ZWANZIGSTES KAPITEL

Ein Mann für alle Fälle

Die Kette der Jäger, die die kleine Hütte einkreisen sollten, war gerissen. Ein Wolf fehlte, und die beiden Männer, die ihn geführt hatten, waren durch Pfefferspray außer Gefecht gesetzt. Der dichte Wald hatte ihre Schreie gedämpft, so dass man sie nicht gleich fand. Keiner der Jäger hatte ein Handy bei sich. Aehrenthal selbst war an diesem Tag abwesend und wurde erst am Abend erwartet. Den hohen Funktionär der Pfeilkreuzler, der die Jagd leitete, beschlich nach und nach das ungute Gefühl, die Beute könnte ihm entschlüpft sein.

Kurz vor Sonnenuntergang stießen zwei Jäger auf einen grauenhaften Anblick. Auf einer Lichtung unweit der Jagdhütte lagen die Leichen zweier ihrer Kameraden, deren Kehlen zerfleischt und deren Gesichter nur noch Blutklumpen waren. Von dem Wolf, den sie am Morgen bei sich hatten, war weit und breit nichts zu sehen. Als man ihn zwei Tage später fand, war er von dem Schmerz in den Augen immer noch wie von Sinnen und musste getötet werden.

Der Pfeilkreuzlerboss, ein Ungar aus Debrecen namens Ágoston Fodor, wurde fuchsteufelswild. Dem Mann, der ihm die Nachricht brachte, versetzte er zunächst ein paar Faustschläge ins Gesicht und bearbeitete ihn dann noch mit dem Stock, den er stets bei sich hatte. Fodor wusste, dass er etwas unternehmen musste, bevor Aehrenthal zurück war. Er ließ den Jäger stöhnend liegen, wo er war, und eilte zum Schloss zurück.

Auf Castel Lup waren die Vorbereitungen auf eine Beratung von Führungsmitgliedern des Ordo Novi Templi in vollem Gange. Etwa fünfzig Würdenträger waren bereits eingetroffen. Ihre Anwesenheit hatte die Jagd auf Sarah ausgelöst, denn Aehrenthal wollte sie seinen Mitstreitern unbedingt vorführen und ihr um jeden Preis die Koordinaten von Wardabaha abpressen.

Fodor hastete zum Schloss, das für ihn nur Vár Farkasnak war. Gerade wurde das abendliche Bankett zubereitet. Als Aehrenthals designierter Vertreter in Ungarn war er in Abwesenheit seines Führers der Chef des Schlosses. Rasch erklärte er einer kleinen Gruppe seiner Gefolgsleute die Lage, wobei er darauf achtete, seine eigene Verantwortung, die schlechte Kommunikation mit den Jägern, zu vertuschen.

Als Aehrenthal über eine Stunde später eintraf, war das Essen bereit, und Fodor hatte einen Plan, wie sie Sarah und Ethan doch noch kriegen konnten. Er empfing den Österreicher in der Eingangshalle und half ihm aus dem Mantel. Mit brüchiger Stimme berichtete er, was geschehen war.

»Vielleicht ist sogar etwas Gutes daran, dass sie uns diesmal entwischt sind«, sagte er, um den vernichtenden Worten oder dem Faustschlag zuvorzukommen, die ihn zum niedrigsten Rang degradieren konnten.

»Ich höre dir zu, Ágoston. Es ist schlecht, dass dir das passiert ist, dafür wirst du wohl büßen müssen. Aber erst einmal höre ich dir zu. Was soll daran gut sein, dass sie dir entkommen sind?«

Aus dem Saal war das Geklapper von Messern, Gabeln und Tellern zu vernehmen. Aehrenthal war zwar hungrig wie ein Wolf, achtete aber nicht darauf. Fodor, der innerlich vor Angst zitterte, suchte dennoch sicher zu wirken.

