7. Kapitel
Galcen: Das Refugium
Infabede-Sektor: RSF Selsyn-bilai; RSF Fezrisond
General Ochemet stand immer noch auf dem Turm des Refugiums, als die Sonne aufging. Das Licht drang über die Berge und verwandelte sich von dem perlmuttenen Grau in zartes Pink und ging schließlich in ein warmes Gelb über, ohne allerdings Ochemets Herz erwärmen zu können. Prime Basis war weit von den Bergen entfernt, mindestens sechs Stunden mit einem Aircar. Selbst wenn er sofort aufbrach – vorausgesetzt, Meister Ransome ließ ihn überhaupt weg, nachdem er ihn quasi mehr oder weniger entführt hatte –, würde er vielleicht nicht mehr rechtzeitig zurückkommen, um die Katastrophe abwenden zu können.
Er hörte Schritte auf dem Steinboden hinter sich und drehte sich um. Einer der älteren Lehrlinge war mit einem Becher und einer Kanne voll von dampfendem Cha’a auf einem Holztablett heraufgekommen. Der Cha’a in dem Becher war bereits so weit abgekühlt, dass er ihn trinken konnte. Nach der langen nächtlichen Wache nahm Ochemet das Getränk nur zu gerne an, trotz seiner finsteren Gedanken über den Meister der Gilde.
Er leerte den Becher mit zwei langen Zügen und hielt ihn dann dem weiblichen Lehrling zum Nachfüllen hin. »Ich muss so schnell wie möglich nach Prime zurück. Was gibt es Neues?«
Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Nichts, was ich Ihnen erzählen könnte«, erwiderte sie, während sie seinen Becher füllte. »Meister Ransome bittet Sie um Entschuldigung, weil er Ihnen kein ordentliches Frühstück servieren kann, und er möchte, dass Sie mich begleiten, sobald Sie genug Cha’a getrunken haben.«
Möchte er das, ja? Dieser arrogante Mistkerl. Ochemet stellte den Becher auf das Tablett neben den Topf. Galcen ist in Gefahr, und er weiß es; verdammt noch mal, er gibt es sogar zu! Und trotzdem spielt er aus irgendeinem Grund solche Spielchen mit mir.
Dennoch, solange Ransome die Wege ins Refugium und hinaus kontrollierte, hatte Ochemet kaum eine andere Wahl – und das wusste er auch. Er folgte dem Lehrling die Treppe des Turms hinab zu den unteren Befestigungen, wo ein Adept auf ihn wartete. Ochemet erkannte den jungen Mann, der ihn und Captain Gremyl vor wenigen Stunden auf dem Landefeld abgeholt hatte.
»Da ist er«, sagte der Lehrling. »Was mache ich jetzt, Meister Tellyk?«
Tellyk lächelte die junge Frau kurz an. Ochemet vermutete, das Lächeln sollte sie aufmuntern. »Bring das Tablett in die Küche zurück, und geh dann zu den anderen aus deiner Gruppe.«
Sie eilte mit schnellen Schritten davon.
Ochemet folgte seinem neuen Führer weiter ins Zentrum der Festung hinein, durch Korridore und Treppen hinab, die ständig schmaler und gröber wurden. Er vermutete, dass Tellyk ihn tief unter die Erdoberfläche führte. Nach der letzten Biegung durchquerten sie eine schwere Tür, die aussah, als würde sie auch Energiewaffen standhalten, und betraten einen großen Raum mit Detektor-Schirmen und Statustafeln. Adepten in schlichter schwarzer Kleidung huschten geschäftig umher; sie lasen Ergebnisse von Monitoren ab, tippten Befehle und Kodierungen ein und redeten leise und ernst über Funk miteinander.
Die Kommandozentrale, dachte Ochemet. Auf dem neuesten Stand der Technik. Was haben sie wohl noch alles hier, wovon ich nichts weiß?
Meister Ransome war ebenfalls da. Er hielt den Stab in der Hand – und der Saum seines dunklen Umhangs, den er in der letzten Nacht auf den Befestigungen getragen hatte, schwang um seine Knöchel.
