Jahr zwei, 26. Dezember, Morgen

»Nation Zombie? Bei allem nötigen Respekt, aber: Sind Sie völlig irre?«

General Ruetli schaute drein, als habe ihm gerade jemand eine Bratpfanne ins Gesicht geschlagen. Hilfe suchend sah er sich im erweiterten Kreis der Stabsoffiziere um, die sich im Lagezentrum 2, einem Besprechungsraum unter der Operationszentrale, eingefunden hatten. Über dreißig kommandierende Offiziere aller Armeebestandteile saßen hier zusammen, um über die Situation zu beraten. General Pjotrew hatte um diese Besprechung mit Ressortleitern gebeten, um die Entscheidung für das endgültige Angebot an die Struggler zu diskutieren.

»Vielleicht wahren Sie lieber die Contenance, General. Warten Sie, es kommt noch besser«, setzte General Pjotrew nach, als er begonnen hatte, seine Idee vorzutragen, »die Sache hat nämlich einen Haken.«

Als er den zweiten Teil seiner Idee ansprach, platze dem Schweizer vollständig der Kragen.

»General Pjotrew, so etwas Unmenschliches werde ich niemals unterstützen. Schlimm genug, dass Marschall Gärtner die Zombies an die Menschen verfüttert hat, aber was Sie da vorschlagen, ist wohl noch einen ordentlichen Zacken schlimmer, odrrr?«

Immer, wenn Ruetli aufgeregt war, kam dieser Akzent mit dem gerollten ›r‹ wieder durch. Das machte es Pjotrew nicht eben leichter, den Mann als gleichwertig anzusehen. General Thorsson sah die Angelegenheit offenbar etwas gelassener.

»Ich darf rekapitulieren, General Pjotrew? Sie wollen den Zombies das Angebot unterbreiten, dass, wenn diese sich auf das Territorium östlich des großen Zaunes zurückziehen, sie von uns mit Nahrung versorgt werden. Also mit Menschenfleisch. Da ich nicht davon ausgehe, dass sie solche Angebote leichtfertig unterbreitet haben, folgere ich, dass Sie diesbezüglich einen Plan haben, General. Vielleicht wollen Sie uns diesen mitteilen?«

Lächelnd griff Pjotrew die Vorlage auf.

»Danke, General, dass Sie das ansprechen. Natürlich habe ich einen Plan. Er mag vielen Menschen unappetitlich erscheinen, doch im Moment sehe ich darin die einzige Alternative zum totalen Krieg, den ich uns gern ersparen würde. Meine Idee basiert auf der natürlichen Mortalitätsrate einer Gesellschaft, die üblicherweise bei jährlich zehn Prozent liegt. Bei einer derzeit geschätzten Einwohnerzahl von zehn Millionen im Siedlungsgebiet der Eurasischen Union bedeutet das etwa eine Million Todesfälle pro Jahr. Meine Absicht ist nun, die Körper der Verstorbenen zu requirieren und sie den Strugglern als Nahrungsgrundlage zu übereignen. Kzu’uls Angaben zufolge dürfte der Bedarf seiner sogenannten Höheren Wesen an menschlichen Körpern bei etwa fünfundzwanzigtausend Tonnen pro Jahr liegen, das sind im Durchschnitt etwa eine halbe Million Leichen. Wenn es uns gelingt, diese in einem kontinuierlichen Zustrom an die Ostfront zu schaffen, ist Kzu’ul bereit, seine Struggler und damit das gesamte Zombieheer auf seiner Seite zu belassen.«

»Aber … Aber …« Ruetli schnappte hörbar nach Luft. »Sie können doch nicht einfach herumlaufen und Verstorbene einsammeln, um diese … diese … Bestien damit zu füttern!«

»Natürlich, da haben Sie völlig Recht, General«, gab Pjotrew trocken zurück, »wir müssen selbstverständlich Sammelstellen und eine geeignete Transportlogistik anlegen. Zumindest bis zum Eintreffen in der Nation Zombie müssen die Leichen auch gekühlt werden. Immerhin besteht Kzu’ul nicht darauf, eine Menschenjagd zu veranstalten. Um diesem Trieb zu frönen, könnten wir später aus den Aufzuchtbetrieben für landwirtschaftliche Nutztiere bestimmte Kontingente freistellen, die wir in der Nation Zombie aussetzen.«

