2. Kapitel

Das Netz: Warhammer
Grenzzone der Magierwelten: RSF KARIPAVO

»Captain.«

»Mmh?« Beka wandte den Blick nicht vom Bildschirm ab. Dieser verdammte Papierkrieg der SpaceForce! Die verdammte Checkliste ist länger als alle Reden des Anwalts Tarveet hintereinandergeklebt.

»Captain, es wird Zeit.«

Sie nickte abwesend und blätterte zur nächsten Bildschirmseite. »Mm-hm.«

»Captain …«

Sofort bemerkte sie den geänderten Tonfall, kniff die Augen zusammen und fuhr mit einer Hand darüber: Sie waren vom langen Starren auf die Konsole ganz erschöpft. Dann lehnte sie sich auf ihrem Sessel zurück und blickte zum ersten Mal hinüber.

Der Kopilot und Bordschütze der Warhammer sah sie mit leichter Besorgnis an. Nyls Jessan, blond und hager, mit hellen grauen Augen und angenehmen, unscheinbaren Gesichtszügen, wirkte wie ein unbedeutender FreeSpacer in diesem gefährlichen Teil der Galaxie, bis hin zu dem Blaster aus Armeebeständen. Doch der äußere Eindruck konnte täuschen, insbesondere wenn es um Jessan ging. Ihr Partner sprach Standard-Galcenisch mit einem Upper-Class-Akzent aus Khesatan, er spielte Karten und handhabte Waffen wie ein Profi. Und er hatte seine Karriere mit den besten Aufstiegschancen beim Medizinischen Dienst der SpaceForce aufgegeben, um sich Beka auf der Warhammer anzuschließen, nachdem ihr alter Kopilot bei den Kämpfen auf Darvell gestorben war.

Unser Jessan ist ein Mann mit vielen Talenten, dachte sie und musste unwillkürlich lächeln. »Okay, ich höre dir zu. Wo liegt das Problem?«

»Du bist das Problem«, erwiderte er. »Du arbeitest seit 0400 Uhr an dieser Checkliste. Die Warhammer wird davon auch nicht besser, als sie ist. Allmählich wird es Zeit, ein wenig zu schlafen.«

»Ist es das, was du im Sinn hattest? Schlaf?«

»Sicher, was sonst?«, versicherte Jessan, ohne eine Miene zu verziehen.

Sie zögerte kurz, beobachtete ihn, dann schüttelte sie mit einem leichten Seufzer den Kopf. »Wir können es uns nicht leisten, dass die Inspektion an dem Blockade-Checkpoint schiefgeht, nur weil ein einzelner Wichtigtuer in SpaceForce-Uniform der Ansicht ist, dass ich meinen Papierkram nicht korrekt ausgefüllt habe.«

»Lass mich das erledigen«, bot er an. »Ich kenne mich damit aus.«

»Nein. Wenn ich schon für etwas unterschreibe, dann möchte ich die Fehler auch selber machen.«

Er zuckte die Achseln und streckte sich auf der gepolsterten Beschleunigungscouch auf der anderen Seite des Gemeinschaftsraums aus. »Also gut, ich bleibe wach und leiste dir Gesellschaft.«

»Deine Entscheidung«, sagte sie.

Sie wandte sich dem Bildschirm zu und arbeitete gewissenhaft einige Minuten, bis ein leichtes Schnarchen die Stille unterbrach. Sie blickte zur Couch hinüber. Jessans Kopf war auf das Kissen hinuntergeglitten, die Augen waren geschlossen.

»Dummer kleiner Idiot aus Khesatan«, murmelte sie und drückte den Knopf zur Beendigung der Computersitzung.

Die Konsole faltete sich in die Nische im Schott, und Beka erhob sich. Sie ging zur Couch hinüber und berührte Jessan leicht an der Schulter.

»Also gut, Nyls«, sagte sie. »Du hast gewonnen. Gehen wir ins Bett.«

Der Chronometer in der Kapitänskabine der Warhammer schrillte wie üblich um 0500 Standardzeit. Beka schlüpfte unter Jessans Arm hervor und sprang auf die Decksplanken. Der Alarmknopf für den Chronometer war im Schott an der anderen Seite der Kabine angebracht. Sie konnte ihn nicht ausschalten, ohne ihre Koje zu verlassen, was vermutlich auch der Sinn der Sache war.

