8. Kapitel

Magierwelten, Grenzgebiet:
RSF Karipavo, RSF Ebannha

Mit etwas Glück, überlegte Commodore Jervas Gil, würde das Sonderermittlerteam aus Galcen schon ziemlich bald eintreffen. Sobald sie dann da wären, konnte er ihnen das Problem mit diesem verfluchten Wrack aus den Magierwelten überlassen und sich wieder seiner eigentlichen Arbeit widmen, die darin bestand, das Netz zu überwachen.

Bis es allerdings so weit war, verbrachte er mehr Zeit im Kampf-Informationscenter der Karipavo, als ihm lieb war. Vom KIC aus konnte er den aufgegebenen Magierwelt-Kreuzer im Auge behalten, weil das Kommando der Ebannha, das bei dem verlassenen Deathwing geblieben war, regelmäßig Bilder sendete.

Für die Jungs ist der Job inzwischen wahrscheinlich ziemlich langweilig geworden. Wenn das Ermittlerteam nicht bald auftaucht, werden wir sie ablösen müssen.

Die Stimme des diensthabenden Offiziers unterbrach Gils Gedankenfluss. Der Mann regte sich über irgendwas mächtig auf; sein außerplanetarischer Akzent klang noch stärker durch als sonst. »Commodore – wir haben hier etwas Merkwürdiges.«

»Genau das, was wir brauchen«, sagte Gil. »Noch etwas Merkwürdiges. Als ob die Geschichte, die wir hier vor der Nase haben, nicht schon merkwürdig genug wäre. Was ist es diesmal?«

»Sieht wie ein Händlerschiff aus, das am Äußeren Netz aus dem Hyperraum gesprungen ist«, berichtete der Offizier. »Sein Auftauchen hätten uns die Inneren Stationen aber melden müssen.«

»Und es kam keine Meldung?«

»Kein Pieps von niemandem.«

Das ist kein gutes Zeichen, dachte Gil und nahm sich vor, alle Kontrollstationen am Netz gründlich auf nachlässige Dienstführung zu überprüfen. Die Besatzungen der Stationen würden sich zwar bitterlich darüber beschweren, dass gerade sie herausgepickt worden waren, aber sie würden sich wenigstens nicht langweilen. Langeweile, hatte Gil herausgefunden, war die größte Bedrohung für jeglichen ordnungsgemäßen Dienst und zugleich eine großartige Quelle für dumme Fehler.

Der Captain der Karipavo kam hinzu, um sich an dem Gespräch zu beteiligen. »Vielleicht kam unser mysteriöser Frachter eigentlich gar nicht aus den Magierwelten?«

Der Offizier schüttelte den Kopf. »Dann wäre er nicht an dieser Stelle und mit diesem Vektor herausgesprungen.«

»Nehmen Sie Kontakt zu Netzstation 23 auf«, befahl Gil. Station 23 war bei der aktuellen Position der Karipavo die nächstgelegene Kontrollstation im Inneren Netz; der Frachter musste aller Wahrscheinlichkeit nach an ihr vorbeigekommen sein. »Fragen Sie nach, was da los ist.«

Er warf einen Blick auf den Monitor des Taktischen Offiziers. »Und Kennung des Frachters ermitteln.«

»Anfrage läuft«, erwiderte der TO. Im nächsten Moment keuchte er verblüfft. »Was ist denn das?«

Gil sah genauer hin. Der Monitor zeigte jetzt eine Müllwolke, die das angepeilte Objekt umgab, das seinen Kurs zudem leicht geändert hatte. »Sieht aus, als würde er seine Fracht über Bord werfen«, erklärte der Captain der Karipavo. »Vielleicht ein Schmuggler?«

»Prisenkommando bereitmachen«, sagte Gil. »Und sammeln Sie etwas von dem Zeug ein, das er rauswirft.«

»Bereitschaftskampfgruppe zum Einsatz«, befahl der TO dem KIC-Beobachtungsoffizier. »Senden Sie die Grußsequenz und bringen Sie dann den Frachter auf.«

»Kampfgruppe, zu Befehl.«

Ein Crewmitglied an der Kommunikationskonsole hob den Kopf. »Sir, wir werden gerufen.«

Der Captain der Karipavo reagierte. »Wer ruft uns?«

»Dieses Frachtschiff. Das ist doch nicht zu fassen!«

Diese Geschichte wird immer merkwürdiger, dachte Gil. Ehrliche Händler werfen keine Fracht über Bord. Und Schmuggler halten nicht an, um ein Schwätzchen mit einem Schlachtkreuzer zu machen.

