2. Kapitel

Nammerin: Innenstadt Namport
Ophel Nearspace

Es war früher Abend in Namport, und die Straßenlaternen flammten eine nach der anderen auf. In ihrem Apartment, das sich in einem Mietshaus im alten Viertel befand und in dem es keinen funktionierenden Fahrstuhl gab, schob Klea Santreny den dünnen Gazevorhang beiseite und blickte zur Straßenecke hinunter. Sie war froh, dass sie heute Nacht zu Hause geblieben war. In den letzten drei Tagen hatten sich wolkenbruchartige Regenfälle, die die Straßen überschwemmten, mit drückender Hitze abgewechselt. Sie hatten Namports festgestampfte Durchgangsstraßen in morastige Schlammpisten verwandelt. Heute war eine der drückenden Nächte; sie konnte den Schlamm sogar im vierten Stock noch riechen.

Niemand hat mir erzählt, dass die große Stadt fünfmal schlimmer stinkt, als der Bauernhof je gerochen hat. Hätte man es mir gesagt, ich hätte vielleicht …

Sie wandte sich vom Fenster ab. Ich hätte es trotzdem nicht geglaubt. Wenn es jemanden auf diesem Planeten gibt, der noch dickköpfiger ist als ich, bin ich ihm jedenfalls noch nicht begegnet. Fünf Jahre in Freling’s Bar, und ich musste erst halb verrückt werden, um endlich genug Verstand aufzubringen, um dort auszusteigen. Ich wünschte nur, ich wüsste, wohin mich mein Weg jetzt führt.

In letzter Zeit war sie nicht viel ausgegangen, nicht einmal im direkten Sinn des Wortes. Seit der Nacht, in der sie die Explosion eines Sterns in einem Sternenhimmel gesehen hatte, der nicht über Nammerin leuchtete, war sie rastlos und unruhig gewesen.

Owen hatte ihre Unruhe ernst genommen. »Auf einem Planeten, auf dem ein intakter Magierkreis wirkt, muss ein Adept vorsichtig sein. Das gilt auch für einen Lehrling.«

»Ich bin keine Adeptin«, erwiderte sie. »Und auch kein Lehrling. Ich bin nur …«

»Ein nur bist du schon gar nicht.« Er klang fast wütend, wenngleich auch ein wenig besorgt, was sie noch mehr beunruhigte. »Du bist extrem empfänglich für diese Magie, und der Magierkreis weiß das. Wenn die Magier zu dem Schluss kommen, dass du eine Bedrohung für sie darstellst, steckst du in ziemlich ernsten Schwierigkeiten.«

Seine Warnung brannte immer noch in ihrem Gedächtnis, und sie blieb entweder zu Hause oder in der Nähe, wagte sich nie weiter von ihrem Mietshaus weg als zu Ulles 24-Stunden- Kaufladen. Und selbst das genügte bereits, wie sich herausstellte, um ihr Gespür für eine formlose und unmittelbar bevorstehende Bedrohung zu verstärken, die über der Stadt schwebte.

Auf den Straßen brodelten die Gerüchte nur so. Darüber, dass die HiKomm-Nachrichten von anderen Planeten jetzt seit drei Tagen ausgefallen waren und das Namport HoloVid-Network alte Geschichten von vor fünf oder sechs Monaten aufwärmte, damit die Leute es nicht merkten. Darüber, dass der Medizinische Dienst der SpaceForce seine Pforten geschlossen und jeglichen Urlaub gestrichen hatte; darüber, dass sich Suivi Point von der Republik losgesagt hätte und die äußeren Planeten revoltierten. Selbst das schlechte Wetter wurde auf irgendeinen miesen Trick zurückgeführt.

Noch ein Grund mehr, froh zu sein, dass du nicht mehr bei Freling’s arbeitest, sagte sie sich. Denn das ist genau eine dieser Nächte, in der die Perversen aus ihren Löchern kriechen.