»Sie können uns zu dem Mönch führen, wo immer er sich aufhalten mag. Und von ihm gelangen wir zu den anderen, die Sie erwähnt haben.«

»Wie kommst du darauf, dass die beiden Engländer von dem Mönch wissen sollten? Nicht einmal ich kenne seinen Namen.«

»Das junge Ding, das ihnen zur Flucht verholfen hat, gilt als sehr clever. Sie hat an der Bukarester Universität Englisch studiert. Sie hat aber auch einen Kurs in rumänischer Architektur, besonders der von alten Kirchen, absolviert. Sie hat eine Arbeit über Klostermalerei geschrieben. Ein sehr beliebtes Thema unter den Studenten.«

»Und daraus schließt du, dass sie den Mönch kennt, den Mann, der uns nachschnüffelt wie ein Rüde der läufigen Hündin, dass sie vielleicht Kenntnis davon hat, was er über uns weiß?«

»Möglicherweise nicht allzu viel …«

»Nicht allzu viel. Das Weib weiß nichts, aber sie kann uns zu ihm führen. Los, komm mit.«

Aehrenthal führte den Ungarn in den großen Speisesaal. Es war ein Raum mit hoher Decke, der aus den frühesten Tagen des Schlosses stammte. Auf einer Seite hatte er einen Kamin von der Größe eines kleinen Hauses, dessen zweistöckiger Abzug aus großen weißen Marmorblöcken bestand. Er wurde von zwei Karyatiden und zwei Atlanten getragen, um die sich Zentauren, Nereiden, Minotauren, Satyre und Gorgonen mit vergoldeten Flügeln, Messingklauen und Bärenzähnen tummelten. Glieder rangen mit Gliedern, Köpfe schienen herumzufahren und den Beschauer anzustarren, Greife mit Löwenkörpern, mit Adlerköpfen und -schwingen stürzten sich auf kreischende Harpyen, Furien mit Fledermausflügeln schwebten über einer fein modellierten Figur der Göttin Nemesis.

Von den kämpfenden Kreaturen geführt, wanderte der Blick des Beschauers nach oben, bis er ein Gebälk zwischen Kamin und Decke erreichte, das von einem Ende des Raumes zum anderen eine lange Reihe von Fahnen zierte. Aehrenthal schaute zu ihnen auf, um wie stets aus ihrem Anblick Kraft zu schöpfen. An gewissen Tagen im Jahr ließ er sie herunternehmen und hier, fern von ungebetenen Blicken, durch den Raum tragen – das Original der Führerstandarte, Hitlers persönlicher Fahne, eine Flagge mit dem Aufdruck »Deutschland erwache«, ein Kampfbanner mit dem Eisernen Kreuz, eine Fahne des SS-Hauptquartiers, rot, mit dem Hakenkreuz im weißen Kreis. Daneben eine grüne Flagge von Rumäniens Eiserner Garde mit einem dreifachen Kreuz darauf, das an ein Gefängnisgitter erinnerte, schließlich das rote Banner der ungarischen Pfeilkreuzler mit den vier gekreuzten Pfeilen und die Kruckenkreuzflagge der Vaterländischen Front Österreichs.

Laut wurden Stühle gerückt, und dann standen alle Gäste stramm, die Arme zum traditionellen faschistischen Gruß hochgerissen. Tiefes Schweigen trat ein, das bis in die Küche zu spüren war, wo selbst das Klappern von Töpfen und Tellern aufhörte.

»Meine Herren«, sagte Aehrenthal, »ich heiße Sie willkommen. Ich bin überzeugt, dass unsere Beratung erfolgreich sein wird. Dies ist unsere erste Sitzung. Ich habe wichtige Informationen für Sie alle. Aber zunächst ist hier noch eine Angelegenheit zu regeln.«

Er wandte sich Fodor zu, der neben ihm stand.

»Dieser Mann«, sagte er, »ist Ágoston Fodor. Die Ungarn unter Ihnen kennen ihn. Bevor ich mich von diesem Ort entfernte, habe ich ihn zu meinem Stellvertreter auf Vár Farkasnak, der Wolfshöhle, ernannt. Ich habe ihm befohlen, Jagd auf ein paar Leute zu machen, die sich mir widersetzt haben und sich noch in der Nähe versteckt halten. Darunter ist die bereits erwähnte Frau, die ich Ihnen heute Abend vorstellen wollte.

