3
Die beiden Männer saßen einen Augenblick still und erholten sich. Dann sagte Peter Marlowe zittrig: »Himmel, das wäre um Haaresbreite schiefgegangen!«
»Ja«, antwortete der King nach längerer Pause. Unwillkürlich schauderte er erneut, griff dann nach seiner Brieftasche, nahm zwei Zehndollarscheine heraus und legte sie auf den Tisch. »Hier«, sagte er, »das wird für den Augenblick reichen. Aber Sie stehen von jetzt an und in Zukunft auf der Gehaltsliste. Mit zwanzig die Woche.«
»Was?«
»Ich geb Ihnen zwanzig die Woche.« Der King dachte einen Augenblick nach. »Schätze, Sie haben recht«, erklärte er bereitwillig und grinste. »Ist mehr wert. Sagen wir also dreißig.« Dann fiel sein Blick auf die Armbinde, und deshalb setzte er noch hinzu: »Sir.«
»Sie können mich weiterhin Peter nennen«, sagte Peter Marlowe, und seine Stimme klang scharf. »Und damit ein für allemal Klarheit herrscht – ich will Ihr Geld nicht.« Er stand auf und wollte gehen. »Danke für die Zigarette.«
»He! Warten Sie einen Augenblick«, bat der King erstaunt. »Zum Teufel, was ist in Sie gefahren?«
Peter Marlowe starrte auf den King hinab, und Zorn leuchtete in seinen Augen auf. »Verdammt noch mal, für wen halten Sie mich eigentlich? Nehmen Sie endlich Ihr Geld und lassen Sie es verschwinden.«
»Ist mit meinem Geld was nicht in Ordnung.«
»Nein. Nur mit Ihrem Benehmen!«
»Seit wann hat Benehmen was mit Geld zu tun?«
Peter Marlowe drehte sich schroff um und wollte gehen. Der King sprang auf und stellte sich zwischen Peter Marlowe und die Tür. »Nur einen Augenblick«, sagte er, und seine Stimme klang angespannt. »Ich möchte etwas wissen. Warum haben Sie sich vor mich gestellt?«
»Das ist doch wohl klar, oder nicht? Ich hatte Sie reingelegt, ich konnte Sie ja nicht einfach im Stich lassen. Für wen halten Sie mich?«
»Ich weiß es nicht. Das versuche ich ja herauszukriegen.«
»Das Ganze war meine Schuld. Es tut mir leid.«
»Gar nichts braucht Ihnen leid zu tun«, erwiderte der King scharf. »Es war mein Fehler. Ich war dämlich. Das hat nichts mit Ihnen zu tun.«
»Das spielt keine Rolle.« Peter Marlowes Gesicht war wie aus Granit gemeißelt, und seine Augen blickten ebenso hart. »Sie müssen mich für den allerletzten Dreck halten, daß Sie von mir annehmen, ich ließe Sie in der Patsche sitzen. Und Sie müssen mich für sonst was halten, wenn Sie glauben, ich nehme Geld von Ihnen. Ich habe durch meine Unvorsichtigkeit alles verursacht. Ich lasse mir das von niemandem bieten!«
»Setzen Sie sich einen Augenblick. Bitte.«
»Warum?«
»Himmelherrgott noch mal, weil ich mit Ihnen reden will.«
Max blieb mit dem Eßgeschirr des King zögernd in der Tür stehen. »Entschuldigung«, sagte er vorsichtig, »hier ist dein Essen. Möchtest du etwas Tee?«
»Nein. Und heute kriegt Tex meine Suppe.« Er nahm das Eßgeschirr mit dem Reis und stellte es auf den Tisch.
»In Ordnung«, sagte Max, der noch immer zögerte und sich fragte, ob der King vielleicht Unterstützung brauchte, um diesen Kerl in Klump zu hauen.
»Zisch ab, Max. Und sag den übrigen, sie sollen uns eine Weile allein lassen.«
»Klar.« Max ging bereitwillig hinaus. Er hielt den King für sehr klug, keine Zeugen haben zu wollen, denn das ist nicht gut, wenn man einen Offizier durch den Wolf dreht.
Der King sah wieder zu Peter Marlowe hin. »Ich frage Sie jetzt, wollen Sie sich einen Augenblick setzen? Bitte.«
»Also gut«, antwortete Peter Marlowe steif.
»Sehen Sie«, begann der King geduldig. »Sie haben mich aus dem Schlamassel herausgehauen. Sie haben mir geholfen. Es ist doch nur recht, wenn ich Ihnen helfe. Ich habe Ihnen den Kies angeboten, weil ich Ihnen danken wollte. Wenn Sie ihn nicht wollen – bitte! Aber ich habe nicht die Absicht gehabt, Sie zu beleidigen. Falls ich das getan habe, dann entschuldige ich mich hiermit.«
»Tut mir leid«, sagte Peter Marlowe weicher gestimmt. »Ich bin jähzornig. Ich hatte Sie nicht verstanden.«
Der King streckte die Hand aus. »Die Hand drauf.«
Peter Marlowe gab ihm die Hand.
»Sie mögen Grey nicht, was?« forschte der King vorsichtig.
»Nein.«
»Warum?«
Peter Marlowe zuckte die Achseln. Der King teilte achtlos den Reis und reichte ihm die größere Portion. »Essen wir.«
»Aber was ist mit Ihnen?« fragte Peter Marlowe und starrte auf die größere Portion.
