20
Larkin ging tief beunruhigt den Weg zur Aussie-Baracke hinauf. Er war besorgt wegen Peter Marlowe – der Arm schien ihm über ein erträgliches Maß hinaus Beschwerden zu machen und ihn viel zu sehr zu schmerzen, als daß man es einfach als Fleischwunde hätte abtun können. Er machte sich auch Sorgen um den alten Mac. Letzte Nacht hatte Mac im Schlaf laut geredet und geschrien. Und er machte sich Sorgen um Betty. In den vergangenen Nächten hatte er selbst schlecht geträumt, wildes und wirres Zeug, Betty und er, und andere Männer bei ihr im Bett, die ihn beobachteten, während sie ihn anlächelte.
Larkin betrat die Baracke und ging auf Townsend zu, der im Bett lag.
Townsends Augen waren verschwollen und geschlossen, das Gesicht war zerkratzt, und Arme und Brust waren aufgeschürft und zerkratzt. Als er den Mund zu einer Antwort öffnete, sah Larkin eine blutige Lücke, wo Zähne hätten sein sollen.
»Wer hat es getan, Townsend?«
»Keine Ahnung«, wimmerte Townsend. »Ich wurde von hinten überfallen.«
»Warum?«
Tränen quollen hervor und rieselten über Risse und Kratzer.
»Ich hatte – ich hatte einen – nichts – nichts. Ich weiß – nichts.«
»Wir sind allein, Townsend. Wer hat es getan?«
»Ich weiß nicht.« Ein schluchzendes Stöhnen kam über Townsends Lippen. »Oh, großer Gott, sie haben mich geschlagen und geschlagen.«
»Warum wurden Sie hinterrücks überfallen?«
»Ich – ich …« Townsend wollte hinausschreien: »Der Diamant. Ich habe den Diamanten gehabt«, und er wollte den Oberst um Hilfe bitten, damit die Hunde gefaßt wurden, die ihm den Diamanten geraubt hatten, aber er durfte nichts über den Diamanten sagen, denn sonst würde der Oberst wissen wollen, wo er ihn hergehabt hatte, und dann würde er antworten müssen, daß er ihn von Gurble hatte, und dann würde es Fragen wegen Gurble geben, wo der ihn herbekommen hatte – Gurble? Der Selbstmörder? Dann würde man vielleicht erklären, es wäre kein Selbstmord, sondern Mord gewesen. Aber es war kein Mord. Zumindest glaubte er, Townsend, das nicht. Aber wer weiß, vielleicht hat doch jemand Gurble wegen des Diamanten umgelegt. Aber in der Nacht damals hatte Gurble nicht in seinem Bett gelegen, und ich hatte den Umriß des Diamantrings unter seiner Matratze gespürt und ihn herausgeholt und bin damit in die Nacht hinaus verschwunden, und wer hätte schon etwas beweisen können – und zufällig beging Gurble in der gleichen Nacht Selbstmord, so daß es nicht weiter schlimm war. Außer daß vielleicht ich es war, der Gurble ermordet hat, daß ich ihn dadurch ermordet habe, daß ich ihm den Stein gestohlen habe, vielleicht ist der Diamantring der letzte Strohhalm für Gurble gewesen, nachdem er wegen Diebstahls von Lebensmitteln aus der Einheit ausgestoßen worden war, und dann ist ihm auch noch der Diamant gestohlen worden. Vielleicht hat das den armen Hund um den Verstand gebracht, so daß er in das Loch gesprungen ist! Aber es war unvernünftig, Verpflegung zu stehlen, wenn man einen Diamanten besaß, den man verkaufen konnte. Heller Blödsinn. Einfach völliger Blödsinn. Außer daß ich vielleicht die Ursache für Gurbles Tod gewesen bin, und ich verfluche mich selbst immer und immer wieder, daß ich damals den Diamanten gestohlen habe. Seit ich zum Dieb geworden bin, habe ich keine Ruhe mehr gehabt. Keine Ruhe, keine Ruhe. Und jetzt, jetzt bin ich richtig froh, daß das Ding nicht mehr bei mir ist, daß es mir gestohlen wurde.
»Ich weiß es nicht«, schluchzte Townsend.