Sobald das Signal verstummt war, zog sich Beka an. Sie griff aber nicht wie gestern einfach zu Hemd und Hose. Heute trug sie die Spitzen und Rüschen eines gepflegten, aber irgendwie androgynen jungen Mannes aus dem embriganischen Viertel von Mandeyn, der sein langes braunes Haar zum Zopf geflochten trug und mit einem schwarzen Samtband schmückte. Dieser besondere Mandeyner trug allerdings einen zweischneidigen Dolch im Ärmel, und in dem abgenutzten Lederhalfter an der Hüfte hing ein Gyfferaner Ogre Mark VI Blaster.

Sie arrangierte die Falten ihrer weißen Krawatte aus Spinnenseide, steckte ein weißes Spitzentuch in ihre Rüschenmanschette und betrachtete zufrieden das Ergebnis im Spiegel. Beka Rosselin-Metadi, Mistress der Warhammer und Domina des untergegangenen Entibor, war so gut wie verschwunden. An ihre Stelle war Captain Tarnekep Portree getreten: Sternenpilot, Revolverheld und Auftragskiller.

Jetzt noch der Feinschliff.

Beka griff in das Staufach für ihre Dirtside-Montur, entnahm ihm eine rote Augenklappe aus Plastik und legte sie an. Die Klappe bedeckte ihr linkes Auge vom Wangenknochen bis zur Augenbraue und verlieh ihr einen eigenartig starren Blick. Die meisten Menschen beunruhigte das glänzende rote Plastik und das, was darunter verborgen sein mochte. Sie zuckten zurück und wandten sich ab, ohne Tarnekeps blasses, hageres Gesicht näher zu betrachten.

Das gehörte alles zur Maskierung. Der Professor wusste genau, was er tat, als er sich diese Identität ausgedacht hatte, überlegte sie. Niemand verspürt das Verlangen, Tarnekep Portree zu nahe zu kommen.

Das heißt, fast niemand. Als sie wieder zur Koje kam, war Nyls Jessan schon wach und beobachtete sie.

»Wie sehe ich aus?«, fragte sie.

Er lächelte. »Wunderbar wie immer, Captain. Elegant, aber mit der deutlichen Aura einer undefinierbaren Bedrohung.«

»Gut. Hoffen wir, dass sich die Inspektoren täuschen lassen.«

Die Inspektion begann um 0911.54 Standard, als die Warhammer am Rande des Netzes aus dem Hyper fiel, an der künstlichen Barriere beim Übergang in den Hyperraum, den die Republik am Ende des letzten Krieges den Magierwelten auferlegt hatte. Erst wenn der inspizierende Offizier der Generatorstation die Erlaubnis erteilte, ein Loch freizugeben und die Warhammer passieren zu lassen, war der nächste Sprung möglich.

Wie ein riesiges Spinnennetz, das von tausenden Generatorstationen mit Hilfe von magnetischen Feldern gesponnen wurde, spannte sich das Netz zwischen den Magierwelten und dem Rest der zivilisierten Galaxie. Jedes Sternenschiff fiel hier aus dem Hyperraum in den Realspace zurück, genau dort, wo die Netzflotte der Republik in voller Stärke patrouillierte und alle Sensoren aktiviert hatte, um Raumschiffe aufzuspüren, die sich unbemerkt über die Grenze schleichen wollten.

Beka vermutete, dass man mit einem großen Umweg die Ecken des Netzes umschiffen könnte. Der Weltraum war zu groß, um die Magierwelten mit einem solchen künstlichen Gebilde vollständig einhüllen zu können. Aber selbst im Hyperraum könnte eine solche Reise Jahre dauern.

Ebenra D’Caer war der Meinung, dass er es mit einem einzigen Sprung von Ovredis in die Magierwelten schaffen konnte, dachte sie, während sie mit Jessan auf die Inspektoren wartete. Und gewiss hat ihn inzwischen jemand aus seiner Zelle auf der Asteroidenbasis befreit. Llannat sagte, es sei Magie auf der ganzen Linie. »Die Magierlords planen lange im Voraus.« Das war auch die Meinung des Professors, er sprach von einem Zeitraum von fünfhundert Jahren, als wäre das überhaupt nichts.

Beka biss sich auf die Lippe. Es tat ihr nicht gut, an ihren alten Lehrer und Kopiloten zu denken, insbesondere weil gerade jetzt der Shuttle von der Netzstation C-346 ankam. Dies war einer der Checkpoints, an dem sich alle Raumschiffe, die hier passieren wollten, zu einer Inspektion registrieren mussten. Stattdessen konzentrierte sie sich lieber auf die Details der Tarnung der Warhammer, die darin bestand, als bewaffnetes Handelsschiff Pride of Mandeyn zu fungieren, mit einem Register aus Suivi und dem kommandierenden Tarnekep Portree.