»Wie lautet sein Rufzeichen?«, erkundigte er sich bei dem Kommunikationstechniker. »Können Sie ihn auf Lautsprecher stellen?«

»Sicher, Sir.«

Die Verbindung, die auf die Kontrollen des Taktischen Offiziers geschaltet war, knisterte in den Lautsprechern, und eine Stimme war zu hören. Die Kommunikation in Lichtgeschwindigkeit neigte dazu, die Klangfarben und Tonhöhen zu verzerren, aber der Akzent war deutlich zu erkennen: als das reine, unmissverständliche Galcenisch einer Person, die auf Galcen geboren und zur Schule gegangen war.

»An alle Stationen des Netzes, an alle Stationen des Netzes … hier spricht das Frachtschiff der Reserve Warhammer. Verbinden Sie mich mit dem zuständigen Kommandanten. Over.«

Gil fröstelte. Offiziell galten in der Galaxie sowohl die Warhammer als auch Beka Rosselin Metadi als tot und erledigt. Falls diese Übertragung echt war, mussten die Nachrichten, die General Metadis Tochter für die Netzpatrouillenflotte hatte, so ernst sein, dass sie dafür das Inkognito ihres Decknamens unwiderruflich lüftete.

»Diese Botschaft wird unablässig wiederholt, Sir«, erklärte der KommTech.

»Das muss irgendein Trick sein«, bemerkte der Wachhabende. »Wahrscheinlich wollen die herausfinden, wer hier das Kommando hat.«

»Aber es ist kein besonders gerissener Trick«, meinte der Captain der Karipavo. »Jeder weiß doch, dass die Warhammer vor über zwei Jahren auf Artat zerschellt ist.«

»Vergessen Sie das«, erwiderte Commodore Gil, »und stellen Sie den Frachter zu mir durch.« Er nahm den Hörer in die Hand. »SpaceForce-Reserveschiff. Hier spricht der Kommandant. Over.«

Es dauerte fast zwanzig Sekunden, bis eine Antwort aus dem Nichts kam, was bedeutete, dass das Schiff und die Karipavo gut zehn Lichtsekunden voneinander entfernt sein mussten.

»Kommandant Netzpatrouille, hier spricht die Warhammer. Ich übertrage unverschlüsselt. Das Innere Netz ist gefallen. Ich wiederhole, das Innere Netz ist gefallen. Ihnen bleiben fünfzehn, maximal zwanzig Minuten, bevor eine gigantische Armee von Magier-Kriegsschiffen über Sie herfällt. Ich bin nur vor ihnen hier, weil ich schneller bin als sie.«

»Das ist vollkommen unmöglich«, stammelte der Wachhabende. »Wir wären doch zumindest benachrichtigt worden, wenn die Magierwelten das Innere Netz angegriffen hätten.«

»Geben Sie das sofort weiter!«, befahl Gil dem Mann. »Und alarmieren Sie das ganze Innere Netz. Sofort!«

Dann setzte er sein Gespräch fort: »Verstanden, Warhammer. Drehen Sie bei. Ich werde Sie an Bord nehmen.«

»Dafür ist keine Zeit, Commodore. Ich muss Galcen die Botschaft überbringen.«

Im Hintergrund hörte Gil den TO und den KIC-Beobachtungsoffizier flüsternd miteinander debattieren. »Wer auch immer das ist, er ist verdammt schnell.«

»Glauben Sie, er versucht zum Absprungpunkt durchzustarten?«

»Wo wird er landen, wenn er jetzt durchstartet?«

»Galcen liegt tatsächlich auf der Hyperraumparabel.«

»Dann könnte er die Wahrheit sagen.«

Gil ignorierte sie. »Ich kann die Meldung schneller an Galcen übertragen als Sie, Warhammer«, sagte er ins Mikrofon. »Drehen Sie bei, und kommen Sie an Bord.«

»Nein danke, Commodore. Niemand kann die Meldung schneller dorthin transportieren als ich. Und jemand muss hinter mir die Tür zuschlagen. Also, lassen Sie das Netz kurz runter, damit ich springen kann.«

Hinter Gil wurde die geflüsterte Debatte fortgesetzt, diesmal zwischen dem zuständigen KommTech und dem Captain der Karipavo. »Sir, ich kann Netzstation 23 nicht erreichen.«

»Dann versuchen Sie es mit der Shaja oder der Lachiel, die sind in der Nähe der 23 auf Posten.«

»Keine Verbindung, Sir. Alle Kanäle sind tot.«

»Haben Sie einen Funktionstest gemacht?«

Wieder knisterte die Sprechverbindung. »Commodore, sieht so aus, als hätten die Magierlords einen Weg gefunden, die Hyperrelais lahmzulegen. Jetzt können alle nur noch bei Sichtverbindung mittels Lichtgeschwindigkeit funken.«

»Ist das möglich?«, erkundigte sich Gil, an den Kommunikationsoffizier gerichtet, nicht an den Captain der Warhammer. Doch die Stimme am anderen Ende der Leitung antwortete trotzdem auf seine Frage.

