7. Kapitel

Galcen: Prime Basis
Ninglin: Ruisi Port

General Jos Metadi betrachtete den Miniatur-Handblaster auf seinem Tisch und runzelte die Stirn. Die Energieladung des Blasters lag bei zweiundsechzig Prozent. Das war weit niedriger, als ihm lieb war. Eine längere Auseinandersetzung könnte er damit nicht mehr bestreiten. Die meisten Menschen hätten sich wenig darum geschert, denn wer würde sich schon mit einer kleinen Handfeuerwaffe auf ein längeres Feuergefecht einlassen? Metadi jedoch hatte ja nur darum so lange überlebt, weil er sich niemals eine Nachlässigkeit erlaubte.

Er drückte auf einen Knopf an seinem Schreibtisch. Ein Teil der schwarzen, polierten Oberfläche glitt zur Seite. In der kleinen Vertiefung steckten ein halbes Dutzend winziger quadratischer Akkus, die die SpaceForce zum Beispiel für Klemmbretter und Datenpads benutzte. Er nahm eine heraus, öffnete den Handblaster und tauschte den Akku mit der schwachen Ladung gegen einen frisch Geladenen aus. Dann legte er den alten Akku in den Desktop zum Aufladen und drückte wieder auf den Knopf. Die Nische schloss sich, und Metadi versteckte den Miniatur-Blaster in dem GravClip in seinem Ärmel.

Nachdem dies erledigt war, wandte er sich nun dem Stapel mit Ausdrucken zu, der dringend bearbeitet werden musste. Seine neue Adjutantin, Commander Quetaya, war die Meldungen des Morgens bereits durchgegangen und hatte alles aussortiert, das zufriedenstellend auf unterer Ebene erledigt werden konnte. Metadi wusste aus langer Erfahrung, dass die verbleibenden Meldungen äußerst heikle, geheime und komplexe Probleme betrafen, die zwar nicht unmittelbar zu lösen waren, aber dennoch gründlich bedacht werden mussten – und zwar auf höchster Ebene.

Als hätte ich nicht schon genug zu tun …

Metadi ließ den Blick von dem Stapel mit Ausdrucken zu dem Holowürfel direkt daneben gleiten. Auf drei Seiten des Würfels waren die Fotos seiner Kinder zu sehen: Beka auf der Party zur Feier ihrer Volljährigkeit; Ari in Paradeuniform; Owen im schlichten Gewand eines Lehrlings der Adepten. Auf der vierten, dem General im Augenblick zugewandten Seite, fand sich das holographische Konterfei einer schlanken blonden Frau in der Robe eines Ratsmitgliedes. Sie trug ein Diadem aus schlichtem schwarzem Metall.

Du bist eine harte Verhandlungspartnerin, meine Lady. Wenn ich vor gut dreißig Jahren schon gewusst hätte, wohin dein Job uns führen würde, wäre ich vielleicht nicht so mutig gewesen, ihn anzunehmen.

Domina Perada Rosselin von Entibor blickte ihn vom Holowürfel aus an und sagte kein Wort. In letzter Zeit ertappte sich Metadi immer öfter dabei, dass er sich mit seiner verstorbenen Frau unterhielt, als wäre sie noch an seiner Seite. Das bedeutete wohl, dass er allmählich alt wurde. Vielleicht gab es aber auch nicht mehr genug Menschen, mit denen er wirklich sprechen konnte.

Unsere Familie ist in alle Winde verstreut, erzählte er stumm dem Holopic, und das Haus ist so leer, dass du es nicht mehr wiedererkennen würdest. Ari treibt sich irgendwo zwischen Nammerin und Infabede herum, Beka ist auf der anderen Seite des Netzes und sorgt demnächst bestimmt wieder für Scherereien, ich kenne das Mädchen doch. Und Owen … heutzutage weiß ich nie, wo er sich gerade aufhält und was er tut.

Metadi schüttelte den Kopf. Alles, was Owen herausfindet, geht ohnehin direkt an die Gilde. Wenn ich Errec etwas wissen lassen will, sage ich es ihm lieber selbst, dann versteht er es sofort richtig.