»Ich bin nicht hungrig. Mein Appetit ist in die Binsen gegangen. Verdammt, das war vielleicht knapp. Ich dachte schon, jetzt sind wir beide geliefert.«
»Ja«, stimmte Marlowe zu, und die Andeutung eines Lächelns zeigte sich auf seinem Gesicht. »Das war ein Spaß, was?«
»Hä?«
»Oh, die Aufregung. Seit Jahren hat mir nichts mehr so viel Spaß gemacht, glaube ich. Diese Erregung, die Gefahr!«
»Es gibt vieles an Ihnen, das ich nicht begreife«, sagte der King matt. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie es … genossen haben?«
»Natürlich! Sie etwa nicht? Ich dachte, es wäre beinah so gut wie eine Spit zu fliegen. Wissen Sie, einerseits jagt sie einem Angst ein, gleichzeitig tut sie es aber auch wieder nicht. Und während des Fluges und hinterher fühlt man sich irgendwie leicht im Kopf.«
»Ich glaube, Sie sind einfach nicht mehr ganz richtig im Kopf.«
»Wenn es Ihnen keinen Spaß gemacht hat, zum Teufel, warum haben Sie dann versucht, mich mit Studpoker aufs Kreuz zu legen? Ich war verflucht auf dem besten Wege, einzugehen wie eine Primel.«
»Ich habe nicht versucht, Sie aufs Kreuz zu legen. Verdammt, warum sollte ich Sie aufs Kreuz legen wollen?«
»Um es aufregender zu machen und um mich auf die Probe zu stellen.«
Der King fuhr sich müde über die Augen und das Gesicht. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie glauben, ich hätte das alles absichtlich getan?«
»Natürlich! Ich hab das doch genauso mit Ihnen gemacht, als ich das Verhör auf Sie abschob.«
»Das wollen wir doch mal klarstellen. Sie haben also alles nur getan, um meine Nerven auf die Probe zu stellen?« schnaufte der King.
»Selbstverständlich, alter Junge«, bestätigte Peter Marlowe. »Ich versteh nicht, was mit Ihnen los ist.«
»Himmelarsch«, fluchte der King, dem erneut vor Nervosität der Schweiß ausbrach. »Da stecken wir fast im Loch, und Sie amüsieren sich mit Ratespielchen!« Der King machte eine Pause, um Atem zu schöpfen. »Verrückt! Einfach komplett verrückt! Und als Sie zögerten, nachdem ich Ihnen den Wink mit ›Deckkarte‹ gegeben hatte, hielt ich uns für erledigt.«
»Grey dachte das auch. Ich spielte nur mit ihm. Ich hab nur Schluß gemacht, weil die Eier kalt wurden. Und ein solches Spiegelei sieht man schließlich nicht alle Tage. Wirklich!«
»Ich dachte, Sie hätten gesagt, es taugt nichts.«
»Ich sagte, es wäre nicht schlecht.« Peter Marlowe zögerte. »Sehn Sie mal: wenn man sagt, etwas sei nicht schlecht, dann bedeutet das, daß es außerordentlich ist! Auf die Weise kann man einem ein Kompliment machen, ohne ihn in Verlegenheit zu bringen.«
»Sie haben wohl nicht mehr alle Saiten auf der Gitarre! Sie riskieren meinen Hals – und Ihren eigenen –, um die Gefahr zu erhöhen, Sie spielen verrückt, wenn ich Ihnen ein paar Lappen anbiete, ohne irgendeine Bedingung daran zu knüpfen, und Sie sagen, etwas sei nicht schlecht, wenn Sie meinen, es ist großartig … Mann!« setzte er wie vor den Kopf geschlagen hinzu, »ich glaube, ich bin ein Trottel oder sonst was.«
Er blickte auf und bemerkte den verblüfften Ausdruck auf Peter Marlowes Gesicht und mußte lachen. Peter Marlowe begann ebenfalls zu lachen, und bald bogen die beiden Männer sich.
Max spähte vorsichtig in die Baracke hinein, und die übrigen Amerikaner standen dicht dahinter.
»Verdammt, was ist bloß in ihn gefahren?« schnaufte Max. »Ich dachte, er hätte ihm längst die verfluchte Makrone eingedroschen.«
»Mein Gott«, ächzte Dino. »Da machen sie beinah Hackfleisch aus ihm, und jetzt lacht er mit dem Kerl, der ihn verpfiffen hat.«
»Ich kapier's einfach nicht.« Max' Magen hatte seit dem Warnpfiff gezuckt.
Der King blickte hoch und sah die Männer auf sich starren. Er zog den Rest seiner Zigarettenpackung heraus. »Hier, Max. Laß sie herumgehen. Wir feiern.«
»Au! Danke!« Max nahm die Packung. »Mensch, das wäre fast ins Auge gegangen. Wir sind alle so froh für dich.«
Der King las das Grinsen auf den verschiedenen Gesichtern. Bei einigen war es ehrlich, und die merkte er sich. Bei einigen war es falsch, und die kannte er sowieso. Die Männer drückten wie Echos von Max ihren Dank aus.
Max drängte die Männer wie eine Herde wieder aus der Baracke und begann den Schatz zu verteilen. »Ist der Schock«, meinte er ruhig. »Muß wohl so sein. Für ihn muß es ein Schock wie beim Einschlagen einer Granate gewesen sein. Jeden Augenblick wird er dem Limey die Rübe runterreißen.«
Er starrte weg, als eine neue Lachsalve aus der Baracke kam, und zuckte dann die Achseln.
»Er hat nicht mehr alle Tassen im Spind – und das ist kein Wunder.«
»Um Gottes willen«, stieß Peter Marlowe gerade hervor und hielt sich den Bauch. »Essen wir endlich. Wenn ich nicht bald was esse, kann ich nicht mehr.«
Sie begannen also zu essen. Zwischen Lachanfällen. Peter Marlowe bedauerte, daß die Eier kalt waren, aber das Gelächter wärmte die Eier und machte sie vorzüglich. »Bißchen zuwenig Salz, finden Sie nicht?« fragte er und versuchte, die Stimme flach zu halten.
»Donnerwetter, ich glaube fast auch. Ich dachte, ich hätte genug drauf – gekippt.« Der King runzelte die Stirn und drehte sich nach dem Salz um, und dann sah er die Lachfältchen um Peter Marlowes Augen. »Verdammt, was ist denn jetzt wieder los?« forschte er und begann unwillkürlich zu lachen.