»Das ist sehr gut möglich, Commodore. Ich habe einmal mit eigenen Augen gesehen, wie ein Lordmagus die Elektronik in einem ganzen Gebäude lahmgelegt hat. Und das war sogar einer, der dazu noch auf der Flucht und ohne jeglich Vorbereitung gewesen ist.«

»Sir!«, meldete der Captain der Karipavo. »Wir können niemanden aus dem Inneren Netz erreichen.«

»Geben Sie mir das SpaceForce-Kommando auf Galcen!«, verlangte Gil.

»Zwecklos, Sir!«, erwiderte der KommTech nach einer Minute. »Es sieht aus, als ob wir auch dorthin keinerlei Verbindung zustande bekommen.«

Gil seufzte. Jetzt wird es Zeit, dass du was für dein Geld tust, Commodore.

»Netz öffnen. Lassen Sie die Warhammer durch.«

»Wie bitte?«, erkundigte sich der Captain der Karipavo ungläubig.

»Sie haben mich ja wohl verstanden«, sagte Gil. Er sprach wieder ins Mikro. »Warhammer, Sie können passieren. Meine Empfehlung an Ihren Vater.«

»Roger«, antwortete die Stimme am anderen Ende. »Und Ende.«

Gil wandte sich an den Captain der Karipavo. »Captain, schicken Sie folgende Nachricht an alle Schiffe der Flotte über das Lichtgeschwindigkeitsband …«

»Hyperband wäre aber schneller«, protestierte der Captain der Karipavo.

»Wir verfügen nicht mehr über Hyperband. Tun Sie, was ich Ihnen sage. Übermitteln Sie folgende Nachricht: ›Gefechtsbereitschaft. Alarmstufe Rot, Feuer frei. Angriff der Magierwelten steht unmittelbar bevor. Alle Schiffe im Sektor sind mit sofortiger Wirkung auf sich gestellt und können nach eigenem Ermessen handeln. An die Netzkontrollstationen: Halten Sie das Netz so lange intakt, wie Sie können.‹«

»Die Nachricht wird gerade gesendet«, meldete der Captain.

»Ausgezeichnet«, erwiderte Gil. »Und Captain, falls Sie nichts dagegen einzuwenden haben: Gefechtsbereitschaft für die Karipavo!«

Kaum schrillte der Gefechtsalarm, da schlossen sich nacheinander alle luftdichten Türen auf dem Schiff. In dem allgemeinen Lärm war das leise Zischen des erhöhten Luftdrucks kaum zu hören. Im KIC flammten wegen der Gefechtsbereitschaft automatisch alle Lichter auf der Gefechtsbrücke auf, aber die Anzeigen zeigten nur die Position der Karipavo. Gil überraschte das nicht. Wenn die Magierlords wirklich das Hyperband lahmgelegt hatten, wie Captain Rosselin-Metadi behauptet hatte, dann war es auch mit der Übermittlung der Echtzeit-Updates von der Position der anderen Schiffe vorbei.

»Die Datenverbindung ist ausgefallen«, meldete der KIC-Beobachtungsoffizier an den TO.

»Okay. Machen wir das Beste draus«, erwiderte der Offizier knurrend. »Geben Sie die letzten bekannten Positionen manuell ein, und korrigieren Sie die Anzeigen, sobald neue Informationen vorliegen. Status von Waffen und Schilden?«

»Alles normal.«

»Sehr gut. Aktivieren Sie die optischen Sensoren. Vielleicht kriegen wir ja was vor die Linse.«

Ein paar Schritte entfernt hatte der diensthabende KommTech inzwischen die Frontkonsole des klobigen Hyperband-Moduls entfernt. Gemeinsam mit einem Elektroniker hatte er ein paar Minuten lang im Inneren herumgefummelt. Der Captain und der diensthabende Offizier der Karipavo standen in der Nähe und sahen den beiden bei der Arbeit zu.

Gil schüttelte den Kopf. Da könnt ihr lange suchen.

Tatsächlich hatte der Elektroniker schon ziemlich frustriert aufgeschaut. »Bis jetzt sind alle Anzeigen und Tests normal«, berichtete er dem Captain. »Wir erzeugen ein Signal.«

»Das einzige Problem«, ergänzte der Kommunikationsoffizier, »ist nur, dass wir uns selbst dabei nicht hören können.«

»Könnte der Empfänger defekt sein?«, spekulierte der Wachhabende.