Aber sie und ihre Begleiter sind entwischt. Fodor war verantwortlich, sie zu ergreifen, und er muss jetzt dafür geradestehen, dass das misslungen ist. Er verdient eine Strafe. Eigentlich müsste ich ihn erschießen. Aber er ist einer unserer besten Männer, und auf ihn warten weitere Aufgaben.«

Er musterte Fodors Gestalt von oben bis unten.

»Ausziehen!«, schnarrte er dann.

»Waaas?«

»Keine Fragen! Runter mit den Sachen! Oder haben Sie Angst, ich sei ein Schwuler, der sich auf Sie stürzen will?«

Der drohende Ton in Aehrenthals Stimme war nicht zu überhören. Es wurde totenstill im Saal. Nur die Scheite in dem großen Kamin knackten weiter und übergossen die ganze Versammlung mit einem rotgoldenen Schimmer. Fodor gehorchte und stand schließlich splitternackt vor seinen Kameraden. Er zermarterte sein Hirn nach allen möglichen Strafen, aber er konnte sich nichts denken, das diese merkwürdige Prozedur erfordert hätte. Vielleicht war das – nackt und bloß vor dieser ehrenhaften Versammlung zu stehen – bereits die Strafe.

Aehrenthal gab zwei Männern, die in der Nähe saßen, ein Zeichen.

»Packt ihn und haltet ihn gut fest. Ja, so ist es richtig.« Mit diesen Worten griff er in die Innentasche seines Jacketts und holte einen Hirschfänger mit Holzgriff heraus, den er immer bei sich trug, wenn er zur Jagd ging.

»Nun, Fodor, will ich Ihnen zeigen, womit ein Mann bezahlt, wenn er meine Pläne stört.«

Er beugte sich nach vorn und langte mit der linken Hand nach Fodors Penis, der trotz der Wärme im Raum klein und eingeschrumpft war. Hörbar sog er den Atem durch die Nüstern ein. Er spielte mit dem schrumpligen Ding, schüttelte und knetete es, wie es eine Frau hätte tun können, bis es trotz Fodors tiefem Schrecken reagierte und sich langsam aufrichtete. Zart zog er die Vorhaut zurück, was das Glied weiter anschwellen ließ.

»Bitte, ich flehe Sie an, es tut mir leid. Es wird nicht wieder passieren, ich lasse Sie nie mehr im Stich! Nehmen Sie mir nicht meinen Penis, ohne ihn kann ich nicht leben …«

Aehrenthal war taub für das Gejammer. Er ließ das halbsteife Glied aus der Hand, packte stattdessen Fodors Hoden und trennte sie mit einer einzigen Bewegung ab. Er richtete sich auf, hielt die blutigen Dinger triumphierend hoch und warf sie dann über die Köpfe der vor Schreck erstarrten Gäste in die lodernden Flammen des Kamins. Ein kurzes Brutzeln war zu vernehmen, wie wenn man Speck brät, und dann war es wieder still im Raum, nur die Holzscheite knackten ungerührt weiter. Fodor hatte einmal aufgebrüllt und war dann bewusstlos in die Arme der Männer gesunken, die ihn hielten.

»Schafft ihn fort!«, rief Aehrenthal. »Und räumt die Schweinerei weg. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Ein Diener stürzte herein und wischte das Blut auf. Die beiden Männer schleiften Fodor aus dem Saal.

»Es tut mir leid, wenn ich Ihnen den Appetit verdorben habe«, sagte Aehrenthal. »Aber Fodors Versagen kann ernste Folgen für uns alle haben. Ich musste ihn bestrafen, und ich übernehme die Verantwortung dafür. Seit Sie geschworen haben, unserem Orden zu dienen, wissen Sie, dass bei uns eiserne Disziplin und unbedingter Gehorsam herrschen.

