2. Kapitel
Warhammer: Galcen Nearspace
RSF Fezrisond: Sektor
Infabede
Der Flug der Warhammer bis nach Galcen dauerte letztlich fast zwei Standardwochen. Jessan und Beka lösten sich während der ganzen Zeit bei der Wache ab. Er sah den Captain nur selten, außer in den paar Minuten alle vier Stunden, in denen sie nach vorn ins Cockpit kam, um die Hyperraummaschinen wieder bis an ihr Limit und einen Hauch darüber hinaus zu treiben. Dann machte sich Jessan auf den Weg nach hinten durch den Mannschaftsraum bis in ihre verdunkelten Quartiere, schnürte sich in seinen Schwerelos-Schlafsack und fiel in einen zähen und traumlosen Schlaf. Vier Stunden später riss ihn der Wecker an der gegenüberliegenden Schottwand ruckartig hoch, und dann machte er sich für die nächste Wache wieder auf den Weg zum Cockpit.
Weil die Kochnische als nicht lebenswichtig abgeschaltet worden war, musste sich die Besatzung der Hammer von ungekochten Weltraumrationen ernähren. Sie kauten auf den trockenen Würfeln unzubereiteter Fertignahrung herum und spülten die staubigen Bissen mit Instant-Cha’a in kaltem Wasser hinunter. Auch die Schiffswäsche und die Schallduschen waren zur Steigerung der Geschwindigkeit abgestellt worden. Aber das spielte eigentlich keine Rolle, Jessan und der Captain schliefen in ihrer Dirtsider-Kleidung, weil sie keine Zeit hatten, sie zu wechseln. Und Sauberkeit wurde, genau wie ungestörte Ruhe, zu nichts als einer verblassenden Erinnerung.
Am vierzehnten Tag ihrer Hetzjagd hatte Jessan gerade Freiwache. Er war in der Kabine des Captains eingedöst und schlief den tiefen, regungslosen Schlaf eines Menschen, dem die Erschöpfung unendlich tief in den Knochen steckte. Dann, ohne Vorwarnung, wachte er plötzlich auf, kam ruckartig zu Bewusstsein und zog sich selbst so schnell aus dem Schlafsack, dass er, noch ehe er sich besann, durch die Kabine schwebte und mit der gegenüberliegenden Wand kollidierte.
»Was zum Teufel?«, murmelte er.
Irgendetwas stimmte nicht. Er konnte keinen Alarm und keine Warngeräusche hören, aber trotzdem wusste er, dass sich das Schiff in Schwierigkeiten befand. Er bahnte sich den Weg zur Tür, arbeitete sich dann Haltegriff für Haltegriff durch den Mannschaftsraum und wäre auf dem Weg zum Cockpit fast mit LeSoit zusammengestoßen.
»Was ist los?«, fragte der Söldner. Wie ein erfahrener FreeSpacer zog er sich mit den Händen an der Kabinendecke entlang.
Jessan hörte nicht auf, sich vorwärtszubewegen. »Das wüsste ich auch gern. Das gefällt mir jedenfalls überhaupt nicht.«
Sie erreichten die Pilotenkabine fast gleichzeitig, obwohl Jessan ein wenig in Führung lag. Was er zu sehen bekam, trug nicht viel dazu bei, seinen Eindruck zu zerstreuen, Zeuge einer Katastrophe zu sein. Beka hatte die Abdeckung eines Teils der Konsole abgenommen und so die Diagnoseanzeigen darunter enthüllt. Vor den Cockpitfenstern leuchteten die Sterne. Das war es, begriff er nun, was ihn aus dem Schlaf eines Toten herauskatapultiert hatte: der Sprung aus dem Hyperraum.
