4. Kapitel

Raamet: Gefalon
Nammerin: Namport

Selbst in den Magierwelten bleibt ein Raumhafen immer noch ein Raumhafen, überlegte Jessan. So unterschiedliche Orte wie Embrig und Namport ähnelten sich darin, dass man sie auf einem möglichst weiten und flachen Stück Land erbaut hatte. Galcen Prime war natürlich anders – Galcen Prime war schon immer etwas anderes gewesen, denn von Prime aus war bereits eine Welt regiert worden, bevor es sich angeschickt hatte, den größten Teil der zivilisierten Galaxie zu beherrschen. Und die Antarktis von Galcen war so weit und so flach, dass man jeden anderen Mangel sofort vergessen konnte.

Gefalon auf Raamet war ein weiteres Exemplar von dieser Art. Die Sonne brannte auf die Stadt aus Felsgestein, das dieselbe verblichene braune Farbe zeigte wie die dürre Landschaft. In weiter Entfernung war eine blaugraue Gebirgskette zu sehen, um deren schneebedeckte Gipfel sich Wolken legten. So konnte man zwar vermuten, dass Raamet auch über angenehmere, kühlere Gegenden verfügte, aber kein Sternenpilot würde es riskieren, den Hafen zu verlassen, um dies zu überprüfen. Jedenfalls nicht auf dieser Seite des Netzes.

Der Raumhafen bestand hauptsächlich aus einem Landeplatz, jedoch ohne eine Hightech-Dockingstation wie in der Republik. Die Raumschiffe landeten hier nicht mal auf einer asphaltierten Rollbahn. Die Linien zur Unterteilung des riesigen Geländes waren direkt in die verdichtete und gehärtete Erde geätzt worden. Jessan fragte sich, wie oft es in Gefalon regnete oder ob es überhaupt jemals regnete. Und wie viele Kriegsschiffe der Magierwelten in wie vielen konfliktreichen Jahren notwendig gewesen waren, bis die Oberfläche des Wüstenbodens so hart gebrannt war wie ein Fels.

Gefalon war in jenen früheren Zeiten einer der Stützpunkte der Magierlords gewesen – das Landefeld wirkte groß genug für eine ganze Flotte. Doch diese Tage waren längst vorbei, am Ende des Krieges war den Magierweltlern jede Möglichkeit eines künftigen Sternenflugs versagt worden. Die wenigen Raumschiffe im Raumhafen waren alle in der Republik registriert und an dieser oder jener Netzstation durch die Zollkontrolle gegangen.

Jessan und Beka, vielmehr Doc und Tarnekep Portree, wie Jessan sich jetzt noch einmal einprägte, saßen am Tisch eines Restaurants unmittelbar außerhalb des Landeplatzes. Ein Dach aus verrostetem Metall sorgte für Schatten, während sich an einem Grill aus Ziegelsteinen in der Mitte des Restaurants ein gelangweilter Koch um kleine Spieße mit Fleisch von unbekannter Herkunft kümmerte.

Das hiesige Bier war unsäglich. Dafür war der Wein, den der Dolmetscher an Doc und Tarnekeps Tisch empfohlen hatte, allerdings noch schlechter. Und was das Wasser betraf, so bewahrte Jessans medizinische Ausbildung ihn davor, irgendetwas in einem unbekannten und primitiven Raumhafen zu trinken, das auch nur ungefähr wie diese Flüssigkeit aussah.

Aber in diesem Klima muss man etwas trinken, dachte er resigniert, wenn wir nicht auch noch dehydrieren wollen. Und Probleme haben wir schon genug. Also muss es wohl ein Bier sein.

Jessan füllte sich noch einmal aus dem Krug in der Mitte des Tisches nach. Er wippte mit dem Stuhl nach hinten und beobachtete mit halb geschlossenen Augen, wie Captain Portree mit einem Raametaner verhandelte, nämlich wegen einer Fracht von irgendwo auf der anderen Seite des Gebirges.