»Tellyk«, begrüßte er den Adepten. »Sind die Lehrlinge in Sicherheit?«
Der junge Mann warf einen Blick auf seine Uhr. »Mittlerweile sollten die letzten bereits das Refugium verlassen. Die Gruppenführer kennen das Protokoll; sie werden bis zum Mittag örtlicher Zeit das Gebiet des Refugiums verlassen haben und sich bis zum Sonnenuntergang auf dem ganzen Planeten verteilt haben.«
»Gut«, erwiderte Ransome. »Wir werden dafür sorgen, dass keiner Zeit hat, heute nach ihnen zu suchen, und morgen auch nicht.«
Ochemet holte tief Luft und mischte sich in das Gespräch. »Es freut mich sehr zu hören, dass Ihre Evakuierungspläne für den Notfall so hervorragend funktionieren …« Und ich frage mich, seit wann sie schon im Gange sind! »Aber wenn die Gefahr so unmittelbar bevorsteht, muss ich sofort zu Prime Basis zurück.«
Ransome schüttelte bereits den Kopf, bevor Ochemet den Satz auch nur zu Ende gesprochen hatte. »Ich fürchte, dafür ist es zu spät, General. Die Kriegsflotte der Magierwelten ist bereits in unser System eingedrungen, und Prime Basis befindet sich in ihrer Gewalt.«
Captain Natanel Tyche, SFPI, betrachtete die beiden Leute auf der anderen Seite des Esstisches, die er im Auftrag von Galcen Prime zurückholen sollte. Aus der Landebucht der Selsyn drangen die Geräusche der bewaffneten Auseinandersetzung bis zu ihnen herein. Hier, in der Messe von Tychons Langstreckenaufklärer war es jedoch relativ ruhig. Die Innenbeleuchtung des Schiffes war gedämpft, und bis auf den Piloten und Kopiloten, die jedoch durch mehrere Schotts von ihnen getrennt waren, war niemand an Bord geblieben, der hätte mithören können, was gesagt wurde.
Gamelan Bandur hatte seinen Handblaster wieder in seinem Ärmel verstaut, doch er wirkte immer noch gefährlich. Ein grauhaariger Haudegen, dessen Dienststreifen verrieten, dass er seit der Vernichtung von Ilarna an jedem rauen Ort der Galaxie gewesen war. Aber seine Aufmerksamkeit schien vor allem von dem Kampf draußen in Anspruch genommen zu werden. Computertechnikerin Ennys Pardu dagegen blickte Tyche geradewegs und mit herausfordernder Miene an.
»Ich kenne Sie, Nat Tyche«, sagte sie schließlich. »Und Sie sollten mich ebenfalls gut kennen.«
Das Gesicht und die Stimme fügten sich in Tyches Erinnerung zusammen. Er und Pardu, deren Name allerdings ganz und gar nicht Pardu war, hatten gemeinsam eine Sonderausbildung der SpaceForce absolviert.
»Rosel Quetaya!«, rief er. »Was machen Sie denn hier?«
»Ich mache meinen Job«, erwiderte sie und deutete mit einem Nicken auf Bandur. »Sie haben noch nicht herausgefunden, wer er ist?«
Tyche schüttelte den Kopf. »Er ist jemand, den ich auf Befehl von ganz oben abholen und nach Galcen zurückbringen soll.«
»Also, er ist der Bursche ganz oben, der Ihnen ebendiesen Befehl erteilt hat«, erwiderte sie. »Darf ich vorstellen? Der kommandierende General Jos Metadi höchstpersönlich.«
Unter diesen Umständen konnte sich Tyche nicht vorstellen, dass sie log. Er warf Bandur einen Seitenblick zu. Der Mann wirkte sichtlich amüsiert und kam ihm jetzt, nachdem Quetaya ihn mit der Nase darauf gestoßen hatte, auch bekannt vor.
Verdammt! Sie hat recht. Er ist es.