Larkin erkannte, daß es keinen Sinn hatte, weiter in ihn zu dringen, und überließ Townsend seinen Schmerzen.
»Oh, Entschuldigung, Pater«, sagte Larkin, der Pater Donovan fast die Barackentreppe hinabgestoßen hätte.
»Hallo, alter Freund.« Pater Donovan sah gespenstisch aus und war vollkommen ausgemergelt. Die Augen lagen tief in den Höhlen und blickten seltsam friedlich. »Wie geht es Ihnen? Und Mac? Und dem jungen Peter?«
»Danke, gut.« Larkin nickte zu Townsend hin. »Wissen Sie etwas darüber?« Donovan sah Townsend an und antwortete leise: »Ich sehe einen Menschen in Pein.«
»Entschuldigung, ich hätte nicht fragen sollen.« Larkin dachte einen Augenblick nach und lächelte dann. »Wie wäre es mit einer Partie Bridge? Heute abend vielleicht? Nach dem Abendessen?«
»Ja. Danke schön. Sehr gern.«
»Gut. Nach dem Abendessen.«
Pater Donovan sah hinter Larkin her und trat dann an Townsends Bett. Townsend war nicht Katholik. Aber Pater Donovan war für alle da, denn er wußte, daß alle Menschen Kinder Gottes sind.
Aber sind sie das wirklich, alle Menschen, überlegte er. Konnten Kinder Gottes solche Dinge tun?
Gegen Mittag kamen gleichzeitig der Wind und der Regen. Bald waren alle und alles eingeweicht. Dann hörte der Regen auf, und der Wind blies weiter. Ganze Stücke wurden aus den Atapdächern gerissen, wirbelten über das Lager hinweg und fegten zusammen mit losen Palmwedeln und Lumpen und Kulihüten davon. Dann hörte auch der Wind auf, und das Lager war wieder normal mit Sonne und Hitze und Fliegen. In den Wassergräben schoß eine halbe Stunde lang das Wasser dahin, begann dann in die Erde zu versickern und stehenzubleiben. Noch mehr Fliegen sammelten sich.
Peter Marlowe schlenderte lustlos den Hügel hinauf. Die Füße waren ebenso von Schlamm bedeckt wie die Beine, denn er hatte sich mitten in den Sturm gestellt, in der Hoffnung, Wind und Regen würden die brennenden Schmerzen von ihm nehmen. Aber beide hatten ihn überhaupt nicht berührt.
Er stand vor des King Fenster und spähte hinein.
»Wie fühlen Sie sich, Peter, Kamerad?« fragte der King, während er von seinem Bett aufstand und nach einer Packung Kooa suchte.
»Scheußlich.« Peter Marlowe setzte sich auf die Bank unter dem Vordach, und vor Schmerzen wurde ihm übel. »Mein Arm bringt mich noch um.« Sein Lachen klang brüchig. »Nur ein Witz!«
Der King sprang aus dem Fenster und zwang sich zu einem Lächeln. »Denken Sie nicht mehr daran.«
»Verdammt, wie soll ich es vergessen können?« Sofort bedauerte Peter Marlowe den Ausbruch. »Entschuldigung, ich bin nervös. Ich weiß die Hälfte der Zeit nicht, was ich rede.«
»Nehmen Sie eine Zigarette.« Der King zündete sie ihm an. Tja, sagte der King zu sich selbst. Da sitzt du schön in der Klemme. Der Limey lernt schnell, sehr schnell. Zumindest glaube ich das. Wir wollen doch mal sehen. »Morgen bringen wir das Geschäft endgültig zum Abschluß. Sie können heute nacht das Geld holen. Ich werde Sie decken.«
Aber Peter Marlowe hörte ihn nicht. Sein Arm brannte ein Wort in sein Hirn. Amputieren! Und er hörte die Säge knirschen und spürte, wie sie sich in seinen Arm fraß. Wie sie Knochenstaub herausriß, den Staub seiner Knochen. Ein Schauder schüttelte ihn. »Was ist – damit?« murmelte er und schaute von seinem Arm auf. »Können Sie wirklich etwas tun?«
Der King nickte und sagte zu sich selbst: Na, siehst du. Du hast recht gehabt. Nur Peter weiß, wo das Geld ist, aber Peter wird das Geld erst holen, wenn du für den Arm gesorgt hast. Ohne Heilung kein Zaster. Ohne Zaster kein Geschäft. Ohne Geschäft kein Gewinn. Deshalb seufzte er und sagte zu sich: Ja, du bist schon ein gewitzter Bursche, daß du deine Pappenheimer so gut kennst. Aber wenn du es richtig anpackst, so wie du es gestern abend getan hast, dann war es kein schlechtes Geschäft. Wenn Peter nicht das Risiko auf sich genommen hätte, säßen wir jetzt beide ohne Geld im Gefängnis. Und Peter hatte ihnen Glück gebracht. Das Geschäft war besser als jedes andere zuvor. Und davon abgesehen war Peter ein feiner Kerl. Ein netter Junge. Und außerdem, verdammt, wer möchte schon einen Arm verlieren. Peter hat ein Recht, mich unter Druck zu setzen. Ich bin froh, daß er gelernt hat.
