16

V-E-Tag, der Tag des Sieges in Europa, kam, und die Männer Changis waren in gehobener Stimmung. Aber es war nur ein anderes Heute und berührte sie eigentlich nicht. Das Essen war das gleiche, der Himmel der gleiche, die Hitze die gleiche, die Krankheiten die gleichen, die Fliegen die gleichen, das Dahindämmern das gleiche. Grey beobachtete und wartete noch immer. Sein Spion hatte ihn benachrichtigt, daß der Diamant bald den Besitzer wechseln würde. Sehr bald sogar. Peter Marlowe und der King erwarteten genauso sehnsüchtig den Tag. Nur noch vier Tage bis dahin.

G-Tag, der Geburtstag, kam, und Eva warf erneut zwölf Junge.

Der Deckname für den Geburtstag hatte dem King und seinen Kameraden einen Heidenspaß gemacht. Grey hatte durch seinen Spitzel vom G-Tag erfahren, und an dem Tag hatte er mit seinen Leuten die Baracke umstellt und jeden nach Uhren oder was immer am ›Geschäfts‹-Tag verkauft werden sollte durchsucht. Einfaltspinsel! Der King war nicht beunruhigt, als er auf diese Weise daran erinnert wurde, daß es in der Baracke einen Spitzel gab. Der dritte Wurf wurde geplant.

Jetzt standen siebzig Käfige unter der Baracke. Vierzehn waren schon besetzt. Bald würden zwölf weitere besetzt sein.

Die Männer hatten das Namenproblem auf die allereinfachste Weise gelöst. Männchen bekamen gerade Zahlen und Weibchen ungerade Zahlen als Bezeichnung.

»Hört zu«, sagte der King. »Wir müssen einfach noch mehr Käfige vorbereiten.«

Sie saßen in der Baracke und hielten eine Direktionssitzung ab. Die Nacht war kühl und angenehm. Wolken zogen am abnehmenden Mond vorbei. »Wir stecken in der Klemme«, erklärte Tex. »Es gibt einfach nirgends mehr in der Gegend noch ungenutzten Maschendraht. Wir können höchstens versuchen, die Aussies dazu zu bewegen, daß sie uns aushelfen.«

»Dann«, sagte Max langsam, »könnten wir die Hunde ebensogut gleich die ganze Chose übernehmen lassen.«

Der ganze Kampf und alle Anstrengungen der amerikanischen Baracke waren auf das lebende Gold konzentriert gewesen, das jäh unter ihnen barst. Eine Gruppe von vier Männern hatte den Splittergraben schon zu einem Netzwerk von Gängen ausgeweitet. Jetzt hatten sie zwar Raum genug für Käfige, aber keinen Draht, mit dem sie sie hätten bauen können.

Draht war ganz dringend nötig. Schon wieder drohte ein G-Tag, und bald danach ein neuer G-Tag und dann wieder einer.

»Wenn Sie etwa ein Dutzend vertrauenswürdige Leute wüßten, könnten Sie ihnen ein Rattenpaar zur Aufzucht geben und sie ihre eigenen Farmen aufbauen lassen«, meinte Peter Marlowe nachdenklich. »Wir könnten uns auf das Heranziehen der Zuchtratten beschränken.«

»Ihr Vorschlag taugt nichts, Peter. Wir könnten die Sache nie geheimhalten.«

Der King drehte sich eine Zigarette, und dabei fiel ihm ein, daß die Geschäfte in letzter Zeit schlecht gewesen waren und daß er schon eine ganze Woche keine ›Aktive‹ mehr geraucht hatte. »Es bleibt uns nur noch ein Ausweg«, sagte er nach einem Augenblick des Nachdenkens, »wir müssen Timsen in das Geschäft einsteigen lassen.«

»Der lausige Aussie ist ohnedies schon unser schlimmster Konkurrent«, rief Max.

»Wir haben keine andere Wahl«, entschied der King endgültig. »Wir müssen die Käfige bekommen – und er ist der einzige, der weiß, wie man das drehen kann, und er ist auch der einzige, dem ich zutraue, daß er das Maul hält. Wenn die Farm sich planmäßig entwickelt, dann steckt genug für jeden drin.« Er sah zu Tex auf. »Geh und hol Timsen.«

Tex zuckte die Achseln und ging hinaus.