»Trotzdem«, erwiderte Tyche hartnäckig. »Ich habe Befehl von Galcen, Sie beide abzuholen und nach Prime zurückzubringen.«
Metadi deutete auf die Landebucht. »Ich würde sagen, Ihre Befehle wurden soeben von den Ereignissen überholt. Captain, haben Sie eigentlich eine Ahnung, was da draußen vorgeht?«
»Nicht mehr als Sie«, erwiderte Tyche. »Einige Leute, die behaupten, im Namen von Admiral Vallant zu handeln, scheinen die Kontrolle über das Schiff übernommen zu haben. Nachdem meine Leute aber ihr wichtigstes Ziel erreicht haben«, er nickte Metadi und Quetaya zu, »kann ich jetzt anfangen, mich diesem Problem zu widmen.«
»Tun Sie das, Captain«, sagte Metadi. »Und stellen Sie eine HiKomm-Verbindung nach Galcen für mich her. Ich möchte wirklich gern herausfinden, was Perrin so beunruhigt hat, dass er gleich die Infanterie losschickt.«
»Wir werden uns beide dort melden, General«, antwortete Tyche. »Angesichts der Situation vor Ort.«
Er drückte auf den Knopf des InterKomm am Schott, das ihn mit dem Cockpit verband. »Hier spricht Tyche. Ich brauche eine HiKomm-Verbindung zum Hauptquartier in Prime, höchste Priorität.«
»HiKomm, zu Befehl.« Einen Moment lang herrschte eine Pause. »Es gibt keine Verbindung über HiKomm, Sir. Die Verbindung ist tot. Galcen antwortet nicht.«
»Überprüfen Sie noch einmal Ihre Ausrüstung, und versuchen Sie es erneut. Verständigen Sie mich, wenn Sie durchgekommen sind. Tyche, Ende.«
Er unterbrach die Verbindung. »Das gefällt mir nicht«, sagte er.
»Mir auch nicht«, erwiderte Metadi. »Die Selsyn fliegt die Strecke zwischen Galcen und Infabede bereits seit sehr langer Zeit; die Unteroffiziersmesse war eine erstklassige Quelle für Klatsch aus dem gesamten Sektor. Alle Leute an Bord wussten, dass da draußen irgendetwas schiefläuft. Zu viele gute Leute wurden entweder versetzt oder entschlossen sich überraschend, sich vorzeitig zur Ruhe zu setzen. Aber niemand hat auch nur ein Wörtchen von Meuterei gesagt. Die übliche Theorie lautete: Unterschlagung von Regierungsgeldern.«
»Oh, die gab es auch«, antwortete Quetaya. Tyche bemerkte, dass sie ziemlich selbstzufrieden aussah. »Ich habe vielleicht nicht genug Informationen aus den Datenbänken der Selsyn ziehen können, um Vallant damit an den Galgen zu bringen, aber ich weiß auf jeden Fall genug, um ihm daraus einen Strick zu knüpfen.«
Sie machte eine kleine Pause. »Und es waren nicht nur Regierungsgelder, sondern es war Regierungseigentum. Waffen und Ausrüstung, um genau zu sein.«
»Hat er sich eine private Flotte gebaut?«, wunderte sich Tyche.
»Weshalb sollte er das tun?«, erwiderte Metadi. »Er hat ja bereits die gesamte Flotte der SpaceForce in diesem Sektor unter seiner Kontrolle.«
Quetaya schüttelte den Kopf. »Nein, keine private Flotte; er hat das gesamte Kriegsmaterial weiterverschifft. Nur wohin, das kann ich von hier aus nicht feststellen.«
Das InterKomm am Schott erwachte zum Leben. »Wir haben unsere HiKomms getestet, Sir«, sagte der Pilot. »Sie sind vollkommen in Ordnung. Es sind die Verbindungen und Reliefs, die nicht arbeiten.«
»Versuchen Sie es weiter«, befahl Tyche und schaltete den Lautsprecher aus. Dann drehte er sich zu Metadi und Quetaya herum. »Es sieht aus, als wären die HiKomms außer Gefecht gesetzt. Wir werden wohl warten müssen, bis wir in Galcen Prime ankommen, um die ganze Angelegenheit endgültig zu klären.«
»Wetten Sie, Captain?«, erkundigte sich der General.
»Leider nicht, Sir. In meinem Beruf zahlt sich das nicht aus.«
»Zu schade. Ich wollte um fünfzig Credits mit Ihnen wetten, dass wir nicht nach Galcen zurückfliegen.«
»Aber meine Befehle …«
»… sind keinen Pfifferling mehr wert«, fiel der General dem Captain verächtlich ins Wort. »Perrin Ochemet hat etwas auf seinem Schreibtisch gefunden, das er nicht einmal mit einer Kneifzange anfassen will, das ist alles. Meuterei dagegen … das ist eine ernste Angelegenheit. Und ich habe vor, mich ihrer höchst persönlich anzunehmen, und zwar hier und jetzt.«
Meuterei funktioniert schnell, wenn überhaupt, dachte Ari. Wenn das hier funktioniert hätte, hätten wir schon längst etwas von den anderen gehört.