Er schob den Stuhl zurück und erhob sich. »Zum Teufel«, sagte er laut, »Metadi, du musst mal für eine Weile raus aus der Stadt.«

Im Nebenzimmer war die Adjutantin des Generals schon mit dem nächsten Stapel ausgedruckter Nachrichten beschäftigt. Anders als Jervas Gil, dessen Äußeres so unauffällig war, dass er die meiste Zeit nahezu unsichtbar zu sein schien, hinterließ Rosel Quetaya sofort einen bleibenden Eindruck. Sie war apart, und ihre elfenbeinfarbene Haut und die schwarzen, glänzenden Locken verliehen ihr eine auffallende Schönheit. Als der General jetzt ihr Büro betrat, blickte sie auf.

»Commander«, sagte Metadi ohne jede Einleitung, »geben Sie mir eine Liste der Sektoren, die eine unerwartete Inspektion vertragen könnten.«

»Jawohl, Sir.« Quetaya legte die Meldungen beiseite und gab Suchkriterien in ihren Deskcomputer ein. »Es gibt ein breites Spektrum von Möglichkeiten«, sagte sie nach einer Weile. »Möchten Sie die betreffenden Einheiten nur überraschen, oder sollen sie am Ende mit heruntergelassenen Hosen dastehen?«

»Kleinigkeiten interessieren mich nicht«, entgegnete Metadi. »Aber sollte jemand dort draußen ein paar Leichen im Keller versteckt haben, möchte ich, dass das alles ausgegraben und geklärt wird, solange wir dazu noch in der Lage sind.«

»Genau. Wir reden also über eine Der-Zorn-der-Götter-Inspektion.« Sie drückte ein paar Tasten, und schon spuckte der Computer eine Liste aus, die sie dem General aushändigte. »Dies wäre die engere Auswahl aufgrund der verschärften Kriterien.«

Metadi überflog den Ausdruck. »Ha, hier sehe ich etwas, das einen genaueren Blick lohnt. Infabede-Sektor unter dem Kommando von Admiral Vallant. Da steht, dass die letzten fünf Lieutenants, die von der SpaceForce zu Vallant abkommandiert wurden, alle vorzeitig zurückgekehrt wären.«

Quetaya nickte. »Ich habe nach auffälligen Fluktuationsmustern gesucht.«

»Gut gemacht. Vielleicht liegt es nur an der Verpflegung auf Admiral Vallants Flaggschiff … was jedoch eher unwahrscheinlich ist.« Außerdem ist Ari auf dem Weg von Nammerin zur Fezzy. Wenn es dort also Probleme gibt, dann landet er mitten im dicksten Schlamassel. Der Junge zieht Schwierigkeiten an wie ein Baum den Blitz. Ich hätte Ferrda erlauben sollen, ihn auf Maraghai zu behalten. »Wir fliegen nach Infabede und werden es herausfinden.«

»Jawohl, Sir«, entgegnete Quetaya. »Soll ich den Reisebefehl ausfertigen?«

»Damit jeder in der Galaxie weiß, wohin ich fliege? Ich denke, lieber nicht.«

Quetaya sah den General zweifelnd an. »Die Bestimmungen besagen …«

»Ich kenne diese verdammten Bestimmungen selbst, schließlich habe ich sie verfasst«, fiel Metadi ihr ins Wort. »Jedenfalls den ersten Entwurf. Also … besorgen Sie mir eine Liste aller Raumschiffe, die sich in einem nahen Orbit oder direkt auf Galcen Prime befinden.«

»Jawohl, Sir«, erwiderte Quetaya. Sie wandte sich zum Computer um, drückte ein paar Tasten, und schon erschien eine zweite Liste. »Die Abflugzeiten für alle verfügbaren Raumschiffe.«

Der General überflog die Liste. »Da«, sagte er und deutete mit dem Finger auf einen Namen. »RSF Selsyn-bilai. Ein Frachtschiff mit Vorräten für Infabede. Sie dürfte genügen. Stellen Sie eine sichere Verbindung mit dem KO der Basis her, damit der nicht durchdreht, wenn man mich plötzlich vermissen sollte.« Der General lachte. »Es ergibt wohl wenig Sinn, unbemerkt zu entwischen, wenn wir damit eine Fahndung in der gesamten Galaxie auslösen. Das würde unserem Inkognito nicht gerade guttun.«