»Das war doch Spaß, um Gottes willen. Ihr Amerikaner habt nicht viel Sinn für Humor, was?«
»Sie können mich mal! Und hören Sie um Himmels willen auf zu lachen!«
Als sie die Eier gegessen hatten, stellte der King etwas Kaffee auf die Kochplatte und suchte nach seinen Zigaretten. Dann fiel ihm wieder ein, daß er sie verschenkt hatte, deshalb bückte er sich und schloß die schwarze Kiste auf.
»Hier, versuchen Sie mal diesen«, forderte Peter Marlowe ihn auf und hielt ihm seine Tabaksschachtel hin.
»Danke, aber ich vertrage das Zeug nicht. Es kratzt mir die ganze Kehle kaputt.«
»Probieren Sie ruhig mal. Das Zeug ist fermentiert. Ich habe von den Javanern gelernt, wie man das macht.«
Zweifelnd nahm der King die Tabaksdose. Der Tabak war der übliche billige Knaster, aber statt strohgelb zu sein, war er von dunkler Goldfarbe, statt trocken zu sein, war er feucht und von besonderer Beschaffenheit, statt geruchlos zu sein, roch er wie Tabak, stark und süßlich. Er suchte nach seinem Päckchen Reispapier und nahm sich eine mehr als reichliche Menge des fermentierten Knasters. Er drehte sich einen lockeren Glimmstengel, kniff die herausstehenden Tabakenden ab und ließ den überschüssigen Tabak achtlos auf den Boden fallen.
Du lieber Gott, dachte Peter Marlowe, ich habe gesagt, versuchen Sie mal, und nicht, nehmen Sie den ganzen verfluchten Knaster. Er wußte, daß er die Tabakkrümel hätte auflesen und in die Dose zurücklegen sollen, aber er tat es nicht. Es gibt Dinge, die man einfach nicht tun kann, dachte er wieder.
Der King knipste das Feuerzeug an, und sie grinsten gemeinsam bei dessen Anblick. Vorsichtig nahm der King einen Zug, dann einen zweiten. Dann einen tiefen Lungenzug. »Aber das Zeug ist ja toll!« staunte er. »Nicht so gut wie eine Kooa, aber es ist …« Er brach ab und berichtigte sich. »Ich meine, es ist nicht schlecht.«
»Es ist tatsächlich nicht schlecht.« Peter Marlowe lachte.
»Verdammt, wie machen Sie das?«
»Handelsgeheimnis.«
Der King erkannte, daß er es hier mit einer Goldmine zu tun hatte. »Ich nehme an, daß es ein langes und umständliches Verfahren ist«, tastete er ganz vorsichtig.
»Oh, eigentlich ist es ganz einfach. Man weicht einfach den rohen Knaster in Tee ein und preßt ihn dann aus. Anschließend bestreut man ihn mit etwas weißem Zucker und knetet ihn hinein, und wenn der Tabak ihn ganz aufgesogen hat, röstet man ihn leicht in einer Bratpfanne über kleinem Feuer. Dabei müssen Sie ihn dauernd drehen, sonst verdirbt er. Sie müssen es genau richtig hinkriegen. Er darf nicht zu trocken und nicht zu feucht sein.«
Der King war überrascht, daß Peter Marlowe ihm das Verfahren so bereitwillig erzählt hatte – ohne vorher mit ihm ein Geschäft zu machen. Natürlich, dachte er, regt er nur meinen Appetit an. So einfach kann es nicht sein, sonst würden alle es machen. Und er weiß wahrscheinlich, daß ich der einzige bin, der die Sache fingern kann.
»Einfach so?« fragte der King lächelnd.
»Ja. Es ist eigentlich nichts weiter dabei.«
Der King sah im Geiste schon ein blühendes Geschäft. Noch dazu ganz legal! »Ich nehme an, daß in Ihrer Baracke alle ihren Tabak auf diese Weise zubereiten.«
Peter Marlowe schüttelte den Kopf. »Ich tu es nur für meine Einheit. Die andern führe ich schon seit Monaten an der Nase herum, erzähle ihnen allerlei Geschichten, lasse sie aber nie das richtige Verfahren herausbekommen.«
Das Lächeln des King war breit. »Dann sind Sie also der einzige, der weiß, wie es gemacht wird!«
»O nein«, widersprach Peter Marlowe, und die Zuversicht des King sank. »Es ist eine Sitte der Eingeborenen. Sie tun es auf ganz Java.«
Der King strahlte wieder. »Aber hier weiß niemand was davon, nicht wahr?«
»Keine Ahnung. Ich habe wirklich nie darüber nachgedacht.«
Der King ließ den Rauch aus den Nasenlöchern kräuseln, und sein Hirn arbeitete schnell. Ja, sagte er zu sich, heute hast du einen Glückstag!
»Ich will Ihnen was sagen, Peter. Ich habe Ihnen einen Geschäftsvorschlag zu machen. Sie zeigen mir genau, wie es gemacht wird, und ich beteilige Sie mit …« Er zögerte. »Zehn Prozent.«
»Wie bitte?«
»Na ja … sagen wir: fünfundzwanzig.«
»Fünfundzwanzig?«
»Also gut«, gab der King nach und betrachtete Peter Marlowe mit neuer Achtung. »Sie sind ein harter Brocken, und das gefällt mir. Ich werde die ganze Sache organisieren. Wir werden im großen einkaufen. Wir müssen eine Manufaktur einrichten. Sie können die Produktion überwachen, und ich werde mich um den Verkauf kümmern.« Er streckte die Hand aus. »Wir sind Partner, wir teilen uns den Spaß, fifty-fifty. Abgemacht!«
Peter Marlowe starrte auf die ausgestreckte Hand des King. Dann sah er ihm ins Gesicht. »Gar nichts ist abgemacht!« erklärte er entschieden.