Bis auf Ari und den Lieutenant, der ihn hierher gebracht hatte, war der Bereitschaftsraum der Kampfflieger der RSF Fezrisond leer. Der Lieutenant hatte sich einen Blaster aus dem Waffenschrank der Kampfpiloten geholt, aber als die Zeit verstrich und Ari keinen Versuch machte zu flüchten, konzentrierte der Mann seine Sorge stattdessen auf die Tür.
Wenn sich der Staub so weit gelegt hat, dass die Sieger durchzählen können, wird jemand herkommen und nach uns suchen.
Ari durchdachte diese Aussicht einen Moment lang und kam dann zu dem Schluss, dass sie ihm überhaupt nicht gefiel. Die Kampfflieger der Fezzy mochten mit ihren Behauptungen über Admiral Vallant recht haben oder nicht, und nachdem Ari einen persönlichen Eindruck von dem fraglichen Mann gewonnen hatte, neigte er zu der Annahme, dass sie durchaus recht hatten. Aber wenn ihr Coup scheiterte, würde niemand glauben, dass der oberste Mediziner des Schiffes an diesem Aufstand nur unter Zwang teilgenommen hatte.
Und in diesem Fall, Rosselin-Metadi, hast du hier lange genug Däumchen gedreht. Es wird Zeit, sich schleunigst zu verabschieden.
Er stand auf, streckte Arme und Beine und schlenderte zur Tür des Bereitschaftraums. Er legte eine Hand auf die Verschlussplatte. Als die Tür nicht aufglitt, machte er sich mit seinem Daumennagel am Rand der Platte umständlich zu schaffen.
»Entschuldigen Sie, Sir, aber das sollten Sie nicht tun.« Die Stimme ertönte hinter Ari. »Setzen Sie sich wieder hin, einverstanden?«
Ari drehte sich herum, die Hände in Schulterhöhe erhoben, und blickte in die Mündung des Blasters. Er zielte direkt in sein Gesicht und war kaum eine Armlänge von ihm entfernt. Er zuckte mit den Schultern.
»Na klar«, sagte er. »Aber es war zumindest den Versuch wert.«
Im nächsten Atemzug schlug er mit dem rechten Arm zu und erwischte das Handgelenk des Lieutenants, während er gleichzeitig mit der linken Hand den Blaster zur Seite drückte. Der Mann feuerte, doch der Energiestrahl zischte an Aris Kopf vorbei durch die Luft und versengte das Schott hinter ihm. Ari vergeudete keine Zeit; er trat dem anderen Mann mit aller Kraft in den Unterleib, und der Blaster polterte auf den Boden, als der Offizier zusammenbrach.
Ari bückte sich und hob die Waffe auf. Dann trat er zur Tür und setzte seine Bemühungen fort, die Verschlussplatte abzuhebeln. Er arbeitete schnell, weil es nicht mehr lange dauern konnte, bis sich der Mann am Boden erholt hatte. Noch rang er allerdings nach Luft. Ari glaubte zwar nicht, dass er ihm einen bleibenden Schaden zugefügt hatte, aber seine Aktion war vielleicht doch nicht ganz so wohlwollend aufgenommen worden.
Zum Glück war der Bereitschaftsraum nicht dazu ausgelegt, Gefangene festzuhalten. Kaum hatte er die Verschlussplatte gelockert, als die Tür auch schon mit einem Klicken aufglitt.
Ari trat hinaus und blieb einen Moment auf der Schwelle stehen. »Ich wünsche Ihnen und Ihren Freunden alles Glück der Galaxie«, sagte er zu dem Lieutenant, der immer noch hilflos am Boden lag. »Allerdings glaube ich kaum, dass es Ihnen wirklich gesonnen ist.«
Die Tür des Raumes glitt hinter ihm zu. Er blieb einen Augenblick lang im leeren Flur stehen und schätzte seine Lage ein.