»Überlassen Sie das Onkel Sam.«
»Wem?«
»Onkel Sam.« Der King starrte ihn fassungslos an. »Das amerikanische Sinnbild. Kennen Sie das nicht?« sagte er verzweifelt, »so wie John Bull.«
»Ach so, Entschuldigung. Ich bin – heute nur – ich bin nur …« Eine Woge der Übelkeit brandete über Peter Marlowe hinweg.
»Sie zischen jetzt ab, legen sich wieder ins Bett und entspannen sich. Ich werde mich um alles kümmern.«
Peter Marlowe stand unsicher auf. Er wollte lächeln und dem King danken und ihm die Hand schütteln und ihn segnen, aber er erinnerte sich wieder an das Wort und spürte nur noch die Säge, und deshalb nickte er nur leicht und ging aus der Baracke.
Um Himmels willen, sagte der King bitter zu sich. Er denkt, ich würde ihn im Stich lassen, nichts für ihn tun, wenn er mir nicht die Daumenschrauben ansetzen würde. Um Himmels willen, Peter, ich würde helfen. Ganz bestimmt. Auch wenn du mich nicht am Wickel hättest. Verdammt. Du bist mein Freund.
»He, Max.«
»Ja.«
»Schaff Timsen her, aber ein bißchen fix!«
»Jawohl«, antwortete Max und ging weg.
Der King schloß die schwarze Kiste auf und nahm drei Eier heraus. »Tex. Möchtest du dir ein Ei backen? Zusammen mit diesen beiden?«
»Verdammt, nein«, sagte Tex, grinste und nahm die Eier. »He, ich habe mir Eva angesehen. Bei Gott, sie ist heute fetter.«
»Unmöglich. Sie ist doch erst gestern gedeckt worden.«
Tex führte einen kleinen Tanz auf. »In zwanzig Tagen sind wir alle wieder Papa.« Er nahm das Öl und machte sich auf den Weg zum Küchengelände.
Der King legte sich wieder auf sein Bett zurück, kratzte nachdenklich an einem Moskitostich und beobachtete die Jagd und die Liebesspiele der Eidechsen in den Dachsparren. Er schloß die Augen und begann zufrieden zu dösen. Es war erst zwölf Uhr, und er hatte bereits die harte Arbeit eines ganzen Tages geleistet. Verdammt, um sechs Uhr in der Frühe war noch alles ein wilder Wirrwarr gewesen.
Er gluckste vor sich hin, als er daran zurückdachte. Jawohl, Sir, es macht sich bezahlt, wenn man einen guten Ruf hat, und es macht sich bezahlt, wenn man annonciert.
Es war kurz vor Morgengrauen geschehen. Er hatte sanft geschlummert. Da hatte ihn eine vorsichtig gedämpfte Stimme aus seinen Träumen gerissen. Er war sofort aufgewacht, hatte zum Fenster hinausgesehen und in dem schattigen Kondensstreifen des Morgengrauens ein kleines, wieselhaftes Männchen stehen gesehen, das er noch nie gesehen hatte.