Meine Herren, wir sind an einem Scheideweg angekommen. Ich habe Objekte in meinem Besitz, von denen Sie ganz sicher kaum zu träumen wagen. Nach so vielen Jahren des Suchens, dem wir uns verschrieben haben und an dem auch jene teilhatten, die nicht mehr unter uns weilen, können wir jetzt das scheinbar Unwirkliche sehen, berühren und uns davon überzeugen, dass es reale Wirklichkeit ist. Heute um Mitternacht werde ich sie Ihnen präsentieren. Ich werde sie immer und überall mit mir führen. Alle hier Anwesenden werden Zeugnis ablegen von der Wahrheit, auf der dieser Orden ruht. Jeder von Ihnen wird heute Abend den Speer des Schicksals und die Dornenkrone berühren dürfen. Ich werde Ihnen Wein aus dem Heiligen Gral zu trinken geben. Ihre Mühen waren nicht umsonst, Ihre Opfer nicht vergebens.

Zuvor müssen wir jedoch noch die Person finden, die uns an den Ort führen kann, woher diese Dinge stammen, zu den Knochen in den Särgen und zu dem vertrockneten Fleisch.«

Er hielt inne und ließ den Blick über seine versammelten Gefolgsleute gleiten. Das Essen vor ihnen auf dem Tisch wurde kalt. Die Flammen hinter ihnen hatten die Scheite beinahe aufgezehrt und waren in sich zusammengesunken.

»Heute Abend benötige ich zwölf von Ihnen«, sagte er. Dann las er die Namen derer vor, die ihm zur Hand gehen sollten.

 

In Sâncraiu fuhren sie mit drei Geländewagen ein, die mit Winterreifen und Jagdlampen ausgestattet waren. Die rollten bis auf den Hauptplatz, wo die Männer ausstiegen. Die starken Motoren ließen sie laufen. Aehrenthal hatte exakte Instruktionen ausgegeben. Jeder seiner Männer war mit einem halbautomatischen Gewehr HK G3 bewaffnet.

Sie schwärmten im Dorf aus. Aehrenthal führte zwei seiner engsten Mitstreiter in das Gasthaus am Rande des Platzes. Darin roch es nach Zigaretten und dem Rauch des Buchenholzfeuers. Raue Männerstimmen redeten durcheinander, eine Frau lachte schrill, und über allem hing eine Wolke von Bierdunst.

Ein alter Mann saß beim Feuer, umringt von Zuhörern, und erzählte wohl alte Geschichten. Aehrenthal erkannte ihn sofort. Es war der Bürgermeister, ein sehr geachteter ehemaliger Soldat namens Bogdan Bogoescu. Er hielt hier jeden Abend Hof, benutzte die Runde, um Meinungen der Einwohner zu erfahren, ihnen seine Sicht auf Angelegenheiten des Dorfes mitzuteilen und in Erinnerungen an das Soldatenleben im Zweiten Weltkrieg zu schwelgen.

Aehrenthal trat an ihn heran.

»He, Alter«, schnarrte er.

Die Leute musterten den Neuankömmling. Die meisten wussten, wer Aehrenthal war, oder konnten es sich denken. Er sprach Rumänisch mit einem Akzent, der in ihren Ohren deutsch klang, und ließ sie seine Verachtung spüren.

Der alte Mann schaute zu Aehrenthal auf wie jemand, der mit seiner Zeit etwas Besseres anzufangen weiß. Er bemerkte die beiden Kerle hinter ihm und die langen Gewehre, die sie bei sich trugen.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er.

Aehrenthals Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.

»Ich will den Namen der Person, die den Mann und die Frau in der Jagdhütte westlich meines Schlosses untergebracht hat. Ich denke, es ist eine Frau, und ich will auf der Stelle wissen, wie sie heißt.«

Bogoescu war von Aehrenthals großspurigem Auftritt nicht besonders beeindruckt.