»Sie wissen ganz genau, was ich meine!«

»Aber natürlich weiß ich genau, was Sie meinen, General. Und glauben Sie mir, wenn Sie einen Alternativvorschlag haben, dann bin ich der Letzte, der ihn nicht hören wollte! Aber es gibt nun einmal keine Alternative zu der von mir vorgeschlagenen Variante. Es sei denn, Sie bevorzugen einen europaweiten Zombiekrieg, der wahrscheinlich mit unserer Auslöschung enden würde. Dann würden die Zeds nicht unsere Toten fressen, sondern die Lebenden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das gutheißen möchten.«

»Werden die Toten drüben nicht wieder auferstehen?«, wollte Admiral Duginow wissen.

»Nein, alle Verstorbenen sollten in Zukunft durch physische Zerstörung des Gehirns grundsätzlich für eine Zombifizierung nutzlos gemacht werden. Ich würde anregen, dies als ein nationales Gesetz im Rahmen der gültigen Verordnungen zur inneren Sicherheit zu verankern.«

Thorsson warf ein:

»Alles gut und schön, General, aber was ist mit den Menschen? Viele Leute haben bestimmte religiöse Vorstellungen von Wiederauferstehung am Jüngsten Tag und so weiter. Es wird schwierig sein, diesen Leuten zu vermitteln, dass wir ihre Angehörigen verfüttern wollen.«

Pjotrew nickte.

»Das stimmt natürlich in einer gewissen Weise. Ich hielte es für wichtig, diesen Leuten klar zu machen, dass, wenn wir es nicht tun, diese Wiederauferstehung möglicherweise für uns alle weit vor dem Jüngsten Tag erfolgen könnte. Ob diese Form dann allerdings ihren religiösen Vorstellungen entspricht, wage ich zu bezweifeln. Die Menschen müssen begreifen, dass wir keine große Wahl haben, und dass wir handeln müssen, solange wir noch aus einer Position der Stärke heraus verhandeln können.«

Einer der Stabsoffiziere aus der zweiten Reihe warf eine Frage in den Raum:

»Verzeihung, wenn ich mich einmische, General Pjotrew …«

»Nur zu, nur zu.«

»Sind Sie sicher, dass diese Struggler sich an eine solche Abmachung halten würden? Und was ist mit den Millionen anderer Zeds?«

»Eine gute Frage. Die Struggler betrachten sich selbst als Höhere Wesen. Die Hunter und Walker bestätigen dies durch devotes und bedingungslos gehorsames Verhalten ihnen gegenüber. Kzu’ul sagte, die Niederen würden nicht mit Nahrung – oder Atzung, wie er es nennt – versorgt. Sie sind den Strugglern völlig egal, es sind gewissermaßen ihre Sklaven. Eine eventuelle Abmachung würde sich allein auf die Struggler beschränken, deren Zahl in absehbarer Zeit Kzu’ul mit etwa eintausend angab. Und, um Ihre Eingangsfrage zu beantworten: Ja, ich glaube, er würde sich an die Abmachung halten.«

»Aber offenbar gilt das nicht für alle seiner Art«, brachte Admiral Duginow vor, »Sie berichteten von einem Angriff während der Mission.«

»Ja, es gab einen Zwischenfall, der jedoch unmittelbar geahndet wurde. Die Struggler stehen in einer strengen Hierarchie, die meiner Beobachtung nach in drei Ebenen verläuft: Anführer, Unterführer und Offiziere. Kzu’ul ist ein absoluter Anführer, berät sich jedoch in wichtigen Fragen mit den Unterführern. Die Offiziere agieren als Kommandeure der Truppen. Ich denke jedoch, dass Kzu’ul von der Aktion eines der Offiziere ebenso überrascht war wie wir, und ich schätze, er wird die nächsten Tage nutzen, um Ordnung in seine Befehlskette zu bringen.

Aber da ist noch eine andere Sache, die mich veranlasste, eine solche Vereinbarung, wie die von mir angestrebte, zu präferieren.