Kurz darauf schloss sie aus einem gedämpften Knall und einer leichten Erschütterung, dass der Shuttle angedockt hatte. Sie schaltete die obere Luftschleuse der Warhammer auf und ließ die Inspektoren herein. Es handelte sich um zwei Mannschaftsdienstgrade der SpaceForce, einer kleinen, rothaarigen Frau und einem schlaksigen, dunkelhäutigen Mann unter dem Kommando eines jungen Flag-Lieutenants, dessen weit aufgerissene Augen schon verrieten, dass er ohne Zweifel noch nie in seinem ganzen Leben jemandem wie Tarnekep Portree begegnet war.

Beka hätte fast laut gelacht. Dieses Produkt einer behüteten Erziehung sitzt mir jetzt also am Tisch gegenüber, und wir gehen die Formalitäten haarklein durch. Wenn ich Glück habe, zuckt er vor Nervosität zurück und vergisst die Hälfte seiner Fragen.

Der erstaunte Flag-Lieutenant ließ sich bei seiner gewissenhaften Zollabfertigung jedoch nicht von persönlichen Betrachtungen beirren. Er hielt das Klemmbrett in der Hand und fragte nach den Papieren, die Beka vorbereitet hatte. Dazu gehörten die offiziellen Dokumente der Registrierung des Schiffes als Pride of Mandeyn sowie Tarnekep Portrees Besitzurkunde und die Ordner aus imitiertem Leder mit allen wichtigen Lizenzen, Flatpics und auch die Pässe (aus Mandeyn und Khesatan) des Capitains und des Kopiloten der Pride.

Er zog die ID-Flatpics durch den Scanner seines Klemmbretts, das leise piepte, als es die Verbindung mit dem Shuttle herstellte. Von dort würden die Identitäten zu den Datenbänken der Netzstationen übermittelt und jede wichtige Information an den inspizierenden Offizier weitergeleitet werden.

»Tarnekep Portree«, sagte der Flag-Lieutenant, als es aufhörte zu piepen. »Der Datenabgleich hat ergeben, dass Sie auf Mandeyn zur Befragung ausgeschrieben sind.«

Beka blickte ihn unvermittelt an. »Wir sind hier nicht auf Mandeyn«, entgegnete sie. »Und eine solche Befragung rechtfertigt keinen Haftbefehl.«

»Zugegeben«, entgegnete der Flag-Lieutenant. »Dennoch ist die SpaceForce gesetzlich verpflichtet, Ihren Aufenthaltsort dem Niederen Rat des Raumhafens von Embrig zu melden.«

»In Ordnung. Grüßen Sie von mir, ich mag die Leute wirklich sehr.«

Der Flag-Lieutenant presste die Lippen zusammen, als wolle er eine rasche Antwort unterdrücken, und blickte wieder auf sein Klemmbrett. Als er dann den Kopf hob und Jessan anblickte, war aus leichtem Zweifel offene Abneigung geworden.

»Nyls Jessan«, sagte er. »Ehemals Angehöriger des Medizinischen Dienstes der SpaceForce. Lieutenant-Commander, immerhin. Unehrenhaft entlassen.«

Jessan verbeugte sich. »Das bin ich.«

Der Flag-Lieutenant spitzte die Lippen. Dann drehte er Jessan den Rücken zu und wandte sich wieder an Beka. »Captain Portree, jetzt werde ich die Papiere der Pride mit Ihnen durchgehen. Bitte geben Sie Ihrem Mitarbeiter Anweisung, meinen Leuten bei der technischen Inspektion des Schiffes zur Seite zu stehen.«

»Sicher.« Beka winkte Jessan zu. »Sie haben den freundlichen Mann gehört, Doc. Führen Sie unsere Freunde herum.«

»Ist mir ein Vergnügen, Captain.«

Jessan begab sich mit den beiden Soldaten im Schlepptau ins Innere des Schiffes, während sich Beka mit dem Flag-Lieutenant an den Tisch im Gemeinschaftsraum setzte. Der junge Offizier ging die Papiere Zeile für Zeile durch und konsultierte dabei regelmäßig sein Klemmbrett.

