Die Antonow An-74 ging in den Sinkflug über und näherte sich aus Ost-Nord-Ost der etwa zweieinhalb Kilometer langen, penibel geräumten und enteisten Landebahn. Als die Räder des Fahrwerkes den Boden berührten, passierte die Maschine eine Reihe von C-160-Transportmaschinen, die zum Teil demontiert waren.
Der Pilot setzte sauber auf und ließ das Flugzeug ausrollen. Am Ende der Landebahn lenkte er die Maschine in eine Einhundertachtziggradkehre. Er fuhr auf dem, zur Landebahn parallel liegenden, Betonpistenstreifen zurück zum Anfang der Landebahn und ließ die Antonow vor einem Gebäudekomplex ausrollen, der gegenüber den Hangars mitten auf dem Flugplatz stand.
Das Jaulen der Triebwerke klang ab und die Ladeluke öffnete sich. Draußen standen bereits einige Soldaten bereit, um die Ankömmlinge zu empfangen.
General Pjotrew betrat als Erster die Rampe und schaute sich um. Insgesamt acht Hubschrauber standen hier, außerdem weiter rechts mindestens drei Transall-Maschinen von der Feste Rungholt. Die Jagdmaschinen befanden sich in Jagel, etwa zwanzig Kilometer nördlich von hier auf dem Jagdfliegerhorst.
Pjotrew musste sich eingestehen, dass es ihn noch einige Gewöhnung abverlangen würde, sich mit der abrupt eingetretenen Veränderung abzufinden. Die Bilder, die er von der Vernichtung der Festung gesehen hatte, spukten noch in seinem Kopf herum. Dieser glutrote Schlund, welcher eine ganze Stadt in Minuten verschlungen hatte, ein tosendes Inferno, dem nur wenige Privilegierte entkommen waren. Mehr als zwanzigtausend Tote hatte es ersten Schätzungen zufolge gegeben.
Noch zum Frühstück hatte der General in seinem Büro Tee eingenommen, das Abendessen würde er in einem notdürftig hergerichteten Verwaltungsgebäude auf einem mehr oder weniger ausgedienten Fliegerhorst einnehmen.
›So viele Verluste!‹, dachte Pjotrew, ›so viele Leben haben wir verloren. Was kommt als Nächstes?‹
»Herr General, Major Brandtner, Standortkommandeur ETNH eins, Fliegerhorst Hohn.«
Ein deutscher Luftwaffenoffizier salutierte vor dem General, der die Laderampe nun hinunterschritt und ebenfalls salutierte.
Vor etwas mehr als zwei Jahren waren von diesem Stützpunkt aus die letzten Maschinen nach Helgoland gestartet, Hals über Kopf war man vor einer gigantischen Zombiemeute geflohen. Und nun waren die letzten Maschinen von Rungholt hierher zurückgekommen. Ironie des Schicksals.
Wie Pjotrew in Erfahrung gebracht hatte, begann damals der Ausbruch in dieser Gegend, in der nahe gelegenen Stadt Rendsburg. Einer der deutschen Null-Patienten hatte im hiesigen Krankenhaus die Z1V31-Seuche verbreitet, weil niemand, aber auch wirklich niemand ernsthaft die Möglichkeit in Betracht gezogen hatte, dass Zombies die Zivilisation bedrohen könnten. Pjotrew wusste, dass die amerikanischen Militärs solche Gefahren in ihre Planspiele gelegentlich mit einbezogen, doch als dieses Horrorszenario Wirklichkeit wurde, hatte niemand eine Lösung parat.
Sicher, heute würde man diese Lage anders handhaben, das war Pjotrew klar. Heute könnte man aber auch auf die Erfahrungen einer nahezu ausgelöschten Zivilisation zurückgreifen, stieg es bitter in seinem Bewusstsein auf.
»Ich grüße Sie, Major. Sind die anderen eingetroffen?«, fragte Pjotrew den Mann.
