Maryam ult Hana war mit vierzehn Jahren die jüngste von Masud Tegehe-n-Efis’ vier Frauen und auch die hübscheste, mit Brüsten, die nicht welkten, und ihrem schönsten Teil, der ihn festhielt. Mit der Zeit war sie ihm mehr ans Herz gewachsen als seine anderen Frauen, so wie ein junger Mann ein Mehara-Kamel anderen vorzieht oder ein älterer Mann, der genug von Kamelen hat, eine Dattelpalme findet, halb im Schatten, halb in der Sonne, die ihm die süßesten Früchte oder den kühlsten Schatten beschert.
Sie hatte ihm bereits ein Kind geboren, einen Jungen. Und wenn sie mit ihm schlief, dann forderte ihr Schoß geradezu das nächste und das übernächste. Ihr Körper war noch jung und fest, und ihre Brüste wuchsen von Tag zu Tag. Masud liebte es, sie beim Licht einer Öllampe zu entkleiden und sie lange zu betrachten, bevor er zu ihr kam. Er war nicht der junge Mann, den sie sich als Mädchen erhofft hatte, aber er besaß Kamele und hatte bereits erwachsene Söhne.
Mit ihrem Baby im Arm machte sie sich auf den Weg zur Heiligen Stadt. Masuds andere Ehefrauen waren bereits vor ihr aufgebrochen, ebenso die Frauen des Dorfes. Ihr jugendliches Alter erlaubte ihr keine Vorrangstellung, auch wenn sie von ihrem Mann bevorzugt wurde und ihm ein gesundes Kind geboren hatte. Sie trug das Kopftuch fest um ihr Haar geschlungen, und auf ihrer Brust ruhte ein Talisman gegen den tugarehet, den allgegenwärtigen bösen Blick. Ein Kamel schrie, trompetete mit heiserer Stimme, als kündige es jemandes Kommen an. Das war, als sie einen Laut hörte, der klang wie das Summen einer Mücke. Sie lauschte eine Weile, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. Als sie sich umschaute, sah sie, dass die taklit, ihre Sklavin, bereits wartete, um sie zur Heiligen Stadt zu begleiten.
Die große Tür dorthin stand offen, und drinnen brannten überall Lampen. Hier feierten die Frauen, die die Hochzeit von Aisha ult Hamid mit ihrem Cousin Agwilal vorbereiteten. Klagende Laute drangen nach draußen. Die künftige Braut befand sich jetzt am heiligsten Ort.
Die Sklavin bahnte Maryam den Weg durch das Gedränge der Frauen und Kinder. Ihr Gatte war in der Oase ein wichtiger Mann, und andere Frauen traten vor ihr zurück. Wenn sie zwischen ihnen hindurchging, fürchtete sie immer den bösen Blick. Sie war kaum eingetreten, als das Wehklagen endete. In der Stille hörte sie wieder dieses merkwürdige Geräusch, als summten irgendwo in der Wüste Fliegen. Kam von dort Böses auf sie zu?, fragte sie sich.
Eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichten Aehrenthal und seine Truppe schließlich Ain Suleiman. Ringsum war alles ruhig, aber irgendwo unter den Bäumen hörte man eine Frau singen. Bald fielen weitere Stimmen ein.
»Sie bereiten eine Hochzeit vor«, sagte Mohamed. »Bald werden die Trommeln schlagen. Jetzt sind erst einmal die Frauen an der Reihe.«
Das Tageslicht wechselte von perlmuttfarben über pink zu rot. Am Himmel blinkten die ersten Sterne. Der Mond war noch nicht aufgegangen, und als die Sonne sank, zog sie die Welt immer tiefer in die Dunkelheit. In der Oase flackerten Öllampen auf wie Sterne eines anderen Universums.
Das Singen hielt noch eine Weile an, dann verstummten die Stimmen nach und nach. Schweigen senkte sich über die Kammern von Wardabaha.
Draußen war der Mond aufgegangen. Sein weißes Licht ergoss sich über das blaue Wasser des großen Teichs und gab den Palmwedeln silberne Spitzen.