Auf der Plusseite konnte er verbuchen, dass er seine Wache abgeschüttelt hatte und einen Blaster in der Hand hielt, ein Standardmodell der SpaceForce mit voller Ladung. Das genügte, um sich den Weg aus den meisten Schwierigkeiten freizuschießen – falls nötig. Auf der Minusseite dagegen musste er verbuchen, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wohin er als Nächstes gehen sollte. Die Medizinische Abteilung würde ihm nicht viel nützen; jeder, der ihm auf den Fersen war, würde dort zuerst sein Glück versuchen. Sein Privatquartier war ebenfalls kaum besser.
Wohin ich mich auch wende, die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass ich einem Empfangskomitee in die Hände falle, ganz gleich von welcher Seite. Und wenn mich Vallant wirklich als Geisel will, dann ist dieses ganze Schiff eine Falle.
Was bedeutet: Es gibt nur noch einen Ort, an den ich gehen kann.
Er drehte sich um und marschierte zügig in Richtung der unteren Landungsbuchten der Fezrisond. Auf dem Weg dorthin begegnete ihm niemand. Das ist auch nicht sonderlich überraschend, dachte er. Die Piloten, die nicht unterwegs sind, um Vallant dabei zu helfen, die Kontrolle über diesen Sektor zu erringen, sind stattdessen damit beschäftigt, das Schiff unter Kontrolle zu bringen.
Wie sich herausstellte, waren die elektronischen Schlösser an den unteren Landungsbuchten nicht manipuliert worden. Sein medizinischer Code genügte; die Türen glitten problemlos auf. Er betrat den Hangar.
Die unteren Landungsbuchten wirkten wie eine dunkle, riesige und dabei ziemlich niedrige Höhle, in der Metallleitern wie Stalagmiten von den Bodenplatten zu Luken in der Decke hinaufwuchsen. Die Kontrollanzeigen an etlichen dieser Luken waren ausgeschaltet worden, was bedeutete, dass die entsprechende Stelle in dem offenen Hangar leer war. Rote oder gelbe Lichter bedeuteten, dass das entsprechend angedockte Fahrzeug entweder wenig Treibstoff hatte oder repariert werden musste. Ari schüttelte den Kopf.
Grün. Ich brauche einen Langstrecken-Aufklärer im grünen Status.
Plötzlich tauchte eine Gestalt im Schatten des Hangars auf. Vor Angst stockte Ari für einen Augenblick der Atem. Aber es war nur ein Mechaniker mit fettverschmierter Uniform, der von einer Zugangsleiter zur anderen ging. Er lächelte Ari liebenswürdig an, als er sich ihm näherte.
»He, Doc! Was machen Sie denn hier im Jagdfliegerparadies?«
»Ich überprüfe die Notfall-Med-Kits«, log Ari. Er hielt den Blaster in der rechten Hand dicht an der Seite seines Körpers, so dass er ihn vor dem Blick des Mechanikers verdeckte. Er hoffte, dass die dämmrigen Lichtverhältnisse den Rest erledigten und die Waffe nicht zu sehen war. Und natürlich kann auch die Tatsache helfen, dass niemand erwartet, der Chef-Schiffsarzt könnte bewaffnet und gefährlich sein. »Die Piloten sollen zwar ihre Notfallausrüstung selbst überprüfen, aber Sie kennen diese Burschen ja.«
»Das kann man wohl sagen.« Der Mann schüttelte den Kopf. »Sie glauben gar nicht, was diese Kerle alles versuchen.«
»Kann nicht schlimmer sein als das Zeug, dass sie sich einhandeln, wenn sie Planetenurlaub haben«, antwortete Ari. »Und ich traue keinem von ihnen zu, dass sie sich überhaupt an ihre Med-Kits erinnern.«
»Davon können Sie getrost ausgehen, Doc. Mit welchen Schüsseln wollen Sie denn anfangen?«
»Am besten wohl mit den Langstreckenjägern.«
Der Mechaniker deutete mit einem Nicken auf die Reihe von Leitern hinter sich. »Gleich da drüben.«
»Danke.«
Eins, zwei, drei grüne Lichter in einer Reihe. O ja …
Ari stieg die erste Leiter hoch und kletterte durch die Luke in den angedockten Jäger. Es war ein bisschen eng für ihn, weil die meisten Piloten kleiner waren als er, aber dann gelang es ihm doch, sich in das Cockpit zu zwängen und sich anzuschnallen. Danach warf er einen Blick durch die Frontscheibe auf den luftleeren Raum der oberen Landebucht. Hinter den offenen Hangartüren gähnte die Schwärze des Alls. Er holte tief Luft.
