etwas Hartes, Röhrenförmiges getreten war. Ein Knochen. Hoffentlich der von einem Hund.

»Wirklich nicht?«, fragte er mit seiner sanften Stimme, die das leise Plätschern übertönte, welches ihre Lederstiefel verursachten. »Vielleicht sind hier dann ja gar keine Vampire. Nur harmlose Lumpensammler, wenn die überhaupt so weit in diesen Abwasserkanal vordringen.«

»Vielleicht hast du mich ja auch aus einem ganz anderen Grund nach hier unten gelockt.«

Sie konnte sein verruchtes Grinsen im flackernden Schein der Fackel sehen. »Warum sollte ich ein Paar völlig einwandfreier Hosen – ganz zu schweigen von den Stiefeln – ruinieren, indem ich dich mit nach hier unten nehme, wenn ich dich viel lieber woanders … nehmen würde.«

Bei seinen schamlos offenen Worten zog sich ihr Bauch vor Begehren zusammen, und Victoria gab ein recht undamenhaftes Schnauben von sich, um das warme Gefühl zu vertreiben … und füllte ihre Nase dadurch mit abartigem Gestank. Sie fragte sich, wie die Lumpensammler es schafften, Tag für Tag hier unten zu arbeiten: Sie verdienten sich ihren Lebensunterhalt, indem sie Kupfer, Knochen, Lumpen und alles Mögliche andere von Wert sammelten, um es oben auf den Straßen zu verkaufen. Außerdem begriff sie nicht, wie überhaupt die Vampire den Gestank aushielten, wenn sie noch nicht einmal den Geruch von Knoblauch ertragen konnten.

»Außerdem«, fuhr Sebastian fort, »neigst du auch nicht gerade dazu, dich an mich zu klammern und um Hilfe zu flehen, obwohl das hier ein solch abstoßender Ort ist. Was ich übrigens sehr bedauere.« Er schwang die Fackel hin und her, damit sie heller brannte, aber Victoria fand eigentlich, dass sie auch vorher schon überraschend gut hatte sehen können.

Sie wollte gerade zu einer sarkastischen Erwiderung ansetzen, als sie plötzlich etwas hörte – das Rauschen von Wasser. Dann spürte sie ein leichtes Prickeln im Nacken. Ihr Ekel vor der dunklen, schleimigen Umgebung verschwand und wich der vertrauten, gespannten Aufmerksamkeit und einem kalten Lächeln.

»Aha«, sagte er und neigte den Kopf, als versuchte er besser zu hören. »Endlich. Gerade als ich schon dachte, es hätte keinen Sinn mehr.«

»Wir sind nicht allein«, murmelte Victoria, während das Kribbeln zu einem ausgewachsenen Frösteln wurde.

»Untote?« Er passte seine Stimme ihrer Lautstärke an.

Sie schaute zu ihm auf. »Spürst du sie denn nicht?«

»Jetzt, wo du es sagst, schon«, erwiderte er. »Und das ist auch nicht weiter verwunderlich, da wir in der Nähe des Ortes sind, nach dem ich gesucht habe.«

Plötzlich spritzte Wasser hinter ihnen auf, und Victoria wirbelte herum, um dem rotäugigen Vampir, der aus dem Nichts aufgetaucht war, entgegenzutreten. Anscheinend hatte er gedacht, er hätte es mit einem langsamen, schlecht genährten Lumpensammler zu tun, denn der Halbdämon hatte sich noch die Zeit genommen, die Ärmel seines tristen Hemds hochzukrempeln, und dieser Hang zu Äußerlichkeiten war sein Untergang.

»Sie hätten Manschettenknöpfe tragen sollen«, meinte Victoria im Plauderton, ehe sie ihn pfählte und in untoten Staub verwandelte. Sie pustete die Spitze ihres Pflocks sauber und drehte sich wieder zu Sebastian um, der sie mit einem seltsamen Lächeln musterte.

Aber ehe sie sich fragen konnte, was das Lächeln zu bedeuten hatte, glätteten sich seine Gesichtszüge wieder, und er hielt die Fackel höher. »Pass auf«, sagte er und zeigte nach vorn.