Als die Soldaten der Longinus-Legion den Pfad hinunterstiegen, der sie an den Rand von Ain Suleiman bringen sollte, sahen sie, dass sich vor ihnen dunkle Schatten versammelten. Die Männer der Oase hatten die Jeeps kommen hören. Ein Alter, der an jenem Tag im Krieg noch Kind gewesen war, sagte zu seinem Sohn: »Sie sind zurückgekehrt.«
Die Männer des Stammes der Kel Ajjer standen aufgereiht da und beäugten die Ankömmlinge. Deren Führer Mohamed, bis auf die Augen in blaue und schwarze Tücher gehüllt, ging auf sie zu. Als er die Tuareg erreicht hatte, trat er vor einen Mann mit hoher Kopfbedeckung, in dem er den Anführer der Imashaghen erkannte.
»Al-salam alaykum«, sagte er. »Oy ik.«
Der Angesprochene murmelte eine Antwort.
»Alkher ghas.«
»Mani eghiwan?«
Dieselbe Antwort.
»Mani echeghel?«
Wieder dieselbe Antwort. Mohamed wandte sich Aehrenthal zu.
»Ich habe ihn nach seinem Befinden, nach dem seiner Familie und nach seiner Arbeit gefragt. Alles ist gut.«
»Das freut mich zu hören. Sage ihm jetzt, dass wir gekommen sind, um die Heilige Stadt zu sehen.«
Der Chef der Oase, ein Mann namens Idris agg Yusuf agg Yaqub Iskakghan, sah erst Mohamed, dann Aehrenthal an. Beim Licht des Mondes trat Aehrenthals Profil scharf hervor. Ein Blick genügte, und Idris wusste, was er wissen wollte.
»Sind Sie Briten?«, fragte er.
Aehrenthal zögerte. Was konnte dieser Mann der Wüste über England wissen? Er war viel zu jung, um bereits die Usherwood-Expedition erlebt zu haben.
»Wenn Sie Briten sind, dann seien Sie uns willkommen. Britische Soldaten kamen hierher, als mein Großvater Yaqub noch ein kleiner Junge war. Er lag im Sterben, und sie haben ihn gerettet. Unter ihnen war ein Arzt. Wissen Sie, ob er noch lebt?«
Aehrenthal nickte und ließ Mohamed sagen, sein Vater habe den Arzt gekannt.
Im Mondlicht war nicht zu erkennen, ob Idris lächelte. Dann nahm er wieder das Wort.
»Heute Abend können Sie nicht dorthin gehen. Wir haben morgen eine Hochzeit. Die Frauen bereiten sie dort vor.«
Darauf sagte Aehrenthal nichts. Er wusste, dass Usherwood und seine Freunde hier noch herumgeisterten. Er brauchte Zeit, um die Räume der Heiligen Stadt mit Sarah Usherwood anzusehen, wenn sie sich dazu bereit fand. Aber vielleicht würde der Bezug auf ihren Urgroßvater sie ja dazu bewegen.
So bat er um etwas zu essen, und eine Stunde später saß er mit seinen Männern bereits bei einem Mahl, das die Sklavinnen zubereitet hatten. Während sie aßen, setzte der Gesang wieder ein. Die Tuareg beobachteten sie scharf, verwirrt über die kleinen Werkzeuge, die die Weißen »Löffel« nannten und von ihren Fahrzeugen geholt hatten. Mit den Gästen gemeinsam aßen sie nicht. Der Anislem, ein Nachfahre des Priesters, der Mordpläne gegen Gerald Usherwood und dessen Männer geschmiedet hatte, schrieb eifrig Talismane mit dem sechszackigen Stern und feinen Tifinagh-Lettern darauf, so alt wie die Felsen ringsum.
Sie aßen im Freien, um ein Feuer am Boden sitzend. Das hatte man als Zeichen des Respekts vor den Gästen entzündet. Es würde nicht lange brennen, denn Holz war in der Wüste eine rare Kostbarkeit. Über ihnen knüpften die Sterne am Himmel ihr Netz von Licht.
Aehrenthal legte den Löffel beiseite. Die Ziege war zäh, die Suppe dünn und der Wein klares Wasser aus Salomos Quelle gewesen. Seine Männer hatten über das Essen gemäkelt, einige mit deutlichen Worten und Gesten. Spannung lag in der Luft. Aehrenthal wurde langsam ungeduldig. Er wusste, dass jemand ihm gefolgt war, und Sarah Usherwoods Anwesenheit sagte ihm auch, um wen es sich handelte. Er wollte wieder von Ain Suleiman fort sein, bevor Usherwood mit Verstärkung hier anrücken konnte. Es war dunkel, und in der Heiligen Stadt würde es noch dunkler sein. Aber sie hatten genügend Taschenlampen und Leuchten dabei, die von der Lichtmaschine eines Jeeps mit Strom versorgt werden konnten.