»Nein, Sir«, antwortete der Elektroniker. »Wenn wir eine Direktverbindung aufbauen, sind alle Tests zufriedenstellend. Der Receiver ist völlig in Ordnung, Sir, das ist ja das Merkwürdige.«

Am anderen Ende des KIC blickte ein Crewmitglied von den Flatscreens der Sensorenbänke auf. »Eine Anomalie kommt in Sicht, Sir.«

Der Captain der Karipavo trat an den Monitor, um sich die Sache selbst anzusehen. »Wo?«

»Quadrant N-Sieben-Außen. Sektor Rot eins.«

Das kommt aus den Magierwelten, dachte Gil. Der dichteste Punkt, um sich dem Inneren Netz zu nähern. Der Vorsprung von Captain Rosselin-Metadi war kleiner, als sie gedacht hatte.

»Was haben Sie da?«, fragte der Captain.

»Multiple Kontakte. Klein. Die Spektralanalyse zeigt RealSpace-Maschinen.«

Der Wachhabende gesellte sich zu der Gruppe am Monitor. »Irgendwelche befreundeten Schiffe darunter?«

»Negativ, Sir«, antwortete das Crewmitglied. »Und die Kontakte identifizieren sich auch nicht.

»Ah«, antwortete der Wachhabende. »Verstehe.«

Er trat vom Monitor zurück. Dann zog er, ohne Hast und ohne seine Miene zu verändern, einen Miniblaster aus der Tasche seines Overalls und schoss dem Captain aus nächster Nähe in den Hinterkopf. In einer flüssigen Bewegung von Arm und Körper richtete er den Blaster dann auf Gil.

Gil trat rasch einen Schritt zur Seite, spürte die Hitze eines Blasterstrahls an seinem Ohr und zog seinen eigenen Blaster aus der Magnetverbindung. Sein Schuss verfehlte zwar das Ziel, dafür aber traf ein anderer den Wachhabenden. Gil blickte quer durch den KIC auf die normalerweise so unauffällige Lieutenant Jhunnei, die ihren Blaster jetzt in beiden Händen hielt.

In dem Raum stank es nach Blasterfeuer und Blut. Alle wirkten wie erstarrt, so sehr hatte sie das, was sie gerade mit ansehen mussten, schockiert. Gil wusste, dass ihm nur noch ein paar Sekunden blieben, bis eine allgemeine Hysterie ausbrechen würde. Falls das geschah, war die Schlacht verloren, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

Er ließ den Blaster wieder im Ärmel am Grav-Clip verschwinden und musterte dann alle Anwesenden mit einem prüfenden Blick. Er hatte die ungeteilte Aufmerksamkeit der Leute. Gut.

»Gefechtsalarm«, dröhnte er. »Hier spricht Commodore Gil. Ich übernehme ab sofort das Kommando.«

Die Crew antwortete mit einem unsicheren »Aye«. Gil ließ sich seine Erleichterung nicht anmerken, als sich alle wieder ihren Aufgaben zuwandten. Unterdessen beugte sich Jhunnei schon über den Wachhabenden.

»Er lebt noch, Sir«, meldete sie. »Was machen wir mit ihm?«

»Auf die Krankenstation«, befahl Gil. »Unter strengster Bewachung.« Er verdrängte den Wachhabenden einen Moment aus seinen Gedanken und wandte sich an den Taktischen Offizier. »Haben Sie Kurs und Geschwindigkeit der feindlichen Schiffe bereits erfasst?«

»Jawohl, Sir.«

»Gut«, antwortete Gil. »Gehen Sie auf Abfangkurs, und streuen Sie aktive und passive Drohnen. Anschließend schicken Sie ihnen bemannte Abfangjäger entgegen.«

»Kampfgeschwader klarmachen, auf Einsatzbefehl warten«, wiederholte der TO. »LG-Verbindung aufrechterhalten.«

Bisher hatte sich das Krisenmanagement gelassen und gemäß den vorgeschriebenen Phasen eines RealSpace-Manövers abgespult. Allmählich jedoch nahm die ganze Sache Fahrt auf. Nach und nach, sobald Messwerte eintrafen, wurden auf den Taktikmonitoren Feindortungen angezeigt. Sie waren recht nah, angesichts der Entfernungen, die in Lichtgeschwindigkeit gemessen wurden. Jede Ortung wurde zusätzlich mit einer hochgerechneten anzunehmenden Echtzeitposition versehen, die aus der Fluggeschwindigkeit, der letzten bekannten Position und der Sichtverzögerung durch Lichtgeschwindigkeit errechnet wurde. Die Anzeigen auf der Gefechtsbrücke flammten rot auf. Schließlich leuchtete ein rotes Blinklicht nach dem anderen.