Als sie weiter durch die schwappende Brühe stapfte, sah sie, was er meinte. Das Abwasser stürzte nur ein paar Schritte weiter ins Nichts. Eine Mauer erhob sich jenseits des Wasserfalls. Sie waren also eindeutig in einer Sackgasse gelandet. »Was nun?«

»Da.« Er zeigte mit der Fackel auf einen grob behauenen Sims, der aus dem Matsch schräg nach oben anstieg.

Der Sims war aus der Wand herausgehauen und gerade breit genug, dass ein Mensch … »Ist das ein Eingang?« Victoria sah an der dunklen Wand hoch, die sich vor ihnen erhob.

»Kannst du ihn von hier aus sehen?« Sebastian hielt die Fackel höher und beleuchtete dadurch alles ein bisschen besser.

»Was ist da oben?« Victoria begann bereits, den schrägen Sims hinaufzuklettern, wobei sie den Pflock nicht losließ. Bei jedem Schritt tropfte Wasser von ihren Stiefeln auf den Fels nach unten.

»Etwas, von dem du bestimmt fasziniert sein wirst«, sagte er, plötzlich sehr dicht hinter ihr. »Vielleicht bekomme ich ja eine Belohnung von dir, weil ich es dir gezeigt habe.« Sein Atem strich warm seitlich über ihren Hals, der unbedeckt war, weil sie den langen, einzelnen Zopf in ihren Umhang gesteckt hatte.

»Nur wenn es Liliths Staub ist, was ich im höchsten Maß bezweifle«, erwiderte sie. Ihr Herzschlag geriet etwas aus dem Takt, als er hinter sie trat. »Aber du kannst natürlich weiter hoffen.«

Seit sie aus Rom gekommen waren, hatte Sebastian überaus deutlich gemacht, wie gern er in ihr Bett zurückkehren würde – nicht dass er tatsächlich jemals drin gewesen wäre, denn sie waren nur zweimal miteinander intim gewesen, und beide Male hatten sie sich dabei nicht in irgendwelchen Schlafzimmern befunden.

Doch sie war noch nicht bereit, ihn in ihr Bett zu lassen, und zwar aus einer Vielzahl von Gründen – unter anderem weil ihr bei der Vorstellung, ihm zu vertrauen, noch immer unbehaglich war.

An der oberen Kante des Simses angekommen – die etwa zwei Meter über dem Wasserfall lag – stand sie endlich vor der Öffnung. Der Eingang war im dunklen Schein der feuchten Wände und dadurch, dass er etwas schräg und so hoch lag, schlecht zu erkennen. Kein Mensch hätte ihn in dieser unangenehmen, düsteren Umgebung bemerkt, außer er hätte danach gesucht oder war ein Vampir, der im Dunkeln sehen konnte.

Victoria wusste nicht recht, was sie erwartete, als sie durch den Spalt trat, aber es war kein kleiner Raum, den sie erblickte. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass niemand in der Dunkelheit lauerte – sie nahm weder die Kälte im Nacken, die einen Untoten angekündigt hätte, noch den leicht fauligen Leichengeruch eines Dämons oder eines anderen Menschen wahr –, trat sie hinein und schaute sich um.

Mit seinen Steinwänden erinnerte der Raum im flackernden Fackelschein sie sofort an das Konsilium, die unterirdischen labyrinthischen Gänge und Räume in Rom, die das Zentrum des Wissens, der Geschichte und des Austausches der Venatoren waren. Das Konsilium war innerhalb der Katakomben der Altstadt errichtet worden, wo der erste Venator dazu berufen wurde, im Kampf gegen die Untoten zu dienen, und die genaue Lage war über Jahrhunderte geheim gehalten worden. Hier war es jetzt zwar viel dunkler und kälter, doch der Ort schien ebenfalls von Menschenhand erschaffen worden zu sein: Dies war keine natürlich entstandene Höhle. Und irgendwie waren hier oben noch nicht einmal die Ausdünstungen des Abwasserkanals zu bemerken, aber vielleicht hatte Victoria sich auch einfach nur an den Gestank gewöhnt.