»Kommen Sie, Peter«, sagte der King, »wir sehen nach.«

Er kletterte durch die Falltür hinab. »Heiliger Bimbam«, staunte er, als er die Ausdehnung der Aushöhlungen sah. »Wenn wir noch ein wenig weiterbuddeln, stürzt die ganze verdammte Baracke ein, und dann sind wir geliefert!«

»Keine Sorge, Chef«, sagte Miller stolz. Er hatte das Kommando über die Erdarbeitergruppe. »Ich habe mir überlegt, wie wir dicht an den Betonpfeilern vorbei weitergraben können. Wir haben jetzt genügend Platz für eintausendfünfhundert Käfige; es fehlt nur der nötige Draht. O ja. Und den Platz könnten wir verdoppeln, wenn wir genügend Holz organisieren könnten, um die Tunnels abzustützen. Ganz einfache Sache.«

Der King ging den Hauptgraben entlang, um die Tiere zu inspizieren. Adam sah ihn kommen und warf sich wild gegen den Maschendraht, so, als wollte er den King in Stücke reißen.

»Freundliches Biest, was?«

Miller grinste. »Der Bastard kennt dich von irgendwoher.«

»Vielleicht sollten wir jetzt mit der Aufzucht aufhören«, meinte Peter Marlowe. »So lange, bis die Käfige fertig sind.«

»Timsen ist die Lösung«, erwiderte der King. »Wenn uns jemand Draht und Holz heranschaffen kann, dann ist es seine Diebesbande.«

Sie kletterten wieder in die Baracke hinauf und klopften sich den Schmutz ab. Nach einer Dusche fühlten sie sich wohler.

»Hallo, Kumpel.« Timsen kam durch die Baracke und setzte sich. »Ihr Yankees fürchtet wohl, es könnte euch bei einem Luftangriff die Eier oder sonstwas abreißen?« Er war groß und hart und hatte tiefliegende Augen.

»Wovon redest du?«

»Mann, ihr buddelt Splittergräben, daß man meinen könnte, die ganze verdammte Air Force wäre im Anflug auf Changi.«

»Schadet nichts, wenn man vorsichtig ist.« Der King überlegte noch einmal, ob man es riskieren sollte, Timsen einsteigen zu lassen. »Es dauert nicht mehr lange, bis sie auf Singapur loshauen. Und dann werden wir schön die Nase in den Dreck stecken.«

»Changi werden sie nicht angreifen. Sie wissen doch, daß wir hier stecken. Zumindest die Pommys wissen es. Wenn natürlich ihr verdammten Yankees da oben am Himmel rumbrummt, weiß man nie, wohin die Bomben fallen.«

Er wurde auf Inspektionstour geführt. Und sofort erkannte er die Ungeheuerlichkeit der Organisation. Und die Ungeheuerlichkeit des Planes. »Mein Gott, Kumpel«, sagte Timsen atemlos, als sie wieder in der Baracke standen. »Der Neid muß es dir wirklich lassen. Mein Gott. Und wir hatten geglaubt, ihr hättet einfach die Hosen voll. Mein Gott, ihr müßt Platz für fünf- oder sechshundert haben …«

»Eintausendfünfhundert«, unterbrach der King lässig, »und an diesem G-Tag werden es …«

»G-Tag?«

»Geburts-Tag.«

Timsen lachte. »Das ist also der G-Tag. Wir haben uns wochenlang den Kopf zerbrochen, was das bedeutet. Nicht zu fassen.« Sein Gelächter dröhnte. »Ihr seid verdammte Genies.«

»Ich muß zugeben, daß es meine Idee war.« Der King versuchte, sich seinen Stolz nicht anmerken zu lassen, aber er schimmerte doch durch. Schließlich war es tatsächlich seine Idee. »Diesen G-Tag haben wir mindestens neunzig Junge zu erwarten. Am darauffolgenden etwa dreihundert.«

Timsens Augenbrauen berührten fast den Haaransatz.

»Ich will dir sagen, wozu wir bereit sind.« Der King machte eine Pause und überprüfte sein Angebot. »Du lieferst uns Draht und Holz für weitere tausend Käfige. Wir werden unseren Gesamtbestand auf tausend beschränken – nur die besten. Du bringst das Produkt auf den Markt, und wir teilen fünfzig-fünfzig. Bei einem solchen Geschäft steckt für alle genug drin.«

»Wann fangen wir mit dem Verkauf an?« wollte Timsen gleich wissen. Aber dennoch, trotz der ungeheuren Möglichkeiten kam er sich schäbig vor.