»Himmelarsch!« explodierte der King. »Das ist das anständigste Angebot, das Sie je bekommen werden. Was ist denn noch anständiger? Ich finanziere den Laden! Ich werde …« Ein plötzlicher Einfall ließ ihn abbrechen. »Peter …«, sagte er nach einer Weile, und er war verletzt, zeigte es aber nicht. »Niemand braucht zu wissen, daß wir Partner sind. Sie zeigen mir einfach, wie es gemacht wird, und ich werde dafür sorgen, daß Sie Ihren Anteil bekommen. Sie können mir vertrauen.«
»Das weiß ich«, versicherte Peter Marlowe.
»Also, teilen wir fifty-fifty!« Der King strahlte.
»Nein, tun wir nicht.«
»Verdammt …«, stöhnte der King, als er die Daumenschrauben angesetzt fühlte. Aber er unterdrückte seine Wut und dachte über das Geschäft nach. Und je mehr er darüber nachdachte … Er blickte sich um und vergewisserte sich, daß niemand lauschte. Dann senkte er die Stimme und flüsterte heiser: »Sechzig-vierzig! Das hab ich in meinem ganzen Leben noch keinem angeboten. Sechzig zu vierzig, einverstanden.«
»Nein, nicht einverstanden.«
»Nicht einverstanden?« echote der King. Er war schockiert. »Ich muß bei diesem Geschäft doch etwas verdienen, Herrgott noch mal! Also was verlangen Sie für das Verfahren? Wollen Sie Barzahlung?«
»Ich will überhaupt nichts«, wehrte Peter Marlowe ab.
»Nichts?« Der King setzte sich, matt und völlig erschlagen.
Peter Marlowe war bestürzt. »Wissen Sie«, begann er zögernd, »ich begreife nicht, wieso Sie sich über gewisse Dinge so aufregen. Das Verfahren gehört mir nicht, und deshalb kann ich es auch nicht verkaufen. Es handelt sich um ein einfaches Eingeborenenrezept. Ich könnte gar nichts von Ihnen annehmen dafür. Das wäre nicht richtig. Absolut nicht richtig. Und außerdem habe ich …« Peter Marlowe brach ab und sagte schnell: »Möchten Sie gerne, daß ich es Ihnen jetzt zeige?«
»Augenblick noch. Wollen Sie damit etwa sagen, Sie wollen nichts dafür haben, daß Sie mir das Verfahren zeigen? Obwohl ich Ihnen angeboten habe, sechzig zu vierzig mit Ihnen zu teilen? Obwohl ich Ihnen sage, daß ich aus diesem Geschäft Geld machen kann?« Peter Marlowe nickte. »Das ist einfach verrückt«, sagte der King hilflos. »Es ist verkehrt! Ich begreife es nicht.«
»Es gibt nichts zu begreifen«, sagte Peter Marlowe und lächelte leise. »Nehmen Sie einfach an, ich hätte einen Sonnenstich.«
Der King sah ihn lange forschend an. »Würden Sie mir eine offene Antwort auf eine offene Frage geben?«
»Ja. Selbstverständlich.«
»Es ist meinetwegen, nicht wahr?«
Die Worte hingen in der Hitze zwischen ihnen.
»Nein«, sagte Peter Marlowe und brach das Schweigen. Und Wahrheit lag zwischen ihnen.
Eine Stunde später sah Peter Marlowe zu, wie Tex die zweite Portion Tabak röstete. Diesmal tat Tex es ohne Hilfe, und der King trippelte aufgeregt gackernd wie eine Henne um die beiden herum. »Sind Sie auch sicher, daß er die richtige Menge Zucker hineingetan hat?« fragte er besorgt Peter Marlowe.
»Genau die richtige Menge.«
»Wie lange wird es jetzt noch dauern?«
»Wie lange glauben Sie, Tex?«
Tex lächelte Peter Marlowe an und streckte seine schlaksigen einsneunzig. »Fünf, vielleicht sechs Minuten, so in dieser Preislage etwa.«
Peter Marlowe stand auf. »Wo ist das … das Häuschen?«
»Scheißhaus? Um die Baracke rum, auf der Rückseite.« Der King zeigte mit ausgestreckter Hand die Richtung. »Aber können Sie denn nicht warten, bis Tex fertig ist? Ich will sicher sein, daß er alles richtig kapiert hat.«
»Tex macht das großartig«, versicherte Peter Marlowe und ging hinaus.
Als er zurückkam, nahm Tex gerade die Bratpfanne von der Kochplatte.
»Jetzt«, sagte er nervös und streifte Peter Marlowe mit einem Blick, um an seinem Gesichtsausdruck abzulesen, ob er die Zeit richtig eingeschätzt hatte.
»Genau richtig«, bestätigte Peter Marlowe und prüfte den behandelten Tabak.
Aufgeregt nahm der King ein Reispapierchen und drehte eine Zigarette. Tex und Peter Marlowe machten es ihm nach. Sie zündeten sie an. Mit dem Ronson. Erneut entzücktes Lachen. Dann Schweigen, als jeder der Männer zum Kenner wurde.
»Große Klasse«, stellte Peter Marlowe entschieden fest. »Ich sagte Ihnen ja, es ist ganz einfach, Tex.«
Tex stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
»Nicht schlecht«, meinte der King nachdenklich.
»Herrgott, verflucht noch mal, was quasselst du eigentlich daher?« brauste Tex auf. »Das Zeug ist verdammt gut!«
Peter Marlowe und der King schüttelten sich vor Lachen. Sie erklärten warum, und dann lachte auch Tex.
»Wir brauchen einen Markennamen.« Der King dachte einen Augenblick nach. »Ich weiß einen! Wie wär's mit ›Drei Könige‹? Einen für die Königliche Luftwaffe, einen für König Texas, und einen für mich.«
»Nicht schlecht«, brummte Tex.
»Morgen werden wir die Manufaktur aufmachen.«
Tex schüttelte den Kopf. »Bin für 'n Arbeitskommando eingeteilt.«
»Ach was, Arbeitskommando! Ich laß Dino für dich einspringen.«
»Ich frag ihn selber.« Tex stand auf und lächelte Peter Marlowe zu. »Freut mich, Sie kennengelernt zu haben, Sir.«
»Vergessen Sie bitte das Sir«, sagte Peter Marlowe.