Sebastian kam hinter ihr herein und ging dann an ihr vorbei, als er tiefer ins Dunkel trat, wo Victoria einen steinernen Bogengang und den Umriss einer Tür erkennen konnte. »Wie du siehst, ist dieser Raum schon vor langer Zeit entstanden, ungefähr zu der Zeit, als mein Groß- als Beauregard in einen Untoten verwandelt wurde. Ursprünglich lagen diese Räume unter einem Karmeliterkloster, was an sich schon unfassbar ist … allerdings haben die Mönche nie wirklich hier unten gelebt. Aber das ist eine andere Geschichte.«

»Die dein Großvater dir bestimmt erzählt hat, während er dich als Kleinkind auf seinen Beinen schaukelte. Was für eine scheußliche Bettgehgeschichte.«

»Bettgehgeschichte? Jetzt, wo du es erwähnst … da gibt es ein paar, die ich dir ganz gern erzählen würde.«

Victoria hörte ihn leise lachen, während sie ihm durch den kleinen Vorraum folgte, und unwillkürlich fingen auch ihre Mundwinkel an zu zucken. Vor einer massiven Steintür blieb er stehen. Mit seinem Körper versperrte er ihr zwar den Blick, aber sie hörte ein leises Klicken, als irgendetwas einrastete. »Aha, du weißt also, wie man die Tür zu einer Vampirhöhle öffnet; denn ich nehme doch an, dass dies hier eine Vampirhöhle ist. Warum überrascht mich das eigentlich nicht?«

»Ach, verdammt. Die Strategie, dich mit meinen faszinierenden Enthüllungen in Bann zu schlagen, damit du ein bisschen entgegenkommender wirst, funktioniert ganz offensichtlich nicht. Und: Ja, es ist eine Vampirhöhle. Eine der ältesten Englands.« Er drehte sich zu ihr um, und in dem kleinen gelben Licht waren ihre Gesichter einander sehr nahe. Seine Augen schimmerten wie die einer hungrigen Katze. »Sind hier irgendwo Vampire?«

»Ich spüre keine«, erwiderte sie.

»Gut.« Ehe sie sich noch den Kopf zerbrechen konnte, warum er gefragt hatte, packte er ihre Schultern und drängte sie gegen die raue Wand. Er folgte mit seinem Körper ihrer Bewegung und drückte sich gegen sie, während er den Kopf neigte.

Sie hob ihm ihren Mund entgegen, während ihr Körper von Sebastian gegen die Wand gedrückt wurde und ihr langer Kuss zu einem lockeren Durcheinander aus Lippen und Zunge wurde. Hitze drang durch ihre Kleidung in Brüste, Bauch und Schenkel, als er seinen Körper an ihren presste, während die feuchte Kälte von hinten sie frösteln ließ. Sie schloss die Augen, und ihre Knie wurden ganz weich. Es war schön … schön gehalten zu werden, schön zu spüren, wie sich das Verlangen in ihr ausbreitete, schön zu wissen, dass sie immer noch am Leben war. Immer noch ein Mensch war und in der Lage, ihren eigenen Herzschlag zu spüren.

Aber der Kuss weckte auch Erinnerungen in ihr, furchteinflößende, dunkle Bilder, die die Lust, die der Augenblick ihr schenkte, zu verdrängen drohte … nadelspitze Reißzähne, die sich in ihre Haut bohrten, die heiße Kälte der Lippen des Untoten, die an ihrem Fleisch zerrten, sie lockten und verführten, ihr Bewusstsein immer mehr schwinden ließen … um sie in einen Sog aus Boshaftigkeit und Dunkelheit zu ziehen …

Sie verdrängte die unangenehmen Bilder und gab sich Sebastians Geschmack noch mehr hin, genoss seinen rauchigen Zitronenduft und die Hitze – ein Gefühl von Hitze, das weder von Kälte noch von Schmerz unterbrochen wurde.