»Erhöhen Sie die Geschwindigkeit«, sagte Gil. »Und fliegen Sie Ausweichmanöver. Schicken Sie das Kampfgeschwader los.«

»Wie ist denn unsere Lage?«, erkundigte sich der TO.

»Unsere Lage ist verflucht gefährlich. Weichen Sie zurück, und bringen Sie uns in eine Position, von der aus wir die Netzkontrollstationen unterstützen können. Die werden sich nicht rühren, und kämpfen können sie auch nicht. Aber so lange wir das Netz halten, so lange werden die Magierweltler nirgendwo hingehen.«

Jemand muss hinter mir die Tür zuschlagen. Gil erinnerte sich an die Worte von Captain Rosselin-Metadi. Je länger wir hier die Stellung halten, desto größer sind ihre Chancen, die Botschaft bis nach Galcen Prime zu tragen.

»Zu Befehl«, erwiderte der Taktische Offizier. »Kurs berechnet und gesetzt.«

»Ausweich- und Scheinmanöver!«, befahl Gil.

»Verstanden!«, bestätigte der TO.

Die Statusanzeigen der Feuerkontrolle des GIZ blinkten. »Wir nehmen die Unbekannten unter Feuer«, meldete der Techniker von der Gefechtsbrücke.

»Statusbericht.«

»Ziele in Reichweite. Wir haben sie getroffen.«

Der TO drehte sich zum Crewmitglied an der Kommunikationskonsole herum. »Irgendeine Rückmeldung, wie es den anderen geht?«

»Negativ«, erwiderte der Kommunikationstechniker. »Keine Verbindung mit den anderen Schiffen des Kampfverbandes.«

»Verstehe. Vermutlich sind deren Kommunikationsnetze ebenfalls ausgefallen.«

Gil hörte den Gesprächen ein paar Sekunden lang zu, dann wandte er sich an seine Retterin. Jhunnei hatte den Wachhabenden bereits auf eine Antigrav-Liege verfrachtet und ihn in Begleitung mehrerer kräftiger Crewmitglieder in die Krankenstation geschickt. Danach hatte sie ihren Posten geräuschlos wieder eingenommen und harrte der Dinge, die da kommen mochten. »Falls oder wenn das Netz zusammenbricht, bedeutet das, dass wir auf der Stelle springen müssen. Bereiten Sie einen Notkurs nach Galcen vor.«

»Jawohl, Sir«, antwortete sie.

Im selben Moment erschütterte eine Vibration den Schiffsboden, und ein leichter Überdruck legte sich schmerzhaft auf Gils Trommelfelle.

»Treffer Alpha, Treffer Alpha, Raum Zwei-Null-Zwei-Null-Lima«, rief das Crewmitglied von der Schadensberichtskonsole. »Reparaturteam fünf sofort zum Schadensort.«

Gil wandte sich wieder an Jhunnei. »Und für alle Fälle berechnen Sie auch noch einen Kurs zur nächsten befreundeten oder neutralen Welt.«

»Ist bereits in Arbeit, Sir.«

»Gut mitgedacht.«

Er ging zur Konsole des Taktischen Offiziers. »Sorgen Sie einfach dafür, dass wir überleben und die da ins Gras beißen«, sagte er leise zu dem Offizier, bevor er die Stimme für die Umstehenden und die automatischen Logbuchaufzeichnungen anhob. »Gefechtssituation. Hier spricht Commodore Gil. Ich übergebe das Kommando an den Technischen Offizier.«

Dann fuhr er, an den TO gewandt, fort: »Falls Sie mich brauchen, ich bin in der Krankenstation. Ich möchte dem Wachhabenden ein paar Fragen stellen, solange er sie noch beantworten kann.«

Als Gil die Krankenstation der Karipavo betrat, war der Wachhabende schon auf eines der Betten geschnallt. Ein Crewmitglied hielt mit einem Blaster in der Hand in der Nähe Wache.

»Sein Zustand ist stabil«, begrüßte ihn der Chef der medizinischen Abteilung, ein Lieutenant-Commander von irgendeinem Planeten der Mittelwelten. »Falls es Ihnen darum ging.«

»Ich will, dass er wach genug ist, um meine Fragen zu beantworten«, erwiderte Gil.