Er räusperte sich. »Beka?«
»Unregelmäßigkeiten im Antrieb Nummer eins«, sagte sie, ohne aufzuschauen. »Und ich weiß noch nicht, wie schlimm es ist.«
»Verdammt«, Jessan schwang sich auf den Sitz des Kopiloten. »Ich würde gern unsere Funkverbindungen checken und unsere Position feststellen. Habe ich die Erlaubnis, die Zusatzsysteme wieder zu starten?«
»Mach nur.«
Jessan fing an, Schalter umzulegen. Der Kopilotensitz unter ihm gab ein wenig nach, als die Gravitation wieder einsetzte, und zum ersten Mal seit zwei Wochen konnte er richtig sitzen, anstatt nur eine Position im Raum knapp über der gepolsterten Oberfläche einzunehmen. Ein leises Plumpsen hinter ihm ließ den Schluss zu, dass LeSoit die Haltegriffe losgelassen hatte und aufs Deck gefallen war.
»Ich bin gleich zurück«, sagte der Söldner.
Beka nickte nur. Jessan startete die restlichen nichtessenziellen Systeme und stellte den Navicomp an, um eine vernünftige Positionsbestimmung durchführen zu können. Endlich richtete sich der Captain wieder von den Diagnoseschirmen auf und befestigte erneut die Abdeckung über der Konsole.
Der lange Weg durch den Hyperraum hatte seine Spuren hinterlassen. Ihr Haar war schmutzig und zerzaust, dunkle Ränder lagen unter ihren Augen. Sie presste ihre Handballen gegen die Schläfen und seufzte.
»Hölle und Verdammnis«, sagte sie. »Nyls, hast du irgendwas auf dem Hyperband? Oder dem Navicomp?«
»Nein. Und ja, doch.«
»Verdammt«, antwortete sie. »Wie schlimm ist es?«
Die Cockpittür glitt zur Seite, ehe Jessan antworten konnte. LeSoits Fußtritte erklangen auf dem Deck. Das volle, bitter-scharfe Aroma frisch gebrauten Cha’as stieg in Jessans Nasenlöcher, und Beka lächelte ein wenig.
»Gesegnet seist du, Ignac«, meinte sie ironisch und streckte die Hand aus, um den Becher zu nehmen, den ihr LeSoit reichte. »Vielleicht erweckt mich das ja wieder zum Leben.«
»Raumfahrerregel Nummer eins.« Der Söldner gab auch Jessan einen Becher und behielt den dritten selbst. »Kein Problem ist so schwer, dass ein Becher Cha’a es nicht leichter machen könnte.«
»Es gibt für alles ein erstes Mal«, sagte Beka. Sie trank fast einen halben Becher leer, ohne abzusetzen und ohne sich darum zu kümmern, dass sein Inhalt fast noch kochte. Dann wandte sie sich wieder an Jessan. »Was wolltest du über den Navicomp sagen?«
Jessan hatte beide Hände um seinen Becher Cha’a gelegt, um sich daran aufzuwärmen. Zwei Wochen ohne Temperaturkontrolle hatten das Schiff fast auf den Gefrierpunkt abgekühlt. »Also, ich habe gute und ich habe schlechte Nachrichten.«
»Ich habe keine Zeit für Scherze.«
Jessan schüttelte den Kopf. »Es ist kein Scherz. Die schlechte Nachricht ist, dass das Hyperband auch in diesem Sektor völlig tot ist. Die gute Nachricht ist, dass wir nur zwölf Lichttage von Galcen entfernt sind.«
Beka blickte finster drein. »Was zum Teufel soll daran eine gute Nachricht sein? Dann könnten wir genauso gut auch noch auf Eraasi sein.«
»Ich gebe zu, dass das zum Laufen etwas zu weit ist. Aber die SpaceForce patrouilliert bis hier draußen. Wir haben eine gute Chance, jemanden zu finden, der die Nachricht weitergibt.«
»Das müssen wir auch. Ignac, du bleibst hier und fängst an, unseren Maschinenschaden regelmäßig über die Notfallfrequenzen zu melden. Nyls, wir beide haben noch etwas zu erledigen.«
»Wir lange wird es dauern?«, fragte LeSoit.
Beka schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht sagen, solange wir uns nicht die Hyperraummaschinen angesehen haben. Sobald sie ausgekühlt sind, müssen wir sie zumindest neu ausrichten. Vielleicht die Referenzkoordinaten neu justieren. Vielleicht auch noch mehr. Verdammte gyfferanische Schrottmaschinen.«
Die überdimensionierten Kraftwerke waren Bekas ganzer Stolz gewesen, seit Jessan sie kannte.