»Ja?«
»Ich habe etwas, das du kaufen möchtest.« Die Stimme des Mannes war ausdruckslos und heiser gewesen.
»Wer bist du?«
Statt einer Antwort hatte das Männchen die schmutzige Faust mit den abgebrochenen, schmutzigen Fingernägeln geöffnet. Der Diamantring hatte auf seiner Handfläche gelegen. »Der Preis ist zehntausend. Für einen entschlossenen Käufer«, hatte er höhnisch hinzugesetzt. Dann hatten die Finger sich schnell wieder geschlossen, als der King vorgetreten war, um den Ring von der Hand zu nehmen, und die Faust war zurückgezogen worden. »Heute abend.« Das Männchen hatte zahnlos gelächelt. »Es ist schon der richtige, keine Bange.«
»Bist du der Eigentümer?«
»Ich halte ihn in der Hand, oder nicht?«
»Das Geschäft gilt. Um wieviel Uhr?«
»Warte auf mich. Ich werde zu dir kommen, sobald keine Spitzel in der Nähe sind.«
Und das Männchen war ebenso plötzlich verschwunden, wie es aufgetaucht war.
Der King legte sich behaglich und frohlockend zurück. Armer Timsen, dachte er bei sich, der arme Hund hat Kartoffeln auf den Augen! Ich krieg den Ring für den halben Preis.
»Morgen, Kamerad«, grüßte Timsen. »Du hast mich rufen lassen?«
Der King öffnete die Augen und verdeckte mit der Hand ein Gähnen, während Timsen die Baracke heraufkam.
»Hallo.« Der King schwang die Beine über die Bettkante und streckte sich ausgiebig. »Bin heute müde. Zuviel Aufregung. Magst du ein Ei? Ich lass' mir eben zwei backen.«
»Und ob ich ein Ei mag.«
»Mach dir's bequem.« Der King konnte es sich leisten, gastfreundlich zu sein. »Und jetzt wollen wir über das Geschäft reden. Heute nachmittag schließen wir das Geschäft ab.«
»Nein.« Timsen schüttelte den Kopf. »Heute nicht. Morgen.«
Dem King fiel es schwer, nicht zu strahlen.
»Bis dahin ist die Aufregung vorbei«, erklärte Timsen. »Ich habe gehört, daß Grey wieder aus dem Lazarett heraus ist. Er wird die Baracke hier auf dem Kieker haben.« Timsen schien ernstlich besorgt. »Wir müssen aufpassen. Du und ich. Ich will nicht, daß etwas schiefgeht. Ich muß auch auf dich aufpassen. Vergiß nicht, daß wir Kameraden sind.«
»Verdammt, nicht morgen«, knurrte der King und spielte den Enttäuschten. »Machen wir es heute nachmittag.«
Und er hörte zu und brüllte innerlich vor Lachen und hörte zu, als Timsen erklärte, wie wichtig es wäre, vorsichtig zu sein: der Eigentümer habe es mit der Angst zu tun gekriegt, ja, er wäre sogar in der vergangenen Nacht zusammengeschlagen worden, und nur ihm und seinen Leuten wäre es zu verdanken, daß der arme Kerl gerettet worden sei. Daran erkannte der King ganz sicher, daß Timsen in der Klemme saß, daß ihm der Diamant durch die schleimigen Pfoten gerutscht war, daß er Zeit zu gewinnen versuchte. Na, ich möchte wetten, dachte der King frohlockend, daß die Aussies wie die Irren nach dem Langfinger suchen. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken – wenn sie ihn finden. Deshalb ließ er sich überreden. Nur für den Fall, daß Timsen den Burschen finden sollte und das ursprüngliche Geschäft gültig war.