Dem Dolmetscher zufolge handelte es sich bei dem kleinen, verhärmt aussehenden Mann um einen Händler mit medizinischen Kräutern, Rinden und Mineralien, und zwar den auf Raametan führenden. Die Behauptung mag sogar stimmen, überlegte Jessan. Wenn ja, haben die Magierwelten einen langen Abstieg vom Höhepunkt ihrer Macht hinter sich. Das war jener Zeitpunkt gewesen, als ihre medizinische und biochemische Technologie alles in der Galaxie in den Schatten gestellt hatte.

»Akzeptieren Sie es oder lehnen Sie es ab«, sagte Tarnekep, während der Dolmetscher mit seiner Übersetzung noch ein oder zwei Sätze zurücklag. »Aber ich kann Ihnen für Ihr Material kein Auslieferungsdatum garantieren. Mit der Menge, von der Sie sprechen, kann ich noch nicht einmal ein Viertel meines Frachtraums füllen. Ich werde nicht so gut wie leer direkt nach – wie heißt der Brocken noch? – nach Ninglin fliegen. Zuvor werde ich noch ein paar nähere Systeme anfliegen. Für alles, was verderblich und nicht zu sperrig ist, habe ich Stasisboxen. Ich kann es auch in gefrorenem Zustand transportieren, was bedeutend billiger ist, weil es nicht so viel Energie verbraucht. Sind Sie noch interessiert?«

Der Kräuterhändler antwortete mit einem rasenden Geplapper, das der Dolmetscher in akzentuiertes Galcenisch übertrug. »Ich bin interessiert, ja. Aber Sie werden nicht von mir bezahlt. Und meine Geschäftspartner auf Ninglin werden bei verspäteter Lieferung nicht die vollen Frachtkosten begleichen wollen.«

»Was denn für eine Verspätung?«, wollte Tarnekep wissen. »Bevor ich gekommen bin, hatten Sie überhaupt keinen Spediteur zur Hand. Und wenn ich gehe, müssen Sie vielleicht noch einen Monat oder länger warten, bis Sie einen anderen finden. Ich komme mit Ihren Geschäftspartnern schon klar, keine Sorge. Sind wir uns einig?«

Der Händler zuckte die Achseln und sagte etwas, das sich ziemlich endgültig anhörte. »Wir sind uns einig«, übersetzte der Dolmetscher.

»Gut«, sagte Tarnekep und streckte die Hand aus. »Abgemacht?«

Der Händler ergriff die Hand des Captains und sagte das wahrscheinlich einzige galcenische Wort, das er beherrschte: »Abgemacht.«

Tarnekep nickte. »Bringen Sie das Zeug vor Eintritt der Dunkelheit her, so dass wir es noch einladen können«, bemerkte sie und zog die Hand zurück. »Wir starten gleich morgen früh.«

Nachdem die Raametaner gegangen waren, griff Tarnekep nach seinem noch unberührten Bier, trank es aus und schnitt eine Grimasse. Dann setzte Beka das Glas auf dem Tisch ab und betrachtete die beiden leeren Stühle.

»Ich frage mich«, sagte sie nachdenklich, »welcher von unseren Freunden der Spion ist.«

»Sie haben eine gemeine und argwöhnische Fantasie, Tarnekep Portree«, sagte Jessan. »Sie verleumden einfach so die ehrlichsten Geschäftsleute. Wahrscheinlich fragen die sich das Gleiche, nur wegen uns.« Er nahm einen Schluck Bier und fügte hinzu: »Ich tippe auf den Dolmetscher.«

»Zu einfach«, sagte Portree. »Ich glaube, der Dolmetscher war nur zum Schein hier. Der kleine Wurm von einem Händler versteht mehr Galcenisch, als er zugibt.«

»Da könntest du recht haben«, entgegnete Jessan.

