KAPITEL EINUNDZWANZIG

»Ich bin sehr froh, dass Miss Martin sich so gut erholt hat«, sagte Inspector Ross höflich. »Sie leiden doch nicht an irgendwelchen Nachwirkungen, Ma’am, wie ich hoffe, oder?« Er schaute mich quer durch das Zimmer unter erhobenen Augenbrauen an.

Wir waren eine ziemliche Gesellschaft in Tante Parrys Salon im ersten Stock. Frank war da; er hatte sich extra frei genommen von seinen Verpflichtungen im Foreign Office und seinen Vorbereitungen für die Abreise nach Russland. Er saß mit dem Rücken zum Fenster, ein Bein übers andere geschlagen, und musterte Ross mit harten Blicken. Dr. Tibbett war ebenfalls anwesend, wie nicht anders zu erwarten, und stand mit hinter dem Rücken verschränkten Händen vor dem Kamin. Er sah ganz danach aus, bildete ich mir zumindest ein, als würde er bereits die Rolle des Hausherren üben. Ich hoffte nur, dass Frank Recht behalten und Tante Parry nicht so dumm sein würde, sich diesem alten Halunken anzuvertrauen und ihn zu heiraten. Andererseits war es gut möglich, dass meine Arbeitgeberin, sobald Frank erst in Russland war, einen Mann im Haus vermisste und in Versuchung geriet, Tibbetts Antrag anzunehmen, sollte er ihr einen machen.

Auf Ross’ an mich gerichtete Frage hin räusperte Tibbett sich auf missbilligende Weise. Mrs Belling saß kerzengerade neben Tante Parry, gekleidet in ein kariertes Straßenkleid und mit einem jener kleinen Hüte auf ihrer falschen Haarpracht, die sie so sehr liebte. Hinter ihr stand zur Unterstützung ihr Sohn James und blickte unglückselig drein.

Miss Belling war nicht zugegen, obwohl es eine weitere Gelegenheit gewesen wäre, sie Frank vor Augen zu führen. Wahrscheinlich hielt es ihre Mutter nicht für angebracht, dass Dora zugegen war, um sich die Einzelheiten eines derart schockierenden Abenteuers anzuhören.

Ross saß vor uns allen, als wären wir ein Komitee, das zu seiner Befragung zusammengetreten war. Ich fand, dass er sich ganz besonders schick angezogen hatte, und seine Stiefel – die bei seinem ersten Besuch Mrs Parry einige Sorge um die Teppiche bereitet hatten – waren auf Hochglanz poliert. Er beschämt sie alle!, dachte ich stolz. Und schämen sollen sie sich auch. Doch das tun sie natürlich nicht. Dafür haben sie nicht genügend Feingefühl in sich. Er ist ein fähiger, intelligenter, tapferer und erfolgreicher Mann, der unbeirrt sein Ziel verfolgt hat, trotz all ihrer Bemühungen, ihn daran zu hindern. Was für eine traurige Bande sie doch sind!

»Ich danke Ihnen für Ihre Nachfrage, Inspector«, antwortete ich höflich. Ich ignorierte Tibbett und verneigte mich freundlich in Richtung des Inspectors. Ich war am ganzen Leib grün und blau von den Kohlenklumpen, doch das konnte ich selbstverständlich nicht sagen. »Es geht mir den Umständen entsprechend gut.« Zu Tibbetts sichtlich wachsendem Zorn fügte ich hinzu: »Das verdanke ich Ihnen, und natürlich dem tapferen Sergeant Morris. Wie dankbar wir alle Ihnen sein müssen!«

Tibbett legte die Stirn in Falten und fummelte an seiner Uhrkette. Mrs Belling schaute verständnislos drein. Frank hatte die Geistesgegenwart, ein leises »Ja, in der Tat« zu murmeln.

»Wenn ich an die Gefahr denke, in der die arme Elizabeth geschwebt hat!«, rief Tante Parry aus. »Was für ein gewaltiges Glück, dass Sie rechtzeitig eingetroffen sind, um sie zu retten!«

»Ein gewaltiges Glück, in der Tat!«, schnappte Frank nun. »Vor allem angesichts der Tatsache, dass die Polizei diesen Fletcher überhaupt nicht auf ihrer Liste von Verdächtigen hatte. Es war der reinste Zufall, dass Sie rechtzeitig dort waren.«

»Ich fing an, Fletcher zu verdächtigen«, entgegnete Ross milde, »nachdem Miss Martin mich darüber informiert hatte, dass er ein vertrauter Besucher in diesem Haus war, was mir vorher niemand gesagt hat.«

Verlegenes Schweigen breitete sich aus. Dr. Tibbett steckte seine Taschenuhr weg und übernahm es, für alle zu antworten.