Meine Herren, überlegen Sie bitte das Folgende: Angenommen, wir einigen uns mit den Strugglern. Dann nutzen wir die ersten Monate, um unsere Front zu stärken. Derweil bringen wir ihnen die sterblichen Überreste unserer Gesellschaft. Wir beginnen, sie zu füttern. Wissen Sie, in meiner Heimat ist das eine beliebte Jagdmethode. Man beginnt zunächst damit, das Wild zu füttern. Wenn das Wild fremde Umstände und Gerüche akzeptiert, dann erst beginnt die Jagd. Verstehen Sie? Damit gewinnen wir Zeit, kostbare Zeit, die unsere Wissenschaftler nutzen können, um eine wirksame B-Waffe gegen die Zed-Pest zu entwickeln. Wenn das gelingt, sind wir vielleicht schon an einem Punkt angelangt, an dem die Zeds vorbehaltlos unsere Fleischlieferungen akzeptieren. Unter Umständen gibt es dann schon genug Nutztiere, dass wir lebendes Vieh in die Nation Zombie liefern können, was bedeutet, wir hätten potenziell tote und lebendige Waffenträger, die bei den Strugglern keinen Argwohn wecken.«

»Eine Art Zombiepest?«, fragte der Admiral.

»Wenn Sie so wollen, ja. Ich sage nicht, dass es funktioniert. Vielleicht sind diese Bestien ja tatsächlich gegen alles immun, was die Natur aufzubieten in der Lage ist. Aber wenn deren Gene so alt sind, wie Professor Ethelston andeutete, dann muss man vielleicht auch bei der Suche nach einem Antivirus so weit zurückgehen, wer weiß?«

»Pläne versteckt man in Plänen«, antwortete der Admiral, »ich kann ihrem Vorschlag eigentlich nur zustimmen, denn er verschafft uns zumindest eines, nämlich Zeit. Und wenn es nur die Zeit ist, den Ostwall undurchdringlich zu machen. Ich hoffe, die verehrten Kollegen hier sehen das ähnlich. Bitte äußern Sie Ihre Meinungen.«

»Ich bin dafür!«, rief Thorsson.

»Ich stimme ebenfalls zu«, sagte Rainiers nickend.

»Ich habe zwar Bedenken, aber Sie haben letztendlich Recht, Pjotrew. Ich stimme also auch zu«, sagte Ruetli kraftlos. Er gab sich geschlagen.

Pjotrew nickte zustimmend und fuhr fort.

»Dann müssen wir im Grunde nur noch die logistischen Fragen klären und natürlich die Frage, wie wir dieses Abkommen öffentlich kommunizieren.

Transporte erfolgen mit Bahnkühlwagen. Wir richten in den großen Kühlhäusern der Ballungszentren Sammelstellen ein und befördern von dort aus die Leichen gefroren zu einem Großlager in der Nähe des Ostwalls. Ab da bringen wir die Körper in thermischen Waggons zur Grenze, wo sie aufgetaut eintreffen. Durch eine noch zu schaffende Sicherheitsschleuse rollen die Züge in eine Art Verladebahnhof, wo die Struggler sie entladen und wieder freigeben. Die Abläufe lassen sich ohne Weiteres fernsteuern, um gewisse Unfälle zu vermeiden.«

»Wie viele dieser Schleusen beabsichtigen Sie zu errichten, General?«, fragte der Norweger.

»Ich hatte an eine einzige gedacht. Das gibt uns die Möglichkeit, einen Großteil der Struggler zu einem festen Zeitpunkt an einen festen Ort zu binden. Ich meine, nur für den Fall, dass wir ihnen verseuchtes Futter bringen oder eine Atombombe in einem der Waggons vergessen wollen. Man kann ja nie wissen.«

General Pjotrew grinste.

Thorsson hakte ein:

»Meinen Sie, dass der Struggler dieses Vorhaben nicht durchschaut?«

»Schwer abzuschätzen«, antwortete Pjotrew, »einerseits ist Kzu’ul ein guter Stratege, ich meine für einen Zed, andererseits ist die Gier, die diese Kreaturen packt, immens. Wenn es um ihre Atzung geht, nimmt die Triebsteuerung erheblich zu, sie vergessen sich förmlich. Das habe ich als Erkenntnis aus dem Angriff des Strugglers gezogen, der mit Sicherheit anderslautende Order hatte. Diese Gier macht unvorsichtig.