»Der Generalstab ist vollzählig versammelt, jawohl. Ich bringe Sie zum Situationsraum. Wenn Sie mir folgen wollen …«
Damit machte er auf dem Absatz kehrt und bewegte sich auf das Hauptgebäude zu, einen relativ modernen, zweigeschossigen Bau, vor dem einige Autos parkten. Wenig später betrat Pjotrew den provisorischen Situationsraum. Es handelte sich offenbar um einen Briefingraum, der in aller Eile umgenutzt worden war.
Die Techniker hatten einige Computer aufgestellt und waren dabei, die ARPA-II-Netzarchitektur zu reinitialisieren. Um den Ausfall der Hauptrechner in der Feste Rungholt zu kompensieren, hatte man die Hauptdatenleitungen völlig neu verknüpft und im regionalen Kabelnetz sowie im Satellitendatenverkehr neue Prioritäten eingerichtet. Zurzeit beschränkte sich die Rechnerleistung auf die Kommunikation mit den Truppenteilen, die in der Festung ziemlich datenlastige Steuerung von internen Prozessen fiel hier nicht an.
»General Pjotrew! Schön, Sie wohlbehalten wiederzusehen!«
General Thorsson kam dem Russen entgegen, als er den Raum betrat. Die Männer gaben sich die Hand und Thorsson klopfte Pjotrew auf die rechte Schulter, was dieser als etwas befremdend empfand. Thorsson gab einen ersten, kurzen Bericht zur Lage ab.
»Wir haben hier zunächst einmal einen provisorischen Situationsraum eingerichtet. Es gibt auch Übernachtungsmöglichkeiten in den Bereitschaftsräumen. Bis wir eine geeignete OPZ einrichten können, ist es uns zumindest möglich, die Kommandostrukturen von hier aus aufrechtzuerhalten.«
Pjotrew überlegte. Dann fragte er:
»Diese Stadt … Rendsburg … die ist doch nicht weit von hier, oder?«
»Etwa fünf Kilometer. Luftlinie, versteht sich.«
»Gut. Dann weiß ich, wohin wir mit unserer Zentrale gehen können. Soweit ich weiß, war Marschall Gärtner zuletzt in der Stadt stationiert. Und wenn ich mich aus Sowjetzeiten korrekt erinnere, gab es mitten in der Stadt ein NATO-Hauptquartier.«
»Richtig, das Kommando Jütland. Aber dort wird seit 2010 ein Rückbau vorgenommen, das Gelände soll zivil genutzt werden.«
»Dennoch war Gärtner dort beim Ausbruch stationiert. Der Mann war ein hohes Tier im militärischen Nachrichtendienst. Ich wette darauf, dass es in den Stabsgebäuden noch Infrastrukturen gibt, die wir hervorragend nutzen können. Wir werden gleich morgen Vormittag einen Erkundungsflug dorthin unternehmen. Veranlassen Sie das bitte, Thorsson.«
»Natürlich, ich lasse Ruetli Bescheid geben. Er müsste auch jeden Moment eintreffen, er ist noch bei den Hangars draußen. Inspektionsrundgang.«
»Gut soweit. Wenn alle da sind, sollten wir eine Besprechung abhalten.«
»Unbedingt, ja.«
General Thorsson eilte fort, um die Stabsoffiziere zusammenzubringen, und Pjotrew sah sich etwas im Gebäude um. Er kannte dieses Gelände eigentlich recht gut, denn in Zeiten des Kalten Krieges hätte er genau hier mit einer Luftlandedivision einfallen sollen. Die Stadt Rendsburg hätte es nicht mehr gegeben, denn dort wäre ein kleiner Atomsprengkopf detoniert, um eben jenes NATO-Hauptquartier auszulöschen, das Pjotrew nun zu nutzen beabsichtigte.
Die NATO, die zu dieser Zeit davon ausging, dass die russische Militärtaktik vorsah, im Falle eines Krieges Westdeutschland mit zwei schweren Panzerspitzen anzugreifen, hatte keine Ahnung davon, dass es eine dritte Panzerspitze gab, die in Norddeutschland aufgebaut werden sollte. An der Ostseeküste sollten Amphibienschiffe große Kontingente anlanden und Fliegerhorste wie Hohn, Jagel und sogar ein Flugplatz in Kiel waren als Zielflugplätze für Militärtransporter vorgesehen, nachdem Fallschirmjägereinheiten die Gebiete geklärt haben sollten. Und so kannte Pjotrew als Kommandooffizier natürlich jeden Meter Landebahn zwischen Skagen und Elbe. Er wusste exakt, wo er sich befand, und wo er das finden würde, was er brauchte.