Er unterbrach den Kuss, um erst sanft mit den Zähnen an ihrer Unterlippe zu knabbern und dann wieder ihren ganzen Mund zu bedecken, sodass sie ganz atemlos wurde. Dann zog er sich zurück und beendete den Kuss, aber sie spürte noch, wie sich seine Lippen zu einem Lächeln verzogen, und nahm den sanften Hauch seines leicht nach Nelken duftenden Atems wahr.

»Aha«, murmelte er, während er ihre Schultern losließ. »Du hast nichts vergessen.«

»Nein, natürlich nicht.« Ihre Stimme klang ganz heiser, ihr Atem ging unregelmäßig und, gütiger Himmel, ihre Beine waren viel zu wackelig. Sie richtete sich auf und trat von der Wand weg, die sie gestützt hatte.

»Ich hatte schon angefangen, mich zu fragen, ob es wohl so wäre.« Er trat von ihr zurück und sah sie an. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er die Fackel in eine Halterung neben der Tür gesteckt hatte, sodass sie nun von deren flackerndem Schein umhüllt wurden. Ein schiefes Lächeln umspielte seine Lippen, und seine Augen schimmerten bernsteinfarben, sodass gar kein Zweifel daran aufkommen konnte, was er wollte.

»Was ist hinter der Tür?«, fragte sie rasch, um dem Moment die Spannung zu nehmen. »Wonach suchst du? Es würde mich zwar nicht überraschen, wenn ich Unrecht habe, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass du mich nicht nur hierher gebracht hast, um mich zu verführen.«

»Natürlich nicht, aber ich konnte nicht widerstehen, die Gelegenheit zu nutzen. Du hast mich die letzten zwei Monate auf Abstand gehalten, seit … seit du aufgewacht bist.« Seine Stimme brach in einer für Sebastian völlig untypischen Art. Sie merkte, dass er tief Luft holte und dann die Tür vorsichtig aufdrückte. »Und du hast natürlich Recht – ich suche nach etwas«, sagte er über die Schulter.

»Und du brauchtest mich, um dir zu helfen.« Sie folgte ihm und trat zur Seite, als er die Hand ausstreckte, um die Tür hinter ihnen zu schließen.

»Tja, es könnte ein bisschen unangenehm werden, und du weißt ja, dass ich es gerne vermeide, Blut zu zapfen oder Asche zu verteilen.«

Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, während sie sich im Raum umschaute. Es gab hier drin zwar keine Fackeln, aber dennoch konnte sie mehr als Schatten und Umrisse im Dunkeln erkennen. Dann flackerte ein kleines Licht in Sebastians Händen auf.

»Du benutzt also die kleinen Lichtstäbe von Miro, wie ich sehe«, meinte sie. »Führst du sie wie Max in den Stiefelabsätzen mit dir?«

»In dem Falle«, erwiderte er und zündete die Kerzen eines Leuchters neben der Tür an, »wären sie jetzt nass und durchgeweicht, nachdem wir die ganze Zeit durch diesen Matsch gewatet sind. Ich hatte den Weitblick, sie an einem trockenen Platz aufzubewahren, meine liebe Victoria. So sehr es dich auch überraschen mag, dass ich vorausdenke …«

»Ach, daran besteht kein Zweifel, dass du vorausschauend bist, Sebastian – besonders wenn es darum geht zu verschwinden, wenn es brenzlig wird.« Und das war auch der Grund, weshalb Victoria ihm nicht ganz vertrauen konnte, auch wenn er ein Venator war. Er war in der Vergangenheit einfach zu unzuverlässig gewesen.

Während Victoria sich in dem dunklen Raum umschaute, der wohl einst als eine Art Saal gedient hatte, erkannte sie in dessen Schlichtheit den Einfluss der Mönche. Der Boden war etwas uneben, und am anderen Ende des Raumes konnte sie im Dunkeln ein paar alte Möbelstücke erkennen – zerbrochene Stühle, einen umgestoßenen Tisch –, die so aussahen, als wären sie während einer Aufräumaktion dorthin geworfen worden. Davon abgesehen war der Raum bis auf ein paar zerschlissene Gobelins, die an den Wänden hingen, und etwa einem Dutzend verstreut herumliegender Steine leer. Die Wände waren hier genauso kohlrabenschwarz wie im Abwasserkanal – Schiefer, der durch jahrelangen Dreck und Rauch verfärbt worden war. Natürlich gab es keine Fenster und nur einen kleinen Kamin, der irgendeine Art Abzug haben musste. Da war nur eine einzige andere Tür, die jener gegenüberlag, durch die sie hereingekommen waren, und die bestand aus massivem, dickem Holz.