»War es so schlimm?«, fragte er leise.
»Schlimm?« Sie kippte den Rest des Cha’a herunter, und Jessan sah zum ersten Mal, dass ihre Hände von den Nachwirkungen eines Adrenalinschubs zitterten. »Schlimm? Wir sind fast verglüht – wie eine Nova.«
Abteilungsleiter eines Flaggschiffes zu sein, so hatte Ari herausgefunden, erforderte endlose Büroarbeiten oder, wie seine Schwester Beka es formuliert hätte, eine höllische Menge Papierkram. Er saß in seinem Büro an Bord der RSF Fezrisond und versuchte, den Quartalsverbrauch an faserfreien Wischtüchern und Einweg-Bandagen vorauszuplanen, als der Summer an seiner Tür ertönte.
»Ja?«, antwortete er, ohne mit der Arbeit aufzuhören. »Kann ich Ihnen helfen?«
Die Tür glitt zur Seite. Ein großgewachsener Lieutenant aus dem Operationsstab stand auf der Schwelle und sah ihn etwas verunsichert an. »Können wir uns unter vier Augen unterhalten?«
»Aber sicher. Schließen Sie die Tür.«
Ari machte eine kleine Wette mit sich selber. Entweder hatte sich der Bursche bei einem Landurlaub eine Geschlechtskrankheit zugezogen, oder seine Frau bekam gerade zu Hause in Wo-auch-immer ein Baby, und er wollte wissen, was das alles mit sich bringen würde.
»Na ja, es ist ein bisschen peinlich«, sagte der Lieutenant, als sich die Kabinentür hinter ihm zuschob. »Vielleicht können Sie sich ja einmal den Ausschlag anschauen, den ich hier habe …«
Hafenurlaub, sagte sich Ari und zahlte sich in Gedanken den Wettgewinn aus. Er hatte schon die passende Medizin aus dem Schrank hinter sich herausgenommen, das Problem war ziemlich verbreitet, sogar hier auf dem Flaggschiff des Admirals. Dann sah er, dass der Lieutenant ein gefaltetes Stück Papier in der Hand hielt. Ari warf einen Blick darauf und zog die Augenbrauen fragend hoch. Der Offizier faltete das Blatt auseinander und legte es auf Aris Schreibtisch.
Dieser nahm die Botschaft und las sie, während der Lieutenant weiterhin nervös von Ausschlägen und anderen peinlichen Symptomen schwafelte.
Die Kabine ist mit Abhörgeräten verwanzt, stand auf dem Zettel. Wir müssen uns an einem sicheren Ort unterhalten. Wir treffen uns in zwanzig Minuten Steuerbord am Sensorenraum.
Ari knüllte den Zettel zusammen und stopfte ihn in seine Hosentasche, um ihn später in einer anderen Kabine wegzuwerfen. Die Lauscher, wer auch immer sie sein mochten, könnten auch Zugriff auf den Müllrecycler haben.
»Nun«, sagte er. »Das ist ganz sicher ein interessanter Ausschlag, aber ich glaube, es ist nichts Ernstes. Wenn Sie die Stelle zwei Wochen trocken und sauber halten, sollte die Sache erledigt sein.«
Der Lieutenant nickte. »Sie haben mir wirklich sehr geholfen«, erwiderte er.
»Keine Ursache«, sagte Ari. »Wir sehen uns.«
»Danke«, sagte der Offizier und verschwand.
Ari checkte seinen Chronometer. Zwanzig Minuten? Okay, warum nicht?
Er räumte seinen Schreibtisch auf, sicherte die getane Arbeit und ging hinaus. Auf dem Schiff war es ruhig, die Vormittagswache zur Hälfte erledigt. Er ging zügig zum Sensorenraum, nachdem er zuerst an seiner Kabine Halt gemacht hatte, um ein Modul zur Inspektion der Arbeitsplatzhygiene für sein Klemmbrett zu holen. Er hatte die Inspektion ohnehin in dieser Woche durchführen wollen, und falls ihn jemand gefragt hätte, dann hätte er eine gute Entschuldigung dafür gehabt, warum er auf dem Schiff herumspazierte.