Von einem Operator ließ er sich die neuesten Bilder des fast zwanzig Hektar großen Geländes der ehemaligen Kaserne zeigen. Im Zuge der Demilitarisierung hatte es zwar erhebliche Veränderungen dort gegeben, doch die wesentlichen Gebäude waren noch unverändert vorhanden.
Eine halbe Stunde später hatten sich die Stabsoffiziere in der provisorischen Zentrale eingefunden. Auch die örtlichen Kommandeure waren zugegen. Die Ordonnanz reichte Tee, Kaffee und belegte Brote, erste Berichte über Verluste wurden vorgelegt und die nachgeordneten Offiziere diskutierten im Hintergrund profane Dinge wie Bettenbelegung und Stubenzuteilung.
Man hatte bereits Requirierungskommandos mit Lkw entsandt, um an der A7-Autobahnabfahrt Nummer acht von einem dort ehemals ansässigen Unternehmen für Bürocontainer entsprechende Module zu beschaffen, um auf dem Flugplatz eine Behelfssiedlung zu errichten.
Die Flotte der Wasserwelt, die rund um Helgoland gelegen hatte, erhielt Order, Anker zu lichten und alle verfügbaren Schiffseinheiten in Richtung Rendsburg zu verlegen. Die Eisbrecher liefen bereits durch die weiträumig aufgetaute Nordsee in Richtung Elbe, gefolgt von Schiffen, die unmittelbar zum Auslaufen bereit waren. Die Schiffe über zweihundertfünfzig Meter Länge und die mit einem Tiefgang von mehr als zehn Metern sollten vor Brunsbüttel auf die Reede gehen und dort fest verankert werden, da diese den Nord-Ostsee-Kanal nicht befahren konnten. Später würde man sehen, welche von ihnen weiter nach Hamburg gehen konnten oder anderweitig eingesetzt würden.
Die Mobilmachung im ehemaligen Zentrum der New World verlief reibungslos und in einer fast schon atemberaubenden Geschwindigkeit. Die Menschen dort wollten nur eines: Weg von diesem Ort, und zwar so schnell es eben ging. Viele von ihnen hatten mit eigenen Augen gesehen, wie die Insel in einem rot glühenden, höllenheißen Inferno verging, sie hatten miterlebt, wie sogar das größte Schiff, das dort vor Anker lag, einfach verschlungen wurde. Nichts war geblieben von der stolzen Festung, außer rauchende Trümmer in einer kochenden See und ein riesiger Schock für alle Menschen.
Die Nachricht vom Vulkanausbruch in der Nordsee machte schnell die Runde und niemand wollte noch an diesem Ort sein, falls sich der Vorgang wiederholte. Und so begab es sich, dass eine gewaltige Armada aus mehr als eintausend Schiffen aller Bauarten sich auf den Weg machte, um eine neue Heimat zu finden. Bereits fast zwei Jahre zuvor hatte es eine ähnliche Schiffswanderung gegeben, als mit der Operation Payback die Rückeroberung des Kontinents begonnen hatte, doch diesmal lief die Aktion weniger euphorisch ab. Zu viele Leben hatte der Vorfall auf der Insel, die nun keine mehr war, gefordert.
»Kommen wir zu der Vereinbarung, General Pjotrew«, erhob Admiral Duginow seine Stimme in der Runde der Generäle, »was können Sie uns dazu berichten?«
Pjotrew stellte seine Teetasse beiseite und nickte einem der Operatoren zu, der daraufhin eine Karte auf die weiße Wand an der Stirnseite des Besprechungstisches projizierte. Ein Satellitenbild zeigte die Gegend um den geplanten Übergabepunkt am südlichen Ende des großen Wolga-Stausees.