»In der Woche kriegst du zehn Hinterschlegel. Wir nehmen zuerst die Männchen und behalten die Weibchen. Wir denken nur an die Hinterschlegel. Mit der Zeit wird die Zahl erhöht.«

»Warum am Anfang nur zehn?«

»Wenn wir sofort mehr auf den Markt bringen, werden die Kerle Lunte riechen. Wir müssen es vorsichtig anpacken.«

Timsen dachte einen Augenblick nach. »Bist du sicher, daß das – em – Fleisch – auch gut sein wird?«

Jetzt war der King eine Lieferverpflichtung eingegangen, und jetzt fühlte er sich selbst irgendwie unbehaglich. Aber hol's der Teufel, Fleisch ist Fleisch, und Geschäft ist Geschäft. »Wir bieten nur Fleisch an. Rusa tikus.«

Timsen schüttelte den Kopf und stülpte die Lippen auf. »Mir gefällt der Gedanke nicht, es an meine Aussies zu verkaufen«, erklärte er, von Übelkeit gequält. »Ehrenwort. Es scheint mir nicht richtig. Ehrenwort, wirklich nicht. Ganz bestimmt nicht. Nicht daß ich – es scheint mir einfach nicht richtig. Jedenfalls für meine Kameraden nicht.«

Peter Marlowe nickte, und es würgte ihn. »Und für unsere Leute ebensowenig.«

Die drei sahen einander an. Ja, dachte der King, es scheint nicht richtig, aber wir müssen überleben. Und … Plötzlich durchzuckte ihn ein Gedanke.

Er wurde weiß und preßte hervor: »Holt – die – anderen. Mir ist eben ein Gedanke gekommen.«

Die Amerikaner waren schnell zusammengetrommelt. Gespannt beobachteten sie den King.

Er war inzwischen ruhiger geworden, hatte aber noch kein Wort gesagt. Er rauchte nur seine Zigarette und bemerkte sie scheinbar überhaupt nicht. Peter Marlowe und Timsen sahen einander beunruhigt an.

Der King stand auf, und die Spannung verstärkte sich. Er drückte seinen Zigarettenstummel aus. »Leute«, begann er, und seine Stimme klang dünn und seltsam matt. »In vier Tagen ist G-Tag. Wir werden …«, er sah zu dem auf die Atapwand geschriebenen Zuchtplan hinüber, »ja, damit erhöht sich unser Bestand auf etwas mehr als hundert. Ich habe mit unserem Freund und Verbündeten Timsen ein Geschäft abgeschlossen. Er wird Draht und Holz für tausend Käfige liefern, so daß bis zur Entwöhnung der Jungen das Unterbringungsproblem gelöst sein wird. Er wird mit seinen Leuten das Produkt auf den Markt bringen. Wir werden uns nur darauf konzentrieren, die besten Tiere aufzuziehen.« Er brach ab und sah jeden fest an. »Leute, heute in einer Woche beginnt die Farm mit der Belieferung des Marktes.«

Jetzt war der schreckliche Tag festgelegt worden, und jetzt wurden ihre Gesichter schlaff.

»Meinst du wirklich, wir sollen es tun?« fragte Max besorgt.

»Wart noch einen Augenblick, Max, ja?«

»Ich verstehe nichts vom Vertrieb«, erklärte Byron Jones III und spielte mit seiner Augenklappe. »Der Gedanke macht mich …«

»Wart doch um Himmels willen ab!« unterbrach der King ihn ungeduldig. »Leute.« Alle beugten sich beinahe überwältigt vor, und der King flüsterte so leise, daß es kaum noch verständlich war. »Wir werden nur an Offiziere verkaufen! An hohe Tiere! Vom Major an aufwärts!«

»Ach du großer Gott«, keuchte Timsen.

»Heiliger Strohsack«, jauchzte Max begeistert.

»Waas?« staunte Peter Marlowe wie vom Donner gerührt.

Der King kam sich wie ein Gott vor. »Jawohl, an Offiziere. Das sind die einzigen Hunde, die es sich leisten können, das Fleisch zu kaufen. Statt eines Massengeschäfts ziehen wir eben einen Luxushandel auf.«

»Und den Schweinehunden, die es sich leisten können, das Fleisch zu kaufen, wollen Sie es auch zu fressen geben!« rief Peter Marlowe.