Sie folgte ihm, als er durch den leeren Raum auf die Tür zuging. Und genau in dem Moment spürte sie einen Anflug von Kälte im Nacken. Victoria umfasste ihren Pflock fester. Vielleicht waren diese Räume doch nicht so verlassen wie sie schienen.

Diese Tür musste Sebastian nicht aufschließen und als er sie einen Spaltbreit öffnete, überraschte es Victoria nicht, einen warmen Lichtschein zu erblicken. Das Kältegefühl in ihrem Nacken hatte sich leicht verstärkt, trotzdem hatte sie nicht den Eindruck, dass die Untoten – vielleicht ein oder zwei – in unmittelbarer Nähe waren.

»Erzählst du mir, wonach du suchst, bevor die Vampire auftauchen?«, fragte sie.

»Vielleicht. Es könnte einen Moment dauern. Ich bin mir nicht ganz sicher …« Sebastian sprach, während er die Tür vorsichtig weiter öffnete, und Victoria sah deutlich einladendere Räumlichkeiten als den Saal, der hinter ihnen lag. Er mochte vielleicht nicht ganz so gemütlich wie ein Salon in St. James sein mit seinen bequemen Sesseln, Tischen, die mit Nippes vollgestellt waren, und einer Vielzahl von Kerzenleuchtern, aber dieser kleinere Raum wurde offensichtlich benutzt. Oder war zumindest erst kürzlich benutzt worden, den Kleidungsstücken und Decken nach zu schließen, die überall herumlagen.

Victoria trat hinter Sebastian ein und schloss die Tür hinter sich, damit sie merkten, wenn jemand kam – Untote oder Sterbliche. Nachdem sie das Zimmer betreten hatte, bemerkte sie als Erstes den Geruch, der in der Luft hing.

Blut.

Durchdringend. Schwer. Wie Eisen.

In ihrem Hals zog sich etwas ruckartig zusammen und ihr Magen verkrampfte sich, als sie sich daran erinnerte, wie sie damit überschwemmt worden war – mit dem Geschmack, dem Geruch, der Schwere auf ihrer Zunge, mit dem zähen Fluss durch ihren Hals. Victoria wurde von einem Würgereiz erfasst. Trotzdem bebten ihre Nasenflügel, um den Geruch ganz tief einzuatmen, und Speichel sammelte sich in ihrem Mund.

Vor ihren Augen begann alles zu verschwimmen. Ein roter Schleier legte sich über den Raum, während sie sich dazu zwang, die mit dem Geruch von Blut durchtränkte Luft tief einzuatmen. Sie schloss die Augen, atmete lange und langsam aus, wobei sie den Geruch verdrängte, um dann wieder, diesmal vorsichtiger, tief Luft zu holen. Der durchdringende Geruch hatte sich etwas verflüchtigt und die Übelkeit ließ nach.

Sie öffnete die Augen. Der rote Schleier war verschwunden, und sie schwankte jetzt nicht mehr. Das Kältegefühl in ihrem Nacken hatte sich nicht verändert, woran sie erkannte, dass die Vampire immer noch nicht allzu nahe waren. Sie warf einen Blick auf Sebastian und war dankbar, dass er ihre vorübergehende Schwäche – oder was immer es gewesen sein mochte – nicht bemerkt hatte.

Was war es gewesen?

Ihre Finger, die sich schwach anfühlten, schlossen sich fester um den Pflock, als wäre er ein Talisman. Dann ging sie zu Sebastian, der vor einem großen Stuhl aus Stein kniete, welcher in der Mitte einer der Wände stand. Mit den staubigen, zerrissenen Kissen und den Marmorlehnen erinnerte er sie an einen Thron. Der weiß-rote Marmor schimmerte kühl im Licht.