»Keine Ahnung, wen Sie meinen«, sagte er. »Ich war noch nie dort oben.«

Diese Antwort hatte Aehrenthal erwartet. Er zögerte keinen Augenblick. Er legte sein Gewehr an und schoss dem alten Mann ein Loch in den Kopf. Blut spritzte nach allen Seiten und klatschte in roten Flecken auf Möbel, Kleidung und Gesichter der Umstehenden. Teile der Schädeldecke flogen in den Kamin und knallten gegen die Wand. Die Frau kreischte auf und fiel in Ohnmacht. Alle schrien durcheinander. Nur Aehrenthal stand stocksteif da. Niemand würde es wagen, ihn anzugreifen. Für diese Dörfler mit ihrer Lebensweise, ihren Vorurteilen, ihrem Desinteresse für Höheres und ihrem Mangel an Respekt für Männer wie ihn hatte er nur Verachtung übrig.

Er drehte den Kopf und sprach den ersten Mann an, auf den sein Blick fiel.

»Vielleicht hast du ein besseres Gedächtnis als der Alte hier. Du siehst, dass ich ungeduldig bin.«

Der Mann begann heftig zu zittern und machte sich die Hose nass. Die anderen blickten gehetzt um sich, als suchten sie nach einem Fluchtweg, da Aehrenthals Begleiter die Tür blockierten.

»Ilona«, sagte eine Stimme aus dem Hintergrund. »Sie heißt Ilona. Familienname Horváth.«

Aehrenthal wandte sich dem Mann zu, der gesprochen hatte.

»So ist es gut«, sagte er. »Du kommst mit und führst mich zu ihrem Haus.«

Der Mann wollte zurückweichen, aber einer von Aehrenthals Begleitern stürzte zu ihm hin und zerrte ihn mit sich.

Das Haus stand in einer kurzen Gasse zwischen der Kirche und der Bäckerei. Es war frisch gekalkt. Eine Straßenlaterne in der Nähe warf ein trübes Licht darauf, als wolle es die geweißte Fassade noch verschönern. Hinter den Fenstern auf der einen Seite brannte Licht und der Ton eines Fernsehapparates war zu hören. Die Leute schauten wohl Te crezi mai destept? im Ersten Programm.

Aehrenthal hatte vier Männer bei sich. Einer war ein Bodybuilder aus Budapest, ein riesiger Kerl, den sie Samson nannten. Es sah aus, als lehne er sich nur gegen die Tür. Die gab unter seinem Gewicht und seiner Kraft nach und fiel krachend zu Boden. Samson gab Aehrenthal den Weg frei, der, Pistole im Anschlag, eintrat.

Die ganze Familie war im Wohnzimmer versammelt. Sie hatte gerade zu Abend gegessen und widmete sich jetzt gemeinsam dem Fernsehen: Ilonas Vater, Mutter, zwei Brüder und eine Schwester. Die Brüder waren fünfzehn und dreizehn Jahre alt, die Schwester, ein hübsches Mädchen namens Ecaterina, erst neun. Mit einem Kopfschuss tötete Aehrenthal zuerst das kleine Mädchen. Ein riesiger Aufruhr entstand im Raum. Ilonas Vater, der Aehrenthal die Pistole entreißen wollte, erhielt einen Schuss in die Kehle. Er wankte und begann Blut zu husten. Seine Frau, die, vor Schreck fast von Sinnen, zu ihm laufen wollte, wurde von den Männern auf die Couch geworfen. Die beiden Jungen, die mit ansehen mussten, wie ihre Schwester und ihr Vater erschossen wurden, wimmerten leise.

»Schnauze, ihr zwei! Wenn ich noch einen Pieps von euch höre, seid ihr als Nächste dran!«

Er wandte sich Frau Horváth zu.

»Ich will Antworten!«, herrschte er sie an. »Wenn ich sie nicht kriege, dann erschieße ich deine Jungen. Und wenn du mich hinters Licht führst, komme ich zurück und brenne dieses Haus samt dir und diesen Bastarden bis auf die Grundmauern nieder!«

Die Muter war der Hysterie nahe, aber die Kälte in Aehrenthals Stimme und die unmittelbare Gefahr für ihre beiden Söhne brachten sie wieder zu sich.