»Er war kein so vertrauter Besucher, Inspector. Er kam rein geschäftlich in dieses Haus. Man kann ihn gewiss nicht als einen Freund beschreiben.«

»In der Tat!«, beeilte sich Tante Parry, Tibbett beizupflichten. »Er war immer nur rein geschäftlich hier. Als Elizabeth an jenem Tag nach Hause kam und ihn hier beim Essen antraf, war er ebenfalls geschäftlich hier. Es war reiner Zufall, dass er zum Essen blieb und mir Gesellschaft leistete.«

»Zweifelsohne«, sagte Ross noch immer auf jene milde Weise. »Wahrscheinlich hat er gehofft, Sie davon zu überzeugen, Ihren Einfluss geltend zu machen, damit wir unsere Nachforschungen auf der Baustelle beenden.«

Tante Parry lief puterrot an. Frank starrte finster drein, und Dr. Tibbetts Stirn legte sich in jene für ihn so typischen olympischen Falten. »Meine liebe Freundin Mrs Parry hätte niemals etwas so Unkorrektes getan! Ich hoffe, Sie wollen damit nicht andeuten, dass es anders sein könnte.«

»Selbstverständlich nicht!«, beeilte sich Ross, ihm zu versichern. »Verzeihen Sie mir, Ma’am! Ich habe lediglich festgestellt, dass es ohne Zweifel in Fletchers Absicht lag.«

Tante Parry blickte womöglich noch unbehaglicher drein, und Frank sah aus, als würde er gleich explodieren.

»Niemand kann von meiner Tante erwarten, dass sie die Gedanken dieses Halunken liest!«, giftete er.

»Nein, Mr Carterton, selbstverständlich nicht.«

»Ich wusste jedenfalls nicht, dass er immer noch zu Besuch kam«, fuhr Frank fort, indem er sich an seine Tante wandte.

»Nun ja, Frank, mein lieber Neffe …«, begann Tante Parry.

Dr. Tibbett räusperte sich warnend.

Frank errötete und sagte steif: »Ich versuche lediglich, den guten Ruf meiner Tante zu verteidigen.«

»Hat er gestanden?«, verlangte Mrs Belling zu erfahren und beendete damit die Peinlichkeit eines aufkommenden Familiendisputs vor Zeugen.

Sie hatte sich länger aus der Konversation zurückgehalten als für gewöhnlich und war in dieser Zeit sichtlich nervös geworden. Ihre wachen Augen funkelten mit einem beinahe hungrigen Ausdruck darin. Mir wurde bewusst, dass es keinen Unterschied gab zwischen ihr und jenen unverhohlen neugierigen Gaffern, die an der Stelle aufgetaucht waren, wo der Leichnam von Madeleine Hexham gefunden worden war, oder die am Dorset Square vor Tante Parrys Haus auf und ab spaziert waren. Ich hatte sie noch nie gemocht, doch jetzt bemerkte ich, dass sie eine widerwärtige Person war. Ich hoffte sehr, dass Frank nie mit Mrs Belling als Schwiegermutter enden würde.

»Das hat er, Ma’am«, antwortete Ben Ross höflich. »Mr Fletcher scheint mit einem Mal recht begierig darauf zu sein, über alles zu reden, und er hat uns alles erzählt. Er hat alles verloren, und es gibt keinen Grund mehr für ihn, irgendetwas zu verbergen. Seine Verlobte hat die Verlobung gelöst, und ihr Vater hat darauf bestanden, dass die Midland Railway Company ihn entlässt. Selbst wenn er weiterhin seine Schuld abgestritten hätte – was unter den gegebenen Umständen schwierig gewesen wäre –, ist sein Ruf ruiniert. Seine Welt ist um ihn herum eingestürzt.«

»Genau wie die Welt der armen Madeleine, als er sie abgewiesen hat«, bemerkte ich.