»Verdammt, du bist einfach ein Teufelskerl«, sagte Timsen voll Hochachtung. »Ein Genie. Ich kenne drei Schweinehunde, bei denen ich den rechten Arm dafür geben würde, wenn ich sie Rattenfleisch fressen sehen und ihnen dann sagen könnte …«

»Ich kenne zwei«, unterbrach Peter Marlowe, »denen ich das Fleisch schenken würde, ganz zu schweigen vom Verkaufen. Aber den Halunken kann man es fast nicht geben – sie sind so knickrig, daß sie eine Ratte riechen würden!«

Max stand auf, und brüllte über das Gelächter hinweg:

»Hört mal her, Männer. Hört mal her. So hört doch einen Augenblick her.« Er wandte sich an den King. »Weißt du, ich habe, nun, ich habe …« Er war so bewegt, daß er nur mit Mühe reden konnte. »Ich habe – ich habe nicht immer auf deiner Seite gestanden. Das ist nichts Schlimmes. Wir sind ein freies Land. Aber das – das ist eine so riesige – eine so … daß, eh …« Er streckte feierlich die Hand aus. »Ich möchte gerne dem Mann die Hand schütteln, der auf diesen Gedanken gekommen ist! Ich glaube, wir sollten alle dem wahren Genie die Hand schütteln. Im Namen aller Soldaten der Welt – ich bin stolz auf dich. Auf den King!«

Max und der King schüttelten sich die Hand.

Tex schaukelte jubelnd hin und her. »Sellars und Prouty und Grey – er steht auf der Liste …«

»Er hat kein Geld«, erklärte der King.

»Verdammt, wir werden ihm eben etwas schenken«, erwiderte Max.

»Das können wir nicht. Grey ist kein Idiot. Er würde sofort Lunte riechen«, widersprach Peter Marlowe.

»Wie ist es mit Thorsen, dem Schwein …«

»Nichts zu machen mit Yankee-Offizieren. Nun«, schränkte der King feinfühlig ein, »vielleicht an einen oder zwei.«

Die Hochrufe wurden schnell gedämpft.

»Wie steht es mit den Aussies?«

»Überlaß das mir, Kamerad«, meinte Timsen. »Ich habe bereits drei Dutzend Kunden im Kopf.«

»Und wie ist es mit den Limeys?« fragte Max.

»Wir können uns alle ein paar überlegen.« Der King fühlte sich großartig und mächtig und ekstatisch. »Zum Glück sind die Hunde, die den Zaster haben oder die Möglichkeit, an Zaster heranzukommen, gleichzeitig auch diejenigen, denen man gerne das Rattenfleisch zu fressen geben und ihnen dann sagen möchte, was sie gegessen haben«, erklärte er.

Kurz vor dem Verlöschen der Lichter lief Max eilig durch die türlose Tür und flüsterte dem King zu: »Ein Posten ist hierher unterwegs.«

»Wer?«

»Shagata.«

»Gut«, antwortete der King und versuchte, die Stimme gleichmütig klingen zu lassen. »Sieh nach, ob unsere Wachen alle auf Posten sind.«

»Jawohl.« Max eilte davon.

Der King beugte sich dicht zu Peter Marlowe. »Vielleicht ist etwas schiefgegangen«, flüsterte er nervös. »Kommen Sie, machen wir uns lieber bereit.«

Er huschte zum Fenster hinaus und vergewisserte sich, daß die Segeltuchplane richtig hing. Dann setzten er und Peter Marlowe sich darunter und warteten.

Shagata steckte den Kopf unter das Segeltuch, und als er den King erkannte, glitt er lautlos unter den Vorhang und setzte sich. Er stellte sein Gewehr an die Wand und bot eine Packung Kooa an.

»Tabe«, grüßte er.

»Tabe«, erwiderte Peter Marlowe.

»Hallo«, sagte der King. Seine Hand zitterte, als er die Zigarette nahm.

»Habt Ihr heute abend etwas, das Ihr mir verkaufen wollt?« fragte Shagata zischend.