»Klar. Danke.«
Peter Marlowe sah hinter ihm her, als er davonging. »Seltsam«, wandte er sich ruhig an den King. »Ich habe noch nie in einer Baracke so viel Lachen gesehen.«
»Hat doch keinen Sinn, nicht zu lachen, meinen Sie nicht? Könnte alles viel schlimmer sein. Sind Sie abgeschossen worden, als Sie über den großen Buckel flogen?«
»Sie meinen die Strecke Kalkutta–Tschungking? Über den Himalaja weg?«
»Ja.« Der King nickte zum Tabak hin. »Füllen Sie Ihre Dose.«
»Danke. Ich bin so frei, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Kommen Sie her, wenn Sie auf dem trocknen sitzen, und holen Sie sich Nachschub.«
»Danke, mach ich. Sie sind sehr freundlich.« Peter Marlowe hätte gern noch eine Zigarette geraucht, aber er wußte, daß er zuviel rauchte. Wenn er jetzt noch eine rauchte, würde der Hunger nur noch mehr weh tun. Besser kurztreten. Er blickte auf den Sonnenschatten und gelobte, nicht eher wieder zu rauchen, bis der Schatten um fünf Zentimeter weitergewandert war. »Ich wurde überhaupt nicht abgeschossen. Meine Mühle – meine Maschine – wurde bei einem Luftangriff auf Java am Boden zerstört. Ich konnte nicht aufsteigen. Ziemlich ärgerlich«, setzte er hinzu und versuchte die Bitterkeit zu verbergen.
»Gar nicht so verkehrt«, erklärte der King. »Sie hätten schließlich auch drinstecken können. Sie leben, und darauf kommt es an. Was haben Sie geflogen?«
»Eine Hurricane. Einmannjäger. Aber meine normale Maschine war eine Spit – Spitfire.«
»Hab davon gehört, aber nie eine gesehen. Ihr Burschen habt die Deutschen weiß Gott zur Sau gemacht.«
»Ja«, antwortete Peter Marlowe leise. »Das haben wir getan, ziemlich.«
Der King war überrascht. »Sie waren doch nicht bei der Luftschlacht um England, oder?«
»Doch. Ich habe 1940 meine Schwingen bekommen, gerade noch rechtzeitig.«
»Wie alt waren Sie damals?«
»Neunzehn.«
»Hä? Ich hätte Sie, Ihrem Gesicht nach zu urteilen, mindestens für achtunddreißig gehalten und nicht für vierundzwanzig!«
»Danke ebenfalls, Freundchen!« Peter Marlowe lächelte. »Wie alt sind Sie?«
»Fünfundzwanzig, verdammt noch mal«, brummte der King. »Die besten Jahre meines Lebens, und dann in diesem dreckigen Gefängnis eingelocht.«
»Sie sind doch nicht eingelocht. Und mir scheint, daß es Ihnen ziemlich gutgeht.«
»Wir sind trotzdem eingelocht. Sie können das ansehen, wie Sie wollen. Was meinen Sie, wie lange es noch dauert?«
»Wir haben die Deutschen zum Rückzug gezwungen. Die Schau dürfte bald vorbei sein.«
»Glauben Sie wirklich?«
Peter Marlowe zuckte die Achseln. Vorsichtig, sagte er zu sich selbst, man kann nie vorsichtig genug sein. »Ja, ich glaube. Aber bei diesen Gerüchten weiß man nie …«
»Und unser Krieg? Was ist mit uns?«
Weil die Frage von einem Freund gestellt worden war, redete Peter Marlowe offen. »Ich glaube, daß unser Krieg ewig dauern wird. Oh, wir werden zwar die Japsen schlagen. Aber was uns hier angeht? Ich glaube nicht, daß wir herauskommen.«
»Warum?«
»Na ja, ich glaube nicht, daß die Japsen sich je ergeben werden. Das bedeutet, daß wir auf ihrem Mutterland landen müssen. Und dann werden sie uns hier, meiner Meinung nach, liquidieren, uns alle. Wenn Epidemien und Krankheiten uns nicht schon vorher umgelegt haben.«
»Verflucht, warum sollten sie?«
»Oh, um Zeit zu gewinnen, nehme ich an. Ich denke, daß sie die Fangarme einziehen werden, je enger das Netz um Japan sich zusammenzieht. Warum sollten sie einiger tausend Gefangener wegen Zeit verschwenden? Die Japsen denken über das Leben ganz anders als wir. Und der Gedanke an unsere Truppen auf ihrer Heimaterde wird sie glatt um den Verstand bringen.« Seine Stimme klang ganz flach und ruhig. »Ich glaube, wir sind erledigt. Natürlich hoffe ich, daß ich mich irre. Aber ich glaube es nun mal.«
»Sie sind ja verdammt optimistisch«, sagte der King sauer, und als Peter Marlowe lachte, fuhr er auf: »Verflucht, worüber lachen Sie eigentlich? Sie scheinen immer an der falschen Stelle zu lachen.«
»Entschuldigung. Schlechte Angewohnheit.«
»Setzen wir uns nach draußen. Die Fliegen fressen einen ja auf. He! Max«, rief der King. »Kannst du mal aufräumen?«
Max kam heran und begann aufzuräumen, und der King und Peter Marlowe stiegen durch das Fenster nach draußen. Gleich vor der Baracke standen unter einem Segeltuchvordach noch ein kleiner Tisch und eine Bank.
Der King setzte sich auf die Bank. Peter Marlowe hockte sich nach Eingeborenenart auf die Fersen.
»Das könnte ich nie«, meinte der King.