»Na, gut«, brummte der King mürrisch. »Deine Ansichten haben wahrscheinlich was für sich. Machen wir das Geschäft also morgen.« Er zündete sich eine neue Zigarette an und nahm einen Zug, reichte sie weiter, spielte das Spiel noch immer weiter und sagte katzenfreundlich: »In den heißen Nächten schlafen nur wenige meiner Leute. Mindestens vier sind immer auf, die ganze Nacht.«
Timsen verstand die Drohung. Aber er hatte andere Dinge im Kopf. Verdammt, wer hat Townsend hinterrücks überfallen? Er betete, daß seine Leute den Schweinehund schnell finden möchten. Er wußte, daß er die hinterhältigen Ganoven finden mußte, bevor sie mit dem Diamanten zum King gingen, denn sonst war er aus dem Geschäft heraus. »Ich weiß, wie das ist. Mit meinen Leuten ist es genau das gleiche – Gott sei Dank sind sie nahe bei meinem armen alten Townsend.« Einfältiger Knabe! Verdammt, wie konnte ein Kerl bloß so schlapp sein und sich überfallen lassen, ohne laut zu schreien, bevor es zu spät war. »Man kann heutzutage gar nicht vorsichtig genug sein.«
Tex brachte die Eier herein, und die drei Männer aßen sie zusammen mit Reis vom Mittagessen und spülten alles mit starkem Kaffee hinab. Bis zu dem Augenblick, als Tex das Geschirr hinaustrug, hatte der King die Unterhaltung genau dahin gebracht, wo er sie haben wollte.
»Ich kenne einen Kerl, der einige Medikamente braucht.«
Timsen schüttelte den Kopf. »Keine Hoffnung für den armen Hund. Nichts zu machen! Absolut nichts.« Aha, dachte er. Medikamente! Für wen die wohl sein mögen? Bestimmt nicht für den King. Er sieht kerngesund aus. Auch nicht zum Weiterverkauf; der King macht nie Geschäfte mit Medikamenten, was auch ganz in Ordnung ist, denn dadurch habe ich den ganzen Markt in der Hand. Es muß aber für jemand sein, der dem King sehr nahesteht. Sonst würde er sich doch nicht einmischen. Medikamentenhandel ist nicht sein Fall. Der alte McCoy! Ja, natürlich. Ich habe doch gehört, daß ihm in letzter Zeit oft was fehlt. Vielleicht der Oberst. Hat auch nicht allzugut ausgesehen! »Ich habe von einem Limey gehört, der etwas Chinin hat. Aber er verlangte ein ganzes Vermögen dafür.«
»Ich möchte etwas Antitoxin. Und Sulfonamidpuder.«
Timsen stieß einen Pfiff aus. »Absolut nichts zu machen!« erklärte er. Antitoxin und Sulfonamide. Gangrän! Der Pommy. Großer Gott, Gangrän! Es mußte der Pommy sein. Timsen hatte nicht allein durch List und Schläue den Medikamentenmarkt an sich gerissen. Er wußte genug über Medikamente aus der Zivilzeit, als er noch als Hilfsdrogist gearbeitet hatte; das wußte aber kein Schwein, denn sonst hätten die Hunde ihn sofort in den Sanitätsdienst gesteckt, und das hätte bedeutet, daß er beim Kämpfen und Töten nicht mit dabeisein könnte, und kein Aussie, der etwas auf sich hält, läßt sein Land im Stich und verzichtet auf einen wunderschönen Heimatschuß, indem er den Krieg nur als stinkender Sanitäter mitmacht.
»Gar nichts zu machen«, versicherte er noch einmal und schüttelte den Kopf.
»Hör zu«, sagte der King. »Ich will mit dir offen reden.« Timsen war der einzige auf der ganzen Welt, der es beschaffen konnte, deshalb mußte er seine Unterstützung bekommen. »Es ist für Peter.«
»Das ist hart«, sagte Timsen, aber innerlich empfand er Mitleid. Armer Kerl. Gangrän. Feiner Bursche, viel Schneid. Er spürte noch immer den Schlag, den der Pommy ihm in der vergangenen Nacht verpaßt hatte. Als sie zu viert über den King und den Pommy hergefallen waren.
Timsen hatte sich eingehend über Peter Marlowe unterrichtet, als der King sich mit ihm eingelassen hatte. Man kann nie zu vorsichtig sein, und genaue Kenntnisse sind immer wichtig. Und Timsen wußte von den vier deutschen Flugzeugen und von den drei Japsen, und er wußte von dem Dorf und wie der Pommy versucht hatte, von Java zu fliehen, ganz anders als die große Meute, die gehorsam herumhockte und alles hinnahm. Und dennoch, wenn man darüber nachdachte, dann war der Versuch doch ziemlich einfältig gewesen. Eine so große Entfernung. Ja. Viel zu weit. Ja, der Pommy war ein Prachtkerl.