»Ich habe mit Kzu’ul, dem Führer der Struggler und Befehlshaber der Zed-Armeen, eine Übereinkunft dahin gehend erzielt, dass wir ihm wie besprochen tote Körper in der Größenordnung von etwa fünfundzwanzigtausend Tonnen jährlich in Zweitageskontingenten zur Verfügung stellen. Als Übergabepunkt haben wir diese Region gewählt.«
Mit einem Laserpointer kreiste er den Bereich um den Damm herum ein, dann sprach er weiter.
»Den Damm selbst können wir auch bei einem größeren Ansturm von Zeds gut halten. Wir richten an vier Stellen Checkpoints ein und stationieren dort Mikrowellenwaffen. Die Zuführung per Bahn erfolgt bis zum Kopfbahnhof.«
Der Lichtpunkt wanderte zu einem Gleisende rund zweihundert Meter vom Damm entfernt.
»Dort richten wir einen Umschlagplatz mit Kühlressourcen ein. Zum Transport und zur Lagerung nutzen wir Kühlcontainer, wie wir sie von Reefern her kennen, die sind gut zu handhaben. Wir stellen einen ferngesteuerten, elektrisch betriebenen Lastzug auf, der die aufgetauten und angewärmten Körper über den Staudamm bis zum Übergabepunkt transportiert und hier hinter den Schleusen abkippt.«
Wieder wanderte der Lichtpunkt, diesmal bis zum Schleusengelände, das sich dicht am Ostufer der Wolga befand.
»Hier beabsichtige ich, die Grenzanlage zu errichten, zumal durch die Schleusenkonstruktion an dieser Stelle ein künstlicher Flaschenhals geschaffen wird.«
»Hat der Struggler das so akzeptiert?«, wollte General Ruetli wissen.
»Ja«, gab Pjotrew zurück, »nach einigem Hin und Her akzeptierte er die Bedingung.«
»Er hat den Braten gerochen?«
»Wir sollten nicht so nachlässig sein, Kzu’ul zu unterschätzen. Er ist sowohl strategisch als auch taktisch kein Idiot, auch wenn er durch seine etwas gewöhnungsbedürftige Sprachgestaltung gern den Eindruck einer gewissen Infantilität erzeugen möchte. Er kalkuliert knallhart, und in derselben Weise bin ich ihm auch gegenübergetreten. Letztlich hat er die Bedingungen akzeptiert.«
Der französische General Rainiers schüttelte den Kopf.
»Dann haben wir also künftig eine Nation Zombie als Nachbarn. Ich weiß nicht, ob ich das gut finden soll, mon dieu.«
Pjotrew nahm einen Schluck Tee und antwortete gelassen.
»Es ist das Beste, was wir zurzeit bekommen können. Kzu’uls Truppen beginnen gerade jetzt mit dem Abzug und machen sich auf den Weg zurück zur Ostfront. Wenn in Kürze das prognostizierte Tauwetter einsetzt, haben Thorssons Leute genug damit zu tun, die reaktivierten Zeds in der Union zu eliminieren, und die Armee kann sich auf die Befestigung der Grenzanlage konzentrieren.«
»Werden sich die Zeds an diese Abmachung halten?«, fragte Thorsson nach.
»Sicherlich nicht alle. Wir werden natürlich wie bisher unsere Ostgrenze besonders schützen müssen. Aber es wird keine konzertierten Angriffe mehr geben, was ich persönlich schon als erhebliche Erleichterung betrachte. Eine stete Bedrohung durch unkontrollierte Zeds wie Walker und Hunter wird es immer geben. In diesem Zusammenhang möchte ich anregen, noch einmal mit unseren chinesischen Forschern über eine Neuauflage des ursprünglichen COLD-FIRE-Programms zu sprechen.«
»Das ist doch Esoterik!«, fiel ihm Ruetli ins Wort.
»Das sehe ich anders, General Ruetli. Sie dürfen jedoch gern mit mir eine Reise nach London unternehmen, um Ihre Esoteriktheorie zu untermauern. Diese Stadt ist nämlich steril. Die DOR-Bomben des COLD-FIRE-Programms haben einwandfrei funktioniert und die Fachleute haben sich zuversichtlich geäußert, dass wir eine ähnliche Technologie auch in moderater Form als Grenzsicherungstechnik einsetzen können.«
»Was genau ist das, dieses COLD-FIRE-Programm?«, fragte Rainiers mit großen runden Augen.