»Es ist sehr bequem. Ich hab es auf Java gelernt.«
»Wie kommt es, daß Sie so gut Malaiisch sprechen?«
»Ich habe eine Zeitlang in einem Dorf gelebt.«
»Wann?«
»42, nach der Landung der Japaner.«
Der King wartete geduldig, daß er weitererzählte, aber es kam nichts mehr aus ihm heraus. Er wartete noch eine Weile und fragte dann: »Wie kam das, daß Sie nach der Besetzung 42 in einem Dorf auf Java gelebt haben, wo doch alle andern schon im Gefangenenlager steckten?«
Peter Marlowes Lachen war herzhaft. »Entschuldigung. Es gibt nicht viel zu erzählen. Mir gefiel der Gedanke nicht, in einem Lager zu stecken. Tatsächlich war es so, daß ich mich bei Kriegsende in den Dschungel absetzte, mich darin verirrte und – nach einiger Zeit auf dieses Dorf stieß. Man hatte Mitleid mit mir. Ich blieb etwa sechs Monate.«
»Wie war das?«
»Wunderbar. Sie waren sehr freundlich. Ich lebte genau wie einer von Ihnen. Gekleidet wie ein Javanese, und meine Haut färbte ich dunkel – wissen Sie, eigentlich war es Unsinn, denn meine Größe und meine Augen verrieten mich ja sowieso. Ich arbeitete in den Reisfeldern.«
»Sie ganz allein?«
Nach einer Pause antwortete Peter Marlowe: »Ich war der einzige Europäer dort, falls Sie das gemeint haben.« Er blickte auf das Lager hinaus, sah die Sonne auf den Staub herabsengen und den Wind den Staub hochfegen und ihn herum wirbeln. Diese Staubwirbel erinnerten ihn an sie.
Sein Blick schweifte weiter nach Osten hin zu einem nervösen Himmel. Aber sie war Teil des Himmels.
Der Wind frischte leicht auf und bog die Wipfel der Kokospalmen. Aber sie war Teil des Windes und der Palmen und der Wolken dahinter.
Peter Marlowe riß sich aus seinen Gedanken los und beobachtete, wie der koreanische Posten in der drückenden Hitze schwitzend außerhalb des Lagers den Zaun entlangstampfte. Die Uniform des Postens war schäbig und schlecht gepflegt, und seine Mütze war so zerknautscht wie sein Gesicht, sein Gewehr hatte er quer auf dem Rücken hängen. Er war ebenso bar jeder Anmut, wie sie voller Anmut gewesen war.
Erneut blickte Peter Marlowe zum Himmel hinauf und suchte die Ferne. Dann konnte er sich dem Gefühl hingeben, sich nicht mehr in einem Kasten zu befinden – in einem Kasten voller Männer und voll der Gerüche von Männern. Ohne Frauen, dachte Peter Marlowe hilflos, sind Männer nur ein grausamer Witz. Und er blutete unter den sengenden Strahlen der Sonne.
»He! Peter …« Der King blickte den Hang hinauf, und sein Mund stand weit offen.
Peter Marlowe folgte dem Blick des King, und sein Magen drehte sich um, als er Sean näher kommen sah. »Mein Gott!« Er wollte sich durch das Fenster aus dem Staub machen, wußte aber, daß er sich dadurch noch auffälliger gemacht hätte. Deshalb wartete er grimmig und atmete kurz. Er glaubte, vielleicht eine Chance zu haben, nicht entdeckt zu werden, denn Sean war tief ins Gespräch mit Staffelführer Rodrick und Leutnant Frank Parrish vertieft. Ihre Köpfe waren dicht beieinander, und ihre Stimmen klangen angespannt.
Dann blickte Sean an Frank Parrish vorbei und sah Peter Marlowe und blieb stehen. Rodrick und Frank hielten überrascht ebenfalls an. Als sie Marlowe sahen, dachten sie: Ach du lieber Gott. Aber sie verbargen ihre Besorgnis.
»Hallo, Peter«, rief Rodrick laut. Er war ein großer, ordentlicher Mann mit scharf gemeißeltem Gesicht, ebenso groß und ordentlich, wie Frank Parrish groß und unordentlich war.
»Hallo, Rod!« rief Peter Marlowe zurück.
»Ich komme gleich nach«, sagte Sean ruhig zu Rodrick und ging auf Peter Marlowe und den King zu. Jetzt, da der erste Schock abgeklungen war, lächelte Sean ein Willkommen.
Peter Marlowe fühlte, wie sich ihm die Nackenhaare zu sträuben begannen, und er stand auf und wartete ab. Er fühlte deutlich, wie die Blicke des King sich in ihn bohrten.
»Hallo, Peter«, sagte Sean.
»Hallo, Sean.«
»Du bist schmal, Peter.«
»Oh, keine Ahnung. Sicher nicht mehr, als jeder andere auch. Ich fühl mich ganz wohl, danke.«
»Ich habe dich so lange Zeit nicht mehr gesehen. Warum kommst du nicht gelegentlich mal zum Theater herauf? Es gibt da immer irgendwo eine kleine Sonderration – und du kennst mich ja, ich habe nie viel gegessen.« Sean lächelte hoffnungsvoll.
»Danke«, antwortete Peter Marlowe rauh vor Verlegenheit.
»Ach, ich weiß, daß du nicht kommen wirst«, resignierte Sean unglücklich, »aber du bist immer willkommen.« Es entstand eine Pause. »Ich sehe dich überhaupt nicht mehr.«
»Oh, du weißt ja, wie das so ist, Sean. Du legst all die Vorführungen auf die Bretter, und ich, na ja, ich bin auf Arbeitseinsätzen und solchen Scherzen.«
Wie Peter Marlowe trug auch Sean einen Sarong, der aber anders war als der Peter Marlowes, welcher fadenscheinig und von verblaßtem Bunt war, während derjenige Seans neu und weiß leuchtete und der Saum mit Blau und Silber bestickt war. Und Sean trug eine kurzärmelige Eingeborenen-Bajujacke, die über der Hüfte endete und eng war und zugeschnitten, um für die Schwellung von Brüsten Raum zu lassen. Der King starrte fasziniert auf den halboffenen Halsausschnitt des Baju. Sean bemerkte den King und lächelte leise und strich die Haare zurück, die der Wind kosend zerzaust hatte, und spielte damit, bis der King aufsah. Sean lächelte insgeheim und wurde innerlich erwärmt, als der King errötete.