Das ist nicht die Warhammer, und es ist auch kein Atmosphärenflugzeug. Aber du kannst beide mit geschlossenen Augen handhaben. Und dieses Ding ist so einfach, dass selbst einer dieser durchgeknallten Jägerpiloten damit klarkommt.
Er inspizierte kurz die Kontrollen und stellte fest, dass ihm die meisten der Instrumente für die Navigation im All noch von der Warhammer her bekannt waren. Die Waffensysteme konnte er ignorieren, wenn er Glück hatte, ebenso wie die Kontrollen für Annährungsmanöver. Blieb also nur das Problem der Navigation. Mit Hilfe des Standard-NaviComp konnte er den Anlauf für den Sprung und einen Transit durch den Hyperraum durchführen, aber er war kein professioneller Sternenpilot, also brauchte er für solche Berechnungen normalerweise eine Weile.
Zum Glück sind die meisten Kampfpiloten ebenfalls keine großen Navigatoren, dachte er und schaltete den NaviComp des Cockpits an. Der Bildschirm leuchtete auf, aber statt des üblichen Durcheinanders an Daten und Kalkulationen zeigte er ihm eine kurze Liste von voreingestellten Zielen:
MANDEYN
ARTAT
KIIN-ALOQ
RÜCKKEHR ZUR BASIS
ANDERE ZIELE (SPEZIFIZIEREN)
Der Navicomp hatte ein kleines Mikrofon für die Stimmeingabe an der Seite. Ari drückte auf den »On«-Knopf.
»Galcen«, sagte er.
Der Bildschirm blinkte, und unter der letzten Zeile des Menüs tauchte eine Nachricht auf.
AUSSERHALB DER REICHWEITE.
»Nammerin.«
AUSSERHALB DER REICHWEITE.
Verflucht! »Maraghai.«
AUSSERHALB DER REICHWEITE.
Verdammt! Ist für diese Schüssel denn alles außerhalb der Reichweite? Er machte noch einen letzten, verzweifelten Versuch. »Gyffer.«
EXTREME REICHWEITE. KEINE RÜCKKEHR MÖGLICH. WAHL BESTÄTIGEN? J/N.
»JA.«
MEMORYSPEICHER DES MUTTERSCHIFFES AKTIVIERT. ARBEITET.
MIST. HOFFENTLICH SIND SIE ZU SEHR MIT IHREM HOCHVERRAT UND IHRER MEUTEREI BESCHÄFTIGT, UM DARAUF ZU ACHTEN.
Ari hielt den Atem an.
ANLAUF FÜR DEN SPRUNG UND TRANSIT BERECHNET UND EINGESPEIST. MEMORYSPEICHER DES MUTTERSCHIFFES GETRENNT. STARTSEQUENZ EINLEITEN? J/N.
»Ja«, sagte Ari. Fast im selben Moment sprangen die Maschinen des Langstreckenjägers an.
Tyche hörte, wie sich die Luke des Aufklärungsschiffes öffnete und wieder schloss. Dann ertönten schwere Schritte auf den Deckplatten, und ein paar Sekunden später tauchte einer seiner Soldaten auf. Er hatte einen Stapel Papiere und Ausdrucke dabei sowie eine Handvoll Datenchips. Nachdem es ihm nach einigen Schwierigkeiten gelungen war, das alles in eine Hand zu packen, nahm der Soldat Haltung an und salutierte.
»Hangar und alle Jäger an Bord gesichert, Sir!«
»Sehr gut«, erwiderte Tyche. »Wie sieht es mit den bewaffneten Eindringlingen an Bord der Selsyn aus?«
»Wir haben sie im KIC eingeschlossen. Die Sicherheitskräfte der Selsyn halten die Brücke und die Maschinenräume.«
»Gut«, wiederholte Tyche. »Koordinieren Sie Ihre Aktionen mit den Leuten von der Selsyn, und nehmen Sie den KIC so schnell wie möglich ein.« Er deutete auf die Ausdrucke und Datenchips. »Und was ist das?«
»Ausgedruckte Nachrichten und die Log-Chips von dem gekaperten Scoutschiff, Sir«, antwortete der Soldat und legte die Unterlagen mit einer leichten Verbeugung auf den Tisch der Messe.