»Das ist er«, erwiderte der Mediziner. »Aber Ihnen bleibt nicht viel Zeit. Es sei denn, wir stecken ihn in eine Heilkapsel. Der Blasterstrahl hat ein paar wichtige Organe erwischt.«

Gil runzelte die Stirn. »Über wie viele Heilkapseln verfügen wir?«

»Wir haben Kapseln für vier vollständige Körper und dann noch kleinere für einzelne Körperteile.«

»Das ist nicht genug. Wir können es uns nicht leisten, Platz zu verschwenden. Heben Sie die Kapseln für unsere Leute auf. Es wird nötig sein.«

Der Mediziner wirkte beleidigt. »In diesem Fall, Commodore«, erwiderte er jedoch nur, »schlage ich vor, dass Sie ihn sofort befragen. Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit.«

»Viel Zeit hat keiner von uns, Lieutenant-Commander«, erwiderte Gil. »Und er hat möglicherweise dafür gesorgt, dass es noch ein bisschen weniger ist.«

Er spürte, wie das Schiffsdeck unter seinen Füßen leicht erzitterte. Das Bett, in dem der Wachhabende lag, piepste, weil die angeschlossenen Geräte erschüttert worden waren und die Therapie- und Diagnosesysteme jetzt versuchten, die Unregelmäßigkeiten zu kompensieren. Dann erwachte der Lautsprecher an der Kabinendecke zum Leben.

»Treffer Bravo, Treffer Bravo«, verkündete eine blecherne Stimme. »Einheit Sechs-Eins-Zweiundzwanzig-Lima. Reparaturteam zwei ausrücken.«

»In ein paar Minuten bekommen Sie noch mehr Patienten herein«, sagte Gil zu dem Lieutenant-Commander. »Aber diesmal sind das wirklich unsere Leute. Lassen Sie mich jetzt mit dem Wachhabenden allein. Ich verständige Sie, sobald ich mit ihm fertig bin.«

Gil kehrte dem Mediziner den Rücken zu und trat ans Krankenbett. Dort betrachtete er den Wachhabenden. Der Mann war inzwischen fast blasser als das Kissen, auf dem sein Kopf ruhte.

»Für wen arbeiten Sie?«, wollte Gil wissen.

Das Grinsen des Mannes wirkte wie das eines Totenschädels. »Warum sollte ich Ihnen das sagen? Ich bin ja sowieso erledigt.«

»Wenn Sie reden, könnte ich meine Meinung über die Heilkapsel ändern.«

»Das überlegen Sie sich wieder anders, sobald die ersten Verwundeten eintreffen. Daraus wird also nichts. Und jetzt scheren Sie sich zum Teufel!«

Verdammt! Gil holte tief Luft. »Wenn Sie mir schon nicht sagen wollen, wer Ihr Auftraggeber ist, dann verraten Sie mir wenigstens, aus welchem Grund Sie das getan haben.«

Die Augen des Soldaten blitzten. Ob wegen des Schmerzes oder aus Fanatismus oder wegen beidem konnte Gil nicht erkennen.

»Weil die Magier endgültig vernichtet werden müssen«, erwiderte der Verwundete schließlich. »Ihr Zentralweltler regiert zwar die Republik, aber die Völker der Außenplaneten müssen das ganze Risiko tragen. Und seit der Krieg vorbei ist, seid ihr mit den Magierwelten auf Kuschelkurs gegangen. Es hätte nicht mehr lange gedauert, bis der Rat das Netz komplett abgeschaltet und sie wie normale Bürger in die Republik hineingelassen hätte …«

»Wohl kaum«, murmelte Gil. »Aber was kann es den Äußeren Planeten nützen, wenn Sie den Captain erschießen? Die Netz-Flotte ist das Einzige, was sich zwischen ihnen und den Magierwelten befindet.«

Der Mann lachte. Es war ein gruseliges Lachen. »Sie wird aber nicht mehr lange da sein. Und das Ziel der Magier sind nicht die Außenplaneten. Sie werden hier einen Sieg einfahren, der so überzeugend sein wird, dass die Zentralwelten endlich einsehen müssen, wie die Lage wirklich ist. Und gegen das, was den Magierwelten dann blüht, wird die Vernichtung von Sapne und Entibor wie ein Kinderspiel aussehen.«

»Und dann sind die Außenplaneten in Sicherheit?«

»Allerdings.«

Gil seufzte. Er ist vollkommen verrückt. Von allen Gründen, die man für einen solchen Verrat haben könnte …

»Wer arbeitet noch mit Ihnen zusammen?«

»Niemand.«

Er sagt wahrscheinlich die Wahrheit, soweit es dieses Schiff betrifft. Die Magier können in der Flotte nicht so viele Verrückte gefunden haben, dass sie es sich leisten könnten, sie zusammenzuziehen.