Quetaya schaute auf, während sie einen Code in das Funkgerät eingab. »Inkognito?«

»Genau«, antwortete Metadi. »Wenn hohe Tiere auf Besuch gehen, bekommen sie nie etwas von den wirklich schmutzigen Sachen mit. Das landet bei den Flag-Lieutenants und Unteroffizieren und wird dann schleunigst vergessen. Ich will ein paar Tage in Vallants Territorium herumschnüffeln, bevor ich offiziell in Erscheinung trete.«

»Irgendjemand dürfte Sie mit Sicherheit erkennen«, protestierte Quetaya. »Ihr Foto hängt schließlich überall.«

»Die Leute achten doch gar nicht auf das Gesicht, sie sehen nur die Uniform. Und wenn Technik-Sergeant Bandur zufällig General Metadi aus den Holonachrichten sehr ähnelt … es ist eben eine große Galaxie. Und Bandur hätte sicher nichts dagegen, das Gehalt des Generals zu beziehen statt seines eigenen.«

»Verstehe«, antwortete Quetaya. »Ich besorge Ihnen die richtige Uniform und eine Identifizierungsnummer auf den Namen Gamelan Bandur.«

»Tun Sie das, und denken Sie sich auch gleich einen Namen für sich selbst aus, wenn Sie schon mal dabei sind.« Das Signal der Funkverbindung ertönte, und Metadi nahm den Hörer auf. »Metadi.«

»Guten Morgen, General, Sir.« Der Kommandierende Offizier der Prime Basis schien ein wenig überrascht zu sein, die Stimme des Generals zu dieser frühen Stunde auf der sicheren Leitung zu hören. »Gibt es Probleme, von denen ich wissen sollte?«

»Nein, keine Probleme, Perrin. Ich habe mir ein wenig Urlaub bewilligt. Sollte irgendetwas anliegen, erledigen Sie das.«

»Ich kümmere mich darum, Sir. Jawohl!«, erwiderte der KO. »Genießen Sie Ihren Urlaub, General.«

»Das wäre also geregelt«, meinte Metadi, nachdem er die Verbindung unterbrochen hatte. »Auf geht’s! Die Selsyn springt um 1149.45 Standard aus dem Orbit. Bis dahin müssen wir an Bord sein, und zwar mit Transitbefehlen für … stellen Sie diese Befehle für das Versorgungsdepot auf Treidel aus.«

Sobald Commander Quetaya verschwunden war, um sich um die Uniformen und die Ausweise zu kümmern, streckte Metadi die Hand aus und drückte eine Taste auf der Funkkonsole. »Hier Metadi«, meldete er sich, sobald die Verbindung hergestellt war. »Stellen Sie mich zum Refugium durch. Und nehmen Sie eine sichere Verbindung.«

»Sichere Verbindung, verstanden«, antwortete die Stimme am anderen Ende.

Dann klickte und piepte es, bis ihn eine synthetische Stimme informierte, dass eine Verbindung zur Zentrale des Refugiums hergestellt sei und er seinen Code eingeben möge, um eine Nachricht zu hinterlassen.

»Private Nachricht für den Meister der Gilde Errec Ransome«, antwortete Metadi.

»Bitte geben Sie Ihren Authentifizierungscode ein.«

Metadi gab die Sequenz für Ransomes private Mailbox ein. Er überlegte kurz, ob er den persönlichen Code benutzen sollte, mit dem er innerhalb von Minuten eine direkte Sprechverbindung zu Errec Ransome auf Galcen herstellen konnte, entschied sich aber dagegen. In den letzten fünf Jahren hatte er diesen Code nur zweimal benutzt, einmal als ihn die Nachricht erreichte, dass Beka angeblich mit der Warhammer vor Port Artat verunglückt sei, und dann noch in jener Nacht, als Perada gestorben war.

Es ist sinnlos, einen jungen Menschen verrückt zu machen, der zufällig gerade heute Morgen damit beauftragt worden ist, das Funksystem des Refugiums zu überwachen, überlegte er und hinterließ stattdessen eine Sprachnachricht.