Alle wandten sich zu mir.

»Ich habe meine Meinung über jene junge Frau nicht geändert!«, verkündete Dr. Tibbett.

»Nein, Sir, das dachte ich mir«, murmelte Ross.

»Böses zieht Böses nach sich!«, deklarierte Tibbett. »Die Sünde öffnet Tür und Tor für mehr von ihresgleichen. Ihr Mangel an Moral und ihre Doppelzüngigkeit waren der Anfang von alledem. Das vermag niemand zu bestreiten!«

»Sie wurde verführt und getäuscht«, widersprach James unerwartet und überraschend heftig. »Das war nicht ihre Schuld. Man könnte genauso gut sagen, weil sie so unschuldig war, konnte ein Mann wie Fletcher sie vom rechten Weg abbringen. Niemand kann sie für das verantwortlich machen, was er später getan hat!«

»Unsinn, James!«, unterbrach ihn seine Mutter. »Du weißt überhaupt nichts darüber. Halt den Mund!«

James öffnete den Mund, und für eine Sekunde glaubte ich, dass er ihr offen widersprechen würde. Selbst Frank schien überrascht und setzte sich kerzengerade auf in der Erwartung des Unfassbaren.

Doch es geschah nicht. James schloss den Mund wieder und verstummte.

»Wir sind Ihnen jedenfalls alle sehr dankbar, Inspector Ross«, erklärte Tante Parry unvermittelt und mit klarer, fester Stimme.

Ross fühlte, dass er entlassen war. Er erhob sich. »Ich freue mich, dass ich Ihnen zu Diensten sein konnte, Ma’am. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss gehen.«

»Ja, ja«, sagte Tibbett gereizt. »Sie haben Ihre Pflichten und alles, und wir dürfen Sie nicht länger aufhalten.«

An diesem Punkt konnte ich nicht länger schweigen. Diese Leute waren unerträglich. Ich erhob mich. »Nicht nötig, Simms zu rufen«, sagte ich laut. »Ich bringe den Inspector zur Tür.«

Ich will gar nicht erst versuchen, die Grimasse zu beschreiben, mit der Dr. Tibbett auf diese Ankündigung reagierte. Mrs Belling schaute missbilligend drein, und Frank brütete noch wütender als zuvor. »Ja, selbstverständlich«, murmelte Tante Parry und blickte mich nicht wenig nervös an.

Ich führte Ross schweigend nach unten in die Eingangshalle. Von Simms oder einem anderen der Dienstboten war nichts zu sehen. Die hohe Standuhr in der Ecke tickte leise vor sich hin. Staub tanzte in dem Sonnenstrahl, der durch das Oberlicht über der Haustür fiel. Ich erinnerte mich daran, wie ich hier mit meinem bescheidenen Gepäck zu meinen Füßen gestanden und gewartet hatte, während Simms Wally Slater bezahlt hatte, vor so kurzer und doch auch vor so langer Zeit.

Obwohl Simms nirgends zu sehen war, konnte man nie wissen, ob er nicht unvermittelt und lautlos irgendwo auftauchte. Ich öffnete die Tür zur Bibliothek, und Ross und ich gingen ohne ein Wort hinein. Ich schloss die Tür hinter mir. Dr. Tibbett würde sicherlich seine eigene Interpretation dieses Verhaltens zum Besten geben. Doch ich hatte den alten Schulmeister als das durchschaut, was er war. Tibbett hatte kein Recht, mich zu kritisieren, und sollte er es je wieder versuchen, würde ich ihn das in aller Deutlichkeit wissen lassen.

Ich drehte mich zu Ross um. »Ich wollte Ihnen noch einmal persönlich danken«, sagte ich. »Nicht nur dafür, dass Sie mich gerettet haben, sondern auch, weil Sie dafür Sorge getragen haben, dass der armen Madeleine Hexham nun endlich Gerechtigkeit widerfahren kann. Ich möchte mich außerdem dafür entschuldigen, weil alle oben so unhöflich zu Ihnen waren.« Meine Empörung darüber ließ meine Stimme zittern.

Er sah mich gelinde amüsiert an. »Ich bin es gewöhnt, dass man mich auf diese Weise attackiert. Die Geringschätzung durch Dr. Tibbett und die anderen lässt mich völlig unbeeindruckt.« Ross zuckte mit den Schultern.

