1. Kapitel

Gyffer: Raumhafen Telabryk
Deathwing: Das Äußere Netz

Gyffer war eine Welt, die von ihren Schiffswerften und ihren Waffenfabriken lebte. Von den gewaltigen, im Orbit kreisenden Schiffswerften kam eine höhere Anzahl größerer Schlachtschiffe der SpaceForce als von jedem anderen Planeten der Republik. Auf der Planetenoberfläche arbeitete eine Vielzahl von kleineren Werften an der Konstruktion und Reparatur kleinerer Schiffe, von NearSpace- bis Hyperraum-Modellen wie der alten Warhammer. Ganze Armeen von Waffenhändlern verkauften einem Sternenschiff-Captain so ziemlich alles, was sein Herz begehrte, angefangen von einem auf Kundenwunsch modifizierten Blaster bis hin zu einem neuen Satz Energiekanonen für sein Schiff.

Als Ari Rosselin-Metadi das letzte Mal auf einem Landefeld von Gyffer aufgesetzt hatte, war er zusammen mit Nyls Jessan in der Warhammer nach ihrem Überfall auf Darvell hier gelandet. Damals war es eine verdammt knappe Sache gewesen; die ausgelaugten Realspace-Maschinen des Schiffes wurden nur noch von Dusel und gutem Willen zusammengehalten. Und Beka, die die Warhammer besser kannte als irgendjemand sonst, abgesehen vielleicht von Jos Metadi selbst, war sogar in einem noch schlimmeren Zustand gewesen als ihr Schiff. Im Vergleich dazu war die Landung auf diesem Planeten mit einem eldanischen Langstreckenjäger, der einfach nur wenig Treibstoff an Bord hatte und außerdem mit der primitivsten Hyperraum-Navigationsanlage ausgestattet war, das reinste Zuckerschlecken.

Andererseits, dachte Ari, als er die Nullgravs des eldanischen Schiffes hochfuhr und es sanft auf dem Telabryk-Landefeld auf seine Landebeine setzte, hatte die Warhammer wenigstens alle Papiere parat gehabt. Zwar waren es gefälschte Papiere, aber wenigstens waren sie in Ordnung gewesen.

Dieses Ding hier allerdings … wie zum Teufel soll ich den Leuten diesen SpaceForce-Jäger und die SpaceForce-Uniform erklären? Ich bin ein Deserteur, vielleicht sogar ein Verräter, und wer weiß schon, was die örtlichen Behörden davon halten?

Und sich zu verstecken war vollkommen unmöglich. Gyffer hatte eine eigene InSystem-Flotte und kontrollierte die Sicherheit des NearSpace ebenso scharf wie jeder andere Planet in der zivilisierten Galaxie, wenn nicht sogar noch schärfer. Ari war nur Sekunden nach seinem Austritt aus dem Hyperraum von einem Patrouillenschiff aufgebracht worden. Mehr aus Verzweiflung als aus irgendeinem anderen Grund, und um sich etwas Zeit zum Nachdenken zu erkaufen, hatte er hoch gepokert und sich schlicht geweigert, sich zu identifizieren, als ihn die Besatzung des Patrouillenschiffes dazu aufforderte. Stattdessen hatte er eine direkte Kommunikationsverbindung mit der nächsten SpaceForce-Einheit verlangt.

Und genau von diesem Moment an wurde es merkwürdig. Das Patrouillenschiff aus Gyffer wollte keine Verbindung zur SpaceForce für ihn herstellen, ja, man wollte ihm nicht einmal verraten, welche Schiffe sich in der Nähe befanden. Andererseits hielt ihn auch niemand mehr auf, und keiner verlangte von ihm, dass er einen Inspektionstrupp an Bord ließ. Stattdessen eskortierte ihn das Patrouillenschiff zur Umlaufbahn, führte ihn durch die gyfferianische InSpace-Kontrolle und übergab ihn einem Jäger, der vom Orbit in die Atmosphäre flog. Die InSpace-Kontrolle hatte ihm hier in Telabryk Landeerlaubnis erteilt, und der Jäger war nur bei ihm geblieben, um sicherzustellen, dass er bis zur Landung nicht von seiner vorgeschriebenen Flugbahn abwich.