»Er erkundigt sich, ob Sie ihm heute abend etwas zu verkaufen haben.«

»Sagen Sie ihm nein!«

»Mein Freund ist zutiefst betrübt, daß er heute abend nichts hat, das einen Mann von Geschmack in Versuchung führen kann.«

»Hat Ihr Freund einen solchen Artikel in, sagen wir mal, in drei Tagen?«

Der King seufzte erleichtert, als Peter ihm das übersetzte. »Sagen Sie ihm ja. Und sagen Sie ihm, er sei klug, daß er sich vergewissert.«

»Mein Freund sagt, er werde wahrscheinlich an dem von Euch genannten Tage etwas haben, das einen Mann von Geschmack in Versuchung führen kann. Und mein Freund erklärt weiter, er habe das Gefühl, es sei ein gutes Vorzeichen für den befriedigenden Abschluß des geplanten Handels, wenn der Mann, mit dem er zu tun habe, so vorsichtig sei.«

»Das ist immer klug, wenn etwas mitten in kalter Nacht besprochen werden muß.« Shagata-san zog den Atem ein. »Falls ich nicht heute in drei Nächten komme, so wartet jede Nacht auf mich. Ein gemeinsamer Freund hat angedeutet, daß er seinen Teil vielleicht nicht mit absoluter Pünktlichkeit erfüllen können wird. Aber ich bin sicher, daß es heute in drei Nächten sein wird.«

Shagata stand auf und schenkte dem King die Zigarettenpackung. Eine leichte Verbeugung, und die Dunkelheit verschlang ihn wieder.

Peter Marlowe erzählte dem King, was Shagata gesagt hatte, und der King grinste. »Großartig. Einfach großartig. Kommen Sie morgen früh vorbei. Dann können wir unsere Pläne durchsprechen.«

»Ich bin zum Arbeitskommando auf dem Flugplatz eingeteilt.«

»Soll ich Ihnen einen Ersatzmann beschaffen?«

Peter Marlowe lachte und schüttelte den Kopf.

»Es ist sowieso besser, wenn Sie gehen«, meinte der King. »Für den Fall, daß Cheng San Verbindung aufnehmen will.«

»Glauben Sie, daß etwas nicht in Ordnung ist?«

»Nein. Shagata war klug, daß er sich vergewissert hat. Ich hätte es auch getan. Alles läuft genau nach Plan. Noch eine Woche, und die ganze Sache ist geritzt.«

»Hoffentlich.« Peter Marlowe dachte an das Dorf und betete, das Geschäft möchte klappen. Er wollte unbedingt wieder dorthin, und er wußte, daß ihm dann Sulina gehören mußte, sonst würde er den Verstand verlieren.

»Was ist los?« Der King hatte Peter Marlowes Schaudern mehr gefühlt als gesehen.

»Ich habe eben daran gedacht, daß ich jetzt gern Sulina im Arm halten würde«, erwiderte Peter Marlowe verlegen.

»So.« Der King überlegte, ob er der Kleinen wegen vielleicht das Ganze in Gefahr bringen würde.

Peter Marlowe fing den Blick auf und lächelte leise. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, alter Junge. Ich werde keinen Quatsch machen, falls Sie das gedacht haben.«

»Klar.« Der King lächelte. »Wir können uns auf vieles freuen – und morgen ist die Vorstellung. Haben Sie gehört, um was es dabei geht?«

»Ich weiß nur, daß das Stück Dreieck heißt und Sean der Star ist.« Peter Marlowes Stimme klang plötzlich flach.

»Wieso haben Sie Sean damals beinahe umgebracht?« Der King hatte noch nie eine plumpe Frage gestellt, denn er wußte, daß es bei einem Mann wie Peter Marlowe immer gefährlich war, direkte Fragen nach persönlichen Angelegenheiten zu stellen. Aber er hatte instinktiv gefühlt, daß jetzt die richtige Zeit dazu war.

»Es gibt nicht viel zu erzählen«, antwortete Peter Marlowe sofort und war froh, daß der King ihn gefragt hatte. »Sean und ich waren auf Java beim gleichen Geschwader. Am Tag bevor der Krieg dort endete, kehrte Sean von einem Einsatz nicht zurück. Ich glaubte, es hätte ihn erwischt.

Vor etwa einem Jahr – einen Tag nachdem wir von Java aus hier ankamen – ging ich zu einer Lagervorstellung. Sie können sich vorstellen, welcher Schock es für mich war, als ich schließlich Sean auf der Bühne erkannte. Er spielte ein Mädchen, aber ich dachte mir nichts dabei. Schließlich muß ja irgend jemand die Frauenrollen übernehmen – und ich lehnte mich einfach zurück und genoß die Vorstellung. Ich konnte nicht darüber wegkommen, daß ich ihn lebendig und munter wiedergefunden hatte, und ich konnte nicht darüber wegkommen, was für ein aufsehenerregendes Mädchen er darstellte – die Art, wie er ging und wie er redete und sich setzte, seine Kleider und seine Perücke waren vollkommen. Ich war von seiner Leistung sehr beeindruckt – und dabei wußte ich genau, daß er noch nie etwas mit dem Theater zu tun gehabt hatte.