»Sie mögen ja so großzügig sein, ihnen zu vergeben, ich bin es nicht!«, platzte ich heraus. »Sie sind scheinheilige Heuchler, alle zusammen, außer vielleicht Frank, und Frank ist nur deswegen nicht unter ihnen, weil er sich damit zufriedengibt zu glauben, dass alle ihn genauso lieben, wie er sich selbst liebt, und dass er es nicht nötig hat, sich um ihre Zuneigung zu bemühen! Mrs Parry wusste, dass Madeleine in London eine Fremde war. Sie war verantwortlich für sie! Sie hat kein Recht, mit derartiger Verachtung über Madeleine zu richten! Sie war selbst die Tochter eines Landgeistlichen, genau wie Madeleine. Wenn nicht mein Patenonkel Josiah, dort oben in diesem Porträt …« Ich streckte die Hand aus und zeigte auf das Bild. »Wenn nicht mein Patenonkel gewesen wäre und sie geheiratet hätte, wäre sie wahrscheinlich in der gleichen Position gelandet wie Madeleine, als Gesellschafterin oder Gouvernante. Da reißt mir der Geduldsfaden!«

Ich war so ungehalten beim Gedanken an die anderen oben, dass ich wütend mit dem Fuß aufstampfte, was Ross noch mehr zu amüsieren schien. Doch dann wurde er unvermittelt ernst.

»Sie sind nicht die Einzigen mit einer großen Verantwortung auf den Schultern. Vielleicht hat Mr Carterton ja Recht, und ich hätte mir diesen Fletcher schon viel früher ansehen sollen. Dann wären Sie erst gar nicht in so große Gefahr geraten. Ich mache mir die größten Vorwürfe deswegen. Ja, ja, es ist meine Schuld. Ich weiß nicht, wie ich so dumm sein konnte, Fletcher nicht sogleich als das zu durchschauen, was er war. Meine liebe Lizzie, wenn ich daran denke, was er hätte tun können … ich meine natürlich, liebe Miss Martin … ich …« Er geriet ins Stammeln und verstummte.

»Warum hätten Sie ihn verdächtigen sollen?«, tröstete ich ihn. »Sie wussten schließlich nicht, dass Fletcher schon häufiger in diesem Haus gewesen ist. Es ist keine Überraschung, dass er es Ihnen nicht gesagt hat, aber einer von den anderen, entweder Tante Parry oder Frank, hätte es tun müssen. Einer von beiden hätte merken müssen, dass Fletcher ein falsches Spiel spielt.«

»Ich nehme an, Mrs Parry spricht nicht mit der Polizei über ihre geschäftlichen Angelegenheiten. Was Mr Carterton angeht, so ist es ihm wahrscheinlich gar nicht in den Sinn gekommen.« Ross gestattete sich ein leichtes Lächeln.

Ich fühlte mich veranlasst, Frank zu verteidigen, auch wenn ich selbst ihn vorhin kritisiert hatte. »Sie dürfen nicht meinen, dass Frank Carterton ein Dummkopf ist«, sagte ich. »Er kann recht vernünftig sein, und ich hoffe, dass er sich einen achtbaren Ruf erwirbt, wenn er erst in St. Petersburg ist.«

»Werden Sie ihn vermissen, Lizzie?«, fragte Ross und beobachtete mich genau.

»Nein«, antwortete ich leise. »Ich werde ihn nicht vermissen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe keinerlei persönliches Interesse an Mr Frank Carterton.«

Ein leises, erleichtertes Seufzen entwich Ross. »Werden Sie in diesem Haus bleiben, Lizzie?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Für den Augenblick bleibt mir nichts anderes übrig, doch ich habe vor, nach einer Alternative zu suchen, sobald ich die Zeit dazu finde. Ich glaube nicht, dass Tante Parry versuchen wird, mich davon abzubringen. Sie wird mich nicht sogleich gehen lassen wollen, weil jemand vermuten könnte, dass etwas nicht stimmt in diesem Haushalt, und sie hat eine furchtbare Angst vor dem Geschwätz der Leute. Doch sie weiß andererseits, dass ich sie durchschaut habe. Dass ich alle durchschaut habe.«

Abgesehen davon würde Tibbett, nachdem Frank erst abgereist war, alles daransetzen, sie davon zu überzeugen, dass sie mich entlassen musste; daran hatte ich nicht den geringsten Zweifel. Ich würde jedoch schon vorher auf meinen eigenen Füßen und aus freiem Willen aus dem Haus gehen und ihm diesen erbärmlichen Triumph nehmen.