Timsen überlegte, ob er es wagen konnte, jemanden in die Unterkunft des japanischen Arztes zu schicken, um die Medikamente zu organisieren. Es war riskant, aber die Unterkunft und der Weg dahin waren genau überprüft worden. Armer Marlowe, er mußte krank vor Sorgen sein. Natürlich werde ich die Medikamente beschaffen, und ich werde es umsonst machen oder doch nur für meine Auslagen.
Timsen haßte es, Medikamente zu verkaufen, aber jemand mußte es schließlich tun, also war es besser, wenn er dieser jemand war statt eines anderen, denn er selbst hielt die Preise immer niedrig, so vernünftig wie möglich, und er tat das, obwohl er genau wußte, daß er ein Vermögen hätte verdienen können, wenn er an die Japaner verkauft hätte, aber das tat er nie, sondern verkaufte nur an das Lager und wirklich nur mit einem geringen Gewinn, wenn man die damit verbundenen Gefahren bedachte.
»Es macht einen krank«, sagte Timsen, »wenn man an all die Arzneimittelvorräte vom Roten Kreuz in der Bruchbude an der Kedahstraße denkt.«
»Mann, das ist doch ein Gerücht.«
»O nein, bestimmt nicht. Ich habe es selbst gesehen, Bester. Bei einem Arbeitseinsatz. Bis obenhin vollgestopft mit Rotkreuzzeug: Plasma, Chinin, Sulfonamide – alles, vom Boden bis zur Decke, und auch noch in den Kisten. Der Schuppen muß gut hundert Schritte lang und dreißig Schritte breit sein. Und das ganze Zeug kriegen die verdammten Nips. Sie lassen das Zeug herein. Es kommt über Tschungking herein, hat man mir erzählt. Das Rote Kreuz übergibt es an die Siamesen – die übergeben es an die Nips –, alles für die Kriegsgefangenen in Changi bestimmt. Mein Gott, ich habe selbst die Adressen gesehen, aber die Nips verwenden alles einfach für ihre eigenen Affen.«
»Weiß sonst noch jemand davon?«
»Ich habe es dem Oberst erzählt, und er hat es dem Lagerkommandanten erzählt, und der hat es wieder dem Nip-Bastard erzählt – wie heißt er doch gleich wieder, ja, Yoshima –, und der Lagerkommandant, na ja, er hat die Medikamente verlangt. Aber die Nips haben ihn glatt ausgelacht und erklärt, das sei ein Gerücht, und damit war die Sache erledigt. Nie wieder ist ein Arbeitskommando dorthin geschickt worden. Lausige Affen. Das ist einfach nicht fair, wo wir die Medikamente doch so dringend brauchen. Sie könnten uns wenigstens etwas davon geben. Ein Freund von mir ist vor sechs Monaten gestorben, weil ihm ein bißchen Insulin gefehlt hat – und ich habe mit eigenen Augen ganze Kisten davon gesehen. Kisten.«
Timsen drehte sich eine Zigarette, hustete und spuckte und war so aufgebracht, daß er gegen die Wand trat.
Er wußte, daß es keinen Sinn hatte, wenn er sich darüber aufregte. Und es gab keine Möglichkeit, an den Schuppen heranzukommen. Aber er konnte Antitoxin und Sulfonamide für den Pommy bekommen. O ja, mein Wort darauf – und er würde ihm beides umsonst geben.
Aber Timsen war viel zu klug, um sich vom King durchschauen zu lassen. Es wäre einfach kindisch, wenn er den King wissen ließe, daß er eine weiche Stelle hatte, denn mit tödlicher Sicherheit würde der King das irgendwann später einmal als Hebel benutzen. Ja, und er mußte den King unbedingt für das Geschäft mit dem Diamanten haben. Scheiße! Den verdammten Räuber hatte ich ganz vergessen.