»Energiekanonen rücken- und bauchseitig, Schutzschilde am Bug und am Heck, für ein Handelsschiff besitzen Sie eine große Feuerkraft, Captain.«

Beka hob eine Augenbraue. »Dies ist ein bewaffnetes Frachtschiff, so steht es im Register. Wenn man mit den Außenplaneten arbeitet, kann man sich nicht immer darauf verlassen, dass die SpaceForce rechtzeitig zur Stelle ist.«

Der Flag-Lieutenant schien diese Antwort übelzunehmen. »Dies ist keine Kriegszone, Captain Portree. Ich fürchte, wir werden Ihre Geschütze für die Dauer des Aufenthaltes in den Magierwelten versiegeln müssen.«

Mit etwas Ähnlichem hatte Beka schon gerechnet, die Kanonen der Warhammer entsprachen der neuesten Technologie, sie waren erst kürzlich von der Schiffswerft auf Gyffer modernisiert worden. Dennoch blickte sie jetzt finster drein. »Und was soll ich unternehmen, wenn jenseits der Grenze jemand einfach so auf mich schießt? Nach Hilfe rufen und darauf hoffen, dass die Flotte herbeieilt?«

»Sie befinden sich hier nicht mehr auf den Außenplaneten, Captain. Die Magierwelten sind absolut nicht in der Verfassung, Ihnen Schwierigkeiten zu bereiten.« Er sah wieder auf sein Klemmbrett. »Ich kann keine Frachtliste finden.«

»Ich fliege leer und werde mich dort um Fracht bemühen«, sagte Beka. »Wie Sie diesem Formular dort entnehmen können, bin ich auf der Suche nach seltenen Erden und pflanzlichen Extrakten für die medizinische Forschung.«

»Sie dürfen keine Währung der Republik mit sich führen«, sagte der Flag-Lieutenant. »Es tut mir leid, wenn dies Ihre Geschäfte erschweren sollte, aber so lautet das Gesetz.«

Es tut dir nicht im Geringsten leid, du kleiner Mistkerl, dachte Beka. Aber ich rechne noch mit dir ab. Darauf kannst du zählen.

Sie leerte das Geld aus ihren Hosentaschen und legte es auf den Tisch: fünf oder sechs Zehnercredits als Münzen, ein zerknitterter Zehncredit als Schein und eine Silbermünze aus Mandeyn mit einem stecknadelkopfgroßen Loch in der Mitte.

»Bitte sehr«, sagte sie. »Vielleicht hat Doc noch ein paar Zehnerscheine, ansonsten aber ist das alles.«

»Und wie beabsichtigen Sie, für Ihre Fracht zu zahlen, Captain?«

»Gar nicht«, erwiderte sie. »Ich bin Pilotin. Und werde von anderen bezahlt.«

Der Flag-Lieutenant sah aus, als hätte er auf etwas Saures gebissen. Er fuhr mit den Formalitäten fort, sein Blick wanderte von den Formularen der Pride und den auf dem Klemmbrett erscheinenden Daten hin und her.

Er sucht etwas, womit er mich festnageln kann, dachte Beka. Aha, jetzt glaubt er, etwas gefunden zu haben.

»Kommen wir zu Ihrer Besatzung, Captain. Sie haben nur sich selbst und den Kopiloten gelistet, aber Sie haben Platz für mindestens sechs Besatzungsmitglieder.«

Beka zuckte die Achseln. »Die Pride ist ein Frachter der Libra-Klasse, sie sollte ursprünglich mit einer ganzen Mannschaft fliegen. Seit damals ist sie mehrmals modernisiert worden, aber niemand hatte ein Interesse, die überflüssigen Kojen herauszunehmen. Wir benutzen sie als zusätzlichen Stauraum, wenn wir viel Fracht an Bord haben.«

Der Flag-Lieutenant notierte etwas auf seinem Klemmbrett. »Verstanden. Aber Angehörige der Magierwelten dürfen das Netz nicht in zivilen Raumschiffen durchqueren. Nehmen Sie also keine Passagiere mit.«

»Keine Sorge. Die verdammten Magierlords können auf ihrer Seite des Netzes verrotten, wenn es nach mir geht. Ich bin nur an stummer Fracht interessiert.«

»Das ist sehr klug von Ihnen, Captain Portree. Etwas anderes wird von uns auch nicht toleriert.«

Das glaube ich dir, dachte Beka, während sich der Flag-Lieutenant durch den Haufen ausgedruckter Papiere arbeitete. Wie gut, dass ich etwas zu erledigen habe, sonst würde ich noch einen ganzen Magierkreis durch das Netz schmuggeln, nur um zu beweisen, dass ich es kann.

Schließlich näherten sich die Formalitäten ihrem Ende. Beka unterzeichnete die Formulare in dreifacher Ausführung mit Portrees eckiger Handschrift. Der Flag-Lieutenant datierte und stempelte alle Unterschriften. Er war bei der letzten angekommen, als Jessan mit den beiden Soldaten zurückkam.