»Wir bekamen es seinerzeit von den Chinesen«, erläuterte General Pjotrew. »Dabei handelt es sich um eine Art Neutronenstrahlung, genannt DOR. Die Technik basiert im Wesentlichen auf den Thesen eines gewissen Wilhelm Reich. Ein Gebiet, das dieser Strahlung ausgesetzt ist, verliert jedes Leben und jede potenzielle Form der Entwicklung von Leben, sie wird quasi entbiologisiert, wenn man so will. Es gibt keine Lebensform, die in einem solchen Strahlungsfeld überleben kann. Sogar die lebensähnlichen Funktionen der Zeds werden von der Strahlung komplett ausgelöscht. Sie ist unsichtbar, man kann sie nicht messen oder anderweitig feststellen, nur ihre Auswirkungen sind sichtbar. Deshalb bezeichnete der Gospodin Ruetli es auch als Esoterik. Fakt ist, dass wir damit Millionen Zeds ausgeschaltet haben und dass es eine Möglichkeit gibt, diese Technologie zumindest mittelfristig für unsere Grenze nutzbar zu machen. Ich bin durchaus dafür, in diese Richtung Anstrengungen zu unternehmen.«
»Ich habe nichts dagegen, es zu versuchen, General Pjotrew«, wandte Ruetli ein, »aber ich schlage vor, dass wir uns zunächst um die akuten Angelegenheiten kümmern.«
»Da stimme ich Ihnen durchaus zu. Ein wichtiger Punkt ist natürlich die Reparatur des Grenzzaunes, wenn die Zeds ihn passiert haben. Ein weiterer Punkt ist die Requirierung der Leichen. Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn die Pionierbataillone und die Nationalgarde sich diese Aufgabe teilen?«
Die beiden zuständigen Generäle nickten. Thorsson ergänzte:
»Auf jeden Fall brauchen wir eine Art Verlautbarung, die anordnet, dass Tote zu melden und die Leichname an das Militär herauszugeben sind. Wir müssen den Menschen klar machen, dass die Hergabe einer verstorbenen Person eventuell das eigene Überleben sichert. Wir sollten unbedingt mit den Räten darüber sprechen, dass die das unterstützen.«
»Und Priester und Pastoren«, sagte Rainiers, »die müssen auch unbedingt mit ins Boot. Es nützt nichts, wenn wir von Notwendigkeiten sprechen und die Pfaffen von Wiederauferstehung am Jüngsten Tag salbadern und den Leuten raten, ihre Toten in der gefrorenen Erde zu betten. Einige größere Städte haben meines Wissens in diesem strengen und langen Winter große Leichenhäuser eingerichtet, in denen die gefrorenen Leichen seit gut einem Jahr gelagert werden, weil der Boden zu tief gefroren ist, um sie alle zu bestatten. Die könnte man sofort beschlagnahmen.«
Pjotrew nickte.
»Rainiers, Sie sollten die Sammelprozedur und vor allem den Schienentransport organisieren. Thorsson, Sie kümmern sich um Schutz und Sicherheit der Logistik. Wir müssen noch heute damit beginnen. Ich schätze, die Struggler brauchen eine gute Woche, bis sie den Übergabepunkt erreichen. Dann sollte die erste Übergabe möglichst zeitnah umgesetzt werden. Wie sieht es mit Baumaßnahmen aus?«
General Rainiers sah auf die Wandbilder, ließ sich an einem Rechner das europäische Schienennetz aufzeigen und überlegte.