»Es wird … ehhm, es wird heiß, nicht wahr?« druckste der King unbehaglich.
»Ich glaube, ja«, bestätigte Sean freundlich und war wie immer kühl und ohne Schweiß – wie sengend die Hitze auch sein mochte. Es entstand ein Schweigen.
»Oh, Entschuldigung«, beeilte Peter Marlowe sich, als er Sean auf den King blicken und geduldig warten sah. »Kennst du …«
Sean lachte. »Mein Gott, Peter. Du bist vielleicht gut! Natürlich weiß ich, wer dein Freund ist, auch wenn wir uns nie begegnet sind.« Sean streckte die Hand aus. »Wie geht es Ihnen? Es ist eine ziemlich große Ehre, einen König kennenzulernen!«
»Ehhm, danke«, brachte der King heraus und berührte kaum die Hand, die in der seinen so klein wirkte. »Sie … ehhm, möchten Sie gern rauchen?«
»Danke, ich rauche nicht. Aber wenn Sie gestatten, nehme ich eine. Eigentlich lieber zwei, wenn es Ihnen nichts ausmacht?«
Sean nickte zum Weg hin. »Rod und Frank sind beide Raucher, und ich weiß, daß sie eine zu schätzen wüßten.«
»Natürlich«, rief der King. »Natürlich.«
»Danke. Das ist sehr nett von Ihnen.«
Ob er wollte oder nicht, der King fühlte von Seans Lächeln Wärme auf sich übergehen. Und dann sagte er, und er meinte es völlig ernst: »Sie waren großartig in Othello.«
»Danke schön«, antwortete Sean entzückt. »Hat Ihnen Hamlet gefallen?«
»Ja. Und ich hatte mir nie viel aus Shakespeare gemacht.«
Sean lachte. »Das ist in der Tat ein Lob. Wir bringen nächstens ein neues Stück heraus. Frank hat es eigens geschrieben, und an sich müßte es viel Spaß bereiten.«
»Wenn es einfach irgendwas ganz Normales ist, wird es schon großartig«, meinte der King, der sich behaglicher fühlte. »Und Sie werden großartig sein.«
»Wie nett von Ihnen. Danke.« Sean sah zu Peter Marlowe hinüber, und seine Augen leuchteten noch heller als sonst. »Aber ich fürchte, Peter wird nicht Ihrer Meinung sein.«
»Hör schon auf, Sean«, fuhr Peter Marlowe auf.
Sean blickte Peter Marlowe nicht an, er sah auf den King und lächelte, aber Wut lauerte hinter dem Lächeln. »Peter hält nichts von mir.«
»Hör auf, Sean«, erwiderte Peter Marlowe grob.
»Ich denke nicht daran«, brach es scharf wie ein Peitschenhieb aus Sean hervor. »Du verachtest Abwegige – so nennst du mich doch, nicht wahr? Das hast du mir ziemlich klargemacht. Ich habe es nicht vergessen!«
»Ich ebensowenig!«
»Nun, das ist ja was! Ich mag nicht verachtet werden – am allerwenigsten von dir!«
»Ich habe gesagt, du sollst aufhören! Es ist hier weder der richtige Augenblick noch der richtige Ort. Und wir haben das Ganze schon einmal durchgemacht, und du hast alles schon einmal gesagt. Ich habe dir damals erklärt, daß es mir leid tut. Ich wollte dir nicht weh tun.«
»Nein. Aber du haßt mich noch immer – warum? Warum nur?«
»Ich hasse dich nicht.«
»Warum meidest du mich dann immer?«
»Es ist besser. Um Gottes willen, Sean, laß mich in Ruhe.«
Sean starrte Peter Marlowe an, und dann schmolz der Zorn ebenso plötzlich, wie er aufgelodert war. »Entschuldige, Peter. Du hast wahrscheinlich völlig recht. Ich bin ein Narr. Es liegt nur daran, daß ich von Zeit zu Zeit einsam bin. Daß ich mich einfach nach jemandem sehne, mit dem ich reden kann.« Sean streckte die Hand aus und berührte Peter Marlowes Arm. »Entschuldige. Ich möchte einfach, daß wir wieder Freunde sind.«
Peter Marlowe konnte nichts darauf erwidern.
Sean zögerte. »Nun, ich glaube, es ist besser, wenn ich gehe.«
»Sean«, rief Rodrick vom Weg herüber, »wir kommen zu spät!«
»Ich komm gleich.« Sean blickte noch immer Peter Marlowe an, seufzte dann und hielt dem King die Hand hin. »Es war nett, Sie kennenzulernen. Verzeihen Sie mein schlechtes Benehmen.«
Der King konnte nicht vermeiden, die Hand nochmals zu berühren. »Hat mich gefreut«, sagte er.
Sean zögerte, und seine Augen blickten ernst und forschend. »Sie sind Peters Freund?«
Der King hatte das Gefühl, als hörte ihn die ganze Welt, als er stammelnd sagte: »Ehhm, natürlich, ja, ich glaube schon.«
»Seltsam, nicht wahr, daß ein Wort so viele verschiedene Bedeutungen haben kann. Aber wenn Sie sein Freund sind, dann führen Sie ihn bitte nicht vom rechten Wege ab. Sie sind von Gefahr umlauert, und ich fände es schrecklich, wenn Peter etwas zustieße. Ich habe ihn sehr gern.«
»Ehhm, ja, natürlich.« Dem King wurden die Knie wachsweich, und sein Rückgrat schmolz. Aber der Magnetismus von Seans Lächeln durchdrang ihn. Es war anders als alles, was er je empfunden hatte. »Die Vorstellungen sind das Beste im Lager«, erklärte er. »Sie machen das Leben lebenswert … Und Sie sind das Beste daran.«
»Ich danke Ihnen.« Und dann setzte er zu Peter Marlowe gewandt hinzu: »Sie machen das Leben tatsächlich lebenswert. Ich bin sehr glücklich. Und mir gefällt es, was ich jetzt tue. Es macht alles lohnend, Peter.«
»Ja«, antwortete Peter Marlowe gequält. »Ich bin ja froh, daß alles in Ordnung ist.«
Sean lächelte zögernd ein letztes Mal, drehte sich dann schnell um und war plötzlich verschwunden.