Die Rothaarige trat an den Tisch. »Alles ist einwandfrei, Sir«, meldete sie dem Flag-Lieutenant. »Und die Geschütze sind versiegelt.«

»Sehr gut.« Der Flag-Lieutenant sammelte die unterschriebenen und datierten Formulare ein und gab die Zulassungspapiere wie auch die Ordner mit den persönlichen Informationen an Beka zurück. Dabei ignorierte er Jessan geflissentlich, der die Prozedur leicht amüsiert verfolgte.

Nachdem die Inspektoren das Schiff verlassen hatten und der Shuttle sich wieder zur Netzstation C-346 aufmachte, legte Beka die Papiere und Ordner in den Safe des Raumschiffs. Dann zog sie aus einem verborgenen, gut versteckten Schließfach einen kompakten, aber sehr effektiven Scanner. Erst nachdem sie beide Abhörgeräte, die die Inspektoren hinterlassen hatten, eins im Cockpit und das andere – etwas fantasievoller – unter der Koje in der Kapitänskabine versteckt, lokalisiert und deaktiviert hatte, entspannte sie sich.

»Vertrauensvolle Seelen, diese Typen von der SpaceForce«, bemerkte sie zu Jessan. »Setzen sie in jedes Frachtschiff, das durch das Netz fliegt, ein oder zwei Wanzen?«

»Wahrscheinlich«, antwortete Jessan. »Und die meisten werden bestimmt gescannt und deaktiviert. Aber wenn sie auf jedem Schiff, das sie inspizieren, ein paar davon hinterlassen und bei der Rückkehr diejenigen einsammeln, die noch übrig sind, haben sie sicher irgendwann Glück.«

»Du hast eine natürliche Veranlagung für diese Dinge. Bist du eigentlich wirklich sicher, dass du Arzt gewesen bist, bevor sie dich rausgeschmissen haben?«

»Steht alles in den Akten.«

Beka schnaubte. »Wir wissen beide, was das wert ist, oder nicht?«

»Nicht alles, was dort steht, ist Erfindung«, protestierte Jessan. »Tatsächlich ist das meiste sogar die pure Wahrheit. Sonst würde es auch schwierig werden, alles stimmig wirken zu lassen.«

Sie sah den Khesataner neugierig an. »Nyls, was genau steht über das Ende deiner SpaceForce-Karriere in den Akten? So wie dich der Flag-Lieutenant angesehen hat …«

»Das war doch gelungen, oder etwa nicht?«

»Ich meine es ernst.«

»Schwarzmarkthandel mit minderjährigen Sapients«, erwiderte Jessan. »Wirklich ein nettes und einträgliches Geschäft.«

»Wenn man zwanzig bis fünfzig Jahre Arbeitslager nett nennen kann. Wie bist du dem entkommen?«

»Die Strafverfolgung wurde wegen eines Formfehlers eingestellt, ich bin rechtskräftig entlastet worden.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Es war wirklich furchtbar. Schau dir das Gerichtsprotokoll an, und du wirst sehen, dass meine Unterkunft gesetzwidrig durchsucht wurde, die Beweise waren also nicht verwertbar.«

»Alles sehr kunstvoll«, sagte Beka. »Das hast du dir also mit Papas Adjutanten zusammengereimt, als ihr über die abhörsichere Funkverbindung während unserer letzten Nacht auf Innish-Kyl gesprochen habt. Ich wollte es schon längst unbedingt wissen.«

»Captain, ich bin schockiert. Offizielle Dokumente zu fälschen, das ist ein kriminelles Vergehen. Würde ich einen Offizier der SpaceForce mit dem guten Ruf eines Jervas Gil zu einer solch schweren Straftat anstiften?«

»Ohne mit der Wimper zu zucken«, sagte sie. Dann legte sie sich die beiden kleinen knopfartigen Abhörgeräte auf die Handfläche. »Wir müssen noch ein wenig Wartezeit überbrücken, bis die Warhammer die Freigabe zum Sprung bekommt. Und ich muss diesen Schnickschnack auch noch beseitigen. Ich glaube, ein paar Schießübungen im vorderen Frachtraum können nicht schaden.«

»Stört es dich, wenn ich dich begleite?«

»Keinesfalls. Es wäre mir ein Vergnügen.«

Sie gingen über das Stahldeck des Raumschiffes durch die Luke nach vorne. Beka schaltete das Arbeitslicht ein. Der Frachtraum wirkte ohne die hier normalerweise lagernden Kisten und Paletten geradezu unheimlich, jedes Geräusch wurde von einem Hall begleitet. Und wie gut, dass die Inspektoren nicht die tatsächlichen Abmessungen mit den technischen Daten eines Frachters der Libra-Klasse verglichen haben. Vielleicht wäre ihnen dann aufgefallen, dass der vordere Frachtraum deutlich kleiner war, als er sein sollte. Und dann hätten sie die Sache mit den Maschinen wahrscheinlich auch schnell entdeckt.