»Wussten Sie, dass das Hyperband ausfallen würde?«, erkundigte sich Gil. »War dies das vereinbarte Signal?«

»Ja.«

»Was für Überraschungen haben die Magierweltler denn noch für uns parat?«

»Vergessen Sie’s! Das werde ich Ihnen auf keinen Fall verraten.« Der Verwundete hustete. Alle Lichter und Anzeigen am Bett leuchteten rot auf und erloschen wieder. Dann meldete sich der Lautsprecher an der Decke erneut: »Commodore zum KIC«. Gil jedoch stand da und blickte in das Gesicht eines Toten hinab.

Das Enter-Shuttle der RSF Ebannha war nun schon seit einigen Tagen wie durch eine Nabelschnur mit dem Deathwing-Kreuzer der Magierwelten verbunden. Dem jungen Flag-Lieutenant Tammas Cantrel war schon lange klar, dass das Shuttle, das für vier Mann Besatzung ausgelegt war, erheblich zu klein sein würde, um diese Mannschaft länger als ein paar Stunden zu beherbergen. Die Piloten der drei einsitzigen Kampfjets, die ihre Eskorte bildeten, waren immer wieder vom Mutterschiff ausgewechselt worden, aber Cantrel und sein kleines Kommando mussten mit den zwei klaustrophobisch engen Kojen zurechtkommen, die unmittelbar vor dem Maschinenraum lagen und den Eindruck erweckten, erst nachträglich zusammen mit einer Kochnische und den sanitären Anlagen in das Shuttle gequetscht worden zu sein.

Selbst für eine einzige Person wirkte das Erkundungsshuttle der Pari-Klasse ziemlich eng. Lieutenant Cantrel überschritt zwar in keiner Hinsicht die Normalgröße, doch er musste sich zur Seite drehen, als er jetzt in die Pantry gelangen wollte. Dort drückte er sich ein Sandwich zusammen und spülte es mit dem letzten Rest Cha’a aus der Thermoskanne herunter. Weil er den letzten Schluck getrunken hatte, musste er die nächste Kanne aufsetzen. Gerade fasste er nach dem Kräuterteebeutel, als sich das InterKomm in der Kabine meldete. Statt zum Teebeutel zu greifen drückte er den Knopf für die Sprechverbindung.

»Flag-Lieutenant …« Es war Chief Yance, und seine Stimme hatte einen seltsamen Unterton. »Es wäre ganz gut, wenn Sie schnellstens nach vorn kommen würden!«

Cantrel ließ sein Sandwich auf dem Tresen in der Kochnische liegen. Wenn etwas Wichtiges geschah, musste das Essen warten. Cha’a jedoch … Er behielt den Becher in der Hand, als er zum Sitz des Piloten sprintete. Bis zum Cockpit brauchte er nur wenige Sekunden.

Chief Yance hatte die Nase gegen eine der dicken Scheiben gepresst und starrte ins All hinaus.

»Was ist denn los, Chief?«, erkundigte sich Cantrel.

Yance deutete auf einen schwach leuchtenden roten Stern, der im Weltraum strahlte … Es war ein Stern, den es dort vorher nicht gegeben hatte. »Die Ebannha existiert nicht mehr«, erklärte er. »Sie ist gerade explodiert.«

Cantrel starrte auf den roten Schein. Ein Unfall?, fragte er sich wie betäubt. Kann man jemanden retten …? Das hängt davon ab, was da passiert ist. Aber wenn jetzt nicht bald mal jemand etwas unternimmt, dann haben wir keine Chance.

»Setzen Sie sich an die Funkgeräte«, sagte er zu Yance. »Versuchen Sie eine Direktverbindung zur Karipavo herzustellen.« Er drückte den Alarmknopf, um die restlichen zwei Crewmitglieder in ihren Kojen zu wecken. »Abdocken vom Deathwing-Kreuzer vorbereiten. Und Suche nach treibenden Rettungskapseln einleiten.«

Plötzlich zuckte ein kurzer, gleißend heller Blitz durch das Sternenfeld in der Nähe der Überreste der Ebannha. Er hatte die Farbe von Energiewaffen, die im Weltraum abgefeuert werden.

»Zur Hölle!«, stieß Cantrel hervor und legte alle Kippschalter an der Steuerkonsole des Entershuttles um. »Letzten Befehl widerrufen. Ruhe bewahren, Lichter aus, passiv bleiben.«

Die Innenbeleuchtung erlosch, die Lebenserhaltungssysteme flüsterten auf niedrigster Stufe, und im Licht der Sterne konnte Cantrel beobachten, wie der Cha’a in einer braunen, wabernden Kugel aus seinem Becher aufstieg, als die künstliche Schwerkraft ausfiel. Draußen vor den Fenstern des Cockpits blitzte noch immer das Feuer der Energiewaffen, geräuschlos und weit entfernt.