Tyche nahm die Ausdrucke hoch und blätterte sie kurz durch. Ihm war klar, dass ihn Metadi und Quetaya scharf beobachteten. Doch die ersten Blätter boten bereits mehr als genug Informationen; er spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich, als er die Zeilen überflog. Dann legte er das Bündel Papiere wieder auf den Tisch und schob es dem General zu.
»Das wollen Sie bestimmt sehen, Sir«, sagte er. »Wir haben es nicht nur mit einer einfachen Meuterei zu tun. Vallant hat die Ausrüstung an die Magierlords verkauft, dies hier ist ein ausgewachsener Krieg.«
Die Kriegsflotte der Magierwelten ist bereits in unser System eingedrungen, und Prime Basis befindet sich in ihrer Gewalt.
Im unterirdischen Kontrollzentrum des Refugiums der Adepten starrte General Ochemet Meister Ransome schockiert und vollkommen ungläubig an. »Ich hätte dort sein sollen«, sagte er schließlich. »Sie hatten nicht das Recht … Sie haben mich absichtlich hergelockt und mich gegen meinen Willen festgehalten.«
Seine Stimme wurde schärfer, als seine Wut zunahm. »Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?«
Nach dieser indirekten Anschuldigung verstummten sämtliche Geräusche im Kontrollraum. Meister Tellyk, der neben Ochemet stand, schnappte vernehmlich nach Luft und lief rot an, doch Errec Ransomes Gesicht blieb so blass und unbewegt, als wäre es aus Marmor gehauen.
»Ich stehe auf der Seite der Gilde«, sagte er. »Und die Gilde hat von Anfang an gegen die Magierlords gekämpft.«
Ochemet gab jedoch nicht nach. »Das hat die SpaceForce auch, verdammt! Ich hätte bei meinen Leuten sein sollen, als der Angriff erfolgte.«
Die Miene des Adepten wurde etwas weicher. »Selbst wenn Sie da gewesen wären, hätten Sie es nicht verhindern können. Die Kriegsflotte der Magier ist zu gewaltig, und Galcens Nah-verteidigung wurde schlichtweg überwältigt. Außerdem hat man uns verraten.«
Ochemet holte scharf Luft. »Wovon reden Sie?«
»Magie«, sagte Ransome. »Magie und Hexerei. Und zwar hier auf Galcen, mit dem Ziel, die Republik und die Gilde zu vernichten.«
»Sind Sie sicher?«
»Sicher war ich mir schon sehr lange«, erwiderte Ransome. »Aber der Magierkreis in Galcen ist sehr gut versteckt gewesen und wurde nur selten aktiv. Und ich hatte nicht die Mittel, um ihn aufzuspüren. Aber jetzt hat … jetzt handeln sie ganz offen, und wir werden sie vernichten. Kommen Sie mit.«
Der Gedanke, etwas unternehmen zu können, irgendetwas, um die Angreifer zurückzuschlagen, war verlockend. Aber Ochemet hatte nach wie vor einen Verdacht. »Wofür brauchen Sie mich?«
»Sie kennen sich aus«, erwiderte Ransome. »In Jos Metadis Abwesenheit haben Sie Zugang zu allen Punkten von Prime Basis.«
»Die bereits gefallen ist, wie Sie selbst gesagt haben.« Ochemet schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn Sie sich schon so eine Geschichte ausdenken, dann bleiben Sie gefälligst auch dabei.«
Ransome machte eine ungeduldige Handbewegung. »Auf lange Sicht spielt es keine Rolle, wer Prime kontrolliert. Wichtig ist nur, dass wir den Magierkreis finden, der dort wirkt, und ihn vernichten. Danach hat die zivilisierte Galaxie möglicherweise eine Chance in diesen Kampf.«
»Ein netter Gedanke«, antwortete Ochemet. »Natürlich nur, falls ich mich dazu entschließen kann, Ihnen zu glauben.« Er verschränkte die Arme und musterte Errec Ransome von Kopf bis Fuß. »Und im Augenblick ist mir ehrlich gesagt der Unterschied zwischen dem Meister der Adeptengilde und einem ganz gewöhnlichen Hochverräter noch nicht ganz klar.«
»Glauben Sie, was Sie wollen«, erwiderte Ransome. »Aber entscheiden Sie sich. Bleiben Sie hier und tun Sie nichts, oder kommen Sie mit mir nach Prime.«
Der Adept drehte sich herum und ging davon. Nach einem Augenblick seufzte Ochemet und eilte ihm nach.