»Errec, hier spricht Jos. Du brauchst eine Weile nicht nach mir zu suchen … ich werde nicht hier sein. Ich melde mich, sobald ich zurück bin. Metadi Ende.«

Er schaltete die Verbindung aus. Dann ging er in sein Büro zurück, holte die Uniformjacke aus dem Schrank und entfernte die Bänder und Kragenspiegel. Mit den entsprechenden Abzeichen eines technischen Sergeants, die seine Adjutantin gerade besorgte, würde die Jacke genauso gut Gamelan Bandur passen wie Jos Metadi. Die Selsyn-bilai war so groß, dass er als einer von vielen Armeeangehörigen durchgehen würde, die sich im Transit befanden – und die Sergeants hatten bestimmt ihre eigene Messe. Sergeant Bandur ging also nicht das Risiko ein, in der Offiziersmesse auf jemanden zu treffen, der den General persönlich kannte.

Einige Zeit später kehrte Commander Quetaya zurück, trug die Uniform eines Unteroffiziers und hatte ein ganzes Sortiment von Abzeichen, Namensschildern, Ausweisen und Reisebefehlen dabei.

»Alles klar«, sagte sie. »Ich habe den Büroangestellten auf einen Botengang ins Archiv geschickt und die Befehle und Namensschilder selbst geschrieben.«

»Gut«, entgegnete Metadi. »Ich wusste doch, es gab einen Grund, dass ich Sie dem Geheimdienst abgeworben habe. Haben Sie sich schon entschieden, wer Sie auf der Reise sein werden?«

Sie winkte mit einem gewissen Ausdruck. »Dem hier zufolge«, erwiderte sie, »bin ich Computertechnikerin Erster Klasse Ennys Pardu und soll die technischen Anlagen auf Treidel instand halten.«

»Sehr gut. Jetzt brauchen wir nur noch einen Bodentransfer zu den Docks, dann geht es ab in den Weltraum.«

Mit ihren neuen Uniformen begaben sich der General und Commander Quetaya zum Transitdeck, das unterhalb des Hauptquartiers lag. Von dort aus ging es mit dem nächsten Gleitpod zur Orbitabflughalle des Haupthafens. Die Flachbildschirme an den Wänden verzeichneten die Shuttles zu und von den diversen Raumschiffen, die sich zurzeit im Orbit befanden. Darunter war einer, der um 1149.45 Standard zur Selsyn-bilai flog, die Kurs auf Treidel nehmen würde.

Metadi und Quetaya erledigten jeder für sich die notwendigen Formalitäten. Die Befehle und die falschen Ausweise wurden bei der offiziellen Kontrolle nicht beanstandet. Commander Quetaya hatte gründlich gearbeitet, und wenig später saßen ein Technik-Staff-Sergeant und eine Computertechnikerin Erster Klasse mit ungefähr zwanzig weiteren Fahrgästen an Bord des Shuttles. Kurz danach hob die Maschine von Galcen ab.

Der Pilot beschleunigte sehr weich und flog sehr präzise in die Umlaufbahn. Aber dennoch juckte es Metadi in den Fingern. Seit Jahren hatte er bei einem Start nie woanders gesessen als auf dem Sitz des Piloten oder zumindest in unmittelbarer Nähe. Im Passagierabteil zu hocken gefiel ihm absolut nicht.

Zuerst dockten sie bei der RSF Margaraine an, wo acht Passagiere das Raumschiff unter künstlicher Schwerkraft verließen. Dann löste sich das Shuttle wieder und glitt in den nächsten und, wie Metadi wusste, höheren Orbit. Kurz danach machten sie mit einem Klicken des magnetischen Ankers an der Selsyn-bilai fest. Erneut passten sich die Belüftungssysteme an den Druck an. Metadi und Quetaya lösten die Gurte und gingen zusammen mit einem Lieutenant-Commander in einem Blaumann, mit drei Spacern und einem Flag-Lieutenant mit einem flachen Werkzeugkoffer durch den Verbindungsgang zum Quarterdeck der Selsyn.

Der Wachhabende war ein junger Lieutenant, dem ein Computertechniker und ein Melder zur Seite standen. Als die sieben Neuzugänge den Raum betraten, hakte der Techniker auf einem Flachbildschirm jeden einzeln ab.

»Wie war’s denn hier so, Arlie?«, erkundigte sich der Lieutenant-Commander, als er aus dem Gang trat.