Was denke ich da eigentlich?, fragte er sich. Ich bin Lieutenant-Commander an Bord des Schiffes, dem ich zugeteilt wurde, und ich erledige die Pflichten, die meine Arbeit mit sich bringt. Warum sollte ich irgendjemandem irgendetwas erklären müssen?
Im selben Augenblick wünschte er sich nicht zum ersten Mal, dass Llannat Hyfid mit ihm auf die Fezzy gegangen wäre. Die Adeptin hatte ein Gespür für solche Dinge, vielleicht hätte sie ihm sagen können, was nicht in Ordnung war.
Denn es ist völlig klar, dass da irgendetwas im Busch ist. Die Sache stinkt so zum Himmel, dass sogar ich es schon riechen kann.
Zwölf Lichttage von Galcen entfernt trieb die Warhammer durchs All. Zwei Gestalten in Druckanzügen, die über Rettungsseile mit der Schiffshülle verbunden waren, arbeiteten an den äußeren Komponenten der Hyperraummaschinen.
»Test Pad eins«, sagte Beka über die Funkverbindung.
»Test eins, verstanden«, wiederholte Jessan. Er drückte den Knopf.
»Test Pad eins in Ordnung«, erwiderte Beka. Das Mikrofon im Helm ihres Raumanzugs übertrug zusammen mit den Worten auch ihre Atemgeräusche.
»Test Pad zwei.«
»Veränderungen durch Dritte bringen immer alles durcheinander«, knurrte Jessan. »Man sollte eigentlich in der Lage sein, Reparaturen während des Fluges auszuführen, ohne sich in den Anzug werfen und hinaus ins Vakuum gehen zu müssen.«
»Bewahr dir deine Konstruktionsphilosophie für später auf«, befahl Beka. »Test Pad zwei.«
»Test zwei, verstanden«, antwortete Jessan und drückte den nächsten Knopf.
Plötzlich war LeSoits Stimme über die Cockpitverbindung zu hören. »Captain, Doc, ich habe gerade eine Antwort über LG-Komm bekommen. Sieht aus, als wäre die SpaceForce da draußen.«
»Großartig«, sagte Jessan. »Antworte ihnen: ›Kosmische Tageslichtpause. Berechtigung Eins-Fünf-Echo.‹ Wiederholen Sie es, bitte.«
»›Kosmische Tageslichtpause. Berechtigung Eins-Fünf-Echo.‹«
»Das ist es«, bestätigte Jessan. »Jetzt senden Sie das, und sagen Sie uns, was sie geantwortet haben.«
»Was war das denn?«, erkundigte sich Beka.
»Weißt du noch, wie ich dir gesagt habe, es wäre kein Problem, durch das Netz zu kommen? Falls der Skipper dieser Schüssel da draußen die richtige Geheimhaltungsstufe hat, sollte ihn das, was ich ihm gerade gesagt habe, direkt aus der Koje katapultieren.«
»Gut«, sagte Beka. »Test Pad drei.«
»Test drei, verstanden.«
Ari erreichte den Sensorraum auf der Steuerbordseite exakt zwanzig chronometergestoppte Standardminuten nachdem ihm sein unerwarteter Besucher den geheimnisvollen Zettel hingeschoben hatte.
Er war nicht sonderlich überrascht, als er denselben Lieutenant die Gangway von der gegenüberliegenden Seite herunterkommen sah. Der junge Offizier nickte Ari wortlos zu und machte eine Geste, dass er ihm folgen solle. Stumm nahmen sie die Außenbordroute bis ins Jägerland, den Teil der Fezzy, der dem Jagdgeschwader vorbehalten war.