Ari schnallte sich aus dem Sicherheitsnetz und kletterte müde durch die Luke an der Unterseite des eldanischen Schiffes auf den Tarmac herunter. Er hatte seit über zwei Tagen nicht mehr geschlafen; den größten Teil der Strecke durch den Hyperraum hatte er zwar mit dem Autopiloten zurückgelegt, aber das Cockpit eines zweisitzigen Jägers war nicht besonders luxuriös ausgelegt, schon gar nicht für eine Person seiner Körpergröße. Und jetzt sehnte er sich mehr als nach allem anderen im Universum nach einer Tasse heißen Cha’a, einem Bad und einem warmen Bett.

Allerdings beurteilte er seine Chancen, dies auch zu bekommen, als nicht sonderlich hoch. Jedenfalls nicht, bevor er nicht alle Erklärungen abgeliefert, Formulare ausgefüllt und dann noch mehr Erklärungen von sich gegeben hatte, mit denen er die SpaceForce davon überzeugte, dass er weder desertiert war noch sich mit Regierungseigentum hatte absetzen wollen, als er die Fezzy verließ. Und sollte sich Gyffer als ein williger Partner von Admiral Vallants größenwahnsinnigen Fantasien erweisen, konnte die Lage so richtig unangenehm werden.

Wenigstens wartete niemand auf dem Landefeld, um ihn zu verhaften. Ari reckte sich, sah sich um und versuchte, seine Lage einzuschätzen.

Das Landefeld von Telabryk war wie die meisten Raumhäfen auf Planeten ein flaches, asphaltiertes Stück Land, das sich in alle Richtungen bis zum Horizont erstreckte. Telabryk selbst lag offenbar im Norden und war als dunkelblauer Fleck am Horizont zu erkennen. Aus dieser Entfernung sah es eher wie eine niedrige Bergkette aus, aber nicht wie eine der größten Städte der Republik. Das Landefeld war jetzt erheblich leerer als bei Aris vorherigem Besuch. Damals hatten die Schiffe im Hafen die Aussicht auf die Stadt Telabryk vollkommen versperrt.

Über den Asphalt verteilt fanden sich niedrige Betongebäude, auf deren Wände die Symbole von Schifffahrtslinien gepinselt worden waren, sowie die von der Regierung des Planeten oder anderer Organisationen, die ihre eigenen interstellaren Flotten unterhielten. General Delivery hatte ein Kurierschiff im Hafen liegen; das knallige Rot und Gelb des Schiffes war noch von der anderen Seite des Landefeldes aus zu erkennen. Der Hafenkomplex der SpaceForce, ein paar gedrungene, blockartige Gebäude, die diesen Namen kaum verdienten, hätte eigentlich ein ganzes Geschwader von Atmosphärenflugzeugen und NearSpace-Raumschiffen beherbergen sollen.

Dem war aber nicht so.

Nervös befeuchtete sich Ari die Lippen. Das sieht nicht gut aus.

Trotzdem, seine erste Pflicht bestand darin, sich bei seinen Vorgesetzten zu melden. Er ließ den zweisitzigen eldanischen Jäger hinter sich zurück und machte sich auf den langen Marsch über das Landefeld.

Als er den SpaceForce-Komplex schließlich erreichte, sah es noch schlimmer aus. Es fehlten nicht nur sämtliche Fluggeräte, sondern alle Bodenfahrzeuge sowie Aircars, Hovercars und dergleichen, von denen es hier eigentlich hätte wimmeln sollen, glänzten durch Abwesenheit. Ari ging zur Vorderseite des Hauptgebäudes, zu den großen, gepanzerten Glastüren mit dem Emblem der SpaceForce. Die Türen hätten sich öffnen sollen, sobald er in ihren Sensorbereich kam. Mittlerweile jedoch überraschte es ihn nicht mehr, als sie sich keinen Millimeter bewegten.