Nach der Vorstellung ging ich zu ihm hinter die Bühne. Es warteten noch einige andere, und nach einer Weile beschlich mich das unheimliche Gefühl, daß die Burschen alle wie die Typen aussahen, die man überall auf der Welt vor jeder Garderobentür findet – Sie wissen ja, die Laffen, die mit heraushängender Zunge auf ihre Freundinnen warten.

Schließlich ging die Garderobentür auf, und alle drängten hinein. Ich trottete als letzter hinterher und blieb in der Tür stehen. Erst jetzt ging mir urplötzlich auf, daß die Männer alle vom anderen Ufer waren! Sean saß auf einem Stuhl, und alle schienen drauf und dran, sich auf ihn zu stürzen, an ihm herumzufummeln, ihn ›Liebling‹ zu nennen, ihn zu umarmen und ihm zu sagen, wie ›wunderbar‹ er gewesen sei – ihn wie den hinreißenden Star der Vorstellung zu behandeln! Und Sean – Sean genoß es! Großer Gott, er genoß tatsächlich ihre Fummelei! Wie eine hitzige Hure.

Dann entdeckte er plötzlich mich, und natürlich war auch er schockiert.

Er sagte: ›Hallo, Peter‹, ich aber konnte überhaupt nichts sagen. Ich stand nur da und starrte einen dieser verdammten Hinterlader an, der die Hand auf Seans Knie liegen hatte. Sean trug eine Art weites Negligé und Seidenstrümpfe und Damenunterhöschen, und ich hatte das Gefühl, daß er sogar die Falten des Negligés absichtlich so drapiert hatte, daß man sein Bein oberhalb des Strumpfes sehen konnte – und es sah so aus, als hätte er Brüste unter dem Negligé. Dann erkannte ich plötzlich, daß er gar keine Perücke trug – daß das volle Haar sein eigenes und daß es so lang wie das einer Frau war.

Dann bat Sean alle, wegzugehen. ›Peter ist ein alter Freund, den ich für tot gehalten hatte‹, erklärte er.

Als sie weggegangen waren, fragte ich Sean: ›Menschenskind, was ist denn mit dir passiert? Es hat dir ja tatsächlich Spaß gemacht, als das Pack an dir herumfummelte.‹

›Großer Gott, was ist mit uns allen passiert?‹ erwiderte Sean. Dann sagte er mit seinem strahlenden Lächeln: ›Ich bin so froh, daß du hier bist, Peter. Ich dachte, du wärst tot. Setz dich doch einen Augenblick, während ich mich abschminke. Wir haben uns viel zu erzählen. Bist du mit dem Arbeitskommando von Java hierhergekommen?‹

Ich nickte und war noch immer wie betäubt, und Sean drehte sich zum Spiegel um und begann sich mit Gesichtscreme das Make-up abzuwischen.

›Was ist mit dir passiert, Peter?‹ fragte er. ›Bist du abgeschossen worden?‹

Als er das Make-up abzuwischen begann, fühlte ich, wie meine Erstarrung sich allmählich löste – alles wirkte normaler. Ich sagte mir, daß ich töricht gewesen wäre und daß alles zur Vorstellung gehört hätte – Sie wissen ja, um alles möglichst echt wirken zu lassen –, und ich war überzeugt, er hätte nur so getan, als genieße er es. Deshalb entschuldigte ich mich und sagte: ›Tut mir leid, Sean – du mußt mich für einen kompletten Idioten halten! Mein Gott, es ist herrlich zu wissen, daß es dir gutgeht. Ich dachte, auch dich hätte es erwischt.‹ Ich erzählte ihm, was mit mir geschehen war, und erkundigte mich dann nach seinem Schicksal.

Sean erzählte, daß er von vier Japsenjägern abgeknallt worden war und mit dem Fallschirm hatte abspringen müssen. Als er schließlich wieder den Flugplatz erreichte und meine Maschine entdeckte, war sie nur noch ein Schrotthaufen. Ich erzählte ihm, daß ich sie in Brand gesteckt hatte, bevor ich getürmt war, ich hätte verhindern wollen, daß die verdammten Japsen meine Maschine reparierten.