»Ich bin mir ganz sicher«, sagte Portree. »Hast du seine Augen gesehen? Er hat mir zugehört, nicht dem Dolmetscher. Aber das ist ohne Bedeutung, solange er eine rechtmäßige Fracht nach Ninglin hat. Es ist mir egal, wem er was darüber erzählt, wie viel ich dafür verlange. Betrachte es als kostenlose Werbung.«

»Für das, was er für die Fahrt bezahlen muss, können wir ein Holoschild über jeder Bar auf Gefalon anbringen.«

Tarnekep schüttelte den Kopf. »Du bist zu weich, Doc. Ich habe mir meinen Lebensunterhalt schon mit diesem Job verdient, als du noch einsame Rekruten gemustert hast. Die Magierwelten verfügen heutzutage über keine anderen Spediteure zwischen den Systemen als uns.«

»Es ist die einzige Möglichkeit in dieser Stadt.« Jessan nahm noch einen Schluck Bier. Und sein zweifelnder Gesichtsausdruck war nicht allein auf die blassgelbe Flüssigkeit zurückzuführen. »Damit werden wir uns allerdings bei keinem unserer Kunden besonders beliebt machen.«

»Sie sollen mich auch nicht lieben«, entgegnete Tarnekep, »sondern einfach nur bezahlen, wenn ich ihnen die Rechnung präsentiere.«

Jessan dachte einen Moment lang darüber nach. »Pünktliche Bezahlung ist immer eine gute Sache«, gab er zu.

»Verdammt richtig.« Tarnekep blickte finster auf den Bierkrug. »Und es sieht so aus, als wären unser Freund und sein Dolmetscher gegangen, ohne die Zeche zu bezahlen.«

»Oje«, antwortete Jessan, »haben wir überhaupt hiesiges Bargeld?«

»Keinen einzigen Heller. Wir müssen einen unserer Ophelanischen Bankwechsel in Bares eintauschen, bevor wir unsere Rechnung zahlen und gehen können.«

Jessan leerte sein Bierglas und stand auf. »Ich kümmere mich um den Geldwechsel«, sagte er. »Halt du hier die Stellung, damit der Manager nicht glaubt, dass wir die Zeche prellen wollen.«

»In Ordnung«, antwortete Tarnekep. »Dann werde ich noch ein wenig von diesem Zeug trinken müssen.«

Jessan nickte in Richtung Grill. »Bestell dir doch lieber ein paar Echsen am Spieß, kann schließlich auch nicht schlimmer sein.«

»Glaubst du wirklich, dass es Echsen sind?«

»Wer weiß? Du wirst es mir sicher erzählen, wenn ich zurück bin.«

»Haha.« Tarnekep sah zu Jessan hoch. Wie immer erschwerte es die rote Plastikklappe über dem Auge, den Gesichtsausdruck des Captains zu deuten. »Nimm dich in Acht, Doc, wenn du mit dem vielen Geld auf diesem Planeten herumläufst. Ich möchte nur ungern einen so guten Kopiloten verlieren.«

Die Sonne ging über Namport auf, aber Klea Santreny fühlte sich müde. Sie wanderte auf ihren unbequemen Stöckelschuhen durch die schmutzigen Straßen. Es waren ihre Arbeitsschuhe, billig, fadenscheinig und überdekoriert, vorne offen und mit spitzen Absätzen, viel zu hoch für den klebrigen schwarzen Matsch auf Nammerins Straßen. Selbst wenn sie so oft wie möglich über die Lattenroste ging, würde sie die Schuhe zu Hause doch reinigen müssen, egal wie müde sie sich auch fühlte.

Noch so eine lästige Arbeit, bevor ich schlafen gehen kann, dachte sie erschöpft. Wenn ich überhaupt einschlafen werde.

Schon gestern und vorgestern hatte sie nicht viel Schlaf bekommen: Die Alpträume waren zurück. Sie hatte schon immer schlecht geträumt, dunkle und verworrene Geschichten ohne Anfang und Ende. Aber niemals zuvor kamen sie so oft und waren so rätselhaft wie in letzter Zeit.

Ich erinnere mich nicht einmal mehr daran, was ich gestern geträumt habe. Aber es war schrecklich, so viel weiß ich schon.

Heute Nacht jedoch war alles noch viel schlimmer gewesen. Irgendwann nach dem dritten Freier des Abends hatte sie Halluzinationen bekommen. Die Wahrnehmungen waren nicht real, das wusste sie zwar, aber es half überhaupt nicht. Die Bilder darin ähnelten Gedanken, und zwar den Gedanken anderer Menschen, die sich irgendwie abgelöst hatten und in Kleas Kopf gekrochen kamen. Unsichtbare Gesichter, dahintreibende Farbflecken, ein stechender Schmerz im Bein eines anderen Menschen, ein zufälliges Wort … Schlampe. Flittchen. Hure.