Er beschattete die Augen mit seiner Hand gegen das grelle Licht vom Landefeld und versuchte, in das Gebäude hineinzublicken. Aber er hatte kein Glück. Die Lichter waren ausgeschaltet. Dann probierte er methodisch alle anderen Eingänge des Gebäudekomplexes bis hin zu der einfachen Metalltür an der Rampe, von der aus die Schwebeschlitten beladen wurden. Sie war ebenso verschlossen wie alle anderen Eingänge auch.

Ari lehnte sich gegen die Rückwand des Ladens und überließ sich für einen Augenblick der Erschöpfung. Es war kein Wunder, dass die Gyfferaner Patrouillen niemanden zur SpaceForce durchstellten: Die SpaceForce war gar nicht mehr da.

Und sie haben auch nicht einfach nur Feierabend gemacht. Sie haben alles zusammengepackt und sind verschwunden. Sie sind schlicht abgehauen.

Mit Helm und Druckanzug stand Llannat Hyfid in der Hauptschleuse des Deathwing und beobachtete, wie sich das Status-licht veränderte, von Gelb zu Rot. Das kam ihr in diesem Moment merkwürdiger und unnatürlicher vor als alles andere auf diesem aufgegebenen Schiff.

Nur ist es eben nicht aufgegeben. Nicht mehr.

Sie war sich nicht sicher, was Lieutenant Vinhalyn letztlich mehr überzeugt hatte, dieses Schiff der Magierwelten wieder in Betrieb zu nehmen: die Möglichkeit, die Feuerkraft des Deathwing zu nutzen, oder die eigene, überwältigende Neugier des Gelehrten, was dieses Artefakt aus uralten Zeiten anging. Jedenfalls hatte sich diese Kombination als unwiderstehlich erwiesen. Nachdem die beiden Crews der Naversey und des Enterschiffes jetzt zwei Standardtage lang ununterbrochen gemeinsam gearbeitet hatten, konnten sie ihren ersten Erfolg verbuchen. Die wichtigsten Lebenserhaltungssysteme des Deathwing funktionierten wieder.

Das Statuslicht flackerte einige Sekunden lang zwischen Gelb und Rot hin und her, bis es schließlich auf Rot blieb. Ein Glockenton erklang. Die innere Tür der Schleuse öffnete sich.

Lieutenant Cantrel überprüfte die Anzeigen auf dem Sensorpack, das er vom Enterschiff mitgebracht hatte. »Punkt eins abgehakt! Die Schleuse ist dicht, und wir haben eine gute Atmosphäre.«

Lieutenant Vinhalyn schob mit seiner behandschuhten Hand ein Paneel zurück, auf dem noch mehr von den gelben eraasianischen Schriftzeichen standen. Dahinter befanden sich Regler und Anzeigen.

»Diese Anzeigen hier scheinen alle mit Ihnen übereinzustimmen«, erklärte der Linguist und Historiker nach einer ausführlichen Inspektion. »Die Techniker können einige davon später noch einmal überprüfen, aber es sieht so aus, als würde das alte Monitorsystem noch funktionieren.«

»Wir können hier drinnen also sicher atmen?«, erkundigte sich Llannat.

»Klar«, erwiderte Cantrel. »Ich kann zwar nicht garantieren, dass die Luft nicht stinkt, aber das Sensorpack registriert kein bekanntes lebensbedrohliches Gift.«

Der Lieutenant löste seinen Helm, noch während er sprach, und setzte ihn ab. Sein Gesicht war frisch enthaart, bis auf den geliebten Schnurrbart, versteht sich, und deutlich weniger abgezehrt als beim ersten Mal, als Llannat ihn gesehen hatte.