Dicht hinter Sebastian blieb sie stehen. Glänzender Morast klebte immer noch an ihren Stiefeln. Sie sah auf seinen Hinterkopf mit dem dichten, lockigen Haar und beobachtete, wie sich seine Muskeln unter der Jacke bewegten, während er arbeitete. Erst als sie zur Seite trat, sah sie, dass er die beiden vorderen Beine vom Boden abschraubte.

Sie erkannte, dass es eigentlich gar keine Schrauben waren, als er sie ihr reichte; es handelte sich eher um dicke steinerne Zapfen, die durch die Klauenfüße in den Steinboden getrieben worden waren. Die geschickt geformten Köpfe der Zapfen ließen sie wie einen Teil der Füße des Stuhles erscheinen, wenn sie eingesetzt waren.

»Unter dem Stuhl muss irgendetwas versteckt sein, von dem Beauregard dir erzählt hat«, sagte Victoria und rollte die fingerdicken Bolzen zwischen den Handflächen. Als sie mit einem dumpfen Klicken zusammenstießen, bemerkte sie, dass der schwere Blutgeruch sie wieder zu überwältigen drohte. Sie schüttelte heftig den Kopf und konzentrierte sich darauf, ganz gleichmäßig zu atmen, bis das Gefühl wieder verschwunden war.

»Wie immer«, murmelte er, während er sich voller Anmut wieder erhob, »überraschst du mich mit deinem Scharfblick. Wenn ich der Meinung wäre, dass wir genug Zeit haben, würde ich dich hier an Ort und Stelle bis zur Besinnungslosigkeit küssen. Oder vielleicht« – er grinste lüstern und warf einen Blick auf den riesigen Stuhl – »könnten wir den hier ja auch zweckentfremden.«

Victoria wich einen Schritt zurück, als wolle sie sich außerhalb seiner Reichweite bringen, aber im gleichen Moment kam sie sich schon albern vor. Er bemerkte ihre abwehrende Haltung, und obwohl sein Lächeln nicht schwand, verflüchtigte sich der scherzhafte Ausdruck in seinen Augen. »Na gut, da du offensichtlich gerade lieber etwas anderes tun möchtest, lass uns mal nachschauen, was sich unter dem verdammten Ding befindet.«

Obwohl der Stuhl sehr schwer war, fiel es Sebastian leicht, ihn wegzuschieben, weil er natürlich seine vis bulla trug. Ein dumpfes Schaben war zu hören, als er ihn beiseite rückte, und jetzt konnte er an die Wand treten, vor der der Stuhl gestanden hatte. Victoria hörte, wie er einen leisen Laut der Befriedigung von sich gab, und das war auch der Moment, in dem das Frösteln in ihrem Nacken sich auf einen Schlag in Eiseskälte verwandelte.

»Sie kommen«, sagte sie und wirbelte zur Tür herum, durch die sie gekommen waren. »Zwei oder drei, glaube ich. Ich kümmere mich …«

Aber die Worte blieben ihr im Halse stecken, als Sebastian mit einem Satz neben ihr stand und jetzt ebenfalls einen Pflock in der Hand hielt.

Das war seltsam. Sehr seltsam nach den ganzen Diskussionen über die Endgültigkeit, mit der man einem Vampir den Garaus machte – und ewiger Verdammnis überantwortete –, und Sebastians Weigerung derjenige zu sein, der das Urteil an diesen Geschöpfen vollstreckte. Es war seltsam, ihn mit dem Pflock in der Hand da stehen zu sehen, bereit ihn einzusetzen, statt in die entgegengesetzte Richtung wegzulaufen.

Es war fast so, als wäre sie mit Max zusammen.

Das Kältegefühl verstärkte sich und wurde jetzt von tiefen, kehligen Stimmen begleitet, die hinter der Tür ertönten. Sebastian flüsterte: »Schnapp sie dir, ehe sie merken, dass der Stuhl bewegt worden ist.«

Dagegen hatte Victoria nicht das Geringste einzuwenden. Sie erwartete den ersten Untoten, als er durch die Tür trat, und sowohl das Überraschungsmoment als auch der Umstand, dass er gerade mit jemandem redete, der hinter ihm ging, machten es ihr leicht, ihn in ein Häufchen Asche zu verwandeln.