Klea hatte nicht geahnt, dass es noch etwas Schlimmeres als solche Wahnvorstellungen geben könnte. An die hatte sie sich beinahe gewöhnt, jedenfalls hatte sie gelernt, sie von ihren eigenen Gedanken zu unterscheiden. Aber nun wurden diese Erscheinungen immer klarer, die Wörter immer lauter, und die Gefühle lagen nicht mehr nur an der Oberfläche. Sie hatte sich immer schon gefragt, was die Gäste der Freling’s Bar wirklich wollten, wenn sie sich ein paar Minuten mit Kleas Körper in einem der Räume im ersten Stock kauften. Und in letzter Zeit hatte sie es verstanden. Ein starkes Getränk, ein wirklich starkes, nicht so ein unechtes wie bei der Arbeit, verdrängte die Gedanken ein wenig, es reichte aber nicht aus.

Wenn es morgen Nacht wieder so wird, weiß ich nicht, ob ich es überlebe.

Sie lachte unsicher. »Wenn der Tag heute so schlimm sein wird wie gestern, Kind«, sagte sie laut, »dann erlebst du die nächste Nacht vielleicht gar nicht.«

Ein Frühaufsteher aus der Nachbarschaft kam ihr entgegen, er war in dieser Herrgottsfrühe schon auf dem Weg zu seinem Job und hatte alles mitgehört, denn sie hatte sich nicht im Geringsten bemüht, die Stimme zu senken. Er beschleunigte seine Schritte.

Im Vorbeigehen streiften sie Gefühle, eine Welle von Missbilligung erstickte sie beinahe … ein blauer, elektrischer Angstreiz … die dunkle Vision eines Lagerhauses beim Raumhafen.

»Nein«, murmelte sie jetzt leise. »Nein, verdammt. Ich war nicht im Hafen. Und ich gehe dort auch nicht hin.«

Sie arbeitete jetzt seit fünf Jahren in Namport und wusste, dass die engen Straßen mit ihren Bars beim Raumhafen die Endstation für eine Hure waren. Sie fröstelte.

Wenn ich nicht mit diesen Verrücktheiten aufhöre, werde ich bald dort arbeiten müssen. Freling wird keine verrückte Frau in seiner Bar dulden – und wenn ich zusammenbreche, wird er es sofort weitererzählen.

Ich muss ein wenig Schlaf bekommen.

Sie näherte sich der Straße mit den alten, dicht gedrängt stehenden Häusern, in der sie wohnte. An der Ecke gab es einen kleinen Lebensmittelladen, der um diese Zeit noch geöffnet war, dort kaufte sie immer ein. Sie beschleunigte ihre Schritte und kam ein wenig ins Stolpern, blieb mit den hohen Absätzen in einem Matschloch hängen, das ein anderer Fußgänger auf dem Weg hinterlassen hatte.

Vor dem Geschäft gönnte sie sich auf der gewebten Strohmatte eine kurze Pause und hielt sich am Türgriff fest, während sie die Matschklumpen von ihren Schuhen wischte. Dabei erhaschte sie einen kurzen Blick auf ihr Spiegelbild im Türfenster: eingefallene Wangen, tiefe Schatten unter den Augen und ein schrilles rotes Kleid, das alles nur noch schlimmer machte.

Ich sehe wie eine Hexe aus.

Sie unternahm den vergeblichen Versuch, ein wenig Ordnung in ihre verschwitzten, unordentlichen Locken zu bringen. Die farbigen Lichter im Fenster fielen auf ihre vielen Armreifen und blendeten sie, so dass ihr schwindlig wurde. Sie hielt sich am Türrahmen fest, bis der Schwindel nachließ, dann öffnete sie – immer noch ein wenig zittrig – die Tür und trat hinein.