»Da wir jetzt Atmosphäre haben«, fuhr er fort, »können wir auch damit anfangen, das Schwerkraftsystem zu untersuchen. Und danach kümmern wir uns um den Antrieb.«

»Die Handbücher«, erklärte Vinhalyn Llannat, »haben sich sehr präzise darüber ausgelassen, wie ein ordentlicher Kaltstart durchgeführt werden muss.« Der Historiker hatte seinen Helm mittlerweile ebenfalls abgesetzt und klemmte ihn sich in die Armbeuge. »Die Systeme müssen korrekt miteinander verbunden und nacheinander aktiviert werden, sonst tritt eine katastrophale Fehlfunktion ein.«

Llannat löste die letzte Versiegelung ihres Helmes und nahm ihn ebenfalls ab. Mit ihrer freien Hand rieb sie sich heftig die Nase. Wie immer, wenn sie einen Druckanzug trug, juckte es sie mindestens an einem halben Dutzend unzugänglicher Stellen.

»Haben die alten Magierweltler ein Problem mit ihrer Technik gehabt«, fragte sie laut, »oder sahen sie einfach nur gerne zu, wenn etwas in die Luft ging?«

»Das werden wir wohl niemals erfahren«, erwiderte Vinhalyn mit einem schwachen Lächeln. Dann drehte er sich zu Cantrel herum. »Sie haben sehr viel Glück gehabt. Wie es aussieht, haben die Leute, die dies hier aufgegeben haben, vorher zuerst noch die Maschinen korrekt heruntergefahren.«

»Davon gehen wir ebenfalls aus«, erwiderte Cantrel. »Bis auf … na ja, bis auf das, was wir auf der Brücke gefunden haben. Auch wenn ich es unmittelbar vor Augen habe, werde ich einfach nicht schlau daraus, was da passiert ist.«

»Genau«, sagte Vinhalyn. »Die Brücke. Mistress Hyfid und ich haben vor, sie zu untersuchen. Und da wir jetzt wieder Atmosphäre haben, beeilen wir uns am besten. Sie werden schon sehr bald anfangen zu stinken.«

Llannat nickte wenig begeistert. Sie hatte diese Untersuchung so lange wie möglich aufgeschoben. Und die aufwändige Arbeit, die Systeme des Deathwing zu aktivieren, hatte dafür eine exzellente Entschuldigung geliefert. Aber jetzt kam sie nicht mehr darum herum. Sie war eine Adeptin und würde einen blutigen Mordtatort auf einem von Magiern erbauten Schiff aufsuchen müssen, mit einem kuhäugigen Ahnungslosen wie Tammas Cantrel, der sie nicht aus den Augen ließe und ein Wunder erwartete.

»Das hier ist nicht vergleichbar damit, ein aktives Ziel auf einem Monitor zu erfassen«, warnte sie den Lieutenant. »Diese Leute hier waren Magier, außerdem ist die Spur schon lange erkaltet. Wir werden möglicherweise gar nichts herausfinden.«

Möglicherweise werden wir aber auch etwas erfahren, das wir lieber gar nicht wissen würden.

Ari seufzte und stieß sich von der Wand des verlassenen SpaceForce-Gebäudes ab. Er war nicht sicher, wohin er als Nächstes gehen sollte. Es schien sogar nahezu aussichtslos, Gyffer verlassen zu können. Er hatte den eldanischen Jäger bis an die Grenze der Belastungsfähigkeit strapaziert, und das Raumschiff würde nirgendwohin mehr fliegen, ohne vorher aufgetankt und überholt zu werden. Zudem hatte er die Fezzy nur mit einem Ausweis der SpaceForce, einer mandeynanischen Viertel-Mark-Münze und einem voll aufgeladen Blaster verlassen.