»Suchen Sie sämtliche Frequenzen ab!«, befahl Cantrel Elligret Saben und Falkith, sobald sie auf der Brücke eingetroffen waren. Sie hatten sich wegen der plötzlich einsetzenden Schwerelosigkeit an Handgriffen vorarbeiten müssen und lautstark und offenkundig ungehalten darüber spekuliert, was denn los wäre. »Versuchen Sie, ob Sie irgendetwas aufschnappen können. Aber es wird nichts gesendet.«

Saben manövrierte sich auf den Funkersitz. Sie schloss den Sicherheitsgurt, um nicht abgetrieben zu werden, schob sich den winzigen Hörer ins Ohr und machte sich an die Arbeit.

»Was ist denn los?«, fragte sie.

»Jemand hat gerade die Ebannha ausradiert«, erwiderte Cantrel. »Ich weiß nicht, wer es war oder warum er es getan hat. Und bis ich das weiß, möchte ich nicht, dass mich irgendjemand findet, es sei denn, ich sage ihm, wo er suchen soll.«

Saben und Falkith nickten. Ein paar Sekunden später schaute Saben von der Kommunikationskonsole auf. »Ich bekomme ein Signal über LG-Komm, Sir.«

»Auf den Lautsprecher!«

Die Kommunikationstechnikerin drückte einen Knopf. Das Jaulen eines ersterbenden Alarmsignals tönte über den Lautsprecher. »Gefechtsbereitschaft. Alarmstufe Rot, Feuer frei. Angriff der Magierwelten steht unmittelbar bevor. Alle Schiffe im Sektor sind mit sofortiger Wirkung auf sich gestellt und können nach eigenem Ermessen handeln. An die Netzkontrollstationen: Halten Sie das Netz so lange intakt, wie Sie können.« Dann endete die Übertragung.

»Woher kam das?«, erkundigte sich Cantrel.

»Von der Karipavo

Chief Yance deutete mit einem Nicken in die Richtung des schimmernden Gasballes, der sich jetzt ausdehnte und früher einmal ihr Mutterschiff gewesen war. »Vermutlich hat die Ebannha diese Nachricht nicht mehr rechtzeitig empfangen.«

»Jedenfalls nicht über Lichtgeschwindigkeit«, entgegnete Cantrel. »Und wahrscheinlich hätte es ihnen auch nichts genützt. Was auch immer sie getroffen haben mag, es war verflucht schnell und schrecklich gemein.«

In der Dunkelheit vor den Beobachtungsfenstern setzte sich das kurze Aufblitzen der Energiewaffen fort, obwohl es nicht mehr so kurz aufeinanderfolgte. Falkith deutete auf den Sternenhaufen.

»Was glauben Sie, ist da draußen los, Sir?«, fragte er.

Cantrel schüttelte den Kopf. »Vielleicht wird noch gekämpft. Oder aber der Feind schießt auf die Rettungskapseln.«

»Zu dumm, dass wir unbewaffnet sind«, stellte Falkith fest.

»Mir tun die Piloten in den Kampfjets leid«, bemerkte Saben. »Keine Lebensmittelvorräte, keine Hyperraummaschinen. Selbst wenn sie fast auf Lichtgeschwindigkeit kommen – falls sich niemand um sie kümmert, werden sie entweder verhungern oder an Altersschwäche sterben, bevor sie auch nur eine befreundete Welt erreichen.«

»Ich weiß nicht, wie ich es dir am schonendsten beibringen soll, Elligret«, begann Falkith. »Aber wir haben auch keine Hyperraummaschinen.«

»Na großartig«, mischte sich der KommTec ein. »Denn ich fange jetzt noch andere Signale auf; LG-Übertragungen wie die letzte. Es sieht ganz so aus, als ob da draußen ein Krieg tobt. Verstehen Sie?«

»Halten Sie uns auf dem Laufenden«, befahl Cantrel. »Wenn unsere Seite siegt, will ich es erfahren. Weil wir jetzt von hier aus absolut nichts unternehmen können.«

Sie warteten im Cockpit des Entershuttles und hörten zu, wie die Berichte eintrafen. Einer nach dem anderen. Es waren ausnahmslos Mitteilungen über erste Feindberührungen, und wenn man die entfernungsbedingten unterschiedlichen Übertragungszeiten korrigierte, dann ließ sich daraus schließen, dass sie alle zur selben Zeit gesendet worden waren. Den Berichten über Erstkontakte folgten in einigen Fällen Hilferufe, in anderen Fällen nur Stille. Nach und nach wurden die Signale zu schwach, um sie noch empfangen zu können. LG-Komm taugte nur für kurze Distanzen. Danach war nur noch die Stille des Weltraums übrig.

Und die Sterne.