Ein heftiges Klopfen an der Tür riss sie aus ihren trüben Gedanken. Sie eilte zum Eingang und warf einen Blick durch das Guckloch hinaus. Vor der Tür stand zu ihrer großen Überraschung Owen. Er war erst vor etwas mehr als einer Stunde zu seiner Arbeit in der Wäscherei gegangen und hätte erst am nächsten Morgen zurückkommen sollen. Sie schloss die Tür auf und ließ ihn herein.

»Was gibt’s?«, fragte sie, kaum dass er ihre Wohnung betreten hatte.

Er antwortete nicht sofort, sondern wartete, bis sie die Tür hinter ihm abgeschlossen hatte. »Willst du ins Refugium?«, fragte er dann.

Sie starrte ihn verblüfft an. »Jetzt sofort?«

»Allerdings«, gab er zurück. »Die Planetenversammlung wird den Raumhafen morgen Mittag schließen.«

»Sie werden den … Wo hast du das denn her?«

»Ich habe es bei der Arbeit gehört. Einer der Stammgäste des Badehauses ist Angestellter im Zollbüro. Klea, du musst dich heute Nacht entscheiden. Willst du weggehen oder hierbleiben?«

»Gehen«, erwiderte sie ohne nachzudenken. Als sie jetzt so plötzlich vor die Wahl gestellt wurde, fiel ihr die Entscheidung überraschend leicht.

»Dann pack das Nötigste zusammen. Wir müssen so schnell wie möglich zum Raumhafen. Morgen früh wird dort das blanke Chaos herrschen.«

Sie stopfte bereits saubere Kleidung und Unterwäsche in den uralten Rucksack, den sie vor einer gefühlten Ewigkeit vom Bauernhof mit hierhergebracht hatte. Ich habe mir immer wieder gesagt, dass ich ihn wegwerfen sollte, dachte sie etwas benommen. Ein Glück, dass ich nie auf mich selbst gehört habe.

»Liegt denn ein Raumschiff im Orbit, das nach Galcen fliegt?«

»Das weiß ich nicht, und das spielt auch keine Rolle. Erstmal müssen wir von diesem Planeten wegkommen. Dann können wir immer noch überlegen, wie wir nach Galcen kommen.«

»Und wie bekommen wir genug Geld für die Passage?«

Er machte eine ungeduldige Handbewegung. »Sorg dich nicht wegen des Geldes. Darum kümmere ich mich. Das Wichtigste ist erst einmal, dass wir überhaupt ein Schiff finden.«

Sie schloss den Rucksack und schlang ihn sich über die Schultern. »Wenn du das sagst. Gehen wir.«

»Aber vorher müssen wir noch etwas erledigen«, meinte er. Er sah sie ganz offen an. Seine braunen Augen waren so dunkel, dass sie fast schwarz wirkten. Als er weitersprach, nahm seine Stimme einen formellen Singsang an. »Klea Santreny, kommst du nur zu den Adepten, um instruiert zu werden, oder nimmst du die Stelle als Lehrling an, die man dir anbietet?«

»Was meinst du mit ›nimmst du die Stelle als Lehrling an‹?«

»Antworte mit Ja oder Nein«, erwiderte er. »Bitte. Es ist wichtig.«

Sie stand eine Minute da und spürte, wie ihr Leben um sie herum wogte, den Bäumen eines Waldes ähnlich, der vom Wind gepeitscht wird. Aus allem, was ich jemals getan habe, konnte ich mich herauswinden. Aber was ich jetzt sage, wird mein ganzes Leben für immer verändern. Sie holte tief Luft.

»Ja.«

Owen atmete erleichtert aus. »Gut. Da du jetzt ein Lehrling der Gilde bist, kannst du, sollte mir etwas zustoßen oder sollten wir getrennt werden, jeden Adepten oder jedes Gildehaus in der Zivilisierten Galaxie um Hilfe bitten.«

Er hielt inne und sah sich suchend in ihrer kleinen Wohnung um. »Du brauchst einen Stab.«

»Wofür? Du hast doch auch keinen.«

»Das ist etwas anderes … mein Lehrer auf Galcen hat meinen für mich behalten.«

Er durchquerte den Raum mit wenigen Schritten, trat in die Kochnische und nahm den Besen, der in der Ecke stand. Es war ein einfacher Besen, das Produkt einer ansässigen Firma, ein Besen, wie ihn die Bauern aus Grrch-Holz und Getreidestroh fertigten und für einen Viertel-Kredit pro Stück verkauften.