›Ach so‹, sagte er. ›Weißt du, ich nahm einfach an, du hättest bei der Landung Bruch gemacht und es hätte dich dabei erwischt. Ich blieb mit den anderen Kameraden im Hauptquartier in Bandung, und dann wurden wir alle in ein Lager gesteckt. Kurz darauf wurden wir nach Batavia verfrachtet und von dort aus hierher.‹

Sean betrachtete sich die ganze Zeit im Spiegel, und sein Gesicht war so glatt und zart wie das einer Frau. Plötzlich überkam mich das sonderbare Gefühl, daß er mich völlig vergessen hatte. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Dann kehrte er dem Spiegel den Rücken zu und sah mir direkt in die Augen, und er runzelte auf komische Weise die Stirn. Urplötzlich fühlte ich, wie unglücklich er war, und deshalb fragte ich ihn, ob ich weggehen sollte.

›Nein‹, antwortete er. ›Nein, Peter, ich möchte, daß du bleibst.‹

Und dann nahm er ein Damenhandtäschchen, das auf dem Frisiertisch lag, grub einen Lippenstift heraus und begann sich die Lippen zu schminken. Ich war wie vom Donner gerührt. ›Was machst du?‹ fragte ich.

›Lippenstift, Peter.‹

›Hör auf, Sean‹, erwiderte ich. ›Nichts gegen Spaß. Aber die Vorstellung ist seit einer halben Stunde zu Ende.‹

Aber er ließ sich nicht stören, und als die Lippen richtig geschminkt waren, puderte er sich die Nase und bürstete das Haar, und, bei Gott, er war das schönste Mädchen. Ich konnte es nicht glauben. Ich dachte noch immer, er triebe auf unheimliche Weise Scherz mit mir.

Er drückte hier ein Löckchen zurecht und da eines, und dann lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und betrachtete sich forschend im Spiegel, und er schien absolut mit dem zufrieden, was er darin erblickte. Dann sah er mich im Spiegel auf sich starren, und er lachte. ›Was ist los, Peter?‹ fragte er. ›Bist du noch nie in einer Garderobe gewesen?‹

›Doch‹, antwortete ich, ›doch, schon – bei einer Frau.‹

Lange Zeit sah er mich an. Dann zupfte er sein Negligé zurecht und schlug die Beine übereinander. ›Das ist die Garderobe einer Frau‹, sagte er.

›Jetzt mach aber einen Punkt, Sean‹, fuhr es mir heraus, denn allmählich wurde ich gereizt. ›Ich bin's, ich, Peter Marlowe. Wir sind in Changi, erinnerst du dich? Die Vorstellung ist vorbei, und jetzt ist alles wieder normal.‹

›Jawohl‹, bestätigte er völlig ruhig, ›alles ist normal.‹

Ich brauchte lange Zeit, bis ich etwas hervorbrachte. ›Hör zu‹, preßte ich schließlich heraus, ›ziehst du endlich diese Lappen aus und wäscht dir das Geschmier aus dem Gesicht?‹

›Ich mag die Kleider, Peter‹, antwortete er, ›und ich lege jetzt immer Make-up auf.‹ Er stand auf und öffnete einen Schrank, und er war tatsächlich voll von Sarongs und Kleidern und Unterhöschen und Büstenhaltern und so weiter. Er drehte sich zu mir um, und er war ganz ruhig. ›Das sind die einzigen Kleider, die ich jetzt trage‹, erklärte er. ›Ich bin eine Frau.‹

›Du hast den Verstand verloren‹, stöhnte ich.

Sean kam herüber und starrte mich an, und ich kriegte es einfach nicht aus dem Kopf, daß ich irgendwie ein Mädchen vor mir hatte – er sah wie eines aus, benahm sich wie eines, redete wie eines und duftete wie eines. ›Peter‹, sagte er, ›ich weiß, daß es dir schwerfällt, alles zu verstehen, aber ich habe mich verändert. Ich bin nicht mehr Mann, ich bin Frau.‹

›Du bist ebensowenig ein verdammtes Weib wie ich!‹ brüllte ich. Aber das schien ihn überhaupt nicht zu rühren. Er stand einfach da und lächelte mich wie eine Madonna an, und dann sagte er: ›Ich bin eine Frau, Peter.‹ Er berührte mich auf genau die gleiche Weise am Arm, wie es ein Mädchen getan hätte, und dann sagte er: ›Bitte, behandle mich als Frau.‹

Etwas in meinem Kopf schien zu zerspringen. Ich packte ihn am Arm, riß ihm das Negligé von den Schultern, zerrte ihm mit einem Ruck den ausgestopften Büstenhalter vom Körper und schob ihn vor den Spiegel hin.