Sie gingen immer tiefer ins Herz des Refugiums, durch schwach beleuchtete Korridore, die aus altem Fels gehauen waren. Von Zeit zu Zeit überholten sie andere Männer und Frauen, Adepten, wie Ochemet vermutete, obwohl sie nicht in Schwarz gekleidet waren und Holzstäbe bei sich hatten, sondern Druckanzüge trugen und Raumhelme unter dem Arm geklemmt hielten.
Schließlich erreichten Ochemet und Ransome einen riesigen Hangar, in dem es von schwer bewaffneten Atmosphärenflugzeugen, von Kurzstreckenjägern für den NearSpace und Sternen-Aufklärern wimmelte. Das andere Ende dieser ungeheuren Höhle war zum Himmel hin offen, und Ochemet sah, wie es draußen heller wurde, als die Sonne aufging. Um ihn herum herrschte das organisierte Chaos einer sehr gut ausgebildeten Streitmacht, die sich für den Start vorbereitete.
»Diese Vorbereitungen haben Sie nicht erst gestern Abend eingeleitet.« Ochemet musste schreien, um sich in dem Lärm verständlich zu machen. »Wie lange wussten Sie schon, dass die Magierwelten einen Angriff planten?«
»Sicher war gar nichts«, entgegnete der Adept. »Aber solange die Magierwelten existierten, existierte auch die Bedrohung durch einen Verrat. Wir waren stets darauf vorbereitet, reagieren zu können.«
Während sie miteinander sprachen, führte Ransome sie durch den bevölkerten Hangar zu einem unauffälligen Aircar, auf dessen eine Seite eine zivile Nummer gemalt war. »Die Magierlords haben mich schon sehr lange beobachtet. Ich konnte nur durch Agenten handeln oder gar nicht. Aber jetzt … da sie abgelenkt und damit beschäftigt sind, die Früchte ihrer Pläne zu ernten, habe ich ein bisschen Zeit und kann sie nutzen, um ungesehen zu agieren.«
Ochemet nickte schweigend und folgte Ransome zu dem Aircar. Der Adept nahm auf dem Pilotensitz Platz und schnallte sich an. Dann setzte er die Kopfhörer auf. Ochemet setzte sich auf den Sitz des Kopiloten.
»Fertig zum Start«, sagte der Adept in das Headset.
Ein blaues Licht glitt von der Decke vor dem Aircar herunter und zeigte ihm den Weg durch das Gewirr aus großen und kleinen Flugzeugen. Ransome ließ das Aircar sanft hinter dem blauen Licht hergleiten, bis er schließlich die Startbahn erreichte, die in den Fels der Höhle geschlagen war. Das blaue Licht schwebte ein paar Sekunden vor dem Aircar, dann erlosch es.
»So beginnt alles von vorn«, erklärte Ransome und schob den Beschleunigungsregler des Aircar ganz nach vorn.
Die Maschinen heulten auf, das Aircar fegte die Startbahn entlang und dann durch die himmelblaue Öffnung hindurch über die Gipfel der Berge hinweg. Ochemet blickte zurück und registrierte, dass der Eingang der Höhle tatsächlich unter dem höchsten Gipfel lag.
»Eine sehr raffinierte Anlage haben Sie da«, gab er widerwillig beeindruckt zu. »Selbst wenn uns jemand beobachtet hat, wird Ihr Startpunkt in dem ganzen Gewühl am Boden verschwinden.«
Ransome warf ihm einen kurzen, ungeduldigen Blick zu. »Das ist auch besser so. Da Prime verloren ist und die Kampfflugzeuge vom South Polar am Boden zerstört wurden, ist das, was Sie in diesem Hangar gesehen haben, alles an Gegenwehr, worüber Galcen noch verfügt.«