Er stand auf und trat an Idris agg Yusuf und dessen Leute heran. Der Chef hatte die untere Hälfte seines Gesichtsschleiers etwas gelüftet, um zu essen. Ein schmales Kinn und ein dichter Schnurrbart kamen zum Vorschein. Er wirkte alt, aber Aehrenthal vermutete, dass er höchstens dreißig sein konnte. Das Leben in der Wüste sei unglaublich hart, hatte Mohamed ihm erklärt, und niemand lebte sehr lange außer dem Anislem, der ein bequemeres Leben führte als die anderen.
»Sage ihm, dass wir für das Essen danken. Aber wir haben wenig Zeit. Wir sind gekommen, um die Stadt Wardabaha zu sehen, und meine Männer werden langsam ungeduldig. Wir möchten, dass man uns noch heute Abend dorthin führt.«
Es folgte ein kurzer Wortwechsel. Dann wandte sich Mohamed wieder an Aehrenthal.
»Er sagt, dass er bei allem Respekt den Frauen nicht befehlen kann, die Feier abzubrechen. Er bittet Sie um Geduld. Nichts von dort verschwindet, es bleibt alles, wie es ist. Warten Sie bitte bis zum Morgen. Dann sind die Frauen fort.«
Da rastete etwas in Aehrenthal aus. So viele Jahre hatte er auf diesen Augenblick, auf diese Entdeckung gewartet. Endlich war er an dem Ort angekommen, den er lange Zeit für eine Legende oder eine Fata Morgana gehalten hatte. Er war gekommen wie ein weiser Mann aus dem Osten, ein Barbar voller Ehrfurcht vor dem toten König. Aber die einzigen Geschenke, die er mit sich führte, waren Tod und Angst.
Er schritt in den Kreis der Essenden hinein und baute sich direkt vor dem Chef auf.
»Ich habe Sie gebeten, uns in die Stadt zu führen. Ich habe nicht erwartet, dass Sie uns hier Scherereien machen.«
Idris blickte ihn verwundert an.
»Sag ihm das!«, bellte Aehrenthal. Die Tuareg um ihn herum gerieten in Bewegung. Keiner aß mehr einen Bissen. Die Sklavinnen zogen sich zurück, denn Ärger lag in der Luft.
Mohamed sprach weiter in höflichem Ton, aber er wusste sich auf schwankendem Grund, denn die Beleidigung war angekommen. Er bemerkte, dass sich bereits einige Leibwächter um Idris scharten, die allesamt den agedellehouf, den unteren Teil des Gesichtsschleiers über Nase und Mund gezogen hatten. Das bedeutete, dass das Essen und mit ihm die Gastfreundschaft beendet waren. Dies wiederum galt als Signal für die Gäste, zu gehen. Alles andere würde als Kriegserklärung verstanden werden. Das letzte Mal war vor fünfzig Jahren in Ghadames ein Häuptling der Tuareg auf diese Weise beleidigt worden. Kaum waren die verletzenden Worte gesprochen, da hatte der dem Mann bereits mit seinem Schwert die Kehle durchgeschnitten. Danach war er so schnell zur Seite gesprungen, dass kein Tropfen Blut auf seine Kleidung spritzte.
Einige der jüngeren Männer hatten die Schwerter schon etwas herausgezogen. Gehärteter Stahl blinkte im Mondlicht auf. Die Älteren bedeuteten ihnen, sie zurückzustecken, aber die Jungen, die ein Recht auf das Ungestüm der Jugend zu haben glaubten, wollten nicht gehorchen. Sie boten der Beleidigung die Stirn, die gegen ihren Anführer geschleudert worden war und damit gegen sie alle.
Idris rappelte sich hoch. Noch nie in seinem Leben hatte jemand so mit ihm zu sprechen gewagt. Er hielt es für das Beste, wenn die Fremden jetzt gingen. Zu Mohamed sagte er in lautem Ton:
»Sag ihnen, ich befehle ihnen zu gehen. Führe sie in die Wüste hinaus und verlasse sie dort. Sorge dafür, dass sie nie wieder hier auftauchen. Wenn es getan ist, dann komm zurück und entschuldige dich bei mir.«
Mohamed stand da, starr vor Schreck. Er hatte inzwischen eine Vorstellung, was von Aehrenthal und dessen Freunden zu halten war. Er wusste, dass sie nicht zurückziehen würden. Er setzte an, um den Tuareg das zu erklären, aber Idris wandte sich bereits zum Gehen.