›Und du bezeichnest dich als Frau?‹ brüllte ich. ›Schau dich doch an! Wo sind denn deine Brüste?‹

Aber Sean sah nicht auf. Er stand einfach vor dem Spiegel und hielt den Kopf gesenkt, und das Haar fiel ihm ins Gesicht. Das Negligé hing an ihm herunter, und er war nackt bis zu den Hüften. Ich packte ihn an den Haaren und riß seinen Kopf hoch. ›Sieh dich doch an, du perverses Schwein!‹ schrie ich gellend. ›Du bist bei Gott ein Mann und wirst es bleiben!‹

Er stand einfach da und sagte überhaupt nichts, und schließlich bemerkte ich, daß er heulte. Dann stürzten Rodrick und Frank Parrish herein und stießen mich beiseite, und Parrish legte Sean wieder das Negligé um und nahm ihn in die Arme, und Sean weinte die ganze Zeit einfach vor sich hin.

Frank hielt ihn fest in den Armen und tröstete ihn: ›Es ist ja alles gut, Sean, es ist alles gut.‹ Dann sah er mich an, und ich erkannte, daß er mich am liebsten umgebracht hätte. ›Verschwinden Sie von hier, Sie verdammter Schweinehund‹, fuhr er mich an.

Ich weiß überhaupt nicht mehr, wie ich aus der Garderobe herausgekommen bin – als ich schließlich wieder zu mir kam, streifte ich im Lager herum, und allmählich begann ich zu begreifen, daß ich kein Recht gehabt hatte, nicht das geringste Recht, das zu tun, was ich getan hatte. Es war verrückt.«

Peter Marlowes Gesicht spiegelte nackte Qual. »Ich ging zum Theater zurück. Ich mußte versuchen, mich mit Sean zu versöhnen. Seine Tür war verriegelt, aber ich glaubte ihn drinnen zu hören. Ich klopfte und klopfte, aber er antwortete nicht, und er öffnete auch nicht, und daraufhin wurde ich von neuem zornig, und ich trat die Tür ein. Ich wollte mich ihm ins Gesicht entschuldigen. Nicht durch die Tür.

Er lag auf dem Bett. Am linken Handgelenk klaffte ein großer Schnitt, und überall im Zimmer war Blut. Ich legte ihm einen Knebelverband an, und irgendwie schaffte ich den alten Dr. Kennedy und Rodrick und Frank herbei. Sean sah wie eine Leiche aus, und er gab nicht den geringsten Laut von sich, während Kennedy den Scherenschnitt vernähte. Als Kennedy fertig war, wandte Frank sich an mich: ›Sind Sie jetzt zufrieden, Sie verdammtes Schwein?‹

Ich stand nur da und haßte mich selbst.

›Gehen Sie raus und bleiben Sie draußen‹, sagte Rodrick.

Ich wollte eben weggehen, da hörte ich Sean nach mir rufen – es war ein schwaches, kaum hörbares Flüstern. Ich drehte mich um und bemerkte, daß er mich nicht zornig ansah, sondern vielmehr so, als empfände er Mitleid mit mir. ›Entschuldigung, Peter‹, flüsterte er. ›Es war nicht deine Schuld.‹

›Um Himmels willen, Sean‹, brachte ich schließlich heraus, ›ich wollte dir doch nichts Böses antun.‹

›Das weiß ich‹, beschwichtigte er mich. ›Bitte, sei mein Freund, Peter.‹

Dann sah er Parrish und Rodrick an und sagte: ›Ich wollte fortgehen, aber jetzt‹, und er lächelte sein wunderbares Lächeln, ›bin ich so glücklich, daß ich wieder zu Hause bin!‹«

Peter Marlowes Gesicht war leer. Schweiß lief ihm den Hals und die Brust entlang. Der King zündete eine Kooa an.

Peter Marlowe zuckte hilflos mit der Achsel, stand dann auf und ging davon, tief in seine Reue versunken.