Der King setzte sich. »Der Teufel soll mich holen!«
Peter Marlowe setzte sich ebenfalls. Er öffnete seine Dose und drehte sich eine Zigarette.
»Wenn man nicht wüßte, daß er ein Mann ist, würde man bei Gott schwören, es ist eine Frau«, stieß der King hervor. »Eine wunderschöne Frau.«
Peter Marlowe nickte matt.
»Er ist anders als die übrigen Hinterlader«, meinte der King. »Das ist sicher. Nein, Sir, er ist überhaupt nicht mit ihnen zu vergleichen. Verdammt, er hat etwas an sich, das nicht …« Der King brach ab und suchte nach Worten und fuhr hilflos fort: »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Er ist … er ist eine Frau, verdammt! Erinnern Sie sich, wie er die Desdemona gespielt hat? Mein Gott, wie er damals in dem Negligé ausgesehen hat. Ich wette, daß es in ganz Changi keinen einzigen gibt, der nicht einen stehen gehabt hätte. Ich kann es keinem übelnehmen, wenn er sich versucht fühlt. Ich selbst bin versucht, jeder ist es. Wer etwas anderes behauptet, der lügt.« Dann blickte er Marlowe an und betrachtete ihn forschend.
»Du lieber Gott«, rief Peter Marlowe gereizt. »Jetzt meinen Sie wohl, ich bin auch schwul!«
»Nein«, antwortete der King ruhig. »Es macht mir auch nichts aus, falls Sie es sind. Wichtig ist nur, daß ich es weiß.«
»Also ich bin es nicht.«
»Es hat sich aber weiß Gott danach angehört«, sagte der King mit einem Grinsen. »Liebeshändel?«
»Geh'n Sie zum Teufel!«
Nach einer Weile fragte der King tastend: »Kennen Sie Sean schon lange?«
»Er war in meiner Staffel«, erzählte Peter Marlowe schließlich. »Sean war der Jüngste, und ich war mehr oder weniger abkommandiert, mich um ihn zu kümmern. Ich lernte ihn sehr gut kennen.« Er schnippte die Glut seiner Zigarette weg und legte den restlichen Tabak in seine Dose zurück. »Ja, er war sogar mein bester Freund. Er war ein sehr guter Flieger. Hat drei Abschüsse über Java erzielt.« Er blickte den King an. »Ich habe ihn sehr gern gehabt.«
»War … war er früher schon so?«
»Nein.«
»Oh, ich weiß, daß er sich nicht immer wie eine Frau gekleidet hat. Aber es muß doch zu merken gewesen sein, daß er so veranlagt ist.«
»Sean war niemals so veranlagt. Er war nur ein sehr hübscher, freundlicher Junge. Es war nichts Weibliches an ihm, nur eine Art … Sympathie.«
»Haben Sie ihn je ohne Kleider gesehen?«
»Nein.«
»Das paßt genau. Auch kein anderer hat ihn jemals gesehen. Nicht einmal halb nackt.«
Sean war ein winzig kleiner Raum oben im Theater zugestanden worden, ein Privatraum, wie ihn niemand in ganz Changi besaß, selbst der King nicht. Aber Sean schlief nie in dem Raum. Der Gedanke an Sean ganz allein in einem Raum mit einem Schloß an der Tür war zu gefährlich, weil es viele im Lager gab, deren Lüsternheit hervorbrach, und der Rest war innerlich voll Lüsternheit. Deshalb schlief Sean immer in einer der Baracken, aber in dem Privatraum zog er sich um und duschte.
»Was ist zwischen euch beiden?« fragte der King.
»Ich hab ihn beinah umgebracht. Früher mal.«
Plötzlich verstummte die Unterhaltung, und beide Männer lauschten angespannt. Außer einem Seufzen, einem untergründigen Strömen, war nichts zu hören. Der King sah sich schnell um. Als er nichts Außergewöhnliches entdeckte, stand er auf und kletterte durch das Fenster, und Peter Marlowe folgte dicht hinter ihm. Die Männer in der Baracke lauschten ebenfalls.
Der King spähte zur Gefängnisecke hinüber. Alles schien in bester Ordnung. Noch immer gingen Männer auf und ab.
»Was meinen Sie?« fragte der King leise.
»Keine Ahnung«, antwortete Peter Marlowe und konzentrierte sich.
Noch immer gingen Männer am Gefängnis vorbei, aber jetzt hatten ihre Schritte sich etwas beschleunigt.
»He! Seht mal«, wisperte Tex.
Um die Gefängnisecke herum bog Hauptmann Brough und kam auf sie zu. Dann tauchten andere Offiziere hinter ihm auf, die alle nach verschiedenen Mannschaftsbaracken unterwegs waren.
»Muß irgendeine Schweinerei sein«, brummte Tex mürrisch.
»Vielleicht gibt es eine Durchsuchung«, meinte Max.
Der King lag im Nu auf den Knien und schloß die schwarze Kiste auf. Peter Marlowe verabschiedete sich hastig: »Bis später.«
»Hier«, rief der King und warf ihm eine Packung Kooa zu. »Wenn Sie wollen, bis heute abend.«
Peter Marlowe fegte aus der Baracke und jagte den Hang hinab. Der King riß die drei Armbanduhren heraus, die in den Kaffeebohnen vergraben waren, und stand auf. Er dachte einen Augenblick nach, dann stellte er sich auf seinen Stuhl und stopfte die drei Uhren in das Atapdach. Er wußte, daß alle Männer das neue Versteck gesehen hatten, aber das war ihm jetzt gleichgültig, es war nicht zu ändern. Dann verschloß er die schwarze Kiste, und Brough stand in der Tür.
»Also los, Leutchen, raus mit euch.«