»Ganz entspannt«, antwortete der Lieutenant. »Und so soll es auch bleiben. Wie war der Urlaub?«

»Hervorragend. Gut, ich verschwinde jetzt und lass dich hier in Ruhe arbeiten. Bis später.«

Auch die drei Spacer und der Flag-Lieutenant schienen dem Team auf dem Quarterdeck gut bekannt zu sein. Der junge Offizier fertigte sie schnell ab und wandte sich dann den beiden Durchreisenden zu – Metadi und Quetaya.

»Ich habe Sie beide nicht auf der Passagierliste«, sagte er. »Sind Sie sicher, dass Sie sich auf dem richtigen Raumschiff befinden?«

Metadi zeigte ihm die Befehle und die Ausweise. »Ich habe Befehl, auf dem schnellstmöglichen Weg nach Treidel zu reisen.«

Auf ein Zeichen des Lieutenants hin ließ der Techniker die erste Seite der Befehle durch den Scanner laufen, dann die Ausweise. Der Scanner piepte zweimal.

»Alles in Ordnung«, sagte der Techniker.

»Gut.« Der Lieutenant wandte sich an den Melder. »Bringen Sie Mr. Bandur zur Versorgungsabteilung, und geben Sie ihm eine Koje.« Dann sagte er zu Metadi: »Willkommen an Bord, Sir. Ich melde dem Chefingenieur Ihr Eintreffen, damit er Sie auf die Wachliste setzen kann. Der Captain duldet keine Passagiere, die nicht mitarbeiten.«

»Das geht völlig in Ordnung«, sagte Metadi. »Ich sitze auch nicht gern untätig herum.«

In einer verräucherten Kneipe in Ruisi, der Hafenstadt von Ninglin auf der Magierweltseite des Netzes, streckte Nyls Jessan seine langen Beine aus und lehnte sich auf seinem Sitz zurück. Seine Schultern berührten eine Wand, was ihn eindeutig beruhigte, seit er für Tarnekep Portree arbeitete. Wirklich entspannen konnte er sich in diesen Tagen jedoch nie. Schon vor Monaten hatte er dieses sichere Gefühl von Entspanntheit verloren, seit jener Nacht auf Pleyver nämlich, als die Medizinische Station explodierte und Beka Rosselin-Metadi in sein Leben getreten war.

Die Kneipe war heute gut besucht, hauptsächlich von Spacern aus der Republik. Dazwischen mischten sich auch einige Ruisianer. Eine Band aus der Gegend stand auf der Bühne. Die Musiker spielten auf Instrumenten, die Jessan unbekannt waren, und eine junge Frau von den Magierwelten sang in der ungehobelten Sprache, die hier üblich war. Jessan zupfte an der grünen Papierblume, die das Glas vor ihm zierte. Der Barkeeper hatte die vierblättrige Blüte aus einem einzigen Stück Papier gefaltet und sie dann auf den schieferfarbenen Drink gesetzt.

Ein barbarischer Planet, dachte Jessan. Er rettete die aufgeweichte Blume, bevor sie in seinem Drink versinken konnte, und legte sie zum Trocknen auf eine Serviette. Ein kleines Kunstwerk als Deko für billigen Alkohol zu verschwenden!

Eine Frau, die außer blauen Pailletten sehr wenig am Körper trug, setzte sich auf den leeren Stuhl neben Jessan. »Hallo Spacer, bist du neu in der Stadt? Möchtest du ein bisschen Spaß haben?«

»Hab ich schon mal probiert«, erwiderte Jessan. »Hat mir nicht gefallen.«

Die Frau zuckte mit den Schultern, was durch ihre Pailletten einen interessanten Effekt hatte, und ging zum nächsten Tisch. Jessan nippte an seinem Drink, der nach purem Alkohol schmeckte, und hörte den eigenartigen Tönen und Rhythmen der fremdartigen Musik zu.

Der Song endete, und ein neuer begann in dem Augenblick, als sich ein Mann neben ihn auf den Stuhl setzte, den die Frau gerade verlassen hatte. »Haben Sie das Schiff gebracht?«, fragte der Fremde ohne jede Einleitung.

Gut, dachte Jessan, ohne sich seine Erleichterung anmerken zu lassen. Der Erkennungscode hat funktioniert.