»Wohin ist Ilona gegangen?«

Keine Antwort. Sie schaute ihn nur mit aufgerissenen Augen an, ratlos, was sie gegen diesen schrecklichen Zorn unternehmen sollte. Wortlos betete sie zu Gott.

»Ich habe dich gefragt, wo deine Tochter ist. Sie hat Sâncraiu heute verlassen. Wohin ist sie gegangen?«

Er zielte auf den kleineren Jungen, und sie sah in Aehrenthals Blick keine Spur von Mitleid.

Sie konnte nicht antworten. Sie war zwischen der Angst um ihre Söhne und um ihre einzige verbliebene Tochter hin und her gerissen.

Aehrtenthal schoss auch dem Jungen in den Kopf. Der schwankte nicht und fiel auch nicht rückwärts, sondern sank in sich zusammen wie eine Marionette, deren Fäden man zerschnitten hatte. Er hatte nicht einmal schreien können. Sein Bruder zuckte zusammen, fing ihn auf und redete zu ihm, als sei er noch am Leben. Er wusste, dass auch sein Ende nahe war. Der Fernsehapparat, der vor wenigen Minuten noch so viel Fröhlichkeit verbreitet hatte, ratterte vor sich hin wie eine Straßenbahn, die in ihren sicheren Untergang fuhr.

Als Aehrenthal sah, wie verletzlich der Junge war, richtete er seine Pistole nicht auf ihn, sondern auf die Mutter.

»P-P-Putna«, stammelte der Junge. »So hat sie gesagt. Ich wollte noch mit ihr gehen. Wenn ich jetzt nur bei ihr wäre.«

»Wohin in Putna?« Aber er konnte es sich selbst denken.

»Zum … zum K-K-Kloster.«

»Zu wem will sie dort?«

Der Junge konnte nicht antworten, aber Aehrenthal wusste nun Bescheid. Vor vielen Jahren hatte ihm jemand den Namen ins Ohr geflüstert. Er war auf den Grund seines Gedächtnisses gesunken, wo er bis zu dieser Stunde gelegen hatte.

Er streckte die Hand aus und legte sie auf den Kopf des Jungen. Der zuckte zurück, von Furcht und Abscheu erfüllt.

»Gut gemacht«, sagte Aehrenthal. »Es war richtig, dass du mir das gesagt hast. Ich sorge dafür, dass man dich gut behandelt. Dich und deine Mutter. Es ist immer am besten, die Wahrheit zu sagen, besonders wenn jemand sehr wütend ist. Ich war sehr wütend, und ich entschuldige mich dafür.«

Er fuhr dem Jungen durchs Haar, wandte sich dann um und verließ den Raum. Seine Männer warteten an der offenen Tür. Einer, namens Ferenc, war ein junger Mann, von dem er sich noch viel erhoffte. Aehrenthal nahm ihn beiseite.

»Da sind noch zwei übrig«, sagte er. »Leg auch sie um und schaffe die Leichen beiseite. Lass sie irgendwo verschwinden. Ich will keinen Ärger haben.«

Ferenc salutierte und nahm die Pistole aus dem Halfter.

Aehrenthal trat mit seinen Leuten auf die menschenleere Straße hinaus.

»Wir müssen uns noch heute Abend auf den Weg nach Putna machen«, verkündete er. »Mit zwei Wagen und einem halben Dutzend guter Leute. Ihr habt eine Stunde Zeit.«

Sein eigenes Fahrzeug fuhr am Bordstein vor. Als er gerade einsteigen wollte, hörte er hinter sich einen Schuss. Als ihm das Echo noch in den Ohren klang, folgte ein zweiter. Dann herrschte nur noch schreckliches Schweigen, das einen Moment lang über dem Dorf hing, als sei alle Hoffnung von dort geschwunden. Aehrenthals Fahrer startete den Motor und raste durch die leeren Gassen.