24

Der King hastete durch den Dschungel. Je mehr er sich dem Lager näherte, desto vorsichtiger wurde er, bis er eine Stelle erreicht hatte, die der amerikanischen Baracke direkt gegenüberlag. Er legte sich auf den Boden, gähnte zufrieden und wartete, bis er über den Weg laufen, unter dem Stacheldrahtzaun durchschlüpfen und wieder in die Geborgenheit der Baracke huschen konnte. Das restliche Geld beulte seine Taschen aus.

Er war allein zum Dorf gegangen. Peter Marlowe war noch nicht wieder kräftig genug, um mit ihm zu gehen. Er hatte sich mit Cheng San getroffen und ihm den Diamanten übergeben. Dann war ein Fest gefeiert worden, und er war zu Kasseh gegangen, und sie hatte ihn willkommen geheißen.

Das Morgengrauen kündigte eben den neuen Tag an, als sich der King unter dem Stacheldrahtzaun durch und in die Baracke schlich. Erst als er sich ins Bett legte, entdeckte er, daß seine schwarze Kiste fehlte.

»Himmel, Hölle, ihr blöden Hunde!« schrie er durchdringend. »Kann man sich denn überhaupt nicht auf euch verlassen?«

»Himmel, Arsch und Wolkenbruch«, fluchte Max. »Vor ein paar Stunden war sie noch da. Ich bin nur aufgestanden und mal schnell zur Latrine gegangen.«

»Scheiße, und wo ist sie jetzt?«

Aber keiner der Männer hatte etwas gesehen oder gehört.

»Hol Samson und Brant«, fuhr der King Max an.

»Himmel«, erwiderte Max, »es ist noch zu früh …«

»Ich habe gesagt, du sollst sie holen!«

Nach einer halben Stunde erschien Oberst Samson naßgeschwitzt vor Furcht. »Was ist denn los? Sie wissen doch, daß man mich hier nicht sehen darf.«

»Irgendein Schweinehund hat meine Kiste gestohlen. Sie sollen helfen herauszukriegen, wer es war.«

»Wie kann ich …«

»Ist mir schnuppe«, unterbrach der King. »Hören Sie sich einfach unter den Offizieren um. Sie bekommen so lange keinen Zaster mehr, bis ich weiß, wer es getan hat.«

»Aber Korporal, ich habe doch nichts damit zu tun.«

»Sobald ich es weiß, bekommen Sie wieder Ihre wöchentliche Zahlung. Verschwinden Sie jetzt.«

Ein paar Minuten später kam Major Brant und wurde auf die gleiche Weise abgefertigt. Sobald er gegangen war, richtete der King sich etwas zum Frühstück, während die übrigen Barackenbewohner das Lager durchkämmten. Er hatte eben zu essen aufgehört, als Peter Marlowe die Baracke betrat. Der King erzählte ihm vom Diebstahl der schwarzen Kiste.

»Das ist verfluchtes Pech«, meinte Peter Marlowe.

Der King nickte und zwinkerte ihm dann zu. »Spielt keine Rolle. Ich habe von Cheng San den restlichen Zaster bekommen – wir haben also jede Menge. Ich habe nur gedacht, es ist an der Zeit, etwas den Daumen draufzuhalten. Die Burschen sind nachlässig geworden, und es geht hier ums Prinzip.« Er reichte ihm ein kleines Bündel Geldscheine. »Hier ist Ihr Anteil vom Diamanten.«

Peter Marlowe brauchte das Geld dringend. Aber er schüttelte den Kopf. »Behalten Sie es. Ich schulde Ihnen viel mehr, als ich Ihnen je zahlen kann. Und außerdem haben Sie ja auch das Geld für die Medikamente vorgestreckt.«

»Also gut, Peter. Aber wir sind immer noch Partner.«

Peter Marlowe lächelte. »Gut.«

Die Falltür öffnete sich, und Kurt kletterte in den Raum hinauf.

»Siebzig, bis jetzt«, verkündete er.

»Hä?« machte der King.

»Heute ist G-Tag.«

»Gottverdammt«, fluchte der King. »Das hatte ich glatt vergessen.«

»Ganz gut, daß ich es nicht vergessen habe, was? In einigen Tagen werde ich wieder zehn schlachten. Es hat keinen Sinn, die Männchen zu füttern. Fünf oder sechs sind groß genug!«

Dem King wurde es fast übel, aber er erwiderte: »In Ordnung. Ich werde Timsen Bescheid sagen.«

Als Kurt gegangen war, sagte Peter Marlowe: »Ich glaube nicht, daß ich in den beiden nächsten Tagen vorbeikommen kann.«

»Was soll das?«

»Ich glaube, es ist besser. Wir können das Rundfunkgerät nicht mehr verstecken. Wir drei haben deshalb beschlossen, immer in der Nähe des Bungalows zu bleiben.«

»Sind Sie lebensmüde? Schaffen Sie das gottverdammte Ding weg, wenn Sie glauben, daß Sie entdeckt worden sind. Wenn Sie dann verhört werden – streiten Sie es ab.«