Und selbst wenn er eine Eilnachricht nach Galcen Prime schickte, würde es lange dauern, bis sich seine Probleme lösen könnten. Andererseits war er nicht davon überzeugt, dass es eine gute Idee wäre, sich an den Zoll von Gyffer zu wenden. Wenn die Meuterei schon von Admiral Vallant bis zu diesem Planeten gekommen war, dann könnte die örtliche Regierung Ari mit offenen Armen empfangen und ihn direkt auf ein Kurierschiff eskortieren, das ihn postwendend nach Infabede zurückbrachte; oder aber sie steckten ihn ins Gefängnis, als eine Art Unterpfand für ihre Seite, wessen Seite auch immer das sein mochte.

Ich brauche erst einmal Informationen, dachte Ari und ließ seinen Blick über das Telabryk-Landefeld gleiten, auf der Suche nach etwas, das wie eine Informationsquelle aussah. Und ich brauche sie unverzüglich.

Das schrille Rot-Gelb des Gebäudes und des Kurierschiffes von General Delivery fiel ihm ins Auge. Eine Woge der Erleichterung spülte über ihn hinweg. General Delivery verfügte über eine eigene Flotte von Kurierschiffen, die durch den Hyperraum quer durch die ganze Galaxis flogen. Außerdem unterhielten sie ein eigenes Datennetz für elektronische Nachrichten. Der gesamte Ruf der Gesellschaft fußte auf ihrer Fähigkeit, selbst die entlegensten Orte der zivilisierten Galaxis miteinander und mit den Zentralen Welten in Verbindung zu halten.

Wenn mir irgendjemand darüber Informationen geben kann, wie es hier aussieht, dann sind es die Leute von G-Del. Und außerdem befindet sich ihr Hauptsitz auf Suivi, also werden sie den Einheimischen wahrscheinlich nicht sagen, dass sie mich gesehen haben.

Vom Komplex der SpaceForce zum G-Del-Block war es ein ziemlich weiter Weg, vor allem, da die Hitze der Sonne von dem Asphalt reflektiert wurde. Ari war schweißgebadet, bevor er auch nur die Hälfte der Entfernung zu dem rot-gelben Gebäude zurückgelegt hatte. Dessen Türen öffneten sich jedoch diesmal, als er sich ihnen näherte. Er trat hindurch und in das kühle, klimatisierte Innere hinein.

Die meisten Operationen der G-Del-Niederlassung auf Telabryks Landefeld drehten sich um die Verwaltung und Verschickung von Fracht. Angestellte mit Uniformen in etwas weniger grellen Firmenfarben sortierten die hereinkommenden Lieferungen der Kuriere und warfen die Kisten, Pakete und Umschläge in Wannen, um sie an die G-Del-Büros auf ganz Gyffer zu verteilen. Andere Mitarbeiter beluden gerade einen Schwebeschlitten mit Post, die außerhalb des Systems verschifft wurde. Ein langer Tresen erstreckte sich über die gesamte Vorderseite des Raumes und trennte die Arbeiter von dem kleinen Empfangsbereich in der Nähe des Eingangs.

Der Angestellte hinter dem Tresen war ein dünner Mann mit dicken Sorgenfalten zwischen den Augenbrauen. Als Ari hereinkam, sah er von seinem Computerdisplay auf.

»Ich dachte, Ihre Leute wären bereits alle verschwunden.«

»Sind sie auch«, antwortete Ari. »Ich bin gerade erst aus dem Infabede-Sektor hereingekommen. Ich wollte eine Nachricht nach Galcen senden, und zwar auf dem schnellstmöglichen Weg.«

Der Angestellte deutete auf einen Computer, der am anderen Ende des Tresens stand. »Kopierpapier und die Tastatur sind da drüben. Ausdrucke sind das Einzige, was im Moment noch rausgeht.«