An der Tür zum Piloten-Bereitschaftsraum machten sie Halt. Ari legte seine Hand auf die Türsicherung, aber nichts geschah. Der junge Offizier griff an ihm vorbei und berührte nun selbst den Schließmechanismus. Die Tür glitt zur Seite und Ari folgte dem Offizier ins Innere, bevor sie sich wieder schließen konnte.
Theoretisch hätte Aris Identifikation als Chef der Sanitätsabteilung der Fezzy in der Datenbank des Schiffes gespeichert sein und ihm ungehinderten Zugang zu allen Räumen geben müssen … aber theoretisch hätte das Büro des Chefs der Sanitätsabteilung auch nicht verwanzt sein dürfen, genauso wenig wie vorgesehen war, dass ihn junge Lieutenants zu sonderbaren privaten Treffen einluden.
Jemand muss einen neuen ID-Filter in die Türsicherung gebastelt haben, dachte Ari, als sich die Tür hinter ihm zuschob. Ich hoffe, sie erinnern sich daran, ihn wieder auszubauen, bevor einer von ihnen schnell einen Arzt braucht.
Der Bereitschaftsraum war voll. Wie es aussah, waren alle Piloten und die anderen Dienstgrade der Kampfabteilung in den Raum gequetscht worden, so dass die Belüftung Mühe hatte, die Luft frisch zu halten. Ein höherrangiger Offizier des Korps, ein anderer Lieutenant-Commander, stand am vorderen Schott.
»Das war’s«, erklärte er. »Ich glaube, jetzt sind alle da. Die Türen gesichert?«
»Gesichert, Sir«, bestätigte einer der Kampfpiloten.
»Raummikrofon abgeschaltet?«
»Abgeschaltet.«
»Sehr gut.« Er wandte sich an Ari. »Wie auch immer Sie sich entscheiden, Commander, bitte machen Sie keine Dummheiten. Sie dürfen diesen Raum ohne meine Einwilligung nicht verlassen.«
Ari nickte langsam. »Ich verstehe. Hätten Sie etwas dagegen, mir zu erzählen, worum es hier eigentlich geht?«
»Es gibt eine Meuterei, und Sie sind ein Teil davon«, antwortete der Lieutenant-Commander. Sie haben die Chance, sich uns anzuschließen, aber seien Sie versichert, dass es Ihnen nicht gestattet sein wird, uns daran zu hindern.«
Ari zwang sich, ruhig zu bleiben. Er war zu weit vom Lieutenant-Commander, vom Lieutenant oder von der Tür entfernt, um irgendetwas mit einem einzigen Satz zu erreichen. Besser wäre es, erst einmal abzuwarten, um herauszufinden, wer mitmachte und wie bewaffnet sie waren. Dem Murren und den gestammelten, überraschten Ausrufen nach zu urteilen, die der Rest der Gruppe hören ließ, war er nicht der Einzige, dem diese Nachricht zum ersten Mal zu Ohren kam.
Als Nächstes sprach der Lieutenant, der ihm den Zettel zugeschoben hatte. Er wandte sich aber nicht nur an Ari, sondern an alle Versammelten. »Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass Admiral Vallant offen gegen die Republik rebelliert.«
Noch mehr Ausrufe und ungläubiges Raunen kamen aus der Menge, aber der OL redete weiter.
»Momentan sind wir auf dem Weg zu einem unbekannten Ziel – aber jetzt unterwegs zu sein widerspricht komplett dem Auftrag dieses Schiffes. Darüber hinaus hat Admiral Vallant enge Freunde oder Personen, die ihm einen Gefallen schulden, zu Kommandanten jedes einzelnen Schiffes in diesem Sektor gemacht. Darüber hinaus ist das Hyperband ausgefallen, und ich habe allen Anlass zu glauben, dass Vallant schon vorher wusste, dass es dazu kommen werde. Die Schotten zu den Führungsoffizieren sind versiegelt, und Zugang zum Maschinenraum, dem Gefechtsstand und der Brücke ist nur wenigen – von Vallant handverlesenen – Personen gestattet.«
Der Lieutenant machte eine kleine Pause. Als das allgemeine Gemurmel und Kommentieren nachgelassen hatte, fuhr er fort.