Zu dieser Stunde war der Laden fast leer, nur der Inhaber saß wie gewohnt hinter dem Eingangstresen, dann sah sie noch einen jungen, dunkelblonden Mann in einem verschlissenen, beigefarbenen Overall. Diesen jungen Mann hatte sie schon einige Male in der Nachbarschaft gesehen, meist spät am Abend oder sehr früh morgens. Er stand weiter hinten vor den Regalen, wahrscheinlich musste er auch nachts arbeiten und tagsüber schlafen – oder versuchte es wenigstens.

Der Ladenbesitzer lächelte und nickte ihr zu, als sie eintrat. Aber diese Geste hatte wohl keine Bedeutung, unter der Oberfläche tummelten sich schmutzige Gedanken, während sein freundlicher Gesichtsausdruck unverändert blieb.

Lügner, dachte sie und biss sich auf die Zunge, um es nicht auszusprechen. Sie nickte ihm zu. Er nahm ebenso Geld von ihr wie von allen anderen, unabhängig davon, wie sie es verdient hatte. Ulle würde seine Ansichten so lange für sich behalten, wie sie etwas bei ihm einkaufte.

Er kann niemanden verletzen, wenn er es gar nicht ausspricht, sagte sie sich. Dich schon, aber das zählt ja nicht.

Sie nahm einen Einkaufskorb vom Stapel bei der Kasse und legte ihre Einkäufe hinein. Eine Schachtel Müsli aus Wassergetreide für ihr Porridge, ein Bündel Gemüse zum Dämpfen, gefrorenen Marschaal, der mit dem Gemüse wahrscheinlich gar nicht schlecht schmecken würde, und dann kam sie zu dem Regal mit den Flaschen, das ganz hinten im Laden stand.

»Ohne Bier kann ich keine Marschaalsuppe essen«, sagte sie. In letzter Zeit sprach sie viel zu oft laut mit sich selbst, das war ihr schon klar, aber sie konnte so besser unterscheiden, welche Gedanken ihre eigenen waren. »Bier für die Suppe und Aquavit für den Koch.«

Sie legte ein paar Flaschen Tree-Frog-Bier in den Korb. Die eckigen, violetten Flaschen mit Aquavit standen ganz oben im Regal, sie musste sich danach strecken. Während sie noch daran dachte, wurde ihr klar, dass sie nicht mehr ganz sicher auf den Beinen stand. Also lieber nicht danach greifen und dann noch runterstürzen, während Ulle sie beobachtete.

Sie fühlte den Blick des Ladenbesitzers auf ihrem Rücken, als würde er sie berühren. Er folgte jeder Bewegung ihrer Hüften unter dem engen roten Kleid. Ohne Vorwarnung begann wieder der Schwindel, im Kopf drehte sich alles. Die Bierflaschen und der Instant-Cha’a vor ihr verschwammen, darüber legte sich eine groteske, verzerrte Ansicht ihres eigenen Körpers – von hinten gesehen. Die Realität wurde von Halluzinationen verwässert, und sie sah, wie sich das Kleid von ihrer Haut löste, so dass Ulle ihren nackten Rücken und die Pobacken sehen konnte.

Kleas Kehle schwoll an. Sie griff nach dem Regal vor sich und schluckte hart hinunter. Die Vorstellung verschwand und mit ihr der Brechreiz, zurück blieb nur der kalte Schweiß.

»Verdammt«, flüsterte sie heiser. »Verdammt, verdammt, verdammt … Kind, du musst jetzt wirklich ein wenig schlafen.«

Sie atmete lange zitternd durch und griff schließlich noch einmal nach dem Aquavit. Es hatte keinen Sinn, ihre Knie knickten ein, gleich würde sie fallen.

Da ergriff eine Hand sie am Ellbogen und gab ihr Halt. »Lassen Sie mich Ihnen helfen.« Die unbekannte, ganz normale Stimme hatte einen leichten Akzent, den sie nicht einordnen konnte. »Sie wollen doch nicht Gentlesir Ulles schlimmste Befürchtungen wahr werden lassen?«

Es war der Mann in dem beigefarbenen Overall. Sobald sie wieder fest auf beiden Füßen stand, zog er seine Hand zurück und griff nach der Flasche Aquavit.