Er nickte. »Es liegt unten im Hafen.«

»Alles klar.« Der Mann lehnte sich auf seinem Sitz zurück. Er war kleiner als Jessan, dunkel und drahtig, mit einem schmalen Schnauzbart und scharfen, wachsamen Augen. »Verstehen Sie, was die da singen?« Er deutete mit einem Nicken zur Bühne.

»Nein.«

»›Mein Name ist nichts Besonderes, ich werd’ ihn dir nicht verraten‹«, übersetzte der Mann. »›Ich bin ein Fremder in der Welt, in die ich hineingeboren wurde.‹« Er legte eine Pause ein. »Die hassen uns, ist Ihnen das klar?«

»Das habe ich bereits gehört.«

Uns hatte der Mann gesagt. Er gab also zu, ein Bürger der Republik zu sein. Zumindest behauptete er dies. Soweit Jessan es beurteilen konnte, hatte er den richtigen Akzent. Das war gut. Seit Jessan das Raumschiff verlassen hatte, befürchtete er, eine Sprache sprechen zu müssen, die er nicht beherrschte.

Die Logik sagte ihm jedoch, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Der Attentäter an Bord der Warhammer hatte Galcenisch gesprochen, selbst in der größten Not. Und die Erkennungsformel, die er preisgegeben hatte, deutete auf ein Treffen mit einem Fremden hin. Aber Logik allein reichte nicht, um seine Nerven zu beruhigen. Sie waren von der makabren Befragung des Toten weiter angespannt. In diesen letzten sechs Minuten, in denen das Gehirn noch funktionierte, hatte Jessan so viele Fragen wie möglich gestellt und dabei beobachtet, wie sich die Anzeige änderte, wenn die Signale durch die Induktionsschleife am Hals des Attentäters Gedanken in Worte verwandelten und diese der Wahrheit entsprachen. Aber sechs Minuten reichten nicht aus. Das wusste er.

Es sind immer die Dinge, nach denen du nicht mehr fragen konntest, die irgendwann wieder auftauchen und dich einmal das Leben kosten werden.

Ohne Vorwarnung ging das Licht an, und die Musik endete abrupt. Jessan blinzelte in das blendende Licht hinein und entdeckte eine Gruppe Polizisten an der Tür. Ein weiterer Uniformierter blockierte den Hinterausgang. Die Unterhaltung an den Tischen endete ganz plötzlich, und niemand bewegte sich mehr.

»Verdammt, das sind die Pemies!«, stieß der Fremde hervor. »Ich hoffe, Sie haben gültige Papiere.«

Jessan nickte und behielt die Truppe im Auge. Nach den Informationen des Computers auf der Warhammer waren die Pemies Einheimische, die von der Republik beschäftigt wurden, um den Frieden und die Ordnung im Namen des Gouverneurs des Planeten aufrechtzuerhalten. Zu Hause auf Khesat würde ich eine solche Konstellation nicht gerade gutheißen. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, was für Rekruten sie hier für diesen Job bekommen.

Die Pemies postierten einen Mann an der vorderen Tür und einen weiteren an der Hintertür. Die übrigen vier verteilten sich und gingen von Tisch zu Tisch, um die Ausweise zu kontrollieren. Niemand wagte es zu widersprechen. Schließlich kamen sie auch zu dem Tisch, an dem Jessan saß. Der Fremde zog eine Karte heraus und legte sie auf den Tisch. Jessan zeigte ebenfalls seinen Ausweis, er stammte von dem Attentäter auf der Warhammer, nur das Foto war geändert worden. Die beiden Pemies sahen es sich kurz an.

»Sie da«, befahl einer der Polizisten mit einem schweren galcenischen Akzent. »Aufstehen!« Der Kollege trat einen Schritt zurück und senkte die Hand zum Griff seiner Waffe, einer chemischen Energiewaffe, wie Jessan sofort bemerkte, und kein Blaster, wie es auf der anderen Seite des Netzes üblich war.

Jessan legte den Ausweis auf den Tisch und erhob sich langsam. Chemische Energiewaffen waren unhandlich, laut und verfügten nur über wenige Ladungen, aber sie töteten genauso gut wie ein Blaster.

»Hände hoch.«

Er hob die Hände.