»Daran haben wir selbst schon gedacht, aber unser Gerät ist das einzige Radio, das übriggeblieben ist, deshalb wollen wir es in Betrieb halten, solange wir nur können. Mit ein wenig Glück werden wir schon nicht erwischt.«

»Kümmern Sie sich lieber zunächst mal um sich selbst, Kamerad.«

Peter Marlowe lächelte. »Ja, ich weiß. Deshalb komme ich eine Weile nicht hierher. Ich möchte Sie nicht in irgend etwas hineinziehen.«

»Was werden Sie tun, wenn Yoshima auf Sie zukommt?«

»Davonlaufen.«

»Um Himmels willen, wo wollen Sie hinlaufen?«

»Besser irgendwohin laufen als einfach herumsitzen.«

Dino, der gerade Wache hatte, steckte den Kopf zur Tür herein. »Entschuldigung, aber Timsen ist unterwegs hierher.«

»Gut«, sagte der King. »Ich werde ihn empfangen.« Er wandte sich wieder Peter Marlowe zu. »Es geht um Ihren Hals, Peter. Ich rate Ihnen, werfen Sie das Ding weg.«

»Wir würden es ja gern tun, aber wir können nicht.«

Der King wußte, daß er hier nichts ausrichten konnte.

»Hallo, Kamerad«, grüßte Timsen und trat ein, und sein Gesicht war vor Zorn angespannt. »Hab gehört, du hast scheußliches Pech gehabt, stimmt's?«

»Ich brauche neue Wächter, soviel steht fest.«

»Mensch, und mir geht es genauso«, erklärte Timsen wütend. »Die Banditen haben deine schwarze Kiste unter meine verdammte Baracke geworfen. Unter meine Baracke!«

»Was?«

»Ja. Sie liegt da. Unter meiner Baracke, leer und wie blank geleckt. Verdammte Hunde. Es ist die Wahrheit. Kein Aussie würde sie stehlen und unter meine Baracke werfen. Nein, Sir. Muß ein Pommy oder Yankee gewesen sein.«

»Wer zum Beispiel?«

»Keine Ahnung. Ich weiß nur, daß es keiner von meinen Leuten gewesen ist. Verdammt, das schwöre ich dir.«

»Ich will dir glauben. Aber du kannst es überall wissen lassen – ich zahle tausend Dollar für einen Hinweis, wer meine Kiste geklaut hat.«

Der King griff unter sein Kopfkissen und zog absichtlich den Stapel Banknoten hervor, den Cheng San ihm bei Abschluß des Kaufes gegeben hatte. Er zählte dreihundert Dollar ab und hielt sie Timsen hin, der mit weitaufgerissenen Augen auf den ungeheuren Stapel starrte.

»Ich brauche etwas Zucker, Kaffee und Öl – vielleicht eine oder zwei Kokosnüsse. Erledigst du das?«

Timsen nahm das Geld, er war unfähig, die Augen von dem restlichen Stapel Geldscheine loszureißen. »Du hast den Kauf abgeschlossen, stimmt's? Heiliges Kanonenrohr. Ich hätte nie geglaubt, daß du es schaffen würdest. Aber du hast es geschafft, stimmt's?«

»Klar«, bestätigte der King lässig. »Ich habe genug, um es ein oder zwei Monate auszuhalten.«

»Verdammt, ein ganzes Jahr, Kamerad«, sagte Timsen überwältigt. Er drehte sich um und ging langsam auf die Tür zu, lachte dann plötzlich auf und sah zurück. »Eintausend, he? Ich glaube, damit kann man schon was machen, oder?«

»Ja«, antwortete der King. »Nur eine Frage der Zeit.«

In einer Stunde hatte sich die Nachricht von der Belohnung schon im ganzen Lager verbreitet. Augen begannen mit neuem Interesse zu beobachten, Ohren waren darauf abgestimmt, das vom Wind herangetragene Geflüster zu erlauschen. Gedächtnisse wurden durchsucht und immer wieder durchsucht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Tausender abgefordert werden würde.

Als der King an diesem Abend durch das Lager ging, fühlte er wie nie zuvor den Haß und den Neid und die Härte der Augen. Es löste in ihm Wohlbehagen aus, ja geradezu ein Hochgefühl, denn er wußte, sie alle wußten, daß er einen gewaltigen Stapel Geldscheine besaß, während sie nichts besaßen, sie wußten, daß von ihnen allen nur er es wirklich geschafft hatte.

Samson besuchte ihn und Brant – und viele andere –, und obwohl ihm von ihrer Speichelleckerei ganz übel wurde, gefiel es ihm doch ungeheuer, daß sie es zum erstenmal in aller Öffentlichkeit taten. Er ging an der Militärpolizeibaracke vorbei, und selbst Grey, der davorstand, erwiderte nur seinen zackigen Gruß und rief ihn nicht zur Durchsuchung in die Baracke. Der King lächelte vor sich hin, denn er wußte wohl, daß selbst Grey an den Stapel Geldscheine und die Belohnung dachte.

Nichts konnte dem King jetzt etwas anhaben. Der Geldstapel bedeutete Sicherheit und Leben und Macht. Und sie gehörten allein ihm.