»Hier«, sagte er und legte die Flasche in ihren Einkaufskorb. »Aber er wird Ihnen sicher nicht helfen.«

Nach dieser Bemerkung verschwand jedes Gefühl von Dankbarkeit sofort wieder. »Ich brauche keine Predigt, vielen Dank.«

Er lächelte kurz, aber der Blick seiner nussbraunen Augen unter den dunklen Wimpern blieb ernst. »Das ist gut. Denn ich bin auch kein Prediger.«

»Es hätte bei mir auch keine Wirkung.«

»Hören Sie«, sagte er. »Diese Erscheinungen und Stimmen werden Sie mit dem violetten Fusel nicht vertreiben. Das weiß ich.«

Wie kann er das wissen? Dass ein Fremder ihre Wahnvorstellungen direkt ansprechen konnte, war der nächste Schock, und der Schwindel kam sofort wieder zurück, sie griff nach dem Regal. »Wer zum Teufel sind Sie überhaupt?«

»Ihr Nachbar«, antwortete er. »Und jemand, der Ihnen zeigen kann, wie Sie Ihre Probleme in den Griff bekommen können.«

Sie lachte grob. »Genau«, sagte sie. »Erzählen Sie mir ruhig noch mehr. Diese Masche ist so alt, dass sie schon Moos angesetzt hat.«

Sie drehte ihm den Rücken zu und eilte zum Eingangstresen. Die unerwartete Freundlichkeit war durch diesen Spruch, den sie jede Nacht in Freling’s Bar hören konnte, verdorben worden. Sie ärgerte sich so sehr, dass Ulles gemeine kleine Gedanken sie nicht mehr erreichten, als sie die Straße hinunterrannte und dann in ihr Apartment im dritten Stock eilte.

Klea hatte bereits die Tür des Apartments geschlossen und verriegelt, als ihr das eigentlich Merkwürdige an diesem Fremden klar wurde; zum ersten Mal seit Tagen war sie nicht von unerwünschten Gefühlen und Vorstellungen überfallen worden, obwohl der Fremde ihr näher gekommen war als irgendein anderer, der für dieses Privileg nicht im Voraus bezahlt hatte.

Aber er konnte meine Gedanken hören, das konnte er wirklich, sogar als ich nicht wie eine Verrückte mit mir selbst gesprochen habe. Vielleicht wollte er gar nichts umsonst von der Hure des Viertels … vielleicht weiß er wirklich, wie man all diese Dinge in meinem Kopf anhalten kann … vielleicht … vielleicht … verdammt!

»Kind«, sagte sie. »Ich glaube, du hast es wieder vermasselt. Setz es mit auf die Liste.«

Daran konnte sie jetzt nichts mehr ändern. Sie bewegte sich ganz langsam und vorsichtig, stellte das Müsli aus Wassergetreide in das Regal beim Ofen, legte das Gemüse in die Kühlbox, den Marschaal in das Tiefkühlfach und stellte die Flasche Aquavit auf den Tisch neben ihrem Bett. Dann zog sie die Arbeitskleidung aus, steckte sie in den Beutel mit der schmutzigen Wäsche und zog sich ein einfaches weißes Nachthemd an.

Sie holte ein sauberes Glas aus dem Schrank und nahm es mit zum Bett, dort schenkte sie sich so viel von der violetten Flüssigkeit ein, wie es ihre zitternden Hände zuließen.

»Auf dein Wohl, Klea Santreny … wenn das erste Glas nicht hilft, versuchen wir es weiter, so lange, bis es klappt.«

Entgegen Tarnekeps Bedenken konnte Jessan den Bankwechsel in Raametaner Bargeld ohne Probleme tauschen. Ein Schild am Tor des Landeplatzes warb für ein Institut, das sich auf Geldumtausch spezialisiert hatte. Die Wegbeschreibung in grammatikalisch falschem Galcenisch sowie drei anderen Alphabeten, die Jessan unbekannt waren, ließ darauf schließen, dass man hier mit den verschiedensten Kunden rechnete.

Das Institut entpuppte sich als Kiosk an einer Straßenecke. Der heruntergekommene, runzelige Mann hinter dem Tresen schien das Geschäft ohne Hilfe von Computern und ohne jede Funkverbindung zu betreiben. Das einzige Inventar war eine Metallbox für Bargeld. Ohne große Erwartungen faltete der Khesataner den Bankwechsel auseinander und präsentierte ihn dem Geldwechsler.