Ich habe vor, Kzu’ul zu erklären, dass der Bau einer solchen Entladestation für ferngelenkte Züge mit erheblichem Aufwand verbunden ist, was ja auch der Wahrheit entspricht. Ich biete ihm an, Menschenfleisch in sein Territorium zu liefern, um die Verteilung muss er sich dann schon selbst kümmern. Ich kann mir vorstellen, dass er diese Option akzeptieren wird. Ihm ist klar, dass er unter Umständen einen Krieg gegen uns gewinnen könnte, aber dass dann seine Reserven verbraucht sind. Er hat sich bestimmt auch überlegt, dass eine sich reproduzierende Menschheit sein Nahrungsproblem langfristig lösen könnte.«

»Sie meinen, er betrachtet unser Territorium als Reservat, in dem er sein Futter züchtet?«

General Pjotrew lachte laut und meinte:

»Das Schwierige am Katz-und-Maus-Spiel ist, zu wissen: Wer ist die Katze? Soll Kzu’ul denken, er züchte sein Futter. Etwas Besseres könnte uns nicht passieren. Er bekommt seine Leichenrationen, sagen wir, alle zwei Tage. Damit machen wir ihn und seine Offiziere satt. Später bekommt er von uns eine Dreingabe, nämlich Schweine, Ziegen und Kühe, von mir aus auch Hühner und Kaninchen. Damit kanalisieren wir den Jagdtrieb der Zeds. Die Tiere aus unserem Zuchtprogramm können Klone sein, sie müssen ja nicht lange leben. Diese würde ich dann auch in bestimmten Bereichen in, sagen wir, zweihundert Kilometern Entfernung vom Zaun aussetzen. Damit bringen wir die Hunter und Walker weg vom Zaun, sie gewöhnen sich nach und nach daran, Richtung Osten zu marschieren. So trennen wir die Kontingente, was Kzu’uls Armee als Ganzes unbeweglich machen dürfte, was wiederum uns einen gewissen Schutz gegen überraschende Angriffe bietet. Selbst wenn er sich entschließen sollte, unsere Abmachung einseitig zu beenden, braucht er noch einige Zeit, um seine gesamte Gruselarmee an unserer Grenze zusammenzuführen.

Und vom ersten Tag an sollten wir damit beginnen, unsere Grenzanlagen mit Mikrowellenstrahlern, selbststeuernden Laserwaffen und Minengürteln zu verstärken. Ebenso sollten die Horchanlagen im Mittelmeer modernisiert und verstärkt werden, um auch dort eine gewisse Sicherheit herzustellen.

Ihre Flotte, Gospodin Admiral Duginow, sollte starke Präsenz im Weißen und Schwarzen Meer zeigen und dort mit großen Kontingenten an Wasserbomben und Grundminen ausgerüstet werden. Denn wie wir wissen, können Struggler auch unter Wasser agieren, und ich würde nur sehr ungern erleben, dass Kzu’ul uns mit einer geheimen Struggler-Armee aus dem Wasser angreift.«

»Das klingt logisch und sollte mit unseren Mitteln möglich sein«, erwiderte der Admiral.

»Die Öffentlichkeitsarbeit …«, erinnerte sie General Thorsson, dessen Nationalgarde für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit zuständig war.

»Tja, das ist natürlich ein Problem«, gab Pjotrew unumwunden zu. »Letztlich läuft es darauf hinaus, dass es eine Anordnung geben muss, die ganz klar als alternativlos und nicht diskussionsbedürftig kommuniziert wird. Das wird uns natürlich einiges an Unmutsäußerungen von Seiten der Bürger einbringen, aber letztlich bleibt uns nichts anderes übrig. Wir werden halt bewährte Mittel der Propaganda anwenden müssen.«

General Ruetli warf ein:

»Dann schlage ich vor, wir besprechen nun die Einzelheiten unter Einbeziehung aller hier anwesenden Ressortchefs und Kommandeure, um zu einer durchführbaren Planung zu kommen. Ordonnanz! Lassen Sie Tee, Kaffee und ein paar belegte Brote bringen. Wir haben viel Arbeit vor uns.«