»Keine Sprachverbindung?«

»Nein.«

»Was zum Teufel ist hier eigentlich los?«

»Das wollen alle wissen«, erwiderte der Angestellte und warf Ari einen gereizten Blick zu. »Ich nehme an, ich soll Ihnen jetzt erzählen, was passiert ist.«

»Ganz recht.«

Der Angestellte tippte sich kurz mit dem Finger an die Lippen. »Okay«, sagte er dann. »Als Erstes sind vor etwa einer Woche sämtliche HiKomm-Verbindungen ausgefallen. Unsere eigenen und auch die aller anderen. Erst vermuteten wir, es gäbe ein Problem in den Relais in der Umlaufbahn, und haben ein Reparaturteam hochgeschickt. Aber das hat nichts genützt. Mittlerweile gibt es nur noch Nachrichten, wenn sie von irgendwelchen Schiffen in das System hereingebracht werden.«

Ari nickte. »Ich habe ein Gerücht über diese Geschichte mit den HiKomms in Infabede gehört. Aber ich hatte keine Zeit, dem nachzugehen. Also, was ist dann mit der SpaceForce passiert?«

»Dazu komme ich jetzt«, erwiderte der Angestellte. »Etwa drei Tage nachdem die HiKomms verreckt sind, kam ein SpaceForce-Kurierschiff aus Galcen Prime hier an, und zwar ziemlich schnell. Und ich meine wirklich schnell … Es hätte seinen Hyperraumantrieb beinahe überhitzt und wäre fast schon beim Austritt zur Nova verglüht. Und schon auf dem Weg in das Innere System hat es seine Nachrichten über sämtliche Lichtgeschwindigkeitsfrequenzen herausgehauen, nur für den Fall, dass es den Eintritt nicht schaffte.«

»Nachrichten … von Prime?« Ari versuchte, seine bösen Vorahnungen zu verbergen. Er hatte vielleicht gedacht, irgendwelche Nachrichten über Schwierigkeiten im Infabede-Sektor zu hören, aber keine vagen Andeutungen eines Desasters aus dem Herz der Zentralen Welten erwartet. »Wie schlimm ist es?«

»Falls die Nachrichten stimmen«, erwiderte der Angestellte, »kann es kaum schlimmer kommen. Der Pilot des Kurierschiffes sagte, die Magierweltler hätten Galcen mit einer riesigen Streitmacht angegriffen. Er hat aber nicht gesagt, wie zum Teufel sie es geschafft haben, das Netz zu durchbrechen. Da die HiKomms außer Betrieb sind und keine Hilfe kommen wird, dürfte Prime wohl untergehen. Das war etwa um Mitternacht örtlicher Zeit. Im Morgengrauen war die gesamte SpaceForce fort.«

Sie handeln aufgrund eines stehenden Befehls, begriff Ari. Irgendwo in den Akten der kommandierenden Offiziere befindet sich ein versiegelter Ordner mit der Aufschrift ›Was tun, wenn wir Galcen Prime verlieren‹. Genau das ist jetzt eingetreten. Sie haben den Ordner geöffnet und sich danach gerichtet.

»Glauben Sie, dass die Geschichte stimmt?«, erkundigte er sich.

»Wenn nicht, hätten sich diese Piloten für nichts und wieder nichts beinahe gegrillt«, gab der Angestellte zurück. »Und keines unserer regulären Frachtschiffe aus Galcen ist aufgetaucht, seit der Kurier durchgekommen ist.«

»Aber Sie schicken immer noch Ausdrucke und Post dorthin?«

»Das tun wir«, bestätigte der Angestellte. »Selbst wenn sie nicht über den Verteiler auf Cashel hinauskommt. Aber wir tun unser Bestes. Natürlich nur, solange jedem klar ist, dass unter diesen Umständen eine rechtzeitige Zustellung nicht garantiert werden kann.«

»Ist klar«, meinte Ari.