»Können Sie das einwechseln?«

Der heruntergekommene Mann schielte auf das Siegel des Bankwechsels und hielt es dann gegen das Licht, um das Wasserzeichen zu kontrollieren. »Orphelanisch«, sagte er. Er sprach Galcenisch, und zwar mit einem noch stärkeren Akzent als der Dolmetscher. »Ist echt.«

»Ich weiß, dass er echt ist. Können Sie ihn eintauschen?«

Der Mann nickte. »Kostet dreißig Prozent.«

»Lächerlich.«

»Ist der beste Kurs in der Stadt. Mehr kriegen Sie nirgendwo heraus.«

»Ich hätte nicht übel Lust, es auszuprobieren«, antwortete Jessan. »Aber ich habe jetzt nicht die Zeit dazu. Sagen wir zwanzig Prozent.«

Der heruntergekommene Mann öffnete seine Bargeldbox und legte den Bankwechsel zu ähnlichen Papieren. Er zählte mehrere Dutzend graublauer Scheine ab, darauf waren Persönlichkeiten aus Raametan abgebildet, wie Jessan vermutete, und steckte sie in einen Umschlag.

»Hier«, sagte er und reichte Jessan den Umschlag, »und geben Sie nicht alles auf einmal aus.«

»Ich werde mein Bestes tun und das Geld möglichst gut verteilen«, versicherte Jessan. Er verstaute den Umschlag mit dem Raametaner Geld im Hemd und ging zum Restaurant zurück.

Tarnekep saß dort mit einem unangetasteten Glas Bier und einem leeren Spieß auf dem Teller vor sich.

»Es war keine Echse«, sagte sie, als Jessan sich gesetzt hatte. »Echse schmeckt besser. Hast du das Bargeld?«

»Ich hab es hier.« Jessan klopfte sich aufs Hemd. »Du musst jetzt herausfinden, welches die großen und welches die kleinen Scheine sind …«

»Die meisten Welten so nahe am Netz benutzen die Ninglin-Schreibweise«, erwiderte Tarnekep. »Der Prof hatte ein paar Computerdateien über die Magierwelten auf der Basis. Ich habe sie in den Speicher des Raumschiffes übertragen, bevor wir zu diesem Trip gestartet sind. Bisher hatte ich keine Gelegenheit, einen Blick darauf zu werfen, aber von eins bis zwölf kann ich auch so zählen, für Bargeld wird es reichen.«

»Gut«, sagte Jessan, nahm der Umschlag heraus und gab ihn Tarnekep. »Dann regele du das mit der Rechnung.«

»Kein Problem«, entgegnete Tarnekep. Sie blätterte den Inhalt des Umschlags durch und nahm einen Schein heraus, dann zwei weitere mit einem anderen Symbol. »Das sollte reichen … übrigens haben wir einen Passagier für den ersten Teil der Fluges. Der Bursche will mitfliegen und in Cracanth aussteigen.«

»Ist das erlaubt?«

Tarnekep zog eine Augenbraue hoch. »Interessiert uns das?«

»Ich möchte unserem gewissenhaften Freund beim Netz keinen Vorwand verschaffen, uns einzusperren und dann ganz zufällig den Code zu vergessen.«

»Keine Sorge. Was unsere Freunde nicht wissen, macht sie nicht heiß, und außerdem interessiert es niemanden, ob wir Passagiere zwischen den Planeten transportieren, solange wir sie nicht mit durch das Netz nehmen. Es gehört zum örtlichen Handel, und die Bezahlung ist gut.«

»Das glaube ich«, antwortete Jessan. »Aber ist es auch sicher?«

»Vermutlich.« Tarnekep lächelte. Jessan kannte den scharfen, herausfordernden Blick des Captains. Beka wusste um das Risiko und hatte sich entschieden, es zu ignorieren. »Vielleicht auch nicht. Aber ich bin nicht hierher geflogen, weil ich übermäßig auf Sicherheit bedacht wäre.«