Mühelos zerbrach Owen den Besen und hielt Klea ein Stück davon hin. Es überraschte sie nicht, dass beide Enden vollkommen glatt und gleichmäßig waren. Wer Grrch-Holz mit bloßen Händen zerbrechen konnte, der konnte vermutlich auch die Bruchstelle so aussehen lassen, wie er wollte.

»Nimm dies«, sagte er. Erneut klangen seine Worte formell wie bei einer Zeremonie. »Bewahre ihn und achte ihn, wie du deine Ehre respektieren würdest. Benutze ihn in Wahrheit und Gerechtigkeit und so, wie die Muster des Universums euch beide gemeinsam führen. Durch seinen Stab wird der Adept erkannt; niemals soll der eine den anderen entehren.«

Sie nahm den Besenstiel, den Stab, wie sie ihn jetzt wohl nennen sollte, und hielt ihn ungeschickt mit beiden Händen vor sich hin. »Was soll ich damit machen?«

»Zunächst einmal kannst du ihn für den Schattentanz nutzen«, erklärte er. »Außerdem eignet er sich hervorragend als Gehstock. Und noch für zahlreiche andere Dinge, die du lernen wirst, sobald du die Zeit dafür hast. Jetzt jedoch müssen wir uns beeilen. Wenn der Raumhafen zu voll wird, könnte sich die Planetenversammlung entscheiden, ihn früher zu schließen.«

Hoch über dem Ophel-System und weit entfernt von der Netzwache der Zentralen Welten dehnte sich das Gewebe des RealSpace und riss auf, als zwei Schiffe aus dem Hyperraum austraten. Nur wenige Sekunden später folgte ihnen ein drittes Raumschiff.

Im Kampf-Informationszentrum der RSF Karipavo blickte der diensthabende Analytiker von seinen Kontrollen auf und verkündete: »Die Lachiel hat es auch geschafft.«

Heiserer Jubel brandete auf, und Commodore Jervas Gil, der Kommandierende Offizier der Karipavo, seufzte erleichtert auf. Auch wenn nur noch drei Schiffe von seiner Schwadron übrig waren, waren es doch wenigstens seine Schiffe – und er war immer noch ihr Commodore.

»Nehmen Sie Kontakt mit der Lachiel auf«, befahl er dem KommTech. »Und fragen Sie nach, ob die provisorischen Reparaturen an ihrem RealSpace-Antrieb ausreichen, um sie sicher nach Ophel zu bringen.«

Es wäre ganz gut für den Stolz der Besatzung der Lachiel, dachte er, wenn die Crew ihr Schiff ohne Hilfe reinbringen könnte. Aber auf lange Sicht würde es auch keine Rolle spielen, wenn sie die Hilfe eines orbitalen Schiffswerft-Schleppers bräuchten. Nach der Schlacht am Netz, bei der die Lachiel einen verheerenden Treffer in ihrem RealSpace-Antrieb hatte hinnehmen müssen und in mehr als der Hälfte ihrer Sektoren schwere Treffer davongetragen hatte, die Luftlecks nach sich zogen, zählte nur, dass das dritte Schiff von Gils erheblich reduzierter Flotte überhaupt noch existierte.

»Die Lachiel meldet, dass sie es schaffen werden, wenn wir schön gemächlich weitersegeln«, berichtete der KommTech.