»Wir brauchen zwei schnelle und gut ausgerüstete Bautrupps im Abstand von etwa zweihundertfünfzig Kilometern. Und zwei starke Bataillone zur Bewachung. Luftunterstützung wäre auch nicht schlecht. Das Baumaterial für die Übergabestellen holen wir uns von den Straßen und ehemaligen Großbaustellen. Wir schweißen die Gatter und Barrikaden aus Leitplanken und Stahlplatten zusammen. Die elektrischen Anlagen am Staudamm dürften sogar noch tauglich sein, nur bei Kasan müssen wir größere Aggregate heranführen. Wenn wir die Trupps in den nächsten Tagen in Bewegung setzen, kann es mit den Reparaturen recht schnell gehen, der Umbau des Dammes dauert einige Tage. Vielleicht müssen wir am Anfang mit einem Provisorium auskommen.«
»Nun, ich denke, vonseiten der Zeds wird es erst einmal relativ ruhig bleiben«, meinte Pjotrew zuversichtlich. »Kzu’ul wird auch zunächst abwarten und beobachten, wie wir reagieren. Die Zaunreparatur bei Kasan könnte ein relativ kleiner Bautrupp erledigen, entlang des Zaunes sind in regelmäßigen Abständen Materiallager angelegt. Unser Hauptaugenmerk sollten wir auf den Neubau der Verteidigungsanlagen in Zavolzhye richten, denn dort werden jeden Tag hungrige und gierige Struggler herumlungern, die von aggressiven Huntern begleitet werden. Dort werde ich bis auf Weiteres eine komplette Division stationieren, um die Umgebung zu sichern. Das große Fabrikgelände in unmittelbarer Nähe des Staudammes, offenbar eine ehemalige Baustoffproduktion, nutzen wir als Betriebshof und Hubschrauberstützpunkt. Ich gehe davon aus, dass wir dort noch ausreichend Ressourcen vorfinden, um unsere Pläne umzusetzen. Alle soweit einverstanden?«
Die Generäle nickten.
»Gut, dann komme ich zum nächsten Punkt. Morgen Vormittag würde ich gern eine Ortsbesichtigung in der Eiderkaserne durchführen. Wer ist für den Bereich zuständig?«
Einer der versammelten Stabsoffiziere, ein Deutscher, meldete sich und trat vor. Er salutierte vorschriftsmäßig.
»Oberst Max Herbst, vierunddreißigstes Panzergrenadierbataillon, melde mich zur Stelle, Herr General. Ich fungiere in Rendsburg als Standortkommandeur und Kontaktoffizier der Stadtverwaltung.«
»Sehr gut, Oberst. Geben Sie mir eine Einschätzung der Lage.«
Der Angesprochene reagierte prompt.
»Der Stadtrat ist sozial sehr engagiert und steht unseren militärischen Ansprüchen aufgeschlossen gegenüber. Den Vorsitz führt ein gewisser Gerd Henningsen, ein Widerstandskämpfer, aber auch er erkennt die Notwendigkeit militärischer Präsenz und Operation. Das Gelass der Eiderkaserne wurde ab 2010 umgewidmet und demilitarisiert, jedoch in den Stabsgebäuden und der historischen Bausubstanz wurden noch keine Veränderungen vorgenommen. Die neuen Wohnhäuser auf dem Gelände sind zurzeit nicht belegt. Die Leute hegen eine gewisse Abneigung gegen diese Gegend, weil dort die Imland-Klinik liegt, in der damals die Seuche ausbrach. Arrondiert können wir dort sicherlich mindestens eintausend Soldaten unterbringen. Ver- und Entsorgungseinheiten sind vorhanden und nutzbar. Die Stadt betreibt eigene Stadtwerke zur Umverteilung von Strom und Gas. Im näheren Umkreis sind über einhundert Windkraftanlagen und zahlreiche Fotovoltaikeinheiten zur Stromerzeugung nutzbar. LNG-Versorgung kann durch Biogasanlagen binnen kürzester Zeit sichergestellt werden.«
»Gut. Kontaktieren Sie den Stadtrat und bestellen Sie die wichtigsten Entscheidungsträger für Morgen null-neunhundert vor Ort ein. General Thorsson und Sie werden mich dorthin begleiten.«
»Zu Befehl, Herr General.«
Thorsson nickte auch und scherzte.
»Ich habe gar keine Ausgehuniform dabei.«
Pjotrew lachte. Es war ein dunkles, kehliges, typisch russisches Lachen.
»Bestechen Sie einfach mit Ihrem elfengleichen Lächeln, Thorsson. General Rainiers, lassen Sie ein Technikerteam zusammenstellen, ich will gleich vor Ort morgen Vormittag Leute an der Arbeit sehen, die unsere Netzwerktechnik instand setzen.«