Seine Begleiter – eine Frau mit langen blonden Haaren und ein Mann mit glänzendem Schädel und rotem Bart – waren nicht ganz so leicht zu erledigen. Doch zumindest gelang es Victoria durch das Überraschungsmoment und ihre schnelle Entscheidung, zwischen den beiden Untoten hindurch ins andere, dunklere Zimmer zu stürzen, den Kampf außer Sichtweite des verschobenen Thrones fortzusetzen.

Als sie sich wieder zu den beiden Vampiren umdrehte, die ihr hinterhergekommen waren, sah Victoria, dass Sebastian hinter ihnen an der Tür auftauchte. Die Geschöpfe stürzten sich mit gefletschten Reißzähnen und rot schimmernden Augen, die im dunklen Raum zu glühen schienen, auf sie.

Sie ging in die Knie und rammte dem ersten mit einer fließenden Bewegung die Schulter in den Bauch, sodass er über ihren Rücken hinwegflog und mit einem dumpfen Knall auf dem Boden landete. Doch sofort streckte er die Hände aus, bekam ihren Knöchel zu fassen und brachte sie ins Straucheln, während sie der Frau den Pflock in die Brust stieß. Statt leicht ins Herz zu fahren, traf der Pflock die Schulter des Vampirs, wodurch Victorias Arm bis ins Gelenk erschüttert wurde.

Gerade als sie mühsam wieder hochkam, ertönte ein leises Puffen, und der glatzköpfige Vampir verwandelte sich in Asche. Überrascht sah sie zu Sebastian – bis zu dem Moment war sie sich nicht sicher gewesen, ob er es wirklich tun würde. Eigentlich hatte sie noch nie gesehen, dass er einen Vampir pfählte. Als er Beauregard tötete, war sie viel zu weit weg gewesen, um irgendetwas zu bemerken.

Also war nur noch die Frau übrig, und die begann langsam zurückzuweichen. Angst verzerrte ihr bleiches, eingefallenes Gesicht. Aber Victoria war zu schnell für sie. Sie war jetzt wieder auf den Beinen und stürzte hinter ihr her, um auch gleich die Verfolgung aufzunehmen, als die Untote wegzulaufen begann. Sie konnte aufholen, als das Geschöpf stehen bleiben musste, um die Steintür zu öffnen, durch die man in den kleinen Vorraum gelangte. Victoria nutzte ihren Vorteil und machte einen Satz auf sie zu.

Sie stürzten zu Boden, und die langen blonden Haare des Vampirs hüllten sie wie ein klebriges Netz ein. Sie wälzten sich über den Boden, bis Victoria oben saß und mit ihrem Pflock ausholte, aber ehe sie zustoßen konnte, packte die Untote ihr Handgelenk und riss sie daran herum, sodass sie nun oben war. Ihre Reißzähne waren überlang; sie bohrten sich in ihre volle Unterlippe, während sie mühsam versuchte, Victorias Hände auf den Boden zu drücken.

Der seltsame rote Schleier begann sich wieder vom Rande ihres Gesichtsfeldes her auszubreiten, als plötzlich ein Schatten über ihr auftauchte. Der Vampir zuckte zusammen, und dann schwand der Druck auf ihre Handgelenke. Eine Aschewolke ging auf Victoria nieder, und der staubige, modrige Geruch legte sich ihr auf Mund und Nase.

Victoria sprang auf und warf Sebastian einen Blick zu. »Du bist ja geradezu übereifrig, seit du dich endlich dazu durchgerungen hast, Vampire zu jagen«, meinte sie, und es gelang ihr nicht ganz, die Verärgerung in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Ich habe deine Hilfe nicht gebraucht.« Sie spuckte den Staub aus, der in ihren Mund geraten war, während sie sich den Rest von Gesicht und Schultern wischte.