»Ausgezeichnet«, erwiderte Gil. »Also fliegen wir gemächlich weiter. Wie sieht es mit der HiKomm-Verbindung nach Prime aus?«

»Keine Chance, Sir«, erwiderte der Techniker. »Wer auch immer die HiKomms lahmgelegt hat, er sorgt nach wie vor dafür, dass sie nicht arbeiten.«

»Versuchen Sie es weiter«, erwiderte Gil. »Sowie die Links wieder funktionieren, will ich benachrichtigt werden. Und bis dahin geben Sie mir Ophel über LG-Komm.«

Aufgrund der großen Entfernung dauerte es einige Minuten, bis die Lichtgeschwindigkeitsverbindung hergestellt wurde. Gil wartete mit finsterer Miene und kaum unterdrückter Ungeduld. Ophel war als Austrittspunkt nicht seine erste Wahl gewesen. Es war zwar eine neutrale Welt und der Republik eher freundlich gesinnt, aber sie war durch keinerlei Verträge an sie gebunden, jedenfalls soweit Gil wusste. Und seit dem ersten Magierkrieg war Ophel ein bedeutender Handelsknotenpunkt für Geschäfte diesseits und jenseits des Netzes gewesen.

Ophel lag jedoch in Reichweite der notdürftig reparierten und kaum noch funktionierenden Antriebe der Lachiel, und Ophels Werften, die größten zwischen dem Netz und den Zentralen Welten, waren in der Lage, die notwendigen Reparaturen durchzuführen. Selbstverständlich, sagte sich Gil, bedeuteten ebendiese Schiffswerften, dass Ophel auf der Liste der Magierweltler mit strategisch bedeutsamen Punkten ganz oben stand – wenn sie nach dem Fall der Zentralen Welten anfingen aufzuräumen. Falls die Zentralen Welten fallen, korrigierte sich Gil rasch.

»Wir haben die InSpace-Kontrolle von Ophel auf der LG-Komm, Sir«, meldete der KommTech.

»Legen Sie es auf die Lautsprecher«, befahl Gil.

»Lautsprecher, jawohl.«

Einen Moment später drang die knisternde, abgeschwächte Übertragung aus den Lautsprechern des KIC.

»Unbekanntes Schiff, hier spricht InSpace-Kontrolle Ophel. Identifizieren Sie sich. Die Gesetze von Ophel verlangen, dass alle hereinkommenden Raumschiffe den Planeten nennen, auf dem sie registriert sind, sowie ihren Zielhafen. Weiterhin Namen und Heimatwelt ihres Masters, Captains oder Commanders; dazu einen Überblick über ihre Ladung. Erst dann bekommen Sie die Erlaubnis weiterzufliegen, in den Orbit einzutauchen, anzudocken oder zu landen. Over.«

Gil nahm das Mikrofon für die LG-Komm und drückte die Taste. Bevor er sprach, hielt er jedoch noch einen Moment inne und versuchte die Dinge, die er zu sagen hatte, in die richtige Reihenfolge zu bringen. Aus dieser großen Entfernung war eine Kommunikation mit Lichtgeschwindigkeit kompliziert und langsam, und zwischen einer Nachricht und der Antwort lagen oft Minuten.

»InSpace-Kontrolle«, sagte er schließlich. »Hier spricht die RSF Karipavo, im Verband mit der RSF Shaja und der RSF Lachiel. Wir erbitten Erlaubnis, in den Orbit eintauchen zu dürfen und Reparaturen durchführen zu lassen. Ich bin Jervas Gil, Captain, SpaceForce der Republik und Commodore dieser Schwadron; meine Herkunftswelt ist Ovredis. Ich erkläre hiermit einen Notfall während des Fluges und erbitte das Recht auf friedliche Durchfahrt. Ich bedaure, dass ich keine Einzelheiten über unsere Fracht und unseren Zielhafen geben kann; stattdessen erbitte ich eine direkte Verbindung zur Botschaft der Republik, und das so schnell wie möglich. Over.«

Gil schaltete das Mikrofon ab. Wieder musste er lange warten. Rastlos ging er auf und ab, bis ihm auffiel, dass er hin- und herlief, und sich dazu zwang, stehen zu bleiben. Die Auseinandersetzung mit der InSpace-Kontrolle war nur das erste und kleinste seiner Probleme. Alle drei Schiffe mussten dringend repariert werden, nicht nur die am stärksten angeschlagene Lachiel. Dabei hatte er keine Ahnung, ob irgendeine Schiffswerft von Ophel überhaupt bereit sein würde, diese Arbeit zu erledigen.