Die Warhammer barg einige Geheimnisse. Das älteste und bestgehütete stammte aus der Zeit, als General Jos Metadi noch Kommandant war. In seinen frühen Freibeutertagen hatte der damalige Captain Metadi sein Schiff auf die Gyffer Werft gebracht, zu einer sehr kostspieligen Inspektion, die nirgendwo verzeichnet war. Die Schiffbauer auf Gyffer hatten die Originalmaschinen ausgebaut, den Maschinenraum um einen Teil des Frachtraums erweitert und dann Realspace- und Hyperraum-Maschinen eingebaut, die um die Hälfte größer waren als für ein Raumschiff von der Größe der Warhammer üblich. Mit diesen Maschinen sowie neueren und größeren Energiekanonen war aus einem bewaffneten Frachtschiff ein Kriegsschiff geworden, das stark genug sein sollte, um ein Dutzend Magierjäger zu erledigen, und dazu noch schnell genug, um deren Mutterschiff einzufangen.

Nicht einmal Metadis Kopilot aus jenen Tagen, Errec Ransome, hatte genau gewusst, wie schnell die Warhammer im Ernstfall wirklich sein konnte. Beka hatte die Warhammer mehr als einmal nahe an diese Grenze gebracht, aber vor kurzem hatte das Raumschiff auf der Werft von Gyfferan noch einmal ein Upgrade für diese übergroßen Maschinen bekommen.

Ohne Fracht an Bord, dachte Beka, könnten wir im Ernstfall wahrscheinlich sogar einem Schlachtschiff entkommen.

Die Idee gefiel ihr, und sie lächelte ein wenig, als sie die beiden Wanzen an der Schottwand in der Nähe der Luke befestigte. Auf dem Stahl wirkten die beiden Knöpfe wie kleine Münzen.

Jessan folgte ihr zur anderen Seite des Frachtraumes, wo sie ihren Blaster zog. Sie kontrollierte die Ladung – siebenundneunzig Prozent – und regulierte die Waffe auf einen feinen Strahl bei niedrigster Energie.

»Wir wollen lieber kein Loch durch den Schiffsrumpf ins Vakuum bohren«, sagte sie. Dann steckte sie den Blaster wieder ins Halfter und drehte dem Ziel ihren Rücken zu.

Ohne jede weitere Warnung wirbelte sie herum, zog gleichzeitig die Waffe und feuerte zweimal durch den Frachtraum. Der Blasterstrahl hinterließ eine glühende Spur ionisierter Luft hinter sich, und die Knopfwanzen glühten kurz auf. Dann ging sie mit beiden Händen in Stellung und jagte noch fünf weitere Strahlen in jeden Knopf, wechselte in eine einhändige Position und drehte sich beim Feuern seitwärts. Schließlich ließ sie den Arm sinken, stellte den Blaster wieder auf volle Energie und steckte ihn in das Halfter.

»Wer dort gestanden hätte«, sagte Jessan, »wäre jetzt mausetot.«

»Lass uns nachschauen.«

Sie gingen zur Schottwand hinüber, wo Beka die beiden Knopfwanzen befestigt hatte. Beide Wanzen waren nur noch Klumpen aus Schlacke und verformtem Plastik, dahinter waren kleine Mulden in den Stahl geätzt. Mit einem ihrer kurz geschnittenen Fingernägel tippte Beka auf die Schussmulden.

»Ganz anständig«, meinte sie, »aber irgendwie werde ich einfach nicht besser. Verdammt, wenn doch nur der Prof diesmal dabei wäre.«

»Du vermisst ihn immer noch, oder?«

»Ja«, gab Beka zu. »Ich vermisse ihn.«

Sie entfernte die verkohlten Knopfwanzen von der Schottwand und ließ sie auf das Deck fallen, dann zerkleinerte sie mit der Hacke ihres Stiefels die Glas- und Plastiksplitter auf dem Metall. »Aber er ist nun mal tot, es nützt also nichts, darüber zu reden. Los geht’s.«

Jervas Gil, Captain der SpaceForce der Republik, lehnte sich auf dem Kommandosessel des Kampf-Information-Centers der RSF Karipavo zurück. Die Bildschirme um ihn herum verzeichneten keinerlei außergewöhnliche Aktivitäten. Und der KampfComp, der große HoloVid-Apparat, auf dem jede aktuelle Bewegung verzeichnet wurde, blieb dunkel. Der Kreuzer befand sich in Friedensbeobachtung, und im KIC hielt sich niemand außer Gil auf.