»Uns war befohlen worden, Umschläge mit Botschaften in der ganzen Flotte auszuliefern. Zufällig weiß ich, was diese Botschaften enthielten. Ultimaten für jeden Planeten in diesem Sektor, die vor die Wahl gestellt werden, entweder Vallant persönlich Treue zu geloben oder der Vernichtung durch seine Flotte entgegenzusehen. Die Ultimaten werden in diesem Augenblick zugestellt. Außerdem sollte Lieutenant-Commander Rosselin-Metadi festgesetzt und als Geisel gegen etwaige Aktionen seines Vaters, des General-Oberkommandeurs, benutzt werden.«
»Und das«, ergriff jetzt der Commander der Kampfabteilung das Wort, »ist der Grund, warum wir Sie verhaftet haben. Wenn Sie schon Verhandlungsmasse sein sollen, dann wäre es uns lieber, wenn wir darüber verfügten.«
»Glauben Sie mir, ich verstehe Ihre Position«, sagte Ari. An der Art, wie ihn der Lieutenant und der Lieutenant-Commander beobachteten, konnte er erkennen, dass sie eine deutlich heftigere Reaktion von ihm erwartet hatten. Gut so, dachte er. Sollen sie sich ruhig den Kopf über mich zerbrechen, bis ich herausgefunden habe, was wirklich los ist. »Aber was passiert, falls ich generell etwas dagegen habe, Verhandlungsmasse zu sein?«
Der Commander warf ihm einen bedauernden Blick zu. »Ich fürchte, Sie haben keine große Wahl.«
Gut, dass Beka nicht zur Armee gegangen ist, dachte Ari. Ihr zu sagen, dass sie keine Wahl hätte, wäre ein schneller Weg gewesen, Blutspritzer auf Deck zu verteilen. Bee hat noch nie verstanden, auf irgendetwas zu warten.
Ari aber hatte sich schon vor langer Zeit die Geduld und das Fingerspitzengefühl angewöhnt, damals, als ihn Ferrdacorr in den Wäldern von Maraghai in den Dingen der Jagd unterwiesen hatte. Er würde sich nicht jetzt in einen Kampf verwickeln lassen, zumal er zahlenmäßig unterlegen war und nicht wusste, wo seine wahren Feinde waren.
»Ich nehme an, ich muss Ihnen glauben«, sagte er laut. »Sie wissen mehr über die momentane Lage als ich. Wie viele Leute sind mit Ihnen verbündet … ich meine, mit uns?«
»Genug, hoffe ich«, antwortete der Commander der Abteilung, der sichtlich erleichtert war, dass Ari keinen gewaltsamen Widerstand geleistet hatte. »Aber jetzt, und das tut mir aufrichtig leid, Lieutenant-Commander, müssen wir Sie unter Bewachung stellen.«
Zwei Stunden nach dem ersten Kontakt der Warhammer mit dem Schiff der SpaceForce trat am äußersten Rand ihrer Sensorreichweite ein Schiff aus dem Hyperraum aus. Beka war gerade im Cockpit und konnte beobachten, wie die Kommunikationskonsole zu blinken begann.
Sie sah zu ihrem Kopiloten hinüber. »Nyls?«
»Sie übertragen die SpaceForce-Identifikation. Sieht aus, als wären unsere Retter da.«
»Ich will aber nicht gerettet werden«, erwiderte sie. »Ich kann mich ziemlich gut selbst retten, danke schön. Ich brauche jemanden, der die Meldung an Galcen übermittelt.«
Sie legte das Headset für die Hyperraum-Kommunikation an. Ein schneller Check ergab, dass die Sendestationen auf den Frequenzen nichts als Rauschen zeigten und dann noch, ganz weit entfernt, ein Radioprogramm mit Tanzmusik, die von irgendwo in Galcen Prime kam. Auf dem Hyperband war noch immer nichts.