»Drehen Sie sich um.«

Jessan drehte sich mit dem Gesicht zur Wand, es prickelte zwischen den Schulterblättern, da ihm jetzt der Schutz der Wand fehlte. Hände griffen nach seinem Gürtel, rissen den Blaster aus dem Holster, dann tasteten ihn die Hände ab und fanden auch die Waffe in seinem Ärmel.

»Haben Sie Genehmigungen dafür?«

»Die liegen auf dem Tisch.«

»Wir müssen überprüfen, ob Sie in ein Verbrechen verwickelt sind. Kommen Sie morgen ins Hauptquartier, wenn Sie die Waffen zurückhaben wollen.«

Jessan drehte sich zu den beiden Pemies herum. Sein Blaster und die Ärmelwaffe steckten schon im Gürtel des ersten Polizisten. »Ich möchte eine Quittung für meine Waffen.«

Bevor der Polizist antworten konnte, sprang ein Mann an einem der hinteren Tische auf. Er rannte zur Hintertür und rammte dem dort stehenden Pemi seine Schulter in den Magen. Der Mann sank zu Boden. Einer der Männer, die vor Jessan standen, zog seine Waffe und feuerte. In dem geschlossenen Raum klang dieser Schuss furchterregend laut. Dann sprinteten alle Pemies dem fliehenden Mann hinterher.

»Kommen Sie«, sagte der Fremde. Jessan konnte ihn wegen eines starken Klingelns in seinen Ohren kaum hören. »Wir müssen hier raus.«

Sie gingen durch die Vordertür. »Was sollte das Ganze?«, fragte Jessan, sobald sie die dunkle Straße erreicht hatten und in Richtung des Raumhafens liefen.

»Die Pemies unterdrücken jedes Anzeichen von Umsturz und Unruhe und untersuchen Verstöße gegen den Frieden«, antwortete der Mann. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, warum die Leute nicht gern mit denen reden wollen. Ich nehme an, Sie können mir jetzt Ihr Schiff zeigen.«

»Sicher«, entgegnete Jessan. »Alles klar.«

Insgeheim fragte er sich, ob er nicht eine sofortige Bezahlung verlangen und dann einfach verschwinden sollte. Er hatte von dem Attentäter in seinen letzten sechs Minuten nämlich nicht erfahren, wann die Bezahlung stattfinden sollte. Diese gehörte zu den wichtigen Fragen, die er nicht mehr hatte stellen können.

Hoffentlich verderbe ich mir das Spiel nicht dadurch, dass ich zu spät mein Geld verlange. Oder zu früh.

Für den Rest des Weges bis zum Hafen nahmen sie sich einen der hiesigen Jitneys – mit Rädern, ohne Nullgravs und mit einer sehr lauten Maschine. Äußerlich blieb Jessan während der Fahrt gelassen und zeigte nur beiläufiges Interesse, innerlich jedoch machte er sich Sorgen.

Diese Razzia passte zu gut. Vielleicht war alles nur inszeniert, um einen Blick auf meinen Ausweis werfen zu können oder um mich zu durchsuchen und zu entwaffnen, bevor wir zum Schiff zurückkehren. Der Schnauzbart da neben mir hat damit gerechnet, dass ich hier auftauche. Wenn nicht heute Nacht, dann in einer der nächsten Nächte.

Jessan erlaubte sich ein leises Lächeln. Wenn der Fremde jetzt damit rechnete, es mit einem unbewaffneten Mann in einem verlassenen Raumschiff zu tun zu haben, erwartete ihn eine äußerst unerfreuliche Überraschung.

Besuchern zeigte das Hauptquartier der SpaceForce auf Galcen eine imposante Fassade, die dem Architekten mehrere bedeutende Preise eingebracht hatte. In den oberen Stockwerken, in denen die normalen Bürger ihren Geschäften nachgingen, herrschte gewöhnlich große Betriebsamkeit. Kaum ein Besucher wagte sich in das Kellergeschoss, in dem sich das Ausrüstungslager befand. Es war ein hässlicher, hallender Betonraum. Die Anlieferungsfahrzeuge fuhren durch einen Hintereingang ein und aus, und die niederen Zivilangestellten stellten hier bei schlechtem Wetter ihre Hovercars ab. Der zerkleinerte und zerschredderte Abfall, der in dem Gebäude anfiel, wurde ebenfalls an dieser Stelle gesammelt und zum Recyceln sortiert.