General Metadis ehemaliger Adjutant, zum Captain und Commodore der SpaceForce-Flotte an der Grenze zu den Magierwelten befördert, hatte schnell erkennen müssen, dass sein neuer Rang mehr Pflichten und Verantwortung mit sich brachte und wenig Zeit fürs Privatleben übrig ließ. Aber das verlassene KIC war ein ausgezeichneter Ort, um allein zu sein und nachzudenken, so allein jedenfalls, wie man an Bord eines Raumschiffes überhaupt nur sein konnte. Auf den Decksplanken waren jetzt Schritte zu hören, es war Gils Adjutantin, die sich mit einem Klemmbrett voller ausgedruckter Meldungen näherte.

Die Adjutantin, ein junger Lieutenant namens Bretyn Jhunnei, salutierte und sagte: »Die täglichen Berichte, Sir.«

»Ist etwas Interessantes dabei?«

Jhunnei hatte schwarzes Haar und ein langes, bleiches Gesicht. Sie ließ die leere Hand wie eine Waage pendeln, die das Gleichgewicht sucht. »Alles wie gehabt.«

»Danke.«

Commodore Gil nahm das Klemmbrett und blätterte die Papiere kurz durch. Die meisten der Berichte enthielten keinerlei Überraschungen, es war das Gleiche wie am letzten und auch am vorletzten Tag: eine Liste der Lebensmittelbestände auf den Schiffen der Flotte, die die Magierwelten abriegelten; Berichte über den Brennstoffverbrauch; ein täglicher Situationsbericht des Geheimdienstes der SpaceForce (die, soweit Gil es beurteilen konnte, auf seinen eigenen Berichten aus der vorigen Woche beruhten) und ein Verzeichnis aller Zivilschiffe, die das Netz passiert hatten, nebst den Ergebnissen der Durchsuchungen an Bord.

Gil überflog die Papiere ohne großes Interesse. Wenn bei diesen Durchsuchungen etwas Unheilvolles oder Beunruhigendes ans Tageslicht gekommen wäre, dann hätte er längst eine Meldung darüber bekommen. Hier ging es nur um den unbedeutenden Rest: Kleine Schiffe, die ihren Handel mit den Magierwelten trieben und so einen begrenzten Kontakt mit dem Rest der zivilisierten Galaxie herstellten. Es waren Schiffe mit solchen Namen wie Redstar, Lucky Vi und Pride of Mandeyn.

Beinahe wäre er zusammengezuckt. Irgendwie hatte er nichts derart Normales von der Tochter des Generals erwartet, nur eine einzeilige Erwähnung weit unten auf der Liste der Schiffe, ein ganz gewöhnliches Boarding mit Suche nach Schmuggelware, alles bloß Routine.

Gil zwang sich, weiter durch den Stapel der Papiere zu blättern, als sei nichts geschehen. Schließlich gab er die gesammelten Ausdrucke an Jhunnei zum Recycling zurück.

»Gut«, sagte er leise. »Es hat also angefangen.«

»Was hat angefangen, Sir?«, erkundigte sich Jhunnei verständnislos.

Gil blickte den frischgebackenen jungen Lieutenant an. Die junge Frau war die Erste ihres Jahrgangs, der Stolz der Militärakademie, und dabei ohne jede Kampferfahrung.

Eine ganze Generation, dachte er. Ist es wirklich schon so lange her?

»Der zweite Magierkrieg«, sagte er. Nach einer Pause fügte er noch hinzu: »Aber kein Wort davon zu wem auch immer, klar?«

Jhunneis Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. »Kein Wort worüber, Sir?«

Gil betrachtete den Lieutenant anerkennend. Diskretion war die Haupteigenschaft eines zuverlässigen Adjutanten – und Jhunnei machte sich recht gut. Einen flüchtigen Augenblick lang dachte er an seine Reise als Adjutant von General Metadi und fragte sich, ob der General jemals das Gleiche von ihm gedacht hatte.

»Nichts, Jhunnei«, antwortete er. »Nichts. Aber im Ausbildungsplan dieses Monats sollte Gefechtsbereitschaft an oberster Stelle stehen. Verfassen Sie eine Nachricht an die Flotte, und instruieren Sie alle Captains, mit ihren Mannschaften im Hauptquartier zu trainieren.«

»Ja, Sir.«

»Und arbeiten Sie einen Übungsplan für die Flotte aus.«

Sie nickte. »Ist das alles, Sir?«

»Im Augenblick ja. Und vergessen Sie, was ich gerade über den Krieg gesagt habe. Eigentlich hat er schon vor mehr als zwei Jahren begonnen. Nur hat es damals niemand bemerkt. Das ist alles.«

Jhunnei salutierte und entfernte sich. Gil blieb noch eine Weile allein sitzen und überlegte, dann beugte er sich vor und drückte den Rufknopf, der ihn mit der Unterkunft des Kommandierenden Offiziers der ’Pavo verband.