Seine mandeynanische Quarter-Mark würde wahrscheinlich ohnehin nicht reichen, um eine ausgedruckte Postsendung zu bezahlen. Trotzdem musste er etwas mit den Neuigkeiten aus Infabede anfangen. Er überlegte einen Moment, ging dann zu dem Computer am Ende des Tresens und tippte eine kurze Nachricht in die Tastatur.

Betrachten Sie jeglichen Verkehr von COMREPSPAFOR INFABEDE mit Argwohn. Ari Rosselin-Metadi, LCDR, SFMD, Absender.

Er nahm den Ausdruck und ging damit zu dem Angestellten.

»Hier«, sagte er. »Das wollte ich nach Galcen senden. Entscheiden Sie selbst, was Sie damit anfangen. Ich muss jetzt in die Stadt.«

Nachdem die grundlegenden Lebenserhaltungssysteme wieder hochgefahren worden waren, funktionierte auch das Licht auf dem Magierschiff wieder. Die Gänge des Kreuzers waren zwar immer noch schmal und wirkten wie ein Labyrinth, aber sie gähnten wenigstens nicht mehr wie drohende Schlünde im Licht der Lampen an den Druckanzügen. In ihrem grellweißen Licht, das zwar nicht dieselbe Farbmischung aufwies wie die auf Galcen stationierten Schiffe der SpaceForce, aber nah genug dran waren, um zumindest ein bisschen tröstlich zu wirken, entpuppte sich der Deathwing-Kreuzer als ein Objekt aus Metall, Glas und Plastik, so wie jedes andere Sternenschiff auch.

Jedenfalls fast, dachte Llannat. Die Tatsache, dass die Lampen überhaupt noch funktionierten, beruhigte sie keineswegs so sehr, wie es das eigentlich hätte tun sollen. Diese Lampen hätten schon vor Jahrhunderten ausgebrannt sein sollen. Das wären sie auch, wenn sie nicht jemand alle ausgestellt hätte.

Und genau das ließ ihr einen kalten Schauer über den Körper laufen, sogar noch innerhalb des Druckanzugs. Sie konnte diese Vorstellung einfach nicht abschütteln, das Bild einer dunklen Gestalt, die von Abteilung zu Abteilung durch das Magierschiff ging und alle Lichter ausschaltete, wie eine ordentliche Hausfrau, die den Nachmittag in der Stadt verbringen möchte.

Jemand hat vorgehabt, hierher zurückzukommen. Und das Schiff sollte funktionieren, wenn er hier ankam.

Sie befeuchtete ihre Lippen. Die hochgefahrenen Systeme erzeugten eine knochentrockene Luft in dem Deathwing. »Es sieht aus«, sagte sie, »als entsprächen die meisten Abteilungen, durch die wir bisher gekommen sind, dem ganz normalen Raumschiffstandard. Die Mannschaftsquartiere, die Kombüse … ich frage mich, ob ihre Vorräte genauso schlecht waren wie unsere.«

»Ich bin nicht im Geringsten hungrig genug, um das auszuprobieren«, erwiderte Vinhalyn. »Wir sollten derartig verzweifelte Maßnahmen aufschieben, bis sie wirklich unabdingbar werden.«

»Da bin ich ganz Ihrer Meinung«, mischte sich Cantrel ein. »Bevor ihr aufgetaucht seid, habe ich mit dem Gedanken gespielt, einige Pakete in der Kombüse zu öffnen und sie auszuprobieren. Das ist keine besonders lustige Idee, vor allem dann nicht, wenn man nicht weiß, wie man pulverisiertes Porridge von dem Zeug unterscheiden soll, das die verstopften Abflüsse freiätzt.«

»Das kann ich mir denken«, murmelte Llannat. Trotz der Lichter und des tröstenden Hintergrundsummens des Lebenserhaltungssystems fiel es ihr schwer, das so präsente Gefühl von Bedrückung abzuschütteln. Es umhüllte sie seit dem Augenblick, als sie an Bord gekommen war, und schien sich noch zu intensivieren, während Vinhalyn und sie Cantrel zur Brücke folgten. Ihre magnetischen Stiefelsohlen klickten und schlurften auf den Deckplatten.