»Direkte Hyperraum-Kommunikation ist weiterhin tot«, sagte sie. »Was auch immer die Magier tun, sie machen es auch hier. Ich kann gar nicht verstehen, warum die Leute nicht schreiend herumlaufen und in Panik ausbrechen.«
»Das planetare Hyperband war vielleicht nicht die ganze Zeit lahmgelegt«, spekulierte Jessan. »Möglich ist, dass es nur die Übertragungen aus dem Netz waren. So würde ich es jedenfalls machen. Mit einem Agenten am richtigen Ort, der ab und zu gefälschte Berichte aus der Magierzone weiterreicht, aus denen hervorgeht, dass alles wunderbar und in bester Ordnung ist, und der sich dann erkundigt, wie zu Hause denn das Wetter sei.«
»Sag doch mal was, das meine Laune verbessert, wenn’s geht«, erwiderte Beka. »Wir wissen ja schon, dass auf unserer Seite jemand für die Magierwelten arbeitet. Und wenn gerade jetzt das Hyperband im Weltraum um Galcen herum ausgefallen ist …«
»Dann kann die Magierflotte nicht mehr allzu weit hinter uns sein.«
»Oh, wunderbar. Und wir sind hier und treiben herum wie ein Stein im All. Es wird wirklich mal Zeit zu reden, glaube ich.«
Beka schob eine Abdeckplatte an der Oberseite der Kommunikationskonsole zur Seite. Mit spitzen Fingernägeln zog sie einen Chip mit der ID der Stolz von Mandeyn aus seinem Sockel und legte ihn beiseite. Dann brachte sie einen anderen, älteren Chip aus einem Versteck, das sich in den Tiefen der Konsole befand, hervor und steckte ihn in den Sockel.
»Kein Versteckspielen mehr«, sagte sie.
Sie schaltete auf LG-Komm, gab so viel Energie, wie sie konnte, ohne die Platine wegzuschmelzen, und begann mit einer Übertragung. »SpaceForce-Schiff, SpaceForce-Schiff, hier spricht das Reserve-Frachtschiff Warhammer. Sprechprobe. Over.«
Sie wartete eine Weile, dann wiederholte sie den Ruf.
»Sie sind acht Lichtminuten entfernt«, sagte sie nach der zweiten Übertragung. »Es wird eine Weile dauern, bis wir wieder von ihnen hören. Aber ich würde mich über ein etwas konfuses Willkommen nicht wundern.«
»Mich wundert inzwischen gar nichts mehr«, entgegnete Jessan. »Aber befriedige doch bitte meine Neugier – warum verwenden wir das alte Rufzeichen? Da die Warhammer und du offiziell als tot gelten, wird jeder mit dieser ID automatisch als Schwindler angesehen werden.«
»Vielleicht«, sagte Beka. »Aber ich wette, der Bericht wird trotzdem sofort an meinen Vater weitergeleitet. Er weiß, dass ich noch am Leben bin, und wenn ich sein Rufzeichen benutze, wird das sicher seine Aufmerksamkeit erregen.«
»Ich hoffe, du hast recht.«
»Das hoffe ich auch.« Beka aktivierte wieder den Funk. »SpaceForce-Schiff, SpaceForce-Schiff, hier spricht die RFS Warhammer. Sprechprobe. Over.«
Wieder kam keine Antwort.
Beka checkte die Navicomps und den Chronometer. Dann betrachtete sie die Sensoranzeigen. »Zu langsam.«
Kurze Zeit später kam ein Sprachsignal über die Funkverbindung. Sie stellte es auf die Cockpitlautsprecher, damit Jessan nicht herumrätseln müsste, was los war.
»Unbekanntes Schiff, unbekanntes Schiff«, meldete die Stimme. »Hier spricht das republikanische Kriegsschiff Eins-Null-Neuner-Sieben. Identifizieren Sie sich.«
Beka holte tief Luft. »Es geht los«, murmelte sie und öffnete den Rückkanal. »Hier spricht das SpaceForce-Reserve-Frachtschiff Warhammer«, sagte sie zu der Stimme. »Erbitte eine sichere Verbindung Captain-zu-Captain.«
Das LG-Komm piepte zweimal, während sich die Verschlüsselung synchronisierte. Beka öffnete wieder den Rückkanal.