Also nannte Timsen einen ungewöhnlich hohen Preis und ließ sich herunterhandeln. Aber er setzte den endgültigen Preis hoch an, denn er wußte, daß der King es sich leisten konnte, und außerdem wäre der King argwöhnisch geworden, wenn er ihm erklärt hätte, er könnte das Zeug billig kriegen.
»Also gut«, erklärte der King düster. »Das Geschäft gilt.« Innerlich war er keineswegs düster. Jedenfalls nicht allzu düster. Er hatte erwartet, daß Timsen ihn ausnehmen würde, aber wenn der Preis auch höher war als der, den er eigentlich hatte bezahlen wollen, so war er doch angemessen.
»Drei Tage wird es dauern«, meinte Timsen, der sehr wohl wußte, daß es in drei Tagen zu spät sein würde.
»Ich muß das Zeug noch heute nacht haben.«
»Dann kostet es noch fünfhundert dazu.«
»Ich bin dein Freund!« erklärte der King, der diesmal echten Schmerz empfand. »Wir sind Kameraden, und du verlangst nochmals fünf Hunderter von mir.«
»Also gut, Kamerad.« Timsen gab sich traurig, wie ein Hund. »Aber du weißt ja selbst, wie es ist. Drei Tage sind das Beste, was ich tun kann.«
»Gottverdammt. Also gut.«
»Und der Pfleger kostet noch mal extra fünfhundert.«
»Bist du wahnsinnig? Verdammt, wozu der Pfleger?«
Timsen genoß es, wie der King sich wand. »Na«, sagte er nachgiebig, »was willst du denn mit dem Zeug anfangen, wenn du es hast? Wie willst du den Patienten behandeln?«
»Verdammt, woher soll ich das wissen?«
»Dafür sind die fünfhundert. Ich nehme an, du willst das Zeug dem Pommy geben, und der wird es prompt zum Lazarett hinaufbringen und zum nächstbesten Knochensäger sagen: ›Hier habe ich Antitoxin und Sulfonamide, richte meinen verdammten Arm her‹, und dann wird der Arzt zu ihm sagen: ›Verdammt, wir haben kein Antitoxin, wie kommen Sie dann daran‹, und wenn der Pommy es ihm nicht sagen will, dann werden die Hunde es ihm abnehmen und irgendeinem stinkigen Limey-Oberst geben, der vielleicht eben als leichter Fall von Hämorrhoiden im Lazarett liegt.«
Geschickt zog er dem King die Zigarettenpackung aus der Tasche und bediente sich. »Und außerdem«, sagte er, aber diesmal völlig ernst, »mußt du einen Ort finden, wo du ihn geheim behandeln kannst. Wo er sich hinlegen kann. Die Antitoxine setzen manchen Leuten hart zu. Und außerdem gehört es zum Geschäft, daß ich keine Verantwortung übernehme, falls die Behandlung schiefgeht.«
»Wenn du doch Antitoxin und Sulfonamide hast, was kann da noch schiefgehen?«
»Manche Leute vertragen es nicht. Übelkeit. Ganz beschissen. Und es kann sein, daß es nicht wirkt. Hängt davon ab, wieviel von dem Gift bereits in seinem Körper steckt.« Timsen stand auf. »Irgendwann heute abend. Ach ja, und die Geräte kosten noch mal fünfhundert.«
Der King explodierte. »Was für Geräte, zum Donnerwetter?«
»Spritzen und Verbandszeug und Seife. Mein Gott!« Timsen wurde beinahe unwillig. »Hast wohl geglaubt, Antitoxin sei eine Pille, die man ihm in den Arsch steckt?«
Der King starrte verdrießlich hinter Timsen her und hätte sich am liebsten selbst in den Hintern getreten. Hast dich wohl für besonders klug gehalten, als du im Tausch gegen eine Zigarette erfahren hast, was ein Gangrän ist, verdammt, und dann vergißt du Hohlkopf zu fragen, was man mit dem Zeug macht, wenn man es erst hat.
Der Teufel soll's holen. Es geht um die Moneten. Und Peter kriegt seinen Arm zurück. Und das mit dem Preis geht auch in Ordnung.
Dann fiel dem King wieder der kleine Straßenräuber ein, und er strahlte. Ja, er war ganz zufrieden mit seinem Tagewerk.