Einem von Aehrenthals Leibwächtern riss die Geduld. Er sprang auf Idris zu und wollte nach dessen Schulter greifen, um ihn herumzureißen. Aber bevor er auch nur in dessen Nähe kam, waren bereits zwei Männer mit Schwertern zur Stelle. Einer schlitzte ihm den Leib von der Leistengegend bis zum Brustbein auf, und der andere schnitt ihm von hinten die Kehle durch. Der Mann fiel zu Boden wie ein geschlachtetes Tier.
Da erklangen zwei Schüsse, und Idris’ Verteidiger sanken leblos neben ihrem Opfer zu Boden. Nun setzte ein wahres Massaker ein. Die Neonazis waren mit Maschinenpistolen bewaffnet, russischen Bisons mit 9 x 19 mm Luger-Parabellum Munition. Als sie sahen, auf welche Weise ihr Kamerad niedergemacht wurde, erwachten ihre Urängste vor Menschen mit dunkler Hautfarbe.
Ein Österreicher namens Helmut Kiesl sah bei Nacht wie eine Katze. Er hob seine Bison, entsicherte sie und begann zu feuern. Sekunden später folgten die anderen seinem Beispiel. Nach wenigen Augenblicken lagen die Männer von Ain Suleiman in ihrem Blut auf dem kalten Boden. Unter ihnen war Idris, von mehreren Kugeln durchlöchert. Dann schwiegen die Waffen, und das Massaker blieb nahezu unbemerkt. Der Mond am Himmel zog weiter und die Sterne blinkten, aber kein Komet stürzte herab.
Sie ließen ihre Opfer liegen, wo sie waren. Aehrenthal befahl mehreren Männern, nachzuschauen, ob es in der Oase weitere Tuareg gab, die nicht bei dem Essen gewesen waren. Die Übrigen gingen dem Gesang der Frauen nach. Der war anfangs nur schwach zu hören, wurde aber immer lauter, als sie durch die Dünen in die Wüste stolperten, die die Oase umgab. Am Ende brachten die Töne sie zu ihrem Herzenswunsch oder zu Egon Aehrenthals Obsession, was wohl auf das Gleiche hinauslief. Er hatte seine Männer seit langem davon zu überzeugen vermocht, dass sie wollten, was er wollte, und dass Ruhm für ihn Ruhm für sie alle bedeutete. Schweigend marschierten sie vorwärts, gutgebaute Männer ohne Mitleid, Männer in Schwarz mit schwarzen Waffen.
Einige Frauen hatten das kurze Rattern der Maschinenpistolen gehört und liefen nun auf dem Pfad von der Heiligen Stadt zur Oase zurück. Keine hatte je ein Gewehr, geschweige denn eine automatische Waffe schießen gehört. Sie fürchteten sich vor Geistern und Gespenstern, nicht vor Menschen. Sie hatten ihre Kinder dabei und schritten rasch aus. Hinter ihnen lag die Heilige Stadt in tiefem Schweigen. Anfangs glaubten sie, die Leute, die auf sie zukamen, seien ihre Männer und Brüder, als sich aber deren Umrisse abzeichneten, wussten sie, dass sie sich geirrt hatten.
Aehrenthal befahl, sie alle zu fesseln. Zwei seiner Leute sollten sie an einen sicheren Ort bringen, wo sie ihre toten Verwandten nicht sehen konnten und nicht in Panik geraten würden.
»Diese Wilden sind zu allem fähig«, sagte er. »Wenn sie sehen, dass ihre Männer tot sind, werden sie hysterisch. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Später könnt ihr mit ihnen machen, was ihr wollt, aber jetzt haben wir Wichtigeres zu tun.«
Er wusste, dass ihre Vorräte zur Neige gingen. Sie konnten hier ihre Wasserkanister auffüllen und auch ein paar Lebensmittel requirieren, aber weder Benzin noch Öl, kein frisches Obst außer Datteln, kein Weizenmehl und keine Eier. Sie konnten überleben, aber der Regen hatte sie aufgehalten. Er wollte so viel wie möglich auf ihre Fahrzeuge laden, die Leichen beseitigen und dann sofort von diesem Ort verschwinden.
Inzwischen konnten sich die Frauen denken, dass mit ihren Männern etwas nicht in Ordnung war. Ihr Geschrei wurde lauter und lauter.
»Wenn sie Ärger machen«, sagte Aehrenthal, »dann knallt sie einfach ab.«