»Wissen Sie …«, begann Ross und sah sichtlich unbehaglich drein. »Es … Es war ein großes … Ich schätze, es wäre eine starke Untertreibung, ›ein großes Vergnügen‹ zu sagen. Ich war sehr glücklich, Sie wiederzusehen.«

»Und ich habe mich sehr gefreut, Sie wiederzusehen«, sagte ich ernst. Kurz erinnerte ich mich daran, wie ich mein Gesicht im Keller von Fletchers Haus an seinem Mantel vergraben hatte, und spürte, wie meine Wangen brannten.

»Ah.« Er grinste zaghaft, kratzte sich den lockigen Schopf schwarzer Haare und – ich schwöre es! – errötete ebenfalls. »Als ich nach London kam, als junger Mann, wie ich Ihnen erzählt habe, träumte ich davon, mein Glück zu finden.« Erneut lächelte er verlegen. »Ich habe es noch nicht ganz geschafft. Auf der anderen Seite ist es mir nicht gerade schlecht ergangen. Es gab einen Motor, der meinen Traum angetrieben hat. Sie haben mich nicht bemerkt. Doch als ich aufwuchs, sah ich Sie ebenfalls aufwachsen. Ich habe Sie gesehen, in unserer Stadt, wenn Sie unterwegs waren. Als Erstes bei dieser französischen Gouvernante, die der Doktor eingestellt hatte. Was für eine eigenartige Frau das war! Die Jungen in der höheren Schule haben sich über sie lustig gemacht, wie ich leider gestehen muss, aber nie über Sie. Jedermann hat Dr. Martin respektiert. Abgesehen davon hätte ich niemals zugelassen, dass einer von ihnen etwas Respektloses gegen den Doktor sagt. Später habe ich Sie zusammen mit dieser älteren Haushälterin beim Einkaufen gesehen, oder wie Sie im besten Sonntagsstaat aufgebrochen sind, um eine Freundin zu besuchen oder sonntags in die Messe zu gehen. Sie haben mich nie gesehen. Ich habe mich abseits gehalten. Doch mein Traum war immer, sobald ich in London mein Glück gemacht hatte, nach Hause zurückzukehren und Lizzie Martin zur Frau zu nehmen – falls sie mich denn haben wollte und falls niemand anders sie vorher genommen hätte.«

Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Seit jenem Augenblick, als er mich in meinem Kellergefängnis entdeckt und meinen Namen gerufen hatte, hatte ich genügend Zeit gefunden, um über die Gefühle nachzudenken, die ich empfunden hatte, als ich seine Stimme vernahm. Erleichterung angesichts der Aussicht auf Rettung, selbstverständlich, doch da war noch etwas anderes gewesen – und war immer noch da –, das über Erleichterung hinausging. Es war eine neue, eigenartige Unsicherheit, die mich erschreckte und zugleich in Hochstimmung versetzte. Sie war es auch, die mich meine übliche Selbstsicherheit verlieren ließ.

Ich starrte angestrengt auf den türkischen Teppich zu meinen Füßen. »Es hat sie niemand anders vorher genommen«, hörte ich mich leise flüstern.

»Glauben Sie«, fuhr er zögernd fort, »glauben Sie, Mrs Parry hätte etwas dagegen, wenn ich Sie besuchen komme, solange Sie noch hier wohnen?«

Ich schüttelte den Kopf, und es gelang mir, wenigstens einen Teil meiner üblichen Forschheit zurückzugewinnen. »Ob sie etwas dagegen hat oder nicht – sie ist wohl kaum in der Position, Einwände zu erheben.«

»Ah«, sagte Ben bereits ein klein wenig zuversichtlicher. »Und Sie? Würden Sie Einwände erheben? Dagegen, mit mir befreundet zu sein, meine ich?«

Da erst hob ich den Kopf und sah ihm direkt ins Gesicht. »Nein, Ben«, antwortete ich. »Ich hätte überhaupt keine Einwände. Ich denke, es würde mir im Gegenteil sogar sehr gut gefallen.«