»Eins-Null-Neuner-Sieben«, sagte sie. »Hier spricht die Warhammer. Melden Sie dem Kommandanten des Raumverteidigungskommandos wie folgt: ›Angriff auf Galcen durch Kriegsflotte der Magierwelten unmittelbar bevorstehend.‹ Over.«
Es gab eine mehrere Sekunden lange Übertragungslücke, während Bekas LG-Signal die Distanz durchmaß und die Antwort des Kriegsschiffes zurückkam.
»Hier spricht die Eins-Null-Neuner-Sieben. Ich wiederhole: Mit wem spreche ich?«
Sie drückte die Schultern durch. »Hier spricht Captain Beka Rosselin-Metadi. Das Innere Netz ist ausgefallen, der Zustand des Äußeren Netzes ist unbekannt. Ich verlange, dass Sie mich direkt mit dem Generalkommandanten verbinden.«
Wieder verging einige Zeit mit der Übertragung. Dann meldete sich die Stimme erneut: »Drehen Sie bei, Warhammer, und deaktivieren Sie Ihre Waffen. Ich werde an Bord kommen.«
Beka zog Luft durch ihre Zähne. »Ich beabsichtige nicht, Sie an Bord zu lassen. Lesen Sie mein Identifikationssignal. Dies ist ein republikanisches Kriegsschiff, ich muss dem Generalkommandanten Meldung erstatten.«
Eine andere, kürzere Pause entstand – der Abstand zwischen den beiden Schiffen verringerte sich beständig. Dann antwortete der Captain des anderen Schiffes: »Ihre Identifikation ist nicht gelistet. Die Warhammer ist zerstört. Rosselin-Metadi ist tot. Wenn Sie versuchen, in den Raum von Galcen einzudringen, werden Sie zerstört. Drehen Sie bei. Unverzüglich.«
»Ach du …!«, stieß Jessan hervor. »Das läuft ja alles andere als gut.«
»Sie haben Idioten in der Heimatflotte«, schnaufte Beka. »Idioten. Und was ist mit deiner geheimen Sicherheitskennung? Warum glaubt er uns nicht?«
»Na ja, nicht jeder sieht die Formalitäten so locker wie deine Familie. Vielleicht ist er einer von den Captains, die glauben, alles strikt nach Vorschrift machen zu müssen. Er ist vorsichtig, das ist alles. Nach allem, was er weiß, könnten die Codes geknackt worden sein. Dann wäre dies hier ein Magiertrick, um sich die Kontrolle über sein Schiff zu erschleichen.«
»Wenn man nach den Vorschriften handelt, wird man jedes Mal umgebracht«, sagte sie. »Du warst doch in der SpaceForce, Nyls – wie geht’s weiter?«
Der Khesataner dachte nach. »Was ist so schlimm daran, sie an Bord zu lassen?«
»Mir gefällt das nicht …«
»Das sind die Guten, erinnerst du dich nicht? Sprich mit ihnen, führ sie herum – und lass sie in dein Gesicht schauen, Himmelherrgott! Jeder, der jemals ein Flachbild von deiner Mutter gesehen hat, wird es sich dann zweimal überlegen, dich eine Lügnerin zu nennen.«
»Wir haben zwar keine Zeit für all diesen Quatsch … aber wahrscheinlich hast du recht.« Sie flog eine Vertikalwende, um die Geschwindigkeit der Warhammer unter die Maximalgeschwindigkeit zu senken. Dann schnallte sie sich ab und stand auf.
»Das Funkgerät gehört dir«, sagte sie zu Jessan. »Hol LeSoit her, damit er den anderen Sitz einnimmt, und sag deinen Freunden, dass wir bereit sind, ein Prisenkommando an Bord zu lassen.«
»Und wo gehst du hin?«
»Ich geh in meine Kabine und ziehe mir was an«, antwortete sie. »Wenn ich uns schon mit meiner Familienähnlichkeit die Türen öffnen muss, dann sollte ich wohl lieber etwas besser aussehen als jetzt.«