»Mache ich es dir denn nie recht? Monatelang verachtest du mich dafür, dass ich mich nicht an der Vampirjagd beteilige … und jetzt, wo ich es tue, ist es auch nicht richtig. Tststs, Victoria. Ich hatte eigentlich gedacht, du wärest nicht so launisch wie die anderen Frauen.« Er drehte sich um und ging wieder in den Raum mit dem Stuhl zurück.

Victoria widerstand dem Drang, sich zu erklären und ihm zu sagen, dass sie sich nicht über das Pfählen des Vampirs geärgert hatte, sondern darüber, dass er in einem Moment eingegriffen hatte, als sie ihn gar nicht brauchte. Max hätte einfach daneben gestanden und zugeschaut, um die ganze Zeit über ihre Technik zu kritisieren; er hätte erst dann eingegriffen, wenn die Situation außer Kontrolle zu geraten drohte.

Allerdings war sie sich nicht sicher, welches der beiden Szenarien sie vorzog.

Ihr Nacken hatte wieder eine normale Temperatur angenommen. Man konnte wohl davon ausgehen, dass sich keine weiteren Vampire in unmittelbarer Nähe aufhielten. Deshalb beschloss Victoria, den Raum, der fast wie ein Salon eingerichtet war, genauer zu untersuchen.

Der älteste Unterschlupf für Vampire in England, hatte er gesagt. Beauregard hatte seinen Ur-ur-ur-(mehrere Urs) Enkel wirklich gut über seine dämonische Herkunft aufgeklärt.

Victoria schürzte die Lippen, während sie zu Sebastian hinübersah. Der hatte inzwischen eine Tür geöffnet, welche hinter dem Thron zum Vorschein gekommen war. Es war wohl am besten, wenn sie versuchte herauszufinden, wonach er eigentlich suchte, obwohl er offensichtlich nicht geneigt war, es ihr zu erzählen.

Sie wollte schon zu ihm hingehen, als die Haufen, die sie ursprünglich für Decken und Kleidung gehalten hatte, ihre Aufmerksamkeit auf sich zogen. Aus diesem Blickwinkel …

»Gütiger Himmel.«

Im Nu hockte sie neben den Leichen, und Sebastian und sein Kämmerchen waren erst einmal vergessen.

Er eilte an ihre Seite. »Was ist … oh, verdammt.«

Es waren drei, die wie Haufen auf dem Boden lagen. Man hatte sie wie Abfalllumpen zur Wand geworfen. Geronnenes Blut war auf ihren zerfetzten Gesichtern und Händen, bildete Pfützen auf dem Boden und war über die Wand verteilt. Der Geruch stieg ihr in die Nase, und sie grub die Finger beider Hände in die Handflächen, während sie um ihr inneres Gleichgewicht kämpfte und darauf achtete, gleichmäßig weiterzuatmen.

»Victoria.« Plötzlich tauchte Sebastians Gesicht ganz dicht neben ihr auf.

Mühsam holte sie tief Luft und schüttelte den Kopf. »Es geht mir gut.«

Er hockte sich neben die Leichen, die wahllos übereinander gelegt worden waren und rückte sie behutsam zurecht, sodass man die Gesichter sehen konnte … oder was davon übrig geblieben war. Es waren alles Männer. Ihre Kleidung war völlig zerfetzt. Die Vampire hatten sie nicht nur ausgesaugt, sondern auch noch übel zugerichtet und zerfleischt. Man hatte sie sogar gefoltert, wenn die aufgeschürften Handgelenke denn ein Hinweis darauf waren.

»So was hast du frei herumlaufen lassen, als du den Venatoren den Rücken gekehrt hast«, sagte Victoria, und ihre Stimme klang kalt. »Wie viele Unschuldige haben genauso leiden müssen, obwohl man sie eigentlich hätte retten können?« Sie brannte vor Wut, und ihre Hände bebten. Die Wut vernebelte ihr den Blick, und sie spürte, wie der Zorn wie ein Gespann durchgehender Pferde durch sie hindurch jagte.

Und dann drehte sie den letzten Leichnam um und sah in ein bekanntes Gesicht.