In dieser Woche hatten die Mitarbeiter der Security Ryx und Tarrey die Aufgabe, den Raum SB-2 in regelmäßigen Abständen zu kontrollieren. Es war ein langweiliger Job und für diejenigen Mitarbeiter reserviert, die auf der Abschussliste des Chefs standen. Er war ganz ungefährlich, bot keine Möglichkeit, etwas durcheinanderzubringen oder sich irgendwie auszuzeichnen. Es musste einfach jemand an den Türen entlanggehen und daran rütteln, um seine Anwesenheit zu demonstrieren.

Im Augenblick ging die einzig sichtbare Aktivität in dem Gewölbe von dem automatischen Müllfahrzeug aus, das sich kontinuierlich nach vorn bewegte. Es war eine fast vier Meter hohe, schwere, kantige Maschine. Sie schwebte auf Hochleistungsnullgravs mehrere Zentimeter über dem Boden, die langen Roboterarme hoben die Mülltonnen an und entleerten sie in den Ladetrichter, wo der Müll dann sortiert wurde. Später würden die Tonnen von Heerscharen von Robotern gefüllt, die die kleineren Müllbehälter in den oberen Etagen leerten. Alles, was im Hauptquartier weggeworfen wurde, landete schließlich unten im Gewölbekeller SB-2.

»Das gibt einem doch zu denken, oder?«, sagte Ryx, der gelegentlich philosophische Anflüge hatte. »All diese wichtigen Menschen und Konferenzen da oben – und am Ende landet doch alles als Müll hier unten.«

Tarrey brummte. »Auf jeden Fall das meiste.«

Die beiden Angestellten beobachteten, wie der Roboterarm der Maschine eine Mülltonne anhob, den Inhalt in den offenen Trichter beförderte und die leere Tonne dann wieder absetzte. Eine zweite und eine dritte Tonne wurden angehoben, geleert und zurückgestellt. Der Arm griff nach der vierten …

»He! Moment mal!«

Ryx schoss durch die leere Halle und drückte den Alarmschalter des Müllfahrzeugs. Sein Kollege folgte ihm verwundert.

»Was soll das?«, fragte Tarrey. Das Müllfahrzeug stand still, und die letzte Mülltonne hing halb geleert über dem Trichter. Etwas Papier und Pappe flatterte noch herunter.

»Ich glaube, da ist etwas in den Behälter gefallen.«

»Ja, die Cha-Becher von gestern.«

»Nein, dafür war es zu groß. Hilf mir die Leiter hoch.«

Ryx kletterte die Notfallleiter an der Seite des Müllfahrzeugs hoch. Er blickte hinein, holte einmal tief Luft und zog dann sein Funkgerät heraus.

»Zentrale, hier ist Patrouille zwei-null. Es gibt Indizien für ein Gewaltverbrechen, untere Ebene Sektion Delta, Gewölbe SB-2.«

»Was ist denn los?«, rief Tarrey von unten.

»Hier ist ein Verbrechen passiert«, schrie Ryx zurück. »Sperr den ganzen Bereich ab.« Dann hob er das Funkgerät wieder an die Lippen. »Fordern Sie das Einsatzkommando für Kapitalverbrechen an, die Spurensicherung und einen Pathologen. Verdacht auf Mord.«

Dann fummelte er in seiner Jacke herum und zog den Taschen-Holocorder heraus, den alle Security-Mitarbeiter auf Streife mitführten. »Wird Zeit, dass ich alles aufnehme und so die Beweise sichere«, murmelte er und richtete den Holocorder auf den Inhalt des Behälters.

Sein Zufallsfund hatte sich nicht in Luft aufgelöst. Der Sucher zeigte es klar und viel zu deutlich: Der Körper gehörte zu einer Frau in der Uniform der SpaceForce, ihrem Namensschild und Kragenabzeichen nach war sie eine gewisse Commander Quetaya. An der Schulter hing die goldene Tresse einer Offiziersadjutantin, und in der Mitte der Stirn befand sich der verkohlte Kreis einer Blasterwunde.