»Captain«, sagte Gil, sobald das rote Licht aufleuchtete. »Bitte versetzen Sie Ihr Schiff in Alarmbereitschaft, Stufe drei.«

»Aye, aye, Commodore«, erwiderte der Captain. »Irgendwas, das ich wissen sollte?«

»Nein«, entgegnete Gil. »Es gibt nichts zu wissen.«

Er entspannte sich wieder und wartete, bis die adretten jungen Männer und Frauen von der ’Pavo, die gerade Alarmbereitschaft hatten, in das KIC strömten, um die Displays und Statusanzeigen zum Leben zu erwecken. Commander Erne Wallanish, der Executive Officer der ’Pavo, trat in den Befehlsstand.

»Melde mich wie befohlen«, sagte Wallanish. Er war ein untersetzter Mann mit rötlichem Haar und sprach mit dem starken Akzent, der auf einem der Außenplaneten üblich war. Gil tippte auf Pleyver oder vielleicht auch Innish-Kyl. »Wie ist die Lage?«

»Scheinbar friedlich«, entgegnete Gil. »Fahren Sie fort.«

»Ja, Sir.«

Gil stand auf und streckte sich. Der Alltag auf dem Raumschiff hatte es ihm erlaubt, seinen Trainingsplan wieder aufzunehmen und Diät zu halten. So war er die meisten Speckfalten aus fünf Jahren Dirtside wieder losgeworden.

»Ich bin in meiner Unterkunft«, sagte er. »Sie können mich dort erreichen.«

Die vakuumdichte Tür schloss sich zischend hinter ihm, nachdem er den Raum verlassen hatte. In seiner Kabine öffnete er sofort den Klapptisch neben der Koje. Er entnahm ein Stück Papier und verfasste handschriftlich einen Bericht mit dem Spezialstift, den er immer in seiner Uniform trug, um Berichte abzuzeichnen und Nachrichten zu unterschreiben.

Der General hatte darauf bestanden, dass alle Informationen von höchster Bedeutung vor ihrer elektronischen Übermittlung per Hand verschlüsselt werden mussten. »Zu viele Ohren, Gil«, hatte er gesagt. »Elektronen kennen weder Freund noch Feind, sie arbeiten ebenso gut für jemand anderen wie für dich.«

Gil rekonstruierte den Code aus dem Gedächtnis und verschlüsselte seine Nachricht. Mit einigem Glück würde der kurze Satz selbst im Klartext nur für eine einzige Person verständlich sein. »Raumschiff von Interesse hat Grenze zu Magierwelten passiert«, lautete er. Gil dachte an die Magierlords und insbesondere an die Gerüchte über ihre Fähigkeiten und wünschte sich insgeheim, dass er niemals über diesen Satz hätte nachdenken müssen.

Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, fragte sich Gil, dass die Magierlords irgendwo in der Flotte über einen Spion verfügten? Beinahe hundert Prozent, entschied er. Die Adeptin, die auf der Hin- und Rückreise nach Darvell an Bord der Warhammer gewesen war, Mistress Hyfid, so lautete ihr Name, hatte behauptet, dass Ebenra D’Caer schon lange für die Magierwelten arbeitete und dass die Magierlords ihn aus seiner Gefängniszelle auf Beka Rosselin-Metadis Asteroidenbasis befreit hätten, ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen.

Richtig, dachte Gil. Und was Mistress Hyfid weiß, das weiß der Meister der Adeptengilde natürlich auch. Auch er wird einen Agenten irgendwo in der Flotte haben, da bin ich mir sicher. Die Gilde soll zwar keine Geheimdienstoperationen ausführen, aber das hat sie nie wirklich daran gehindert, es trotzdem zu tun.

Gil zuckte die Achseln und dachte nicht weiter an die Magierlords und die Adeptengilde. Sollten sie doch ihr metaphysisches Versteckspiel spielen. Mit etwas Glück neutralisierten sie sich gegenseitig. Seine Mission war eine andere: Er musste eine Wiederbewaffnung der Magierwelten verhindern. Und falls das misslang, musste die Republik wenigstens vom Krieg verschont bleiben.

Eine Menge Arbeit für einen Mann; wenn er sie bewältigte, dann hätte er mehr als genug erreicht.