Eins nach dem anderen, sagte er sich. Die Karipavo ist längst nicht so mitgenommen wie die Lachiel oder die Shaja. Sehr wahrscheinlich finde ich irgendwo eine Werft, die bereit ist, den Job zu erledigen. Damit habe ich wenigstens ein vollständig funktionsfähiges Schiff und kann in Ruhe überlegen, wie sich die beiden anderen wieder aufrüsten lassen.

Danach kann ich mir immer noch überlegen, wie ich all das bezahlen soll. Denn auf eines kann man sich verlassen, wenn man mit Zivilisten zu tun hat: Es gibt absolut nichts umsonst.

Schließlich knisterte der Lautsprecher wieder. »RSF Karipavo, hier spricht InSpace-Kontrolle. Sie haben Erlaubnis, sich zu nähern und mit Ihren drei Schiffen in den Orbit einzutauchen.«

Gils Anspannung ließ ein wenig nach. Seine schlimmste Angst, die er während des Hyperraum-Transits vom Netz unterdrückt hatte, war die gewesen, dass die Ophelianer mit ihm oder seinen Schiffen möglicherweise gar nichts zu schaffen haben wollten. Das hätte bedeutet, die angeschlagene Lachiel abzustoßen, die Mannschaften auf die Shaja und Karipavo zu verteilen, die Maschinen, Waffensysteme und den Schiffscomputer zu zerstören und das Schiffswrack dann im All treiben zu lassen. Was sie sehr viel Zeit gekostet hätte, bevor sie weiterfliegen konnten. Wenigstens das würde ihm also erspart bleiben.

Die InSpace-Kontrolle sprach derweil weiter.

»Karipavo, Shaja, Lachiel: Treten Sie auf folgenden Bahnen in den Orbit ein …«

Abrupt brach die Stimme ab und fuhr dann in einem etwas veränderten Tonfall fort, als hätte jemand dem Sprecher der InSpace-Kontrolle eine unerwartete neue Information gegeben. Jedenfalls kam es Gil so vor.

»Unterbrechung … Neues Thema. Ein codierter Text ist gerade hereingekommen. Halten Sie sich bereit, ihn zu empfangen. Dieser Text wird nur einmal übermittelt. Ich wiederhole, halten Sie sich bereit, diesen Text zu empfangen. Er wird nur …«

»Alles bereit zur Aufnahme des Textes!«, erwiderte Gil den KommTechs.

Er warf einen Blick über die Schulter auf Jhunnei. Wie üblich war seine Adjudantin präsent. Unter seinem Blick schien sie ebenso leicht aus dem Hintergrund zu materialisieren, wie sie zuvor damit verschmolzen war.

Ich wünschte, ich wüsste, wie sie das fertigbringt, dachte er, wie immer, wenn das passierte. Laut jedoch sagte er: »Wir benötigen für diese Übertragung das Codebuch. Haben Sie es zur Hand?«

Der Lieutenant hielt den handflächengroßen Scanner-Kodierer hoch. »Selbstverständlich, Commodore.«

»Ausgezeichnet«, erklärte Gil. Die InSpace-Kontrolle schickte bereits die Daten mit der orbitalen Umlaufbahn, und die KommTechs gaben ihm ein Blatt mit der kodierten Nachricht.

Der verschlüsselte Text bestand aus mehreren Zeilen mit Buchstaben und Zahlen, die kein erkennbares Muster aufwiesen, jedenfalls nicht in Gils Augen. Jhunnei reichte ihm das Kodiergerät, und er fuhr mit dem Scanner über die Botschaft.

Der Kodierer piepte.

»Ich hab es«, sagte Gil und blickte auf den winzigen Bildschirm des Gerätes, auf dem die entschlüsselte Nachricht stand.