Schließlich räusperte sie sich. »Tammas … sind Sie und die anderen des Entertrupps oft hierhergekommen?«

Cantrel schüttelte den Kopf. »Nicht freiwillig. Nur ein- oder zweimal, um herauszufinden, wohin eine Leitung führte, mehr nicht. Da drin ist es verdammt unheimlich.«

Schließlich erreichten sie die luftdichten Türen des Cockpits des Deathwing. Der Lieutenant zog einen Plastikstreifen aus der Tasche seines Druckanzugs und reichte ihn Lieutenant Vinhalyn.

»Damit kommen Sie rein«, sagte er. »Der Schlitz dafür ist da drüben. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich allerdings lieber hier draußen warten.«

Llannat beobachtete mit Unbehagen, wie Vinhalyn den Plastikstreifen in das Schloss schob. Sie spürte förmlich die Blicke von Lieutenant Cantrel in ihrem Nacken. Zweifellos erwartete er, dass sie ein Wunder wirkte und großartige Erklärungen lieferte. Stattdessen jedoch wuchs ihre ungute Vorahnung.

Und sie wusste auch, dass ihr Unbehagen nicht von der Aussicht erzeugt wurde, auf die sterblichen Überreste des Piloten und Kopiloten des Deathwing zu stoßen. Als Medizinerin hatte sie schon Schlimmeres gesehen und selbst auch schlimmere Dinge getan, damals, als sie mit Beka Rosselin-Metadi nach Darvell geflogen war. Dies hier war etwas anderes.

Da drinnen wartet etwas auf mich.

Die Tür glitt auf. Das Cockpit des Deathwing lag immer noch im Dunkeln; nachdem die Systeme wieder hochgefahren worden waren, hatte sich niemand die Mühe gemacht, hierherzukommen und das Licht anzuschalten. Vinhalyn war bereits eingetreten; sie hörte, wie er leise mit sich sprach, als er herumtastete, um den Schalter für die Cockpitbeleuchtung zu finden.

»Aha!«, sagte er nach einem Augenblick, und im selben Moment flammten die Lichter auf.

Llannat zwang sich, das Cockpit zu betreten. Aber die Szene, die sich ihr bot, schien merkwürdig prosaisch für etwas so Blutiges. Das war eigentlich eine Arbeit für den Pathologen des Medizinischen Dienstes, der mit der Naversey gekommen war, aber nicht für eine Adeptin.

»Wir müssen die beiden in eine Stasistruhe legen«, erklärte Llannat. »Falls wir eine haben.«

»Ich bin sicher, dass wir so etwas improvisieren können«, erwiderte Vinhalyn abwesend. Er stand vor den Sichtschirmen des Deathwing und beugte sich vor, um die dunklen, verschwommenen Symbole zu betrachten, die auf das Glas geschmiert worden waren. »Dies hier … also dies hier ist wirklich interessant.«

»Was meinen Sie damit?«

»Es ist eine Botschaft«, erklärte Vinhalyn und richtete sich wieder auf. »Und zwar nicht etwa an irgendjemand x-Beliebigen, der zufällig hier hereinschneit, sondern es ist in der zweiten Person Singular verfasst, und der Schreiber spricht einen Gleichgestellten an, dem er bereits vorgestellt worden ist, also keinen Fremden mit einem unbekannten Rang.«

Llannat stellte sich hinter ihn. »Und was genau besagt diese Nachricht?«

Vinhalyn drehte sich vor dem Sichtschirm herum und warf ihr einen merkwürdigen und ziemlich misstrauischen Blick zu. »Grob übersetzt? Grob übersetzt bedeutet sie: ›Adept von der Waldwelt: Suche die Domina und sag ihr, was du hier gesehen hast.‹«