FÜR DEN COMMODORE: MELDEN SIE SICH PERSÖNLICH SO SCHNELL WIE MÖGLICH IN DER BOTSCHAFT. DER BOTSCHAFTER

Gil drückte auf die Löschtaste des Gerätes – der Text verschwand. Dann zerknüllte er das Blatt Papier mit dem kodierten Text, warf es in den nächstgelegenen Recycler und drehte sich zu Jhunnei herum.

»Packen Sie Ihre Reisetasche, Lieutenant. Wir haben eine wichtige Verabredung. Paradeuniform und volles Lametta.«

Mit dem improvisierten Stab in der Hand blieb Klea in der Tür stehen und warf einen letzten Blick auf ihre Wohnung. Das war jetzt bereits das zweite Mal in ihrem Leben, dass sie alles hinter sich zurückließ und sich auf die Suche nach etwas Besserem machte.

»Hoffen wir, dass ich diesmal mehr Glück habe«, murmelte sie leise.

»So etwas wie Glück gibt es nicht«, meinte Owen. »Wir treffen unsere Entscheidungen selbst, sowohl zum Guten als auch zum Schlechten.«

»Klar, und meine Urteilskraft war bisher nicht gerade die beste in der Galaxis.« Sie justierte den Rucksack auf ihrem Rücken, bis er bequemer saß. »Wir sollten gehen, bevor ich noch ganz meinen Mut verliere.«

Sie traten in den Flur und gingen die Treppe zur Straße hinab. Auf halbem Weg zum zweiten Stock blieb Owen plötzlich stehen. Klea wäre beinahe gegen ihn geprallt.

»Was zum Teufel …?«

In dem gedämpften Licht, das von dem Lichtpaneel am oberen Treppenabsatz herrührte, sah sie, dass Owen die Stirn runzelte. Er hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Aber sie hörte nur ihren eigenen Atem und die lauten Schläge ihres Herzens.

»Jemand wartet vor der Haustür auf uns«, erklärte er schließlich.

»Woher weißt du das?«

»Ich kann sie spüren«, erwiderte er. »Was Leute denken und tun, hinterlässt Spuren im Muster der Dinge. Hauptsächlich geht es eigentlich nur darum zu wissen, wo genau man suchen muss.«

Sie nickte, obwohl sie ihn nicht wirklich verstand. Doch sie vermutete, dass sie in diesem neuen Leben, zu dem sie offenbar gerade aufgebrochen war, noch mehr darüber erfahren würde. »Also, was tun wir jetzt?«

»Wir steigen aufs Dach«, antwortete er. »Da gibt es eine Leiter und eine Falltür für den Techniker, der den Aufzug reparieren muss.«

»Solange ich hier wohne, hat noch nie jemand den Aufzug gewartet oder repariert.«

»Umso besser«, erwiderte Owen. »Dann erwarten sie auch nicht, dass dort jemand auftaucht. Also können wir über das Dach gehen und auf der anderen Seite des Hauses über die Feuertreppe wieder hinabsteigen.« Er warf einen Blick die Treppe hinunter und sah dann Klea wieder an. »Du gehst voraus; ich folge dir und passe auf, falls uns jemand verfolgt.«

Klea schluckte. »Klar.«

Die Treppen kamen ihr auf dem Weg hinauf viel steiler und finsterer vor als auf dem Weg hinunter. Auf halber Strecke zum dritten Stock blieb sie stehen und warf einen Blick zurück. Owen war nirgendwo zu sehen; wahrscheinlich blieb er dort und passte auf. So wie er es ja auch gesagt hatte.

Sie packte den Besenstiel fester und stieg weiter die Stufen hinauf. Ihre Schritte hallten laut durch das kahle Treppenhaus. Schließlich erreichte sie den Treppenabsatz im dritten Stock. Noch eine Treppe, dann konnte sie oben an der Leiter zum Dach auf Owen warten.

Doch in diesem Moment trat ein Mann aus den Schatten vor ihr und versperrte ihr den Weg. Er trug einen schwarzen Umhang mit Kapuze, sein Gesicht wurde von einer dunklen Plastikmaske verborgen. Er lachte und hob einen kurzen Stab aus dunklem, mit Stahl umwickeltem Holz. Rotes Feuer zuckte über das Holz, während ihn die rötliche Aura mit einem Nimbus aus glorreichem Licht umhüllte.

»Kleines Mädchen«, sagte er. »Du tust nur so, als wärst du ein Adept. Wenn du alles bist, was Ransome noch zur Verfügung hat, dann ist der Tag unseres Sieges wahrhaftig gekommen.«

Klea hatte Angst, mehr Angst als je zuvor in ihrem Leben. Nicht einmal die düstersten und gemeinsten Straßen hatten ihr so viel Furcht eingeflößt. Aber es war eine merkwürdige, kalte Angst, ohne den so vertrauten Anflug von Panik darin. Der schwarz gewandete Magus machte einen Schritt auf sie zu; unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück.

Dann blieb sie stehen.

Wohin soll ich gehen? Es gibt hier nur Treppen, und an der Haustür wartet ein anderer Mann.

Sie packte den Besenstiel aus Grrch-Holz fester, hielt ihn vor sich und straffte sich. Ein Bild stieg in ihrem Kopf hoch, kühl und merkwürdig, so wie die Furcht: Owen, der ihr die Schritte des Schattentanzes zeigte.

Der Schattentanz, der auch als eine Waffe benutzt werden kann … und der mit einem Stab getanzt werden kann …

… sie bewegte sich ohne zu denken, fiel in die erste Sequenz des Tanzes, hob die Hände und mit ihnen den Stab. Im nächsten Moment, als das Grrch-Holz einen Schlag abfing und abwehrte, brannten ihre Handflächen.

Der Schock riss sie aus ihrer Trance, dann sah sie ein orange-gelbes Licht, das zwar blass, aber nicht zu übersehen war und über ihren Stab lief. Der Magus holte derweil zum zweiten Schlag aus. Verzweifelt suchte Klea in ihrem Gedächtnis nach dem nächsten Schritt des Schattentanzes. Diesmal jedoch fand sie ihn nicht.

Ich werde sterben, dachte sie.

Doch unmittelbar bevor der Stab des Magus auf sie herabsauste, schien der Mann zu schwanken und bog sich nach hinten. Er breitete ruckartig die Arme aus und ließ seinen Stab fallen. Eine Sekunde stand er da, ohne sich zu rühren. Klea hörte ein Knacken; es war zwar nicht laut, doch in der schrecklichen Stille deutlich und unverkennbar. Dann stürzte der Mann wie eine zerbrochene Puppe zu Boden, und das rote Licht um ihn erlosch, während er starb.

Wo noch vor einem Augenblick nur Schatten gewesen waren, sah sie jetzt Owen. Der Leichnam des Magus lag vor seinen Füßen. Klea starrte ihn an und wich unwillkürlich zurück.

»Wie bist du denn dorthin gekommen?«, wollte sie zitternd wissen. »Ich konnte dich nirgendwo sehen. Und was hast du gemacht?«

»Ich habe ihm das Genick gebrochen.« Owen betrachtete den Leichnam des Magus mit eindringlicher, nachdenklicher Miene, die sich sehr deutlich von seinem üblichen, etwas abwesenden Ausdruck unterschied. Er blickte kurz zu ihr hoch.

»Ich bin die ganze Zeit hinter dir gegangen. Du hast mich einfach nicht gesehen, ebensowenig wie er. Als er sich dann voll und ganz auf den Kampf mit dir konzentriert hat, bin ich an euch beiden vorbeigeglitten und habe ihn von hinten erledigt. Das ist hauptsächlich eine Sache von Ablenkung … der Trick ist leicht, verglichen mit einigen anderen Dingen. Ich werde ihn dir später beibringen.«

Er bückte sich, hob den Stab des Magus auf und stellte ihn schräg gegen die Wand. Dann holte er mit dem Fuß aus und trat zu. Der Stab zerbrach in der Mitte, die beiden Stücke fielen klappernd zu Boden.

»Das wäre erledigt